Schlüsselwörter
Pflegebedürftigkeit - ambulante geriatrische Pflege - pflegebedürftige Person - pflegende Angehörige - ambulanter Pflegedienst
Key words
outpatient geriatric care - care receiver - informal caregivers - home care - long-term care
ADL Aktivitäten des täglichen Lebens
IADL Instrumentelle Aktivitäten des täglichen Lebens
HPS-k Häusliche Pflege-Skala - Kurzversion
MD Medizinischer Dienst
pA pflegende Angehörige
PAC Positive Aspects of Caregiving
PB Pflegebedürftige
RUD Ressource Utilisation in Dementia
Einleitung
Die Anzahl der pflegebedürftigen Personen (PB) steigt seit Jahren
kontinuierlich an. Davon werden in Deutschland 80% zu Hause, vorwiegend von
nahestehenden verwandten oder befreundeten Personen, als pflegende An- und
Zugehörige (pA) bezeichnet, gepflegt [1]. Die Versorgung von PB ist eine objektiv zeitaufwändige [2] und belastende Tätigkeit [3]. Für die häusliche Pflege
stellt der ambulante Pflegedienst daher eine wichtige Möglichkeit zur
Entlastung dar: Er ist in Deutschland das von pA am häufigsten genutzte
ambulante Entlastungsangebot [1]
[4]. Laut Bundesministerium für
Gesundheit soll der ambulante Pflegedienst insbesondere die PB und ihre pA bei den
Aufgaben der häuslichen Pflege unterstützen. Dazu gehören
nicht nur pflegerische Tätigkeiten, sondern auch die Beratung und
Vermittlung von weiteren Hilfsangeboten [5].
Zwischen dem Bedarf an Unterstützung durch den ambulanten Pflegedienst und
der tatsächlichen Inanspruchnahme besteht eine Diskrepanz [6]. Um die Angebotsstruktur an ambulanten
Pflegediensten optimal ausrichten und somit diese Diskrepanz verringern zu
können, ist es wichtig, die aktuelle sowie die gewünschte
zukünftige Nutzung dieses Versorgungsangebots zu analysieren. Dafür
kann das Modell der sozialen Bedürfnisse von Bradshaw, das von Stirling auf
pA angepasst wurde, herangezogen werden [7]
[8]. Bisher wurden in der
Literatur zum Nutzungsverhalten von Entlastungsangeboten hauptsächlich
Menschen mit Demenz betrachtet [9]
[10]
[11].
Dieser Beitrag befasst sich nun mit der aktuellen Nutzung (expressed need) sowie der
gewünschten zukünftigen Nutzung (felt need der aktuell
Nicht-Nutzenden) aller pA unabhängig von den Pflegeursachen. Daraus ergeben
sich zwei Forschungsfragen: Welche Faktoren stehen mit der aktuellen Nutzung des
ambulanten Pflegedienstes in Zusammenhang? Welche Faktoren hängen bei den
Nicht-Nutzenden mit einer gewünschten Inanspruchnahme in Zukunft
zusammen?
Methodik
Stichprobe
PA wurden im Rahmen der Querschnittsstudie „Zugewinne durch die
Pflege“ in Bayern im Zeitraum von Oktober 2019 bis März 2020
befragt. Dabei wurden von insgesamt 50 Pflegegutachtenden des Medizinischen
Dienstes (MD) Bayern 5.000 Befragungsunterlagen, über ganz Bayern, an pA
verteilt, deren PB einen Erstantrag auf Erhalt eines Pflegegrades oder einen
Folgeantrag auf dessen Erhöhung – gemäß
Pflegestärkungsgesetz (PSG) – bei ihrer Pflegekasse gestellt
hatten. Die Rücklaufquote lag mit 1.082 Fragebögen bei
21,6%. Die Befragten gaben ihr Einverständnis zur anonymisierten
Datenverwendung durch die Rücksendung des Fragebogens. Für die
vorliegende Arbeit konnten die Daten von 958 pA analysiert werden, deren PB 65
Jahre oder älter war. Ausschlusskriterien waren das Alter der PB unter
65 Jahren (n=121) oder fehlende Information zur Nutzung des ambulanten
Dienstes (n=3). Die zuständige Ethik-Kommission der
Medizinischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität
Erlangen-Nürnberg hat der Studie ein positives Votum erteilt
(Antragsnummer 220_20 B).
