Osteologie 2023; 32(04): 270-277
DOI: 10.1055/a-2175-9246
Review

Praxisrelevante Aspekte zur biochemischen und molekulargenetischen Diagnostik bei seltenen Knochenerkrankungen – vom Netzwerk Seltene Osteopathien (NetsOs*)

Approach to the Patient With A Rare Skeletal Condition – Considerations For Biochemical And Genetic Workup
Corinna Grasemann
1   Abteilung für Seltene Erkrankungen, Klinik für Kinder- und Jugendmedizin der Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Germany
,
Florian Barvencik
2   Department of Osteology and Biomechanics, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg, Germany
,
Heide Siggelkow
3   MVZ Endokrinologikum Göttingen, Endokrinologikum-Gruppe, Hamburg, Germany
4   Gastroenterology, Gastrointestinal Oncology and Endocrinology, University Medical Center Göttingen, Gottingen, Germany
,
Roland Kocijan
5   Vienna Bone and Growth Center, Vienna Bone and Growth Center, Vienna, Austria
6   Ludwig Boltzmann-Institut für Osteologie im Hanusch-Krankenhaus der ÖGK und Traumazentrum Meidling der AUVA, 1. Med. Abteilung, Hanusch-Krankenhaus, Wien, Austria
7   Klinische Osteologie, Sigmund Freud Privat Universität Wien GmbH, Wien, Austria
,
Elena Tsourdi
8   Medizinische Klinik III und Zentrum für gesundes Altern, Medizinische Fakultät, TU Dresden, Dresden, Germany
,
Wolfgang Högler
9   Univ.-Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde, Johannes Kepler Universität Linz, Linz, Austria
,
Uwe Kornak
10   Institut für Humangenetik, Universitätsmedizin Göttingen, Gottingen, Germany
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Seltene hereditäre Skeletterkrankungen können zu einer abnormen Länge, Stärke oder Form der Knochen führen. Basierend auf dem klinischen und radiologischen Phänotyp und dem Genotyp wird diese Erkrankungsgruppe in mehr als 500 verschiedene und sehr heterogene Erkrankungen unterteilt. Eine schnelle und präzise Diagnosestellung ist für die Patientenversorgung dringend erforderlich und beruht auf der Kombination von klinischen, biochemischen, radiologischen und genetischen Analysen. Neue und verbesserte genetische Testverfahren haben die Diagnostik revolutioniert und spielen eine große Rolle in der Beratung von Patienten und Familien. Um die optimale Versorgung dieser Patienten zu ermöglichen, wird ein krankheitsspezifisches Langzeitmanagement in einem multidisziplinären Team in hochspezialisierten Zentren empfohlen. Dieser Artikel gibt einen praxisrelevanten Überblick über die biochemischen Analysen bei Kindern und Erwachsenen und ihre Anwendung in Verbindung mit humangenetischen Tests zur Identifizierung, Charakterisierung und Verlaufsbewertung dieser seltenen Skeletterkrankungen.


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Abstract

Rare inherited skeletal disorders can result in abnormal bone length, density or shape. Based on the clinical, radiological and genetic phenotype, this group of disorders comprises more than 500 different and highly heterogeneous entities. Rapid and precise diagnoses are urgently needed for patient care and are based on the combination of clinical, biochemical, radiological and genetic analysis. Novel genetic techniques have revolutionized diagnostics and have a huge impact on counseling of patients and families. Disease-specific long-term management in a multidisciplinary healthcare team in highly specialized centers is recommended to optimize care for these patients. This article provides a practice-relevant overview on biochemical analyses in childhood and adults and its implementation jointly with human genetic testing to identify, characterize and assess the course of these rare skeletal diseases.


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Einleitung

Seltenen Skeletterkrankungen kommt eine wachsende Bedeutung für die Gesellschaft zu, da sie nicht zuletzt auch durch die zunehmende Zahl an Zentren für seltene Erkrankungen und durch die Verbesserung der diagnostischen Möglichkeiten immer häufiger identifiziert werden. Seltene Skeletterkrankungen stellen zudem eine beträchtliche Belastung für die Betroffenen und ihre Familien dar und eine Optimierung der Diagnostik und Therapie, ebenso wie deren Vernetzung in Selbsthilfegruppen, liegt im allgemeinen Interesse. Somit sind umfassende Kenntnisse und Aufklärung über diese Erkrankungen wichtig, um die Lebensqualität der Patienten zu verbessern und geeignete Behandlungsstrategien zu entwickeln. Es bestehen jedoch noch immer erhebliche Schwierigkeiten unter anderem bei der korrekten und schnellen Diagnosestellung aufgrund der vielen möglichen Differentialdiagnosen, was wiederum zu einer verzögerten Behandlung, Komplikationen und möglicherweise zu Krankheitsprogress führen kann [1] [2] [3].

