Einleitung
Seltenen Skeletterkrankungen kommt eine wachsende Bedeutung für die
Gesellschaft zu, da sie nicht zuletzt auch durch die zunehmende Zahl an Zentren
für seltene Erkrankungen und durch die Verbesserung der diagnostischen
Möglichkeiten immer häufiger identifiziert werden. Seltene
Skeletterkrankungen stellen zudem eine beträchtliche Belastung für
die Betroffenen und ihre Familien dar und eine Optimierung der Diagnostik und
Therapie, ebenso wie deren Vernetzung in Selbsthilfegruppen, liegt im allgemeinen
Interesse. Somit sind umfassende Kenntnisse und Aufklärung über
diese Erkrankungen wichtig, um die Lebensqualität der Patienten zu
verbessern und geeignete Behandlungsstrategien zu entwickeln. Es bestehen jedoch
noch immer erhebliche Schwierigkeiten unter anderem bei der korrekten und schnellen
Diagnosestellung aufgrund der vielen möglichen Differentialdiagnosen, was
wiederum zu einer verzögerten Behandlung, Komplikationen und
möglicherweise zu Krankheitsprogress führen kann [1]
[2]
[3].
Eine zügige und korrekte Diagnosestellung ist daher von entscheidender
Bedeutung, da frühe Interventionen den Verlauf einiger seltener
Skeletterkrankungen verbessern und die Lebensqualität der Patienten steigern
können. Eine weitere Herausforderung bei der Diagnosestellung besteht in der
insgesamt immer noch begrenzten Verfügbarkeit von spezialisierten
medizinischen Einrichtungen und Experten für Seltene Skeletterkrankungen
(Osteologie, Pädiatrie, Labormedizin, Humangenetik, Radiologie,
Endokrinologie, Orthopädie u. a.). Daher stellen seltene
Erkrankungen des Skelettsystems wie z. B. Hypophosphatasie (HPP) oder
X-chromosomale Hypophosphatämie (XLH) komplexe Herausforderungen an die
Gesundheitsversorgung und die Flexibilität der Familien dar, um Experten zu
finden, die eine genaue Diagnosestellung und einen individuellen Behandlungsansatz
möglich machen [4]
[5].
Im diagnostischen Kontext spielt die labortechnische Blutanalyse zusammen mit der
humangenetischen Untersuchung eine entscheidende Rolle, um biomarkerbasierte
Informationen zu gewinnen, die zur Identifizierung, Charakterisierung und
Verlaufsbewertung dieser seltenen skelettalen Erkrankungen beitragen können.
Fundierte Kenntnisse über die Möglichkeiten und Grenzen sowie
Einschätzung der klinischen und wissenschaftlichen Relevanz von
labortechnischen Blutanalyse und humangenetischen Untersuchung bei seltenen
Erkrankungen des Skelettsystems, zum Beispiel der HPP oder der XLH, sind daher von
großer Bedeutung. Die HPP, eine seltene genetisch bedingte Störung
der Mineralisation des Knochens, wird durch eine beeinträchtigte Funktion
oder Expression der alkalischen Phosphatase (ALP) verursacht [6] Die ALP ist laborchemisch gut und einfach
nachzuweisen, eine niedrige ALP wird aber oftmals im klinischen Alltag
übersehen oder falsch interpretiert. Bei der XLH liegt eine Mutation in
einem für den Phosphatstoffwechsel verantwortlichen Gen vor, was zu einer
beeinträchtigten Phosphatrückresorption in den Nieren und zu
schwerer Rachitis/Osteomalazie führen kann. Die labortechnische
Blut- und Urinanalyse ermöglicht unter anderem die Bewertung von Phosphat-,
Calcium-, ALP und Parathormon (PTH)-Konzentrationen, um den Krankheitsverlauf bei
XLH zu überwachen und Behandlungsstrategien anzupassen.
Somit sind die labortechnische Analyse und die humangenetische Untersuchung
essentieller Bestandteil der initialen Diagnostik bei seltenen Skeletterkrankungen
und werden durch die Entwicklung spezifischer diagnostischer Verfahren, erweiterter
humangenetischer Analysetechniken und Identifikation neuer Biomarker noch mehr dabei
helfen, die Genauigkeit und Effizienz der Diagnosestellung zu verbessern.