Instrumente
Der Fragebogen zur Situation pflegender Angehöriger beinhaltete neben der
Inanspruchnahme von verschiedenen Unterstützungsangeboten die Erfassung
der Belastungssituation und die erlebten Zugewinne der pA, soziodemografische
Angaben zu den pA und den PB sowie Daten zur Pflegesituation.
Abhängige Variablen
Zur Erfassung der Inanspruchnahme des ambulanten Pflegedienstes wurde ein
Fragebogen in Anlehnung an den Resource Utilization in Dementia (RUD) [12] verwendet. Befragte sollten angeben, ob
sie gegenwärtig oder in letzter Zeit den ambulanten Pflegedienst nutzen
oder genutzt haben (expressed need der Nutzenden). Die aktuell Nicht-Nutzenden
konnten angeben, ob sie das Angebot in Zukunft nutzen möchten (felt need
der Nicht-Nutzenden).
Unabhängige Variablen
Die subjektive Belastung der pA wurde durch eine Kurzversion der
Häusliche-Pflege-Skala (HPS-k) mit 10 Items erfasst. Die
Ausprägung jedes Items wurde auf einer vierstufigen Skala von 0 (stimmt
nicht) bis 4 (stimmt genau) erfasst. Dabei spricht ein höherer
Summenwert (0 bis 30) für eine stärkere subjektive Belastung der
pA [13]
[14]. Positive Aspekte der Pflege wurden mittels der Skala Positive
Aspects of Caregiving (PAC) anhand von 9 Items auf einer fünfstufigen
Likert-Skala von 0 (trifft gar nicht zu) bis 4 (trifft voll zu) gemessen [15]. Höhere Summenwerte deuten
darauf hin, dass die pA der Pflegesituation auch etwas Positives abgewinnen
können. Für die Erfassung der Copingstrategien der pA wurden je
zwei Items aus den drei Subskalen problemorientiertes, emotionsorientiertes und
vermeidendes Coping des Brief COPE [16]
verwendet. Die Beziehungsqualität wurde über die aktuelle
Einschätzung sowie die Einschätzung vor Beginn der
Pflegebedürftigkeit mittels eines drei-stufigen piktorialen
Antwortformats (negativ, neutral, positiv) erfasst. Dieses wurde
anschließend dichotomisiert. Wegen der Tendenz zur sozialen
Erwünschtheit beim Antwortverhalten wurden die Kategorien neutral und
negativ zusammengefasst.
Die soziodemografischen Variablen Alter und Geschlecht wurden sowohl für
pA als auch für die PB erhoben. Die pA wurden zudem zur
Erwerbstätigkeit, zum Bildungsabschluss und zum
Verwandtschaftsverhältnis befragt. Beim
Verwandtschaftsverhältnis zur PB wurde zwischen Partner,
(Schwieger-)Kinder und Sonstige differenziert. Für die multivariablen
Analysen wurde der Bildungsabschluss metrisch in Bildungsjahre umgerechnet und
das Verwandtschaftsverhältnis dichotomisiert in Partner oder
Nicht-Partner. Für die PB wurde die Ursache der
Pflegebedürftigkeit und der Pflegegrad erhoben. Der Pflegegrad wurde in
kein bis niedrig (Pflegegrad 0 bis 1), mittel (Pflegegrad 2) und hoch
(Pflegegrad 3 bis 4) kategorisiert. Diese Aufteilung basiert auf der Tatsache,
dass beim Pflegegrad 0 bis 1 keine Sachleistungen, etwa Leistungen der
ambulanten Pflegedienste, erstattet werden [17]. Ab dem Pflegegrad 2 beginnen die Sachleistungen (mit etwa 700
Euro im Monat). Für die Pflegegrade 3 bis 4 liegen diese deutlich
höher (bei etwa 1.300 bzw. 1.700 Euro monatlich), da auch das
Ausmaß der Pflegebedürftigkeit erhöht ist.