Eine zügige und korrekte Diagnosestellung ist daher von entscheidender Bedeutung, da frühe Interventionen den Verlauf einiger seltener Skeletterkrankungen verbessern und die Lebensqualität der Patienten steigern können. Eine weitere Herausforderung bei der Diagnosestellung besteht in der insgesamt immer noch begrenzten Verfügbarkeit von spezialisierten medizinischen Einrichtungen und Experten für Seltene Skeletterkrankungen (Osteologie, Pädiatrie, Labormedizin, Humangenetik, Radiologie, Endokrinologie, Orthopädie u. a.). Daher stellen seltene Erkrankungen des Skelettsystems wie z. B. Hypophosphatasie (HPP) oder X-chromosomale Hypophosphatämie (XLH) komplexe Herausforderungen an die Gesundheitsversorgung und die Flexibilität der Familien dar, um Experten zu finden, die eine genaue Diagnosestellung und einen individuellen Behandlungsansatz möglich machen [4] [5].

Im diagnostischen Kontext spielt die labortechnische Blutanalyse zusammen mit der humangenetischen Untersuchung eine entscheidende Rolle, um biomarkerbasierte Informationen zu gewinnen, die zur Identifizierung, Charakterisierung und Verlaufsbewertung dieser seltenen skelettalen Erkrankungen beitragen können. Fundierte Kenntnisse über die Möglichkeiten und Grenzen sowie Einschätzung der klinischen und wissenschaftlichen Relevanz von labortechnischen Blutanalyse und humangenetischen Untersuchung bei seltenen Erkrankungen des Skelettsystems, zum Beispiel der HPP oder der XLH, sind daher von großer Bedeutung. Die HPP, eine seltene genetisch bedingte Störung der Mineralisation des Knochens, wird durch eine beeinträchtigte Funktion oder Expression der alkalischen Phosphatase (ALP) verursacht [6] Die ALP ist laborchemisch gut und einfach nachzuweisen, eine niedrige ALP wird aber oftmals im klinischen Alltag übersehen oder falsch interpretiert. Bei der XLH liegt eine Mutation in einem für den Phosphatstoffwechsel verantwortlichen Gen vor, was zu einer beeinträchtigten Phosphatrückresorption in den Nieren und zu schwerer Rachitis/Osteomalazie führen kann. Die labortechnische Blut- und Urinanalyse ermöglicht unter anderem die Bewertung von Phosphat-, Calcium-, ALP und Parathormon (PTH)-Konzentrationen, um den Krankheitsverlauf bei XLH zu überwachen und Behandlungsstrategien anzupassen.

Somit sind die labortechnische Analyse und die humangenetische Untersuchung essentieller Bestandteil der initialen Diagnostik bei seltenen Skeletterkrankungen und werden durch die Entwicklung spezifischer diagnostischer Verfahren, erweiterter humangenetischer Analysetechniken und Identifikation neuer Biomarker noch mehr dabei helfen, die Genauigkeit und Effizienz der Diagnosestellung zu verbessern.

Im folgenden Artikel werden Aspekte der genetischen Diagnostik bei Verdacht auf das Vorliegen einer Seltenen Erkrankung, der laborchemischen Besonderheiten im Kindes- und Jugendalter sowie exemplarisch die Diagnostik bei XLH und HPP dargestellt.

Genetisch bedingte, seltene Skeletterkrankungen

Die seltenen, weit überwiegend genetisch verursachten Skeletterkrankungen umfassen über 500 verschiedene Formen, wovon rund 20% primär den Knochen betreffen [7]. Klinisch kann sich der Verdacht auf eine seltene Skeletterkrankung anhand eines typischen äußeren oder radiologischen Erscheinungsbildes aufdrängen. Dies setzt jedoch die Kenntnis des Phänotyps einer großen Zahl an seltenen Erkrankungen voraus, die man außerhalb spezialisierter Zentren kaum zu Gesicht bekommt. Dennoch gibt es häufigere (Inzidenz 1:20.000–1:2.000) unter den seltenen Skeletterkrankungen, die auf Grund von klassischen Befundkonstellationen größere Bekanntheit haben. Hierzu zählen neben den oben erwähnten Erkrankungen z. B. die Osteogenesis imperfecta und die autosomal dominante Osteopetrose Typ 2 [8] [9]. Andererseits tritt mit zunehmender Anwendung umfangreicher genetischer Diagnostik vermehrt zutage wie individuell verschieden die Auswirkungen von Gen-Veränderungen auch in schon lange bekannten Krankheitsgenen sein können [10]. Wie lässt sich also entscheiden, in welchem Fall eine genetische Diagnostik ausreichend Aussicht auf Erfolg hat?