Im folgenden Artikel werden Aspekte der genetischen Diagnostik bei Verdacht auf das
Vorliegen einer Seltenen Erkrankung, der laborchemischen Besonderheiten im Kindes-
und Jugendalter sowie exemplarisch die Diagnostik bei XLH und HPP dargestellt.
Genetisch bedingte, seltene Skeletterkrankungen
Die seltenen, weit überwiegend genetisch verursachten Skeletterkrankungen
umfassen über 500 verschiedene Formen, wovon rund 20%
primär den Knochen betreffen [7].
Klinisch kann sich der Verdacht auf eine seltene Skeletterkrankung anhand eines
typischen äußeren oder radiologischen Erscheinungsbildes
aufdrängen. Dies setzt jedoch die Kenntnis des Phänotyps einer
großen Zahl an seltenen Erkrankungen voraus, die man außerhalb
spezialisierter Zentren kaum zu Gesicht bekommt. Dennoch gibt es
häufigere (Inzidenz 1:20.000–1:2.000) unter den seltenen
Skeletterkrankungen, die auf Grund von klassischen Befundkonstellationen
größere Bekanntheit haben. Hierzu zählen neben den oben
erwähnten Erkrankungen z. B. die Osteogenesis imperfecta und die
autosomal dominante Osteopetrose Typ 2 [8]
[9]. Andererseits tritt mit
zunehmender Anwendung umfangreicher genetischer Diagnostik vermehrt zutage wie
individuell verschieden die Auswirkungen von Gen-Veränderungen auch in
schon lange bekannten Krankheitsgenen sein können [10]. Wie lässt sich also
entscheiden, in welchem Fall eine genetische Diagnostik ausreichend Aussicht auf
Erfolg hat?
Allgemeine Kriterien für den Verdacht auf eine genetisch bedingte
Skeletterkrankung
Während das Vorliegen einer primär genetisch bedingten Erkrankung
durch eine oder zwei Veränderungen in einem Gen (monogene Erkrankung)
von vornherein nie ganz ausgeschlossen werden kann, gibt es doch Aspekte, die
eine solche Art der Erkrankung wahrscheinlicher machen.
-
Außergewöhnliche Symptomkonstellationen: In manchen
Fällen erlaubt ein einzelnes Schlüsselsymptom die
Diagnose, z. B. occipitale Verkalkungen beim
Okzipitalhorn-Syndrom, was aber, wie oben erwähnt, eine
vorherige Kenntnis dieses Schlüsselsymptoms – und eine
Röntgenaufnahme des Schädels – erfordert.
Häufiger liegt eine außergewöhnliche Kombination
von Einzelsymptomen vor, die einzeln für sich genommen auch bei
Gesunden auftreten können. Bläuliche Skleren allein
rechtfertigen die klinische Diagnose einer Osteogenesis imperfecta
nicht, aber im Kontext einer unerklärlichen Frakturneigung
schon. Die Wahrscheinlichkeit einer hereditären
frühmanifesten Osteoporose steigt, wenn mehr als zwei Frakturen
von Röhrenknochen nach inadäquatem Trauma aufgetreten
sind. Auch Wirbelkörperfrakturen nach inadäquatem Trauma
sind hochverdächtig für eine genetisch bedingte
Frakturneigung bei Kindern und jungen Erwachsenen, setzen aber ebenfalls
voraus, dass entsprechende Bildgebung erfolgt [11]
[12]
-
Frühe Manifestation: Frühe Manifestationen weisen auf
eine hereditäre Erkrankung hin. Zwar gibt es auch
spätmanifeste monogene Erkrankungen und auch Menschen mit
frühmanifesten Erkrankungen werden manchmal leider erst im
höheren Alter diagnostiziert, da nicht alle Symptome eindeutig
zuordenbar sind, wie etwa vermehrte Frakturen bei inadäquatem
Trauma, oder der frühe Zahnverlust bei der
Odontohypophosphatasie.
