Sprache · Stimme · Gehör 2024; 48(01): 11-12
DOI: 10.1055/a-2160-0717
Kommunikationsstörungen & Genetik

Fragiles-X-Syndrom

 

Das Fragile-X-Syndrom (kurz: FraX) gilt als die häufigste Ursache erblich bedingter Intelligenzminderung [1] [2]. Es wird durch eine Veränderung im FMR1-Gen auf dem X-Chromosom verursacht. Neben der Intelligenzminderung als Leitsymptom des FraX, kann die Genmutation bei Betroffenen u. a. zu sprachlichen Auffälligkeiten, einer verzögerten motorischen Entwicklung, Verhaltensauffälligkeiten und zu Lernschwierigkeiten führen [2] [3].


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Ätiologie

Die geschätzte Prävalenz für das FraX liegt bei etwa 1: 6000 bei Frauen und 1: 4000 bei Männern [4]. Aufgrund seiner X-chromosomalen (rezessiven) Vererbung tritt es bei Männern häufiger als bei Frauen auf. Da das zweite X-Chromosom bei Frauen kompensatorisch wirken kann, sind die Symptome des FraX bei Frauen außerdem meist schwächer ausgeprägt [5]. Ursächlich für das Syndrom ist eine übermäßige Anzahl von CGG-Sequenzwiederholungen (> 200) im FMR1-Gen [2]. Infolgedessen kann das RNA-Bindungsprotein FMR-1, das für die Entwicklung des Gehirns von großer Bedeutung ist, nicht oder nur reduziert synthetisiert werden [1].


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Symptome

Das Syndrom geht mit einer Vielzahl möglicher Symptome einher, die in ihrer Ausprägung individuell variieren. Bei den meisten männlichen Betroffenen besteht eine moderat bis stark ausgeprägte Intelligenzminderung, wohingegen nur etwa 25 % der weiblichen Betroffenen eine Form von Intelligenzminderung aufweisen [3]. Häufig besteht eine verzögerte motorische und sprachliche Entwicklung. Sprachliche Beeinträchtigungen können dabei im expressiven, rezeptiven, kommunikativ-pragmatischen und schriftsprachlichen Bereich auftreten [3] [4]. Möglich sind außerdem Verhaltensauffälligkeiten wie Hyperaktivität, Aufmerksamkeitsstörungen und Ängstlichkeit, verminderter Blickkontakt, Schwierigkeiten im Aufbau sozialer Beziehungen sowie Empfindlichkeit gegenüber sensorischen Reizen wie Geräuschen, Licht und Berührungen [1] [5]. Darüber hinaus sind folgende Auffälligkeiten im äußeren Erscheinungsbild möglich: lange Gesichtsform mit mandibulärer Prognathie und großen, abstehenden Ohren, Strabismus, syndrom-assoziierte Adipositas, Skoliose, vergrößerte Hoden [2]. Das FraX geht zudem häufig mit der Diagnose Autismus-Spektrum-Störung einher [2]. Dabei korreliert die Ausprägung der autistischen Symptomatik mit der Ausprägung der kommunikativ-sprachlichen Beeinträchtigung [3].


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Diagnose

Die Diagnosestellung beruht in der Regel auf einer klinischen Untersuchung (z. B. in Hinblick auf physische Merkmale sowie die motorische und sprachliche Entwicklung), einer Familienanamnese und einer DNA-Analyse zur Feststellung einer möglichen Expansion der CGG-Sequenzen auf dem FMR1-Gen. Da die genannten körperlichen Merkmale beim FraX nicht zwingend vorhanden sind, empfiehlt sich bei auffällig werdender Intelligenzminderung grundsätzlich ein DNA-Test [2].


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Therapie und Prognose

Durch eine den individuellen Bedürfnissen und Symptomen angepasste multidisziplinäre Behandlung kann die Entwicklung von Kindern mit FraX positiv beeinflusst werden. Zum Ausbau des Sozialverhaltens erfolgt häufig eine verhaltenstherapeutische Intervention. Zur Unterstützung der kognitiven Entwicklung, der Kommunikations- und der Lernfähigkeit kann eine ergotherapeutische, heilpädagogische und/oder logopädische Therapie erfolgen.

Derzeit werden die Auswirkungen verschiedener medikamentöser Therapien auf diverse FraX-Symptome untersucht [1]. Eine medikamentöse Behandlung kann beispielsweise bei Angstzuständen oder Aufmerksamkeitsproblemen in Erwägung gezogen werden [1]. Erste Untersuchungen lassen vermuten, dass medikamentöse Therapien auch die frühkindliche Entwicklung und Verhaltensauffälligkeiten bei Menschen mit FraX positiv beeinflussen können [1]. Zur Unterstützung des Familienlebens sollten die Familienangehörigen geschult und in die Therapien eingebunden werden.

Fazit

Das Fragile-X-Syndrom basiert auf einer übermäßigen Anzahl von CGG-Sequenzwiederholungen im FMR1-Gen, das auf dem X-Chromosom liegt. Infolgedessen kann es zu Beeinträchtigungen in den Bereichen Kognition, Sprache, Motorik und Verhalten kommen. Meist liegen auch spezifische äußerliche Merkmale wie beispielsweise eine längliche Gesichtsform vor. Ausprägung und Kombination der Symptome sind individuell. Durch therapeutische und medikamentöse Interventionen können die beeinträchtigten Fähigkeiten der Betroffenen ausgebaut werden.

Jana Spoddig, Hannover


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Publication History

Article published online:
11 March 2024

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