In Bezug auf die aktuelle Pflegesituation wurde die Dauer der Pflegezeit in
Monaten erhoben. Die informelle Pflegezeit durch die pA in Stunden pro Tag wurde
für folgende drei Bereiche gemäß der Vorgaben des RUD
erfasst [12]: Aktivitäten des
täglichen Lebens (ADL), instrumentelle ADL (IADL) und Supervision. Die
subjektive Wahrnehmung der Pflegesituation wurde mittels zweier Items, jeweils
mit einer 10-stufigen Skala, operationalisiert. Zum einen wurde gefragt, wie die
Befragten allgemein die aktuelle Pflegesituation einschätzen –
von 1 (positiv) bis 10 (negativ). Zum anderen sollten die pA ihre aktuellen
Möglichkeiten einschätzen, mit der Pflege zurechtzukommen
– von 1 (gelingt mir vollständig) bis 10 (gelingt mir gar
nicht). Die Motivation zur häuslichen Pflege von pA wurde ermittelt,
indem aus sieben Antwortmöglichkeiten der Hauptgrund für die
häusliche Pflege angegeben werden sollte [18]. Dieser wurde dichotomisiert in Wunsch
der pA und andere Gründe. Bezüglich der informellen Hilfe wurde
die aktuelle und die zukünftig erwünschte
Unterstützungsleistung bei der Pflege durch das persönliche
Umfeld (z. B. durch Angehörige und Bekannte) dichotom
(ja/nein) erfasst.
Statistische Analyse
Gruppenunterschiede zwischen der Inanspruchnahme und Nicht-Inanspruchnahme des
ambulanten Pflegedienstes wurden entweder mit χ2-Tests
(nominalskalierte Variablen) oder mit t-Tests für unabhängige
Stichproben (metrische Variablen) analysiert. Dabei wurde zur Adjustierung des
Alphaniveaus die Korrekturmethode nach Benjamini-Hochberg [19] durchgeführt, um den
Alpha-Fehler beim multiplen Testen zu minimieren.
Binär logistische Regressionsanalysen wurden durchgeführt, um
diejenigen Variablen zu ermitteln, die für die Nutzung des ambulanten
Pflegedienstes prädiktive Bedeutung haben. Abhängige Variable
war zum einen die aktuelle Nutzung (Kodierung: 0 keine aktuelle Nutzung, 1
aktuelle Nutzung) und zum anderen die für die Zukunft gewünschte
Nutzung (Kodierung: 0 keine gewünschte Nutzung, 1 Nutzung
gewünscht). Die unabhängigen Variablen, die nicht metrisch waren
und mehr als zwei Ausprägungen hatten, wurden theoriegeleitet
dichotomisiert. Alle unabhängigen Variablen wurden auf
Multikollinearität (r≥0.6) geprüft. Beim Auftreten von
Multikollinearität wurde nur die Variable in das Analysemodell
aufgenommen, die bivariat am stärksten mit der abhängigen
Variablen assoziiert war.
Die Regressionsanalysen wurden jeweils in einem zweistufigen Verfahren
realisiert. Zunächst wurden drei Adjustierungsvariablen (Alter,
Geschlecht sowie Bildungsniveau der pA) mit der Enter-Methode
aufgenommen. Des Weiteren erfolgte mit der Methode der
Vorwärtsselektion eine schrittweise Aufnahme signifikanter
Prädiktoren aus dem Pool aller unabhängigen Variablen. Als
Grenze für die Aufnahme der Variablen in das Modell wurde der Wert
p=0,01 gewählt und als Grenzwert für den Ausschluss aus
dem Modell p=0,10.
Die Varianzaufklärung wurde mittels Nagelkerkes R2
bestimmt.
Da ökonomische Faktoren (Anspruch auf Sachleistungen) bei der aktuellen
Inanspruchnahme eine Rolle spielen können, wurden zusätzliche
Sensitivitätsanalysen durchgeführt. Zwei Regressionsanalysen
wurden getrennt für die Pflegegrade 0 bis 1 sowie für
Pflegegrad≥2 berechnet.
Als Signifikanzniveau wurde p<0,01 festgelegt. Für
sämtliche Berechnungen wurde die Statistiksoftware IBM SPSS 28.0
verwendet.
