Nervenheilkunde 2023; 42(10): 732
DOI: 10.1055/a-2158-0245
Gesellschaftsnachrichten
Mitteilungen der Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Neurologie e. V.

Im Interview: Prof. Dr. med. Mazda Adli

Tom Bschor
 

    BGPN-Mitglied Mazda Adli beschäftigt sich als Psychiater und Forscher schwerpunktmäßig mit der psychischen Gesundheit in der Stadt. Er ist Chefarzt der Fliedner Klinik Berlin. Wir trafen ihn zum Interview.

    Macht die Großstadt krank?

    Adli: Es gibt in der Stadt eine Häufung von psychischen Erkrankungen, die vermutlich etwas mit der vermehrten Stressexposition von Stadtbewohnern zu tun hat. Wenn verschiedene Risikofaktoren zusammentreffen, führt dies vermutlich zu Erkrankungen.

    Welche Krankheitsbilder sind das?

    Adli: Zum Beispiel kommt Depression in der Stadt etwa eineinhalb Mal so häufig vor. Auch Angststörungen und vor allem Schizophrenie sind häufiger. Für letztere wurde sogar ein doppeltes Dosis-Wirkungs-Verhältnis gezeigt. Das Schizophrenie-Risiko im Erwachsenenalter steigt mit der Größe der Stadt und der Anzahl der Jahre, die man in der Stadt aufgewachsen ist.

    Werden die Menschen eher in der Großstadt ‚kränker‘ oder sind mehr ‚kranke‘ Menschen in der Großstadt?

    Adli: Die Daten sprechen für einen Kausalzusammenhang zwischen Stadtleben und Erkrankung, wie das Dosis-Wirkungs-Verhältnis. Eine Studie zeigt, dass, wenn man während der Kindheit von einem Dorf in die Stadt zieht, das Schizophrenie-Risiko wächst. Zieht man von der Stadt aufs Land, sinkt das Risiko. Im Gegensatz hierzu steht die Selektionshypothese, die besagt, dass es psychisch labilere Menschen eher in die Stadt zieht, z. B. in der Hoffnung auf eine bessere Gesundheitsversorgung oder um der sozialen Kontrolle in einer ländlich geprägten Umgebung zu entkommen.

    Das heißt, in der Großstadt gibt es ein höheres Risiko, krank zu werden?

    Adli: Ja. Allerdings geht es um einen Summeneffekt. Es ist nicht die Großstadt per se, die krank macht, sondern der soziale Stress, der in der Stadt häufiger vorkommt. Er wird relevant, wenn er chronisch wird und auf weitere Risikofaktoren trifft, z. B. soziale oder genetische. Und wenn zusätzlich noch der Zugang zu den vielen Vorteilen, die man in der Stadt ja hat, erschwert ist, kann die Summe ein erhöhtes Krankheitsrisiko sein.

    Was sollen Nervenärzte ihren Patienten empfehlen, um in der Großstadt nicht ‚krank‘ zu werden?

    Adli: Das Entscheidende ist, am Leben der Stadt teilzuhaben, Zugehörigkeit zu empfinden, sich in der Nachbarschaft sozial zu verbinden. Denn ein wichtiges Antidot gegen sozialen Stress ist soziale Verbundenheit. Ich frage meine Patienten manchmal, ob sie wissen, wie ihre Nachbarn heißen und rate ihnen, deren Namen auf dem Klingelschild durchzulesen oder aufmerksam durch die Nachbarschaft zu spazieren und dabei auf Umgebungsdetails zu achten. Dann gibt es natürlich auch noch das, was die Stadt an sich bzw. die Politik verbessern kann.

    Und das ist…?

    Adli: Wir brauchen Begegnungsräume. Öffentlichen Raum, an dem soziale Interaktion stattfindet. Gerade der nicht kommerziell genutzte öffentliche Raum gehört dazu, aber auch Grünflächen und Kulturräume, weil das Orte sind, die Menschen in Verbindung bringen. Für die psychische Gesundheit ist die Zeit vor der eigenen Haustür wichtiger als die dahinter. Grünflächen sind wichtige Ressourcen für die psychische Gesundheit. In einer eigenen Studie sehen wir eine deutliche Assoziation zwischen dem prozentualen Anteil von Grünfläche in der Wohnumgebung und der Aktivität emotionsregulierender kortikaler Areale.

    Ist Berlin besonders gefährlich?

    Adli: Nein, Berlin macht vieles gut. Und einiges davon, ohne es zu beabsichtigen.

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    Prof. Dr. med. Mazda Adli, Fliedner Klinik Berlin. Foto: ©A. Koroll

    Leben Sie gern in der Großstadt?

    Adli: Ja. Und zwar sehr gerne! Ich habe das Glück gehabt in verschiedenen Großstädten aufgewachsen zu sein. Ich bin in Köln geboren, in Bonn aufgewachsen, habe in Teheran gewohnt, in San Francisco, Paris, Wien und jetzt in Berlin und weiß die Vorteile der Stadt sehr zu schätzen. Aber gleichzeitig ist es auch ein Anreiz für mich, dafür zu sorgen, dass unsere Städte lebenswerte Orte bleiben, die gut für unsere Psyche sind.

    Das Interview führte Dr. Anja Bauer, Berlin

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    IMPRESSUM

    Prof. Dr. Tom Bschor
    Redaktion: Dr. Anja M. Bauer
    Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Neurologie e. V.
    Schlosspark-Klinik, Abteilung für Psychiatrie
    Heubnerweg 2
    14059 Berlin   
    Email: info@bgpn.de   

    Publication History

    Article published online:
    09 October 2023

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    Georg Thieme Verlag KG
    Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

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    Prof. Dr. med. Mazda Adli, Fliedner Klinik Berlin. Foto: ©A. Koroll