Schlüsselwörter
Kinder - Rhinologie - Dermoid - Choanalatresie - chronische Rhinosinusitis - Orbita - zystische Fibrose - primäre Ziliendyskinesie - Angiofibrom
Teaser
Die Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit rhinologischen Erkrankungen verlangt
ein hohes Maß an interdisziplinärer und interaktiver Vernetzung zwischen multiplen
Fachgebieten, federführend der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde und Pädiatrie, aber auch
der Humangenetik, der Pulmologie, der Radiologie, der Dermatologie, der
Neurochirurgie, der Augenheilkunde und vielen anderen. Diese Interdisziplinarität
ist nicht nur zur Aufrechterhaltung des hohen medizinischen Versorgungsstandards,
sondern vor allem auch zur Weiterentwicklung innovativer Diagnose- und
Therapiekonzepte für Kinder erforderlich. Obwohl in Deutschland kein eigenes
medizinisches Fachgebiet für Pädiatrische Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde definiert ist,
findet die Versorgung von Routine- sowie auch von komplexen Krankheitsbildern für
dieses Patientenkollektiv auf höchstem Niveau statt. Aber gerade durch das Fehlen
klar definierter interdisziplinärer Vernetzungsstrukturen, so wie man sie in vielen
anderen europäischen Ländern vorfindet, ist die Notwendigkeit zur individuellen
Etablierung entsprechender fachübergreifender Versorgungsstrategien umso mehr
gegeben. Die Schaffung dieser Vernetzung obliegt in der Regel primär den
Kerndisziplinen Pädiatrie und HNO-Heilkunde, die mit einem hohen Maß an
vertrauensvoller Kommunikation gemeinsam eine gut funktionierende
Versorgungsstruktur schaffen können. Das Thema Pädiatrische Rhinologie passt
dahingehend ideal zum diesjährigen Motto der Jahrestagung unserer Fachgesellschaft.
„Crossing Borders“ spiegelt das Leitmotiv und die Herangehensweise an die
Pädiatrische HNO-Heilkunde besonders passend wider.
Dieses Referat erhebt nicht den Anspruch, ein umfassendes Kompendium für sämtliche
rhinologischen Erkrankungen des Kindesalters darzustellen, sondern greift gezielt
Schwerpunkte heraus, für die sich in den letzten Jahren Neuerungen in Diagnostik und
Therapie ergeben haben und die dahingehend auch regelmäßig Thema auf internationalen
Tagungen der Pädiatrischen HNO-Heilkunde waren und sind. Die European Society of
Pediatric Otorhinolaryngology ESPO definiert „Rhinology“ zu einem ihrer sechs
Hauptthemengebiete, was die Bedeutung dieser Subspezialität unterstreicht.
Kongenitale Fehlbildungen
Kongenitale Fehlbildungen
Angeborene Fehlbildungen weisen ein umfangreiches Spektrum an seltenen und sehr
seltenen Erkrankungen auf. Die Fehlbildungen des Nasengerüstes sind in der Regel
klar von außen erkennbar und bedürfen einer sorgfältigen Therapieplanung und
-durchführung. Im Vordergrund stehen neben der Sanierung der Prozesse auch die
kosmetischen Ergebnisse im Kontext mit dem wachsenden kindlichen Mittelgesicht.
Fehlbildungen der inneren Nase können erhebliche funktionelle Auswirkungen haben und
sind teilweise dringlich oder sogar notfallmäßig zu versorgen. Als Beispiel für
häufig auftretende Fehlbildungen der äußeren Nase werden in diesem Kapitel die
nasalen Dermoidzysten beschrieben. Innovationen gibt es hier vor allem bezüglich
einer Standardisierung der Zugangswege und einer Optimierung der Rekonstruktion. Als
Beispiel für Fehlbildungen der inneren Nase werden Choanalatresien besprochen. Diese
können syndromal aber auch isoliert auftreten. Die Therapie hat sich in den letzten
Jahren zunehmend standardisiert mit zufriedenstellenden Operationserfolgen und
besseren Langzeitergebnissen als noch vor 15 Jahren. Kindliche Tränenwegstenosen
stellen eine Besonderheit dar, da dieses Krankheitsbild im Gegensatz zu den anderen
beiden Beispielen sehr häufig auftritt. Der HNO-Arzt ist als Therapeut allerdings
nur selten und in komplexen Fällen gefragt, dann allerdings mit der Notwendigkeit
eines hohen Maßes an Expertise in der Mittelgesichtschirurgie.