-
Familienanamnese: Als Faustregel gilt: rezessiv vererbte Erkrankungen
manifestieren sich meist vor dem Erwachsenenalter, dominant vererbte
Erkrankungen können sich auch später zeigen und sind oft
variabler. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass bei sicherem
Erstauftreten im Erwachsenenalter mit höherer Wahrscheinlichkeit
ein dominanter Erbgang vorliegt und somit ein Elternteil und
womöglich weitere Angehörige in der Linie ebenfalls
betroffen sind. Dies ist eine Schlüsselinformation und muss
unbedingt gezielt erfragt werden. Nicht immer geht es um Symptome, die
als Krankheit wahrgenommen werden, die Oma war vielleicht einfach sehr
klein und hat eine frühe Arthrose gehabt. Wenn eine Erkrankung
im Stammbaum aus dem Nichts auftaucht, kann dies einen autosomal oder
X-chromosomal rezessiven Erbgang bedeuten oder eine dominante Erkrankung
durch eine Neumutation. So zeigen unter knapp 400 Personen mit
frühmanifester Osteoporose im Erwachsenenalter in der
genetischen Diagnostik nur drei eine rezessive und 75 eine dominante
Erkrankung [12].
Voraussetzungen für eine maximale Aussagekraft einer genetischen
Diagnostik
Das (haploide) humane Genom umfasst ca. 3 Milliarden Basenpaare.
Chromosomenanalysen und die Array-CGH sind hauptsächlich sinnvoll, wenn
ein passendes syndromales Krankheitsbild vorliegt, wie z. B. beim
Turner-Syndrom. In den meisten Fällen ist jedoch heutzutage die
Molekulargenetik die Erstliniendiagnostik. Die etwas mehr als 500 Gene
für seltene Skeletterkrankungen haben zusammen ca. 1,5 Millionen
Basenpaare. Eine Analyse dieser Gene erfolgt entweder über ein
Gen-Panel, das nur diese Gene anreichert und sequenziert, oder im Rahmen einer
größeren Analyse mittels Exom- oder Genomsequenzierung, in denen
alle bekannten Gene sequenziert, aber primär die Skelett-relevanten Gene
ausgewertet werden (sog. virtuelles Gen-Panel) [13]. Umfassende Untersuchungen mittels Exomsequenzierung entwickeln
sich immer mehr zum Standard, obwohl sie auch Nachteile haben können,
z. B. eine höhere Wahrscheinlichkeit für
Zufallsbefunde.
Auch eine auf die Skelett-Gene beschränkte Untersuchung liefert bereits
ca. 10.000 Genvarianten, d. h. Abweichungen von der Referenzsequenz. Die
Aufgabe des Humangenetikers besteht darin, unter diesen Varianten die ein oder
zwei für den Fall krankheitsursächlichen (pathogenen) Varianten
auszusieben. Dies kann einfach sein, wenn es sich um eine eindeutige pathogene
Variante handelt, die bereits bekannt ist. In diesem Falle lässt sich
nur durch Vergleich mit entsprechenden Datenbanken eine Diagnose stellen, ohne
dass man irgendwelche weiteren Informationen zum erkrankten Individuum hat. Aber
zum einen sind die Datenbanken oft fehlerhaft und zum anderen sind bei weitem
noch nicht alle krankheitsursächlichen Genvarianten beschrieben worden.
Üblicherweise ist man daher mit einer Liste von ca. 10–20
seltenen Genvarianten konfrontiert, die pathogen sein könnten. Um unter
diesen die richtige zu finden oder am Ende zu entscheiden, dass keine genetische
Ursache gefunden werden konnte, benötigt das humangenetische Labor
unbedingt ausreichende Angaben sowohl zum untersuchten Individuum als auch zur
Familienanamnese. Wie oben ausgeführt, erlaubt die Familienanamnese eine
grobe Abschätzung der Art der Vererbung und des Krankheitsspektrums in
der Familie.