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Allgemeine Kriterien für den Verdacht auf eine genetisch bedingte Skeletterkrankung

Während das Vorliegen einer primär genetisch bedingten Erkrankung durch eine oder zwei Veränderungen in einem Gen (monogene Erkrankung) von vornherein nie ganz ausgeschlossen werden kann, gibt es doch Aspekte, die eine solche Art der Erkrankung wahrscheinlicher machen.

  • Außergewöhnliche Symptomkonstellationen: In manchen Fällen erlaubt ein einzelnes Schlüsselsymptom die Diagnose, z. B. occipitale Verkalkungen beim Okzipitalhorn-Syndrom, was aber, wie oben erwähnt, eine vorherige Kenntnis dieses Schlüsselsymptoms – und eine Röntgenaufnahme des Schädels – erfordert. Häufiger liegt eine außergewöhnliche Kombination von Einzelsymptomen vor, die einzeln für sich genommen auch bei Gesunden auftreten können. Bläuliche Skleren allein rechtfertigen die klinische Diagnose einer Osteogenesis imperfecta nicht, aber im Kontext einer unerklärlichen Frakturneigung schon. Die Wahrscheinlichkeit einer hereditären frühmanifesten Osteoporose steigt, wenn mehr als zwei Frakturen von Röhrenknochen nach inadäquatem Trauma aufgetreten sind. Auch Wirbelkörperfrakturen nach inadäquatem Trauma sind hochverdächtig für eine genetisch bedingte Frakturneigung bei Kindern und jungen Erwachsenen, setzen aber ebenfalls voraus, dass entsprechende Bildgebung erfolgt [11] [12]

  • Frühe Manifestation: Frühe Manifestationen weisen auf eine hereditäre Erkrankung hin. Zwar gibt es auch spätmanifeste monogene Erkrankungen und auch Menschen mit frühmanifesten Erkrankungen werden manchmal leider erst im höheren Alter diagnostiziert, da nicht alle Symptome eindeutig zuordenbar sind, wie etwa vermehrte Frakturen bei inadäquatem Trauma, oder der frühe Zahnverlust bei der Odontohypophosphatasie.

  • Familienanamnese: Als Faustregel gilt: rezessiv vererbte Erkrankungen manifestieren sich meist vor dem Erwachsenenalter, dominant vererbte Erkrankungen können sich auch später zeigen und sind oft variabler. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass bei sicherem Erstauftreten im Erwachsenenalter mit höherer Wahrscheinlichkeit ein dominanter Erbgang vorliegt und somit ein Elternteil und womöglich weitere Angehörige in der Linie ebenfalls betroffen sind. Dies ist eine Schlüsselinformation und muss unbedingt gezielt erfragt werden. Nicht immer geht es um Symptome, die als Krankheit wahrgenommen werden, die Oma war vielleicht einfach sehr klein und hat eine frühe Arthrose gehabt. Wenn eine Erkrankung im Stammbaum aus dem Nichts auftaucht, kann dies einen autosomal oder X-chromosomal rezessiven Erbgang bedeuten oder eine dominante Erkrankung durch eine Neumutation. So zeigen unter knapp 400 Personen mit frühmanifester Osteoporose im Erwachsenenalter in der genetischen Diagnostik nur drei eine rezessive und 75 eine dominante Erkrankung [12].


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Voraussetzungen für eine maximale Aussagekraft einer genetischen Diagnostik

Das (haploide) humane Genom umfasst ca. 3 Milliarden Basenpaare. Chromosomenanalysen und die Array-CGH sind hauptsächlich sinnvoll, wenn ein passendes syndromales Krankheitsbild vorliegt, wie z. B. beim Turner-Syndrom. In den meisten Fällen ist jedoch heutzutage die Molekulargenetik die Erstliniendiagnostik. Die etwas mehr als 500 Gene für seltene Skeletterkrankungen haben zusammen ca. 1,5 Millionen Basenpaare. Eine Analyse dieser Gene erfolgt entweder über ein Gen-Panel, das nur diese Gene anreichert und sequenziert, oder im Rahmen einer größeren Analyse mittels Exom- oder Genomsequenzierung, in denen alle bekannten Gene sequenziert, aber primär die Skelett-relevanten Gene ausgewertet werden (sog. virtuelles Gen-Panel) [13]. Umfassende Untersuchungen mittels Exomsequenzierung entwickeln sich immer mehr zum Standard, obwohl sie auch Nachteile haben können, z. B. eine höhere Wahrscheinlichkeit für Zufallsbefunde.