Nasale Dermoidzysten
Angeborene Nasenläsionen in der Mittellinie treten bei einer von 20.000 bis
40.000 Lebendgeburten auf und stellen damit seltene Fehlbildungen dar. Neben
Gliomen und Enzephalozelen gehören nasale Dermoidzysten (englisch nasal dermoid
sinus cysts, NDSC) zu den häufigsten angeborenen Nasenläsionen der Mittellinie
[1]. NDSC manifestieren sich als eine
Vertiefung am Nasenrücken mit einer Fistelöffnung in der Medianen ([Abb. 1]). Histopathologisch handelt es
sich um echte Zysten, die von verhornendem Plattenepithel mit Adnexstrukturen
wie Haarfollikel, Talgdrüsen und Schweißdrüsen ausgekleidet sind. Die
Adnexstrukturen können über die Fistelöffnung, beispielsweise als einzelnes
mediales Haar, nach außen sichtbar sein. Im Gegensatz dazu sind nasale Dermoide
kugelförmige, teilweise minimal verschiebliche Läsionen in der Mittellinie. NDSC
können das knorpelige und vor allem das knöcherne Gerüst der Nase deutlich
sichtbar deformieren. Typisch ist hierbei ein Auseinanderweichen der beiden Ossa
nasalia am Übergang zum Knorpel (open roof Deformität) sowie eine
Gewebsvermehrung in der Supratip-Region (Polly beak Deformität) mit einer
punktuellen Einziehung mit Fistelöffnung [2]. Bei den NDSC wird eine Beteiligung intrakranieller Strukturen mit
einer Häufigkeit von 4–55% in der Literatur angegeben [3]
[4]. Allein klinisch können rein intraossäre (frontonasale) NDSC nicht von
solchen mit intrakranieller Beteiligung differenziert werden, hier ist stets
eine hochauflösende, multiplanare Schnittbildgebung erforderlich. Intrakranielle
Beteiligungen umfassen extradurale sowie intradurale Ausdehnungen. Insbesondere
bei den intraduralen Manifestationen besteht eine erhöhte Gefahr zur Entwicklung
von Meningitiden. Die Unterscheidung zwischen den verschiedenen Typen ist vor
Einleitung einer chirurgischen Therapie hoch relevant, da die intrakranielle
Ausdehnung das Ausmaß und den Zugangsweg des operativen Eingriffs maßgeblich
bestimmen. Die Magnetresonanztomografie (MRT) ist hierbei die
Bildgebungsmodalität mit der höchsten Präzision und kann eine mögliche
intrakranielle Ausdehnung von NDSC am besten darstellen [5]. Die hochauflösende Computertomografie
(CT) stellt eine Alternative dar, allerdings mit tendenziell schlechterer
Sensitivität und Spezifität im Vergleich zur hochauflösenden MRT. Präoperative
radiologische Fehldiagnosen bezüglich der intrakraniellen Ausdehnung sind
allerdings bei beiden Modalitäten möglich, vor allem bei Kindern, die jünger als
3 Jahre sind ([Abb. 2]). Eine frühzeitige
Exzision der NDSC stellt die Therapie der Wahl dar. Abhängig von der Ausdehnung
sind unterschiedliche Zugangswege etabliert. Hierzu zählen die vertikale
Mittellinieninzision, die externe Nasenkorrektur, die Lynchinzision, die
transversale Inzision, die laterale Rhinotomie, endoskopische Techniken sowie
kombinierte Ansätze [2]. In den meisten
Fällen bietet der offene Rhinoplastikzugang die besten kosmetischen Ergebnisse
sowie eine günstige Möglichkeit zur Rekonstruktion des Nasengerüstes und der
Nasenkontur durch Osteotomien bzw. die Einlage von Transplantaten zur
Defektauffüllung [6] ([Abb. 3]). Außerdem wird beim offenen
Rhinoplastikzugang das knorpelige und knöcherne Nasenskelett für die Operation
nicht eröffnet. Nach vollständiger chirurgischer Entfernung verbleiben je nach
Ausmaß der Läsion Formstörungen der oberen Seitenknorpel und der Nasenknochen.