Ergebnisse
In der Gesamtstichprobe von n=958 waren drei Viertel der pA Frauen (724;
75,6%). Im Mittel waren die pA 62,1 Jahre alt. Bezüglich der Bildung
der pA verfügten fünf Personen (0,5%) über keinen
Schulabschluss, 365 (38,1%) hatten Haupt- bzw. Volksschulabschluss, 405
(42,3%) einen Realschulabschluss, 88 (9,2%) Abitur und 95
(9,9%) einen Hochschulabschluss. Bezüglich des
Verwandtschaftsverhältnisses von pA zu PB waren die meisten von ihnen
(Schwieger-)Kinder (586; 61,2%), etwa ein Drittel waren Partner (291;
30,4%) und 81 (8,5%) wurden unter der Kategorie Sonstige
zusammengefasst. Vergleicht man die pflegenden (Schwieger-)Kinder mit den Partnern
– und zwar in der Gesamtstichprobe (n=958) unabhängig vom
Nutzungsverhalten – dann waren sie im Vergleich zu den Partnern signifikant
häufiger Frauen (469; 80,4% vs. 188; 64,6%,
p<0,001), signifikant häufiger erwerbstätig (399;
68,1% vs. 27; 9,3%, p<0,001) und im Durchschnitt etwa 20
Jahre jünger (56,5±10,1 vs. 74,9±7,4, p<0,001).
Lediglich ein Drittel von ihnen lebte mit der PB zusammen (195; 33,3% vs.
287; 98,6%, p<0,001).
Bei den PB waren zwei Drittel weiblich (642; 67,0%) und das
Durchschnittsalter lag bei 82,1 Jahren. Bezüglich der Ursache für
Pflegebedürftigkeit konnten auch mehrere Erkrankungen angegeben werden. So
wurde bei 364 (38,0%) eine Demenz berichtet. Schlaganfall hatten 145
(15,1%) und Krebs 121 (12,6%) angegeben.
Expressed need: Aktuelle Inanspruchnahme eines ambulanten Pflegedienstes (ja
oder nein)
Insgesamt nutzten 368 (38,4%) pA einen ambulanten Pflegedienst. Bei den
Nutzenden waren die pA signifikant jünger, häufiger pflegende
(Schwieger-)Kinder und stärker subjektiv belastet – im Vergleich
zu den Nicht-Nutzenden ([Tab. 1]). Sie
lebten seltener mit der PB zusammen, wünschten sich mehr informelle
Hilfe, schätzten ihre aktuelle Pflegesituation schlechter ein und kamen
mit der Pflege weniger zurecht. Die PB der Nutzenden waren signifikant
älter und verfügten über einen höheren
Pflegegrad. Die Sensitivitätsanalysen – stratifiziert nach
Anspruch auf Sachleistungen: ja (Pflegegrad 0 bis 1)/nein (Pflegegrade 2
bis 4) – hat ergeben, dass die Ergebnisse der Gesamtstichprobe
insbesondere für die pA von PB ab dem Pflegegrad 2 zutreffend sind.
Tab. 1 Inanspruchnahme des ambulanten Pflegedienstes
(n=958).
|
Expressed need (n=958) (Aktuelle Nutzung)
|
Felt need (n=590) (Zukünftiger
Nutzungswunsch)
|
Variable
|
Ja (n=368)
|
Nein (n=590)
|
p
|
Ja (n=236)
|
Nein (n=354)
|
p
|
n (%) /
|
n (%) /
|
n (%) /
|
n (%) /
|
MW±SD
|
MW±SD
|
MW±SD
|
MW±SD
|
Pflegende Angehörige
|
Geschlecht (Frauen)
|
282 (76,6)
|
442 (74,9)
|
0,704
a
|
168 (71,2)
|
274 (77,4)
|
0,169
a
|
Alter in Jahren
|
60,5±12,4
|
63,1±12,7
|
0,010
b
|
62,1±13,2
|
63,7±12,2
|
0,1225
b
|
Bildungsabschluss (nominal)
|
|
|
0,792
a
|
|
|
0,745
a
|
Kein Schulabschluss
|
1 (0,3)
|
4 (0,7)
|
1 (0,4)
|
3 (0,8)
|
Hauptschule/Volksschule
|
132 (35,9)
|
233 (39,5)
|
85 (36,0)
|
148 (41,8)
|
Mittlere Reife/Realschule
|
162 (44,0)
|
243 (41,2)
|
102 (43,2)
|
141 (39,8)
|
Abitur/Fachhochschulreife
|
34 (9,2)
|
54 (9,2)
|
24 (10,2)
|
30 (8,5)
|
(Fach-)Hochschule/Universität
|
39 (10,6)
|