Auch eine auf die Skelett-Gene beschränkte Untersuchung liefert bereits ca. 10.000 Genvarianten, d. h. Abweichungen von der Referenzsequenz. Die Aufgabe des Humangenetikers besteht darin, unter diesen Varianten die ein oder zwei für den Fall krankheitsursächlichen (pathogenen) Varianten auszusieben. Dies kann einfach sein, wenn es sich um eine eindeutige pathogene Variante handelt, die bereits bekannt ist. In diesem Falle lässt sich nur durch Vergleich mit entsprechenden Datenbanken eine Diagnose stellen, ohne dass man irgendwelche weiteren Informationen zum erkrankten Individuum hat. Aber zum einen sind die Datenbanken oft fehlerhaft und zum anderen sind bei weitem noch nicht alle krankheitsursächlichen Genvarianten beschrieben worden. Üblicherweise ist man daher mit einer Liste von ca. 10–20 seltenen Genvarianten konfrontiert, die pathogen sein könnten. Um unter diesen die richtige zu finden oder am Ende zu entscheiden, dass keine genetische Ursache gefunden werden konnte, benötigt das humangenetische Labor unbedingt ausreichende Angaben sowohl zum untersuchten Individuum als auch zur Familienanamnese. Wie oben ausgeführt, erlaubt die Familienanamnese eine grobe Abschätzung der Art der Vererbung und des Krankheitsspektrums in der Familie.

Noch wichtiger jedoch sind Informationen zum vorliegenden Krankheitsbild. Besser als eine summarische Diagnose ist hierbei die stichwortartige Aufzählung der einzelnen charakteristischen Befunde – oder das Übersenden eines aktuellen Arztbriefs. Die einzelnen Aspekte des Phänotyps werden durch die Human Phenotype Ontology (HPO) in für die bioinformatische Software verarbeitbare Begriffe übersetzt, die, vor allem bei Exom- oder Genomsequenzierungen, wichtig für die Priorisierung von Genvarianten sind [14]. Beispielsweise mag bei einem Fall als Information eine Osteoporose angegeben worden sein, aber es wird eine nicht eindeutig interpretierbare Variante in ENPP1 oder SLC34A1 identifiziert [15] [16]. Liegt gleichzeitig die Information einer Hypophosphatämie vor, würde diese Variante wegen der guten Übereinstimmung mit dem für diese Gene bekannten Phänotyp berichtet, ansonsten unter Umständen nicht. Nur eine Variante, die im Befund erscheint, kann im Folgenden durch eine Familienuntersuchung weiter abgeklärt werden und möglicherweise später als eindeutige Krankheitsursache definiert werden. Im Gegensatz zur biochemischen Labordiagnostik, deren Ergebnisse meist durch einen Vergleich der Messwerte mit einem Referenzbereich ermittelt werden und die ein differentialdiagnostischer Baustein sind, findet bei genetischer Diagnostik im optimalen Fall durch die Humangenetik eine Diagnosestellung statt. Diese ist umso zuverlässiger je größer die klinische Erfahrung mit der Erkrankungsgruppe und je besser der Austausch mit den betreuenden Kolleginnen und Kollegen ist.


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Laborchemische Diagnostik bei Kindern und Jugendlichen

Die Parameter des Knochenstoffwechsels unterscheiden sich bei Kindern und Jugendlichen nicht grundsätzlich von denen im Erwachsenenalter (Siehe [Tab. 1]). Allerdings sind nahezu alle Werte der Knochenbildung und -resorption (aus Serum, Plasma und Urin) bei Kindern und Jugendlichen alters- und insbesondere wachstumsabhängig. Verschiedene Prozesse im kindlichen Skelettwachstum und der Pubertät führen zu physiologisch höheren Werten von Auf- und Abbauparametern, auch sind dabei Osteoklasten- und Osteoblastenaktivität ungekoppelt [17]. Laborwerte müssen deshalb zwingend zumindest mit den jeweiligen alters- und geschlechtsspezifischen physiologischen Referenzkurven verglichen werden. Ebenso wie bei der Knochendichtemessung dürfen die für Erwachsene etablierten Referenzwerte nicht zur Beurteilung des Knochenstoffwechsels bei Kindern und Jugendlichen (und vor dem Abschluss des Längenwachstums) herangezogen werden. Dies würde in den meisten Fällen zu Fehlinterpretationen führen, da sowohl physiologisch hohe Werte als pathologisch klassifiziert würden (Beispiel Knochenumsatzmarker), als auch pathologisch erniedrigte Werte unter Umständen nicht erkannt werden (Beispiel HPP).