Noch wichtiger jedoch sind Informationen zum vorliegenden Krankheitsbild. Besser
als eine summarische Diagnose ist hierbei die stichwortartige Aufzählung
der einzelnen charakteristischen Befunde – oder das Übersenden
eines aktuellen Arztbriefs. Die einzelnen Aspekte des Phänotyps werden
durch die Human Phenotype Ontology (HPO) in für die bioinformatische
Software verarbeitbare Begriffe übersetzt, die, vor allem bei Exom- oder
Genomsequenzierungen, wichtig für die Priorisierung von Genvarianten
sind [14]. Beispielsweise mag bei einem
Fall als Information eine Osteoporose angegeben worden sein, aber es wird eine
nicht eindeutig interpretierbare Variante in ENPP1 oder SLC34A1 identifiziert
[15]
[16]. Liegt gleichzeitig die Information einer
Hypophosphatämie vor, würde diese Variante wegen der guten
Übereinstimmung mit dem für diese Gene bekannten
Phänotyp berichtet, ansonsten unter Umständen nicht. Nur eine
Variante, die im Befund erscheint, kann im Folgenden durch eine
Familienuntersuchung weiter abgeklärt werden und möglicherweise
später als eindeutige Krankheitsursache definiert werden. Im Gegensatz
zur biochemischen Labordiagnostik, deren Ergebnisse meist durch einen Vergleich
der Messwerte mit einem Referenzbereich ermittelt werden und die ein
differentialdiagnostischer Baustein sind, findet bei genetischer Diagnostik im
optimalen Fall durch die Humangenetik eine Diagnosestellung statt. Diese ist
umso zuverlässiger je größer die klinische Erfahrung mit
der Erkrankungsgruppe und je besser der Austausch mit den betreuenden
Kolleginnen und Kollegen ist.
Laborchemische Diagnostik bei Kindern und Jugendlichen
Die Parameter des Knochenstoffwechsels unterscheiden sich bei Kindern und
Jugendlichen nicht grundsätzlich von denen im Erwachsenenalter (Siehe
[Tab. 1]). Allerdings sind nahezu
alle Werte der Knochenbildung und -resorption (aus Serum, Plasma und Urin) bei
Kindern und Jugendlichen alters- und insbesondere wachstumsabhängig.
Verschiedene Prozesse im kindlichen Skelettwachstum und der Pubertät
führen zu physiologisch höheren Werten von Auf- und
Abbauparametern, auch sind dabei Osteoklasten- und Osteoblastenaktivität
ungekoppelt [17]. Laborwerte
müssen deshalb zwingend zumindest mit den jeweiligen alters- und
geschlechtsspezifischen physiologischen Referenzkurven verglichen werden. Ebenso
wie bei der Knochendichtemessung dürfen die für Erwachsene
etablierten Referenzwerte nicht zur Beurteilung des Knochenstoffwechsels bei
Kindern und Jugendlichen (und vor dem Abschluss des Längenwachstums)
herangezogen werden. Dies würde in den meisten Fällen zu
Fehlinterpretationen führen, da sowohl physiologisch hohe Werte als
pathologisch klassifiziert würden (Beispiel Knochenumsatzmarker), als
auch pathologisch erniedrigte Werte unter Umständen nicht erkannt werden
(Beispiel HPP).
Tab. 1 Tabelle mit Markern des
Knochenstoffwechsels Nicht in der klinischen Routine
etablierte Marker sind kursiv
dargestellt.