54 (9,5)
|
24 (10,2)
|
32 (9,0)
|
Erwerbsstatus (ja)
|
188 (51,1)
|
271 (45,9)
|
0,214
a
|
110 (46,6)
|
161 (45,5)
|
0,837
a
|
Verwandtschaftsgrad
|
|
|
<0,007
a
|
|
|
0,214
a
|
Partner
|
79 (21,5)
|
212 (35,9)
|
77 (32,6)
|
135 (38,1)
|
Eltern / Schwiegereltern
|
258 (70,1)
|
328 (55,6)
|
143 (60,6)
|
185 (52,3)
|
Sonstige
|
31 (8,4)
|
50 (8,5)
|
16 (6,8)
|
24 (9,6)
|
Beziehungsqualität aktuell (positiv)
|
195 (53)
|
356 (60,3)
|
0,078
a
|
142 (60,2)
|
214 (60,5)
|
0,946
a
|
Beziehungsqualität früher (positiv)
|
202 (54,9)
|
366 (62)
|
0,085
a
|
146 (61,9)
|
220 (62,1)
|
0,946
a
|
Subjektive Belastung (HPS-k)
|
17,9±7,4
|
16±7,5
|
<0,007
b
|
15,8±7,4
|
16,1±7,5
|
0,735
b
|
PAC
|
16,8±9,1
|
17,8±9,2
|
0,128
b
|
17,4±9,2
|
18,0±9,2
|
0,596
b
|
Coping
|
14,2±3,7
|
13,7±3,8
|
0,128
b
|
13,6±4,0
|
13,8±3,7
|
0,792
b
|
Pflegebedürftige Person
|
Geschlecht (% Frauen)
|
256 (71,7)
|
378 (64,1)
|
0,047
a
|
169 (71,6)
|
209 (59,0)
|
0,01
a
|
Alter in Jahren
|
83,0±6,7
|
81,6±7,2
|
0,01
b
|
81,8±7,2
|
81,44±7,2
|
0,703
a
|
Demenz (ja) c
|
154 (41,8)
|
210 (35,6)
|
0,113
a
|
88 (37,3)
|
122 (34,5)
|
0,653
a
|
Schlaganfall (ja) c
|
54 (14,7)
|
91 (15,4)
|
0,818
a
|
33 (14,0)
|
58 (16,4)
|
0,596
a
|
Krebs (ja) c
|
54 (14,7)
|
67 (11,4)
|
0,225
a
|
28 (11,9)
|
39 (11,0)
|
0,818
a
|
Pflegegrad
|
|
|
<0,007
a
|
|
|
0,021
a
|
Kein Pflegegrad
|
32 (8,7)
|
158 (26,8)
|
77 (32,6)
|
81 (22,9)
|
Pflegegrad 1
|
50 (13,6)
|
86 (14,6)
|
42 (17,8)
|
44 (12,4)
|
Pflegegrad 2
|
119 (32,3)
|
196 (33,2)
|
72 (30,5)
|
124 (35,0)
|
Pflegegrad 3
|
101 (27,4)
|
110 (18,6)
|
34 (14,4)
|
76 (21,5)
|
Pflegegrad 4
|
66 (17,9)
|
40 (6,8)
|
9 (4,7)
|
29 (8,2)
|
Pflegesituation
|
Dauer der Pflege in Monaten
|
48,1±64,5
|
48,5±86,3
|
0,946
b
|
43,4±89,9
|
51,8±83,7
|
0,386
b
|
Zusammenwohnen mit gepflegter Person (ja)
|
168 (45,7)
|
337 (57,1)
|
<0,007
a
|
129 (54,7)
|
208 (58,8)
|
0,492
a
|
Durchschnittliche Stundenzahl für Hilfe bei
Tätigkeiten (ADL, IADL, Supervision)
|
9,0±5,2
|
8,7±5,1
|
0,332
b
|
8,04±5,1
|
9,21±5,0
|
0,023
b
|
Hilfe von Angehörigen erhalten (ja)
|
236 (64,1)
|
340 (57,6)
|
0,113
a
|
141 (59,7)
|
199 (56,2)
|
0,581
a
|
Mehr Hilfe von weiteren Angehörigen/Freunden
gewünscht (ja)
|
243 (66,0)
|
339 (57,5)
|
0,028
a
|
152 (64,4)
|
187 (52,8)
|
0,021
a
|
Pflegemotivation: Wunsch der Pflegenden
|
103 (28,0)
|
132 (22,4)
|
0,113
a
|
50 (21,2)
|
82 (23,2)
|
0,715
a
|
Einschätzung der aktuellen Pflegesituation
|
5,1±2,1
|
4,6±2,1
|
0,007
b
|
4,8±2,0
|
4,4±2,1
|
0,113
b
|
Zurechtkommen mit der Pflege
|
4,4±2,0
|
3,9±2,0
|
0,007
b
|
4,2±2,0
|
3,6±2,0
|
0,007
b
|
Anmerkungen: n: Stichprobegröße; M: arithmetischer
Mittelwert; SD: Standardabweichung; p: signifikante Werte
(<0,05) in Fett; HPS-k: Häusliche-Pflege-Skala –
Kurzversion, Range: 0–30; PAC: Positive Aspects of Caregiving,
Range: 9–36; ADL: Aktivitäten des täglichen
Lebens; IADL: Instrumentelle Aktivitäten des täglichen
Lebens; Einschätzung der aktuellen Pflegesituation, Range:
1–10; Zurechtkommen mit der Pflege, Range: 1–10;
a χ²-Test für nicht metrische
Variablen; b t-Test für unabhängige
Stichproben für metrische Variablen; c
Mehrfachnennungen möglich.