Tab. 1 Tabelle mit Markern des Knochenstoffwechsels Nicht in der klinischen Routine etablierte Marker sind kursiv dargestellt.
Table 1 Laboratory parameters of bone turnover

Marker

Funktion

Knochenbildung:

Osteoblastenaktivität/Mineralisation

Prokollagen Typ 1 N-terminales Propeptid (P1NP)

Osteocalcin (OC), knochenspezifische alkalische Phosphatase (BALP)

Knochenresorption:

Osteoklastenaktivität

Carboxyterminales Telopeptid der 1-alpha Kette Kollagen Typ 1 (CTX)

Serumtartrat-resistente saure Phosphatase 5b (TRAP-5b)

Osteoprotegerin (OPG)

Hemmung Osteoklastenaktivität

RANKL

Stimuliert die Differenzierung und Aktivität von Osteoklasten

DKK-1

Hemmung Wnt-Signalweg

Sclerostin

Hemmung der Wnt-Signalweg

PTH (Parathormon)

Reguliert den Calciumstoffwechsel und Knochenumbau: Beeinflusst Osteoblasten und Osteoklasten

25 (OH) Vitamin D

Wenn aktiviert stimuliert die intestinale Calcium- und Phosphataufnahme: Beeinflusst damit indirekt die Knochenmineralisierung

Wichtige Marker der Knochenbildung sind Osteocalcin (OC), Prokollagen Typ 1 N-terminales Propeptid (P1NP) und die knochenspezifische ALP (BALP), die zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Osteoblastenaktivität freigesetzt werden. Häufig verwendete Marker der Knochenresorption umfassen das carboxyterminale Telopeptid der alpha-1-Kette des Kollagen Typ I (CTX) und die Tartrate resistente saure Phosphatase 5b (TRAP-5b). Einige kindliche Referenzwerte sind z. B. von Rauchenzauner et al. [17] veröffentlicht, oder müssen bei den jeweiligen Laboren hinterlegt bzw. sollten erfragt werden ([Tab. 2]).

Tab. 2 Laborkonstellation bei Hypophosphatämie (XLH) und Hypophosphatasie (HPP) bei untherapierten PatientInnen (Baseline) und unter spezifischer Therapie mit FGF-23-Antikörper (Burosumab) beziehungsweise Enzymersatztherapie (Asfotase alfa). N=normalisiert. PLP = Pyridoxalphosphat

Table 2 Laboratory constellation in hypophosphatemic rickets (XLH) and hypophosphatasia (HPP) in untreated patients (baseline) and during specific therapy with FGF-23 antibody (burosumab) or enzyme replacement therapy (asfotase alfa). N=normalized. PLP = pyridoxal phosphate

Hypophosphatämie (XLH)

Hypophosphatasie (HPP)

Baseline

Unter Therapie

Baseline

Unter Therapie

ALP

N

↓↓

↑↑↑

PLP (Vitamin B6)

↔/↓

N

Calcium

↔/↑

Phosphat

↓↓

↓/N

PTH

↔/↑

↔/↓

25(OH) Vit D

1,25 (OH 2 ) Vit D

N

Traditionell wurde Urin zur Messung von Knochenumsatzmarkern verwendet. Allerdings ergeben sich hier bei Säuglingen und kleinen Kindern Schwierigkeiten bei serieller Sammlung und zirkadianen Veränderungen, sodass Serummarker inzwischen bevorzugt werden.

Mit Bezug zu Seltenen Knochenerkrankungen sind z. B. für die Diagnostik der HPP erniedrigte Werte der ALP wegweisend. Hierbei spielen die altersabhängigen Referenzwerte eine entscheidende Rolle da Werte unterhalb von 100 U/l bereits abklärungsbedürftig sind [18] [19]. Andererseits können bei Kindern und Erwachsenen eine Vielzahl nicht-skelettaler Erkrankungen zu einer Verminderung der ALP führen[20] [21]. Wie auch bei Erwachsenen ist für die Verdachtsdiagnose einer XLH der Serumphosphatwert von wichtiger Bedeutung, allerdings kommt eine XLH (sofern nicht familiär bekannt) häufiger über eine beginnende Beindeformität der unteren Extremität als über eine auffällige Laborkonstellation zur Abklärung.

Bei Seltenen Erkrankungen des Skelettsystems in der pädiatrischen Population dienen die Marker des Knochenumsatzes nicht nur zur Diagnostik sondern insbesondere zum Monitoring bei z. B. anti-resorptiver Therapie[22], bei Enzymersatztherapie oder bei der Therapie der XLH [23].