Table 1 Laboratory parameters
of bone turnover
Marker
|
Funktion
|
Knochenbildung:
|
Osteoblastenaktivität/Mineralisation
|
Prokollagen Typ 1 N-terminales Propeptid (P1NP)
|
Osteocalcin (OC), knochenspezifische alkalische Phosphatase
(BALP)
|
Knochenresorption:
|
Osteoklastenaktivität
|
Carboxyterminales Telopeptid der 1-alpha Kette Kollagen Typ 1
(CTX)
|
Serumtartrat-resistente saure Phosphatase 5b (TRAP-5b)
|
Osteoprotegerin (OPG)
|
Hemmung Osteoklastenaktivität
|
RANKL
|
Stimuliert die Differenzierung und Aktivität von
Osteoklasten
|
DKK-1
|
Hemmung Wnt-Signalweg
|
Sclerostin
|
Hemmung der Wnt-Signalweg
|
PTH (Parathormon)
|
Reguliert den Calciumstoffwechsel und Knochenumbau:
Beeinflusst Osteoblasten und Osteoklasten
|
25 (OH) Vitamin D
|
Wenn aktiviert stimuliert die intestinale Calcium- und
Phosphataufnahme: Beeinflusst damit indirekt die
Knochenmineralisierung
|
Wichtige Marker der Knochenbildung sind Osteocalcin (OC), Prokollagen Typ 1
N-terminales Propeptid (P1NP) und die knochenspezifische ALP (BALP), die zu
unterschiedlichen Zeitpunkten der Osteoblastenaktivität freigesetzt
werden. Häufig verwendete Marker der Knochenresorption umfassen das
carboxyterminale Telopeptid der alpha-1-Kette des Kollagen Typ I (CTX) und die
Tartrate resistente saure Phosphatase 5b (TRAP-5b). Einige kindliche
Referenzwerte sind z. B. von Rauchenzauner et al. [17] veröffentlicht, oder
müssen bei den jeweiligen Laboren hinterlegt bzw. sollten erfragt werden
([Tab. 2]).
Tab. 2 Laborkonstellation bei Hypophosphatämie
(XLH) und Hypophosphatasie (HPP) bei untherapierten PatientInnen
(Baseline) und unter spezifischer Therapie mit
FGF-23-Antikörper (Burosumab) beziehungsweise
Enzymersatztherapie (Asfotase alfa). N=normalisiert. PLP
= Pyridoxalphosphat
Table 2 Laboratory
constellation in hypophosphatemic rickets (XLH) and hypophosphatasia
(HPP) in untreated patients (baseline) and during specific therapy
with FGF-23 antibody (burosumab) or enzyme replacement therapy
(asfotase alfa). N=normalized. PLP = pyridoxal
phosphate
|
Hypophosphatämie (XLH)
|
Hypophosphatasie (HPP)
|
|
Baseline
|
Unter Therapie
|
Baseline
|
Unter Therapie
|
ALP
|
↑
|
N
|
↓↓
|
↑↑↑
|
PLP (Vitamin B6)
|
↔/↓
|
↔
|
↑
|
N
|
Calcium
|
↔
|
↔
|
↔/↑
|
↔
|
Phosphat
|
↓↓
|
↓/N
|
↔
|
↔
|
PTH
|
↔/↑
|
↔
|
↔/↓
|
↔
|
25(OH) Vit D
|
↔
|
↔
|
↔
|
↔
|
1,25 (OH
2
) Vit D
|
↓
|
N
|
↔
|
↔
|
Traditionell wurde Urin zur Messung von Knochenumsatzmarkern verwendet.
Allerdings ergeben sich hier bei Säuglingen und kleinen Kindern
Schwierigkeiten bei serieller Sammlung und zirkadianen Veränderungen,
sodass Serummarker inzwischen bevorzugt werden.
Mit Bezug zu Seltenen Knochenerkrankungen sind z. B. für die
Diagnostik der HPP erniedrigte Werte der ALP wegweisend. Hierbei spielen die
altersabhängigen Referenzwerte eine entscheidende Rolle da Werte
unterhalb von 100 U/l bereits abklärungsbedürftig sind
[18]
[19]. Andererseits können bei Kindern und Erwachsenen eine
Vielzahl nicht-skelettaler Erkrankungen zu einer Verminderung der ALP
führen[20]
[21]. Wie auch bei Erwachsenen ist
für die Verdachtsdiagnose einer XLH der Serumphosphatwert von wichtiger
Bedeutung, allerdings kommt eine XLH (sofern nicht familiär bekannt)
häufiger über eine beginnende Beindeformität der unteren
Extremität als über eine auffällige Laborkonstellation
zur Abklärung.