Expressed need: Multivariable Analyse
Das binär logistische Regressionsmodell zur aktuellen Nutzung des
ambulanten Pflegedienstes ([Tab. 2]) ist
signifikant (χ²=96,58, df=7,
p<0,001) und zeigt eine Varianzaufklärung von
13,0% (Nagelkerkes R2). Der ambulante Pflegedienst wurde
doppelt so häufig (OR: 2,0) bei einem mittleren Pflegegrad und fast
viermal so häufig (OR: 3,7) beim höheren Pflegegrad – im
Vergleich zu keinem oder niedrigerem Pflegegrad – in Anspruch genommen.
Des Weiteren war die Inanspruchnahme doppelt so häufig, wenn die pA und
die PB nicht in einer Partnerschaft lebten (OR: 2,1); diese Nicht-Partner sind
überwiegend erwachsene Kinder oder Schwiegerkinder. Je weniger die pA
nach eigener Einschätzung mit der Pflege zurechtkamen, umso
häufiger nutzten sie den ambulanten Pflegedienst.
Tab. 2 Binär Logistische Regressionen für
die Inanspruchnahme eines ambulanten Pflegedienstes.
|
|
Regressionskoeffizient B
|
pa
|
Odds Ratio
|
99%-KI
|
Block I
b
|
Geschlecht (weiblich)
|
0,089
|
0,603
|
1,093
|
[0,782–1,526]
|
Alter (in Jahren)
|
–0,001
|
0,928
|
0,999
|
[0,985–1,014]
|
Bildung (in Jahren)
|
0,004
|
0,893
|
1,004
|
[0,953–1,057]
|
Block II
c
|
Pflegegrad d
|
|
<0,001
|
|
|
niedrig vs. mittel
|
0,675
|
<0,001
|
1,965
|
[1,385–2,787]
|
niedrig vs. hoch
|
1,314
|
<0,001
|
3,720
|
[2,634–5,255]
|
Verwandtschaftsverhältnis zwischen den
Pflegebedürftigen und den Angehörigen
(Nicht-Partner) e
|
0,725
|
<0,001
|
2,064
|
[1,367–3,117]
|
Einschätzung der aktuellen Möglichkeiten, mit
der Pflege zurecht zu kommen f
|
0,151
|
<0,001
|
1,163
|
[1,085–1,247]
|
|
|
Regressionskoeffizient B
|
pa
|
Odds Ratio
|
99%-KI
|
Block I
b
|
Geschlecht (weiblich)
|
0,369
|
0,072
|
1,1446
|
[0,967–2,161]
|
Alter (in Jahren)
|
–0,012
|
0,098
|
0,988
|
[0,975–1,002]
|
Bildung (in Jahren)
|
0,024
|
0,474
|
1,024
|
[0,960–1,092]
|
Block II
c
|
Pflegegrad d
|
|
|
|
|
niedrig vs. mittel
|
–0,494
|
0,013
|
0,610
|
[0,413–0,901]
|
niedrig vs. hoch
|
–0,799
|
<0,001
|
0,450
|
[0,291–0,696]
|
Mehr Hilfe von Angehörigen gewünscht
g
|
0,535
|
0,003
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1,707
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[1,206–2,416]
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KI: Konfidenzintervall; a Signifikanzniveau: p=0,01
(signifikante p-Werte in Fett); b Einschluss-Methode (enter):
Merkmale der pflegenden Angehörigen als Adjustierungsvariablen;
c Vorwärtsselektion aller Variablen; d
niedrig: keiner oder Pflegegrad 1; mittel: Pflegegrad 2; hoch:
Pflegegrad 3 oder 4; e Referenzkategorie: Pflegende
Angehörige und pflegebedürftige Person sind Partner;
f Metrische Variable: 1 (positiv) bis 10 (negativ);
g Referenzkategorie: die pflegenden Angehörigen
wünschen sich keine Hilfe von anderen Angehörigen oder
Freunden.