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Laborchemische Untersuchungen – XLH

Die hypophosphatämische Rachitis, auch Phosphatdiabetes oder viel früher Vitamin-D-resistente Rachitis genannt, ist eine genetisch und klinisch heterogene Erkrankungsgruppe, der pathophysiologisch eine Mineralisationsstörung des Knochens aufgrund eines Phosphatmangels zugrunde liegt [24]. Der Phosphatverlust wird durch eine erhöhte renale Ausscheidung bzw. mangelnde Phosphatrückresorption verursacht. Die häufigste hypophosphatämische Rachitis ist X-chromosomal-dominant vererbt (X-linked) und wird als XLH bezeichnet. Der XLH liegt ein Defekt im PHEX-Gen zugrunde, das für eine Endopeptidase (PHEX) kodiert, deren Funktionseinschränkung zu erhöhten FGF23 Spiegeln führt. FGF23 ist ein stark phosphaturisches Hormon, mit entsprechend erhöhten Spiegeln bei der [5] [25].

Die körperlichen und funktionellen Auswirkungen von XLH werden in der frühen Kindheit manifest, und schreiten unbehandelt in der Adoleszenz und auch im Erwachsenenalter weiter voran [5] [24]. Zu den Folgen gehören Wachstumsstörungen, Rachitis, Osteomalazie, Knochendeformitäten, Knochenschmerzen, spontane Zahnabszesse, Störungen des Gehörs, Enthesiopathien, Arthrose und muskuläre Dysfunktion [26].

Die Messung von Phosphat ist Teil des Basislabors zur Abgrenzung von Mineralisationdefekten und Osteoporose und sollte bei allen Betroffenen mit Schmerzen im muskuloskelettalen System in der Diagnostik enthalten sein, da eine XLH auch eine rheumatische Erkrankung imitieren kann [27]. Das Serumphosphat liegt vor allem bei Männern nach dem mittleren Lebensalter in einem niedrigeren Bereich, was von den meisten Laboren in den Normwerten nicht angepasst wird [28] [29]. Die Spiegel werden hauptsächlich durch den Fibroblasten-Wachstumsfaktor 23 (FGF23), das PTH und das 1,25 Dihydroxyvitamin D gesteuert, und eine unzureichende Kontrolle kann zu Komplikationen führen.

Bei der Hypophosphatämischen Rachitis (z. B. XLH) werden als biochemische Parameter die Serumspiegel von Phosphat, Calcium, ALP, PTH, 25(OH) Vitamin D, und Kreatinin sowie Calcium-, Phosphat- und Kreatininspiegel im Urin mit Hilfe eines Spot Urintest zur Berechnung TMP/GFR und der Calcium- zu Kreatinin-Ratio empfohlen [30].

Bei Erwachsenen wird empfohlen für die Diagnose „chronische Hypophosphatämie“ mindestens drei im Abstand von drei Monaten gemessene, morgendliche Serumphosphatwerte unterhalb des entsprechenden Referenzbereiches vorliegen zu haben[31]. Bei eindeutig erniedrigtem Phosphat ist der nächste Schritt in der Diagnostik der Nachweis des renalen Phosphatverlustes anhand der fraktionierten tubulären Resorption von Phosphat (TRP) und des Verhältnisses der maximalen tubulären Phosphatresorption zur glomerulären Filtrationsrate (TmP/GFR). Üblich sind die Messungen bei Kindern im Spot Urin, bei Erwachsenen im 24h Urin oder im zweiten Morgenurin. Phosphat sollte für 12 Stunden und aktives Vitamin D für 48h nicht eingenommen werden. Für die Messung des zweiten Morgenurins können die nüchtern entnommenen Serumwerte und Urinproben zwei Stunden nach dem ersten Morgenurin erfolgen [31]. Bei nachgewiesenem Phosphatverlust ist der nächste Schritt die Bestimmung des phosphatregulierenden Faktors FGF23 sofern verfügbar. Unter physiologischen Bedingungen wird FGF23 von Osteozyten und Osteoblasten als Reaktion auf eine erhöhte Serumphosphatspiegel oder erhöhte 1,25(OH)2D Spiegel produziert [26]. Erhöhte FGF23 Spiegel können bei verschiedensten ernährungsunabhängigen Erkrankungen auftreten, daher hängt das weitere Vorgehen auch von den klinischen Symptomen ab [24]. Bei familiärer Vorgeschichte oder Beschwerden bereits seit der Kindheit ist die molekulargenetische Diagnostik unbedingt indiziert und kann die zugrunde liegende Erkrankung des Phosphatverlustes klären. Bei neu aufgetretenen Hypophosphatämien ist über sekundäre Formen des Phosphatverlustes inklusive der Tumor-induzierten Osteomalazie (TIO) zu denken und die weitere Diagnostik einzuleiten [32].