Bei Seltenen Erkrankungen des Skelettsystems in der pädiatrischen
Population dienen die Marker des Knochenumsatzes nicht nur zur Diagnostik
sondern insbesondere zum Monitoring bei z. B. anti-resorptiver
Therapie[22], bei Enzymersatztherapie
oder bei der Therapie der XLH [23].
Laborchemische Untersuchungen – XLH
Die hypophosphatämische Rachitis, auch Phosphatdiabetes oder viel
früher Vitamin-D-resistente Rachitis genannt, ist eine genetisch und
klinisch heterogene Erkrankungsgruppe, der pathophysiologisch eine
Mineralisationsstörung des Knochens aufgrund eines Phosphatmangels
zugrunde liegt [24]. Der Phosphatverlust
wird durch eine erhöhte renale Ausscheidung bzw. mangelnde
Phosphatrückresorption verursacht. Die häufigste
hypophosphatämische Rachitis ist X-chromosomal-dominant vererbt
(X-linked) und wird als XLH bezeichnet. Der XLH liegt ein Defekt im PHEX-Gen
zugrunde, das für eine Endopeptidase (PHEX) kodiert, deren
Funktionseinschränkung zu erhöhten FGF23 Spiegeln führt.
FGF23 ist ein stark phosphaturisches Hormon, mit entsprechend erhöhten
Spiegeln bei der [5]
[25].
Die körperlichen und funktionellen Auswirkungen von XLH werden in der
frühen Kindheit manifest, und schreiten unbehandelt in der Adoleszenz
und auch im Erwachsenenalter weiter voran [5]
[24]. Zu den Folgen
gehören Wachstumsstörungen, Rachitis, Osteomalazie,
Knochendeformitäten, Knochenschmerzen, spontane Zahnabszesse,
Störungen des Gehörs, Enthesiopathien, Arthrose und
muskuläre Dysfunktion [26].
Die Messung von Phosphat ist Teil des Basislabors zur Abgrenzung von
Mineralisationdefekten und Osteoporose und sollte bei allen Betroffenen mit
Schmerzen im muskuloskelettalen System in der Diagnostik enthalten sein, da eine
XLH auch eine rheumatische Erkrankung imitieren kann [27]. Das Serumphosphat liegt vor allem bei
Männern nach dem mittleren Lebensalter in einem niedrigeren Bereich, was
von den meisten Laboren in den Normwerten nicht angepasst wird [28]
[29]. Die Spiegel werden hauptsächlich durch den
Fibroblasten-Wachstumsfaktor 23 (FGF23), das PTH und das 1,25 Dihydroxyvitamin D
gesteuert, und eine unzureichende Kontrolle kann zu Komplikationen
führen.
Bei der Hypophosphatämischen Rachitis (z. B. XLH) werden als
biochemische Parameter die Serumspiegel von Phosphat, Calcium, ALP, PTH, 25(OH)
Vitamin D, und Kreatinin sowie Calcium-, Phosphat- und Kreatininspiegel im Urin
mit Hilfe eines Spot Urintest zur Berechnung TMP/GFR und der Calcium- zu
Kreatinin-Ratio empfohlen [30].
Bei Erwachsenen wird empfohlen für die Diagnose „chronische
Hypophosphatämie“ mindestens drei im Abstand von drei Monaten
gemessene, morgendliche Serumphosphatwerte unterhalb des entsprechenden
Referenzbereiches vorliegen zu haben[31].