Felt need der Nicht-Nutzenden: Zukünftige Inanspruchnahme eines
ambulanten Pflegedienstes (ja oder nein)
Insgesamt nutzten 590 (62%) der pA keinen ambulanten Pflegedienst. Von
den 590 Personen (aktuelle Nicht-Nutzende) gaben jedoch zwei Fünftel
(236, 40%) an, diesen in Zukunft nutzen zu wollen. Die pA mit
zukünftigem Nutzungswunsch wendeten signifikant weniger Stunden
für die Hilfe bei sämtlichen Tätigkeiten auf,
wünschten sich häufiger informelle Hilfe und kamen mit der
Pflege weniger zurecht als die pA, die keinen zukünftigen Nutzungswusch
hatten. Die PB der pA mit zukünftigem Nutzungswunsch waren signifikant
häufiger weiblich und verfügten über einen niedrigeren
Pflegegrad.
Felt need der Nicht-Nutzenden: Multivariate Analyse
Mit dem binär logistischen Regressionsmodell zur künftigen
Nutzung des ambulanten Pflegedienstes konnte 6,7% (Nagelkerkes
R2) der Varianz aufgeklärt werden
(χ²=29,86, df=6, p<0,001).
Die künftige Nutzung des ambulanten Pflegedienstes beabsichtigten pA,
die sich zum Befragungszeitpunkt mehr Hilfe von Personen aus Freundes- oder
Verwandtenkreis wünschten (OR: 1,7). Im Vergleich zu keinem oder
niedrigen Pflegegrad beabsichtigte etwa die Hälfte der übrigen
pA eine Nutzung in Zukunft (OR: 0,6 bei mittlerem beziehungsweise OR: 0,5 bei
höherem Pflegegrad).
Diskussion
Der ambulante Pflegedienst wurde in unserer Studie von etwa einem Drittel der
Befragten gegenwärtig oder in letzter Zeit in Anspruch genommen (expressed
need). Es wurde deutlich, dass das Angebot eher von Personen wahrgenommen wurde, die
ihre Möglichkeiten, mit der Pflege zurechtzukommen, schlechter
einschätzten. Dies verdeutlicht, wie wichtig dieses
Unterstützungsangebot für den Erhalt der häuslichen Pflege
ist, nämlich zur Kompensation wahrgenommener Einschränkungen der
eigenen Pflegekompetenz. Weiterhin wurde der ambulante Pflegedienst zweimal
beziehungsweise fast viermal so häufig in Anspruch genommen, wenn die PB
einen Pflegegrad 2 beziehungsweise 3 oder 4 hatte. Einerseits kann dies dadurch
begründet sein, dass ein höherer Pflegegrad mit mehr zeitlichen,
psychischen und körperlichen Anstrengungen, den Pflegebedarf abzudecken,
verbunden ist. Dies kann der ambulante Pflegedienst teilweise kompensieren.
Andererseits könnte sich hier auch widerspiegeln, dass die Sachleistungen
für den ambulanten Pflegedienst überhaupt erst ab Pflegegrad 2
erstattet werden. Für viele scheint jedoch die Nutzung erst mit
höherem Pflegegrad (3 oder 4) finanziell „attraktiv“ zu
sein. Ein Pflegedienst wurde zusätzlich deutlich häufiger in
Anspruch genommen, wenn die pA nicht in einer Partnerschaft mit ihrem PB lebte. Dies
ist Ausdruck einer generationsübergreifenden Pflege und betrifft vor allem
pflegende, häufiger erwerbstätige Töchter und
Schwiegertöchter, die tendenziell in getrennten Haushalten vom PB leben und
deutlich jünger als pflegende Partner sind. Dies wurde bereits in der
bisherigen Literatur berichtet [20]
[21]. Damit wird insbesondere die Situation der
pA mit PB, die einen Anspruch auf Sachleistungen haben (ab Pflegegrad 2)
abgebildet.