Der Serumspiegel von ALP ist ein zuverlässiger Biomarker für Rachitisaktivität und Osteomalazie bei Kindern und Erwachsenen. Da ca. 50% der zirkulierenden ALP aus Hepatozyten stammt ist bei leber-erkrankten Menschen die knochenspezifische ALP zuverlässiger. Bei einer kalzipenischen Osteomalazie ist die ALP und das PTH typischerweise erhöht und die renale Calciumausscheidung erniedrigt. Bei der phosphopenischen Rachitis/Osteomalazie tendiert die ALP unter konventioneller Therapie in Richtung Normbereich, ohne sich bei allen Betroffenen zu normalisieren. Da es durch die konventionelle Therapie mit Phosphatsupplementation und aktivem Vitamin D zu einem sekundären/tertiären Hyperparathyreoidismus kommen kann, ist die regelmäßige Messung von PTH sinnvoll. Zu niedrige PTH-Werte weisen auf eine Überdosierung von aktivem Vitamin D hin. Eine regelmäßige Messung von FGF23 wird nicht empfohlen.

Unter der Therapie mit dem anti-FGF23 Antikörper Burosumab ist bei Erwachsenen das nüchtern gemessene Serum Phosphat der Biomarker für die Wirksamkeit der Therapie. Bei Erwachsenen sollte der Wert zwischen zwei Applikationen bestimmt werden, da kurz vor der nächsten Gabe der Phosphatwert wieder deutlich niedriger liegt. Die Therapie mit Burosumab normalisiert immer zuerst die TmP/GFR, während der Phosphatspiegel im Serum noch weiter unter dem Normbereich liegen aufgrund des hohen Phosphatbedarfs des Knochens. In diesem Fall wird eine Erhöhung der Burosumab-Dosis nicht zwangsläufig zu einer verbesserten Knochenheilung führen. Kontrollen unter konventioneller Therapie oder mit Burosumab sind daher vor allem auch vom klinischen Verlauf abhängig, werden aber bei stabiler Einstellung auf jeden Fall alle 6 Monate empfohlen mit der Messung von Phosphat, Calcium, ALP, PTH, 25(OH) Vitamin D, 1,25(OH)2 Vitamin D und Kreatinin sowie der TMP/GFR und Calciumausscheidung [30]. Bei Beginn, Umstellung oder Anpassung der Medikation sind durchaus häufigere Kontrollen erforderlich.


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Diagnostik bei HPP

Die Hypophosphatasie (HPP) ist eine seltene Knochenerkrankung mit mannigfaltigen, klinischen Manifestationen wie variabel ausgeprägter Knochenmineralisationsstörung (minimal bis letal), Rachitis/Osteomalazie mit Deformitäten oder Pseudofrakturen, muskuloskelettalen Schmerzen, Zahnverlust, extra-skelettalen Kalzifizierungen und reduzierter Lebensqualität [33]. Der HPP liegt ein Defekt im ALPL-Gen zugrunde, der zu einer erniedrigten Enzymaktivität der gewebs-unspezifischen alkalischen Phosphatase (tissue non-specific alkaline phosphatase – TNSALP) führt. Die HPP ist eine Multisystemerkrankung mit einem breiten Spektrum an Schweregraden. Die klinisch schwersten, lebensbedrohlichen Fälle (perinatale und infantile HPP) sind fast ausschließlich rezessiv vererbt, während das moderat bis milde Spektrum der Erkrankung (childhood, adult, odonto) meist dominant vererbt ist [34]. Individuelle Komplikationen können aber auch zu schwerwiegenden Verläufen führen.

Als Konsequenz der erniedrigten TNSALP kommt es zur Akkumulation von Substraten wie Pyridoxalphosphat (PLP), Pyrophosphat (PPi) oder Phosphoethanolamin (PEA) [35]. Sowohl die Erniedrigung der serum ALP als auch die Erhöhung der Substrate können diagnostisch genutzt werden.

Bei erniedrigter ALP sollte die ALP-Messung wiederholt werden, da ein erniedrigter ALP-Spiegel bei zahlreichen physiologischen und pathologischen Prozessen beobachtet werden kann [19] [20] [36]. Auch ein Vergleich zu Vorbefunden lohnt sich, da nur die persistierende Erniedrigung der ALP diagnostisch zielführend ist [21]. Erschwerend kommt hinzu, dass der untere Referenzbereich häufig im Laborbefund nicht angegeben wird, oder keine kindlichen Referenzwerte verwendet werden. Dies verzögert die Diagnose der HPP oft um viele Jahre [18].

