Subscribe to RSS
DOI: 10.1055/a-2145-0316
Übergabe in der Zentralen Notaufnahme: Wenn, dann „SINNHAFT“!
Sehr geehrte Leserschaft unserer Zeitschrift Notaufnahme up2date,
in diesem Editorial möchten wir die Übergabe an der Nahtstelle vom Rettungsdienst zur Zentralen Notaufnahme (ZNA) beleuchten.
Definitionsgemäß ist die Übergabe in der Medizin die Übertragung der Verantwortung und Zuständigkeit für einzelne oder alle Aspekte der Versorgung, eines oder mehrerer Patienten an eine andere Person oder Berufsgruppe, für einen vorübergehenden oder längeren Zeitraum. Der Übergabe muss daher eine außerordentliche Bedeutung zugemessen werden.
Leider zeigen aktuelle nationale Untersuchungen, dass trotz einer Vielzahl existierender Merkhilfen (Mnemonik) keine Standardisierung der rettungsdienstlichen Übergaben erkennbar ist.
Im Rahmen einer prospektiven polyzentrischen Studie, in der Inhalt, Umfang und Struktur der Übergabe sowie die Anwendung vorhandener Merkhilfen im Vordergrund standen, konnten Ehlers et al. erhebliche Defizite bei der Patientenübergabe vom Rettungsdienst an das Klinikpersonal feststellen [1].
Die Durchführung einer bundesweiten Online-Befragung zeigte, dass zwar ein Bewusstsein für die Bedeutung der Übergabe besteht, gleichzeitig aber 75% aller Teilnehmer den Übergabeprozess als verbesserungswürdig ansehen [2].
Im Dezember 2020 wurde auf Initiative der Deutschen Gesellschaft für Interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin e.V. (DGINA), der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin e.V. (DIVI) und unter Einbeziehung weiterer Fachvertreter ein Konsensuspapier mit insgesamt 15 Empfehlungen zum strukturierten Übergabeprozess in der ZNA veröffentlicht. Damit wurden erstmals in Deutschland konsentierte Empfehlungen zu Rahmenbedingungen, Ablauf der Übergabe, Aspekten der Schulung und der nationalen Implementierung erarbeitet. In der Empfehlung 2 wird die Standardisierung der Übergabe kritischer Inhalte unter Zuhilfenahme durch eine bundesweit einheitliche Merkhilfe (Mnemonik) empfohlen [3].
Anfang 2021 wurde ein Delphi-Verfahren zur wissenschaftlichen Entwicklung einer Merkhilfe initiiert, das sich an den Regularien der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) orientierte. Im März 2023 konnten die Ergebnisse des Delphi-Verfahrens publiziert und die konkrete Merkhilfe „SINNHAFT“ abgeleitet werden [4].
SINNHAFT bietet dem Anwender neben der evidenzbasierten Grundlage erstmals auch die feste Integration von Aspekten des Crew Resource Management (CRM) ([Abb. 1]).
Perspektivisch wäre es wünschenswert – auch wenn der Rettungsdienst Ländersache ist – SINNHAFT bundesweit als verbindliche Merkhilfe zu etablieren. Konsekutiv würden sich hieraus eine Vielzahl von Vorteilen ergeben.
Die Standardisierung würde flächendeckend eine sog. „Common Language of Hand Over” ermöglichen, die wiederum den Einzug in alle (prä-)hospitalen Kurskonzepte wie PHTLS (pre-hospital Trauma Life Support), ATLS (advanced Trauma Life Support), ACilS (advanced critical Illness Life Support) etc. forciert. Eine zentral (bundesweit) gesteuerte wissenschaftliche Begleitung und Evaluation würde neben der Generierung von validen Daten (z.B. Outcomeparameter) auch die kontinuierliche Modifikation / Weiterentwicklung der Übergabeinhalte ermöglichen.
Auch wenn diese Überlegungen im Moment noch sehr visionär erscheinen mögen, so steht jedem von Ihnen SINNHAFT schon jetzt für die tägliche Praxis in der Zentralen Notaufnahme zur Verfügung [5].
Wir hoffen Ihnen mit diesem Editorial Lust auf das Lesen der vorliegenden Ausgabe Notaufnahme up2date gemacht zu haben.
Ihre Herausgeber*innen der Notaufnahme up2date
Ingo Gräff – Michael Bernhard – Frank Eifinger – Ingo Gräff – Thomas Henke – Philipp Kümpers – Bernhard Kumle – Dominik Michalski – Benjamin Ondruschka – Martin Pin – Sylvia Schacher
Publication History
Article published online:
15 November 2023
© 2023. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
-
Literatur
- 1 Ehlers P, Seidel M, Schacher S. et al. Prospective Observational Multisite Study of Handover in the Emergency Department: Theory versus Practice. W J Emerg Med 2021; 22: 401-409 DOI: 10.5811/westjem.2020.9.47836.
- 2 Gräff I, Ehlers P, Seidel M. et al. Der Übergabeprozess in der zentralen Notaufnahme: Eine bundesweite Onlineumfrage. Notfall Rettungsmed 2021; 24: 211-222 DOI: 10.1007/s10049-020-00750-3.
- 3 Gräff I, Pin M, Ehlers P. Empfehlungen zum strukturierten Übergabeprozess in der zentralen Notaufnahme: Konsensuspapier von DGINA, DIVI, BAND, BV-AELRD, VDF, AGBF, DBRD, DRK, MHD, JUH, ASB, FALCK, APS, ABNP, DRF, ADAC. Notfall Rettungsmed 2022; 25 DOI: 10.1007/s10049-020-00810-8.
- 4 Gräff I, Pin M, Ehlers P. Der Übergabeprozess in der zentralen Notaufnahme – Konsentierung von Inhalten im Rahmen eines Delphi-Verfahrens. Notfall Rettungsmed 2023; DOI: 10.1007/s10049-023-01130-3.
- 5 Gräff I, Ehlers P, Schacher S. SINNHAFT – Die Merkhilfe für die standardisierte Übergabe in der Zentralen Notaufnahme. Notfall Rettungsmed 2023; DOI: 10.1007/s10049-023-01167-4.