Bei eindeutig erniedrigtem Phosphat ist der nächste Schritt in der
Diagnostik der Nachweis des renalen Phosphatverlustes anhand der fraktionierten
tubulären Resorption von Phosphat (TRP) und des Verhältnisses
der maximalen tubulären Phosphatresorption zur glomerulären
Filtrationsrate (TmP/GFR). Üblich sind die Messungen bei Kindern
im Spot Urin, bei Erwachsenen im 24h Urin oder im zweiten Morgenurin. Phosphat
sollte für 12 Stunden und aktives Vitamin D für 48h nicht
eingenommen werden. Für die Messung des zweiten Morgenurins
können die nüchtern entnommenen Serumwerte und Urinproben zwei
Stunden nach dem ersten Morgenurin erfolgen [31]. Bei nachgewiesenem Phosphatverlust ist der nächste
Schritt die Bestimmung des phosphatregulierenden Faktors FGF23 sofern
verfügbar. Unter physiologischen Bedingungen wird FGF23 von Osteozyten
und Osteoblasten als Reaktion auf eine erhöhte Serumphosphatspiegel oder
erhöhte 1,25(OH)2D Spiegel produziert [26]. Erhöhte FGF23 Spiegel können bei verschiedensten
ernährungsunabhängigen Erkrankungen auftreten, daher
hängt das weitere Vorgehen auch von den klinischen Symptomen ab [24]. Bei familiärer Vorgeschichte
oder Beschwerden bereits seit der Kindheit ist die molekulargenetische
Diagnostik unbedingt indiziert und kann die zugrunde liegende Erkrankung des
Phosphatverlustes klären. Bei neu aufgetretenen
Hypophosphatämien ist über sekundäre Formen des
Phosphatverlustes inklusive der Tumor-induzierten Osteomalazie (TIO) zu denken
und die weitere Diagnostik einzuleiten [32].
Der Serumspiegel von ALP ist ein zuverlässiger Biomarker für
Rachitisaktivität und Osteomalazie bei Kindern und Erwachsenen. Da ca.
50% der zirkulierenden ALP aus Hepatozyten stammt ist bei
leber-erkrankten Menschen die knochenspezifische ALP zuverlässiger. Bei
einer kalzipenischen Osteomalazie ist die ALP und das PTH typischerweise
erhöht und die renale Calciumausscheidung erniedrigt. Bei der
phosphopenischen Rachitis/Osteomalazie tendiert die ALP unter
konventioneller Therapie in Richtung Normbereich, ohne sich bei allen
Betroffenen zu normalisieren. Da es durch die konventionelle Therapie mit
Phosphatsupplementation und aktivem Vitamin D zu einem
sekundären/tertiären Hyperparathyreoidismus kommen kann,
ist die regelmäßige Messung von PTH sinnvoll. Zu niedrige
PTH-Werte weisen auf eine Überdosierung von aktivem Vitamin D hin. Eine
regelmäßige Messung von FGF23 wird nicht empfohlen.
Unter der Therapie mit dem anti-FGF23 Antikörper Burosumab ist bei
Erwachsenen das nüchtern gemessene Serum Phosphat der Biomarker
für die Wirksamkeit der Therapie. Bei Erwachsenen sollte der Wert
zwischen zwei Applikationen bestimmt werden, da kurz vor der nächsten
Gabe der Phosphatwert wieder deutlich niedriger liegt. Die Therapie mit
Burosumab normalisiert immer zuerst die TmP/GFR, während der
Phosphatspiegel im Serum noch weiter unter dem Normbereich liegen aufgrund des
hohen Phosphatbedarfs des Knochens. In diesem Fall wird eine Erhöhung
der Burosumab-Dosis nicht zwangsläufig zu einer verbesserten
Knochenheilung führen. Kontrollen unter konventioneller Therapie oder
mit Burosumab sind daher vor allem auch vom klinischen Verlauf abhängig,
werden aber bei stabiler Einstellung auf jeden Fall alle 6 Monate empfohlen mit
der Messung von Phosphat, Calcium, ALP, PTH, 25(OH) Vitamin D, 1,25(OH)2 Vitamin
D und Kreatinin sowie der TMP/GFR und Calciumausscheidung [30]. Bei Beginn, Umstellung oder Anpassung
der Medikation sind durchaus häufigere Kontrollen erforderlich.