Bei persistierend erniedrigter ALP ist der nächste Schritt die Bestimmung der Substrate. Hier wird häufig PLP (Vitamin B6) bevorzugt, das im Serum gemessen werden kann. Vor serologischer Bestimmung muss unbedingt eine etwaige Substitution (zB Multivitaminpräparate) pausiert werden. PLP erscheint als guter Marker auch für den Schweregrad der Erkrankung. Höhere PLP-Werte wurden bei HPP-PatientInnen mit prävalenten Frakturen und mehreren HPP-typischen Manifestationen gefunden [37]. PLP korreliert sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern gut mit der Krankheitsaktivität und ist somit der biochemische Marker mit der besten diagnostischen Spezifität. Die fehlende Erhöhung von Substraten wie PLP schließt eine HPP jedoch nicht aus [38].

PEA ist bei Kindern und Erwachsenen ein zuverlässiger Parameter für die Abklärung und Diagnose der HPP. Darüber hinaus eignet sich PEA auch zur Verlaufskontrolle unter Enzymersatztherapie (ERT) mittels Asfotase alfa. [39]. Ähnliches gilt auch für PLP, das unter ERT rasch abnimmt [40]. Die ALP hingegen steigt zwar rasch und stark nach Initiierung einer ERT an, dient aber maximal der Complianceüberprüfung.

Etablierte und experimentelle Knochenumbaumarker sind für die HPP nicht pathognomonisch und bringen keinen weiteren Aufschluss über die Erkrankung [41] [42].

Ein neuer diagnostischer Ansatz sind zirkulierende micro-RNAs (miRNAs), die unter anderem in Serum oder Plasma nachgewiesen werden können. Erste Ergebnisse zeigen ein deutlich verändertes miRNA-Profil bei erwachsenen HPP-PatientInnen. Zahlreiche miRNAs konnten dabei dem Knochen, Muskel, ZNS beziehungsweise der Seneszenz zugeordnet werden [43]. Darüber hinaus konnte interessanterweise gezeigt werden, dass durch die ERT mit Asfotase alfa vor allem muskelspezifische miRNAs reguliert werden können. Zukünftig könnten miRNAs hilfreich sein, die Organbeteiligung bei HPP-PatientInnen abzuschätzen und zur Verlaufskontrolle unter Therapie dienen[44].


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Zusammenfassung

Die labortechnische Blut- und Urinanalyse und die humangenetische Untersuchung stellen essentielle Bestandteile der Diagnostik bei seltenen Skeletterkrankungen dar. Faktoren, die eine solche Art der Erkrankung wahrscheinlicher machen, sind außergewöhnliche Symptomkonstellationen, eine Frühmanifestation der Erkrankung und das Vorhandensein einer positiven Familienanamnese. Rezessiv vererbte Erkrankungen manifestieren sich meist vor dem Erwachsenenalter, wobei dominant vererbte Erkrankungen sich auch später zeigen können und oft variabler sind. Um krankheitsursächliche Genvarianten zu identifizieren, benötigt das humangenetische Labor unbedingt ausreichende Angaben sowohl zum Krankheitsverlauf des untersuchten Individuums als auch zur Familienanamnese.

Neben der molekulargenetischen Analyse können auch Marker des Knochenumsatzes zur Diagnose bzw. Therapiemonitoring seltener skelettaler Erkrankungen hilfreich sein. Dies gilt speziell für die Mineralisationstörungen XLH und HPP, wie hier exemplarisch dargestellt. So sind für die Diagnostik der HPP erniedrigte Werte der ALP bzw. der XLH eine Hypophosphatämie mit aberranten Phosphatverlust im Urin wegweisend. Die Parameter des Knochenstoffwechsels können auch bei Kindern und Jugendlichen bestimmt werden, wobei nahezu alle Werte der Knochenbildung und -resorption (aus Serum, Plasma und Urin) alters- und insbesondere wachstumsabhängig sind. Dementsprechend müssen diese Parameter anhand kindlicher Referenzwerte beurteilt werden und die Interpretation ist dem pädiatrischen Spezialisten vorbehalten.

Zukünftig können moderne spezifische diagnostische Verfahren und erweiterte humangenetische Analysetechniken sowie neue Biomarker noch mehr dabei helfen, die Genauigkeit und Effizienz der Diagnosestellung bei seltenen Skeletterkrankungen zu verbessern.


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Prof. Corinna Grasemann
Abteilung für Seltene Erkrankungen, Klinik für Kinder- und Jugendmedizin der Ruhr-Universität Bochum
Alexandrinenstr. 5
44791
Bochum
Germany   
Phone: +492345096675   

Publication History

Received: 22 August 2023

Accepted: 13 September 2023

Article published online:
04 December 2023

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