Pflegende, die in Zukunft (felt need) den ambulanten Pflegedienst signifikant
häufiger nutzen möchten, äußerten fast doppelt so
häufig den Wunsch nach mehr informeller Hilfe aus Freundes- und
Verwandtenkreis. Sie wünschten sich also bereits für die Gegenwart
mehr informelle Hilfe. Es scheint, dass sie sich zunächst private
(informelle) Unterstützung erhoffen, um später mit steigendem
Pflegegrad Teile der Pflegeaufgaben an professionelle Pflegedienste abgeben zu
können. Ferner waren diese Personen mit einem Nutzungswusch für die
Zukunft etwa doppelt so häufig die pA von PB ohne Pflegegrad oder mit
Pflegegrad 1, die noch keine Sachleistungen für einen ambulanten
Pflegedienst erhielten. Der Unterstützungsbedarf scheint bereits bei
Pflegegrad 1 vorhanden zu sein (felt need), aber aufgrund der fehlenden Finanzierung
werden die Unterstützungsangebote nicht beansprucht (expressed need).
Bei Demenz als Ursache der Pflegebedürftigkeit zeigte sich gegenüber
anderen Ursachen kein signifikanter Zusammenhang mit der aktuellen oder der
für die Zukunft gewünschten Nutzung. Das Alter der PB und der pA
hatte keinen signifikanten Einfluss auf die Nutzung. Diese Befunde stehen im
Gegensatz zur bisherigen Literatur, bei der jedoch nur Menschen mit Demenz
betrachtet wurden [9]
[10].
Basierend auf unseren Ergebnissen und den Daten des Statistischen Bundesamtes [22] ergibt eine grobe Schätzung
für Deutschland, dass über 800.000 pA, die aktuell keinen ambulanten
Pflegedienst nutzen, diesen jedoch zukünftig nutzen möchten. Im
Hinblick auf die gefundenen Einflussfaktoren in Kombination mit allgemeinen
gesellschaftlichen Entwicklungen, die den demographischen Wandel betreffen –
nämlich häufigere Erwerbstätigkeit von Frauen [23], Häufung von Single-Haushalten
sowie größere geografische Entfernungen zwischen Familienmitgliedern
– wird die Bedarfsdeckung häuslicher Pflegearrangements durch pA in
Zukunft schwieriger werden. Dadurch könnte der Bedarf an genereller
Entlastung und speziell auch durch ambulante Pflegedienste weiter ansteigen, vor
allem, da die meisten PB so lange wie möglich im eigenen häuslichen
Umfeld leben möchten [24]. Zur
Unterstützung der häuslichen Pflege ist daher auf der Angebotsseite
nicht nur eine Aufrechterhaltung, sondern auch eine weitere Anwerbung und Ausbildung
von Fachkräften notwendig [25], um den
Fachkräfteengpass entgegenzuwirken [26].
Stärken und Limitationen
Die Ergebnisse beruhen auf einer Querschnittsbefragung, mit der statistische
Zusammenhänge aufgedeckt werden können, die jedoch keine
Schlussfolgerungen auf Ursache-Wirkungsbeziehungen ermöglicht. Ferner
legt die relativ geringe Varianzaufklärung der multivariaten
Regressionsanalysen nahe, dass es weitere, in unserem Datensatz nicht vorhandene
Variablen gibt, die den Zusammenhang erklären. Die Daten sind jedoch
repräsentativ für Bayern bei Pflegesituationen, in denen
entweder ein Pflegegrad erstmalig oder eine Höherstufung eines
bestehenden Pflegegrades beantragt wurde.
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Der ambulante Pflegedienst sollte sein Beratungsangebot
verstärkt auf Empowerment der Angehörigen
ausrichten, da die den ambulanten Pflegedienst nutzenden pflegenden
Angehörigen angeben, mit der häuslichen Pflege
weniger gut zurechtzukommen.
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Da die den ambulanten Pflegedienst Nutzenden oft die pflegenden
Kinder/Schwiegerkinder sind, die viel häufiger noch
erwerbstätig sind und seltener in räumlicher
Nähe zum Pflegeort wohnen, sind sie auf die
Verlässlichkeit der ambulanten Dienste angewiesen.
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Da ein erheblicher zukünftiger Nutzungswusch für
ambulante Pflegedienstleistungen besteht, sind Anstrengungen zu
unternehmen, um das Angebot gegebenenfalls auszubauen, um die
häusliche Pflege zu stabilisieren.