Diagnostik bei HPP
Die Hypophosphatasie (HPP) ist eine seltene Knochenerkrankung mit mannigfaltigen,
klinischen Manifestationen wie variabel ausgeprägter
Knochenmineralisationsstörung (minimal bis letal),
Rachitis/Osteomalazie mit Deformitäten oder Pseudofrakturen,
muskuloskelettalen Schmerzen, Zahnverlust, extra-skelettalen Kalzifizierungen
und reduzierter Lebensqualität [33]. Der HPP liegt ein Defekt im ALPL-Gen zugrunde, der zu einer
erniedrigten Enzymaktivität der gewebs-unspezifischen alkalischen
Phosphatase (tissue non-specific alkaline phosphatase – TNSALP)
führt. Die HPP ist eine Multisystemerkrankung mit einem breiten Spektrum
an Schweregraden. Die klinisch schwersten, lebensbedrohlichen Fälle
(perinatale und infantile HPP) sind fast ausschließlich rezessiv
vererbt, während das moderat bis milde Spektrum der Erkrankung
(childhood, adult, odonto) meist dominant vererbt ist [34]. Individuelle Komplikationen
können aber auch zu schwerwiegenden Verläufen
führen.
Als Konsequenz der erniedrigten TNSALP kommt es zur Akkumulation von Substraten
wie Pyridoxalphosphat (PLP), Pyrophosphat (PPi) oder Phosphoethanolamin (PEA)
[35]. Sowohl die Erniedrigung der
serum ALP als auch die Erhöhung der Substrate können
diagnostisch genutzt werden.
Bei erniedrigter ALP sollte die ALP-Messung wiederholt werden, da ein
erniedrigter ALP-Spiegel bei zahlreichen physiologischen und pathologischen
Prozessen beobachtet werden kann [19]
[20]
[36]. Auch ein Vergleich zu Vorbefunden lohnt sich, da nur die
persistierende Erniedrigung der ALP diagnostisch zielführend ist [21]. Erschwerend kommt hinzu, dass der
untere Referenzbereich häufig im Laborbefund nicht angegeben wird, oder
keine kindlichen Referenzwerte verwendet werden. Dies verzögert die
Diagnose der HPP oft um viele Jahre [18].
Bei persistierend erniedrigter ALP ist der nächste Schritt die Bestimmung
der Substrate. Hier wird häufig PLP (Vitamin B6) bevorzugt, das im Serum
gemessen werden kann. Vor serologischer Bestimmung muss unbedingt eine etwaige
Substitution (zB Multivitaminpräparate) pausiert werden. PLP erscheint
als guter Marker auch für den Schweregrad der Erkrankung. Höhere
PLP-Werte wurden bei HPP-PatientInnen mit prävalenten Frakturen und
mehreren HPP-typischen Manifestationen gefunden [37]. PLP korreliert sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern gut
mit der Krankheitsaktivität und ist somit der biochemische Marker mit
der besten diagnostischen Spezifität. Die fehlende Erhöhung von
Substraten wie PLP schließt eine HPP jedoch nicht aus [38].
PEA ist bei Kindern und Erwachsenen ein zuverlässiger Parameter
für die Abklärung und Diagnose der HPP. Darüber hinaus
eignet sich PEA auch zur Verlaufskontrolle unter Enzymersatztherapie (ERT)
mittels Asfotase alfa. [39].
Ähnliches gilt auch für PLP, das unter ERT rasch abnimmt [40]. Die ALP hingegen steigt zwar rasch und
stark nach Initiierung einer ERT an, dient aber maximal der
Complianceüberprüfung.
Etablierte und experimentelle Knochenumbaumarker sind für die HPP nicht
pathognomonisch und bringen keinen weiteren Aufschluss über die
Erkrankung [41]
[42].
Ein neuer diagnostischer Ansatz sind zirkulierende micro-RNAs (miRNAs), die unter
anderem in Serum oder Plasma nachgewiesen werden können. Erste
Ergebnisse zeigen ein deutlich verändertes miRNA-Profil bei erwachsenen
HPP-PatientInnen. Zahlreiche miRNAs konnten dabei dem Knochen, Muskel, ZNS
beziehungsweise der Seneszenz zugeordnet werden [43]. Darüber hinaus konnte interessanterweise gezeigt werden,
dass durch die ERT mit Asfotase alfa vor allem muskelspezifische miRNAs
reguliert werden können. Zukünftig könnten miRNAs
hilfreich sein, die Organbeteiligung bei HPP-PatientInnen abzuschätzen
und zur Verlaufskontrolle unter Therapie dienen[44].