Bei leichten Deformitäten können über Osteotomien die knöchernen Nasenflanken
medialisiert werden und der Defekt ist damit ausreichend rekonstruiert. Für die
Rekonstruktion größerer Defekte, die über Osteotomien nicht ausreichend
korrigiert werden können, kommen zusätzlich Transplantate zum Einsatz. Zur
Transplantation eignet sich in der Regel Ohrknorpel. Zur zusätzlichen Schienung
der Transplantate unter der dünnen Haut kann zum Beispiel Temporoparietalfaszie
verwendet werden [7]. Intraossäre
Präparationen sind mit Mikrodissektoren unter endoskopischer Sicht möglich. Der
offene Rhinoplastikzugang bietet sich nicht für kranial gelegene Dermoidzysten
oder Dermoide an, wie beispielsweise solche der Glabellaregion. Hier stellt die
vertikale Mittellinieninzision eine kosmetisch vertretbare Alternative dar. In
Fällen mit intrakranieller Ausdehnung ist die zusätzliche Kraniotomie über eine
koronare Inzision erforderlich.
Abb. 1 Nasale Fistelöffnung einer NDSC (nasalen Dermoidzyste),
annähernd in der Medianlinie.
Abb. 2 MRT-Bildgebung in sagittaler Schnittebene: Darstellung
einer intrakraniellen extraduralen Fistelgangausdehnung einer nasalen
Dermoidzyste.
Abb. 3 NDSC: präoperativer Aspekt von seitlich und von vorne,
MRT-Bildgebung in sagittaler Schnittebene: Darstellung einer rein
intraossären (frontonasalen) NDSC, intraoperative Darstellung des
zystischen Anteils über einen offenen Rhinoplastikzugang, Aspekt am Ende
der Operation.
Choanalatresien
Die Choanalatresie (CA) gehört zu den seltenen Erkrankungen, sie tritt bei einem
von 5.000–7.000 Neugeborenen auf [8].
Unterschieden wird zwischen einseitigen und beidseitigen Choanalatresien ([Abb. 4]). Erstere sind häufiger. Weibliche
Neugeborene sind doppelt so häufig betroffen wie männliche. In 30% der Fälle ist
die Choanalatresie rein knöchern, in 70% knöchern-membranös [9]. Rein membranöse Atresien sind bislang
nicht beschrieben. Die kongenitale ein- oder beidseitige CA ist unter den
Fehlbildungen der Nasenhaupthöhle und des Nasenrachens die häufigste. Die ersten
12 Wochen der Embryonalentwicklung sind für die Entwicklung des Gesichts
besonders relevant. Der wesentliche Anteil dieser Entwicklung erfolgt dabei in
den ersten 4 Wochen. In diesem Zeitraum entstehen die meisten kongenitalen
Gesichtsfehlbildungen. Im Laufe der Jahre haben verschiedene Autoren Theorien
zur Entstehung der Atresieplatte formuliert. Es gibt vier Theorien, die sich
über die Jahre durchgesetzt haben und weitgehend anerkannt sind [10]:
Abb. 4 Computertomografie-Bildgebung in axialer Schnittebene:
Darstellung einer bilateralen Choanalatresie.
-
Persistenz der buccopharyngealen Membran aus dem Vorderdarm
-
Abnorme Persistenz oder Lage des Mesoderms, das Adhäsionen in der
nasochoanalen Region bildet
-
Abnorme Persistenz der nasobuccalen Hochstetter-Membran
-
Fehlleitung der Zellmigration der Neuralleiste
Das klinische Erscheinungsbild wird maßgeblich durch zwei Faktoren beeinflusst:
ob eine einseitige oder beidseitige CA vorliegt und ob es Assoziationen zu
zusätzlichen Anomalien – wie bei der CHARGE-Assoziation – oder kraniofaziale
Fehlbildungen gibt [11]
Beidseitige Choanalatresie: Bedingt durch die Ventral- und Kranialverlagerung des
Larynx sind Neugeborene in den ersten 4–6 Lebenswochen obligate Nasenatmer. Eine
beidseitige CA ist klassischerweise unmittelbar nach der Geburt symptomatisch.
Sie führt zu Dyspnoe, Stridor und paradoxer Zyanose. Diese Form der Zyanose
tritt in Ruhe auf und wird durch Schreien gelindert. Zusätzlich bestehen massive
Probleme bei der Nahrungsaufnahme durch Aspirationsneigung. Das Einführen
nasogastraler Sonden ist aufgrund des CA-bedingten nasalen Stopps nicht möglich.
Betroffene werden zum Atemwegsnotfall und müssen sehr zeitnah behandelt werden.
Die Atemwege sollten initial durch eine Intubation gesichert werden und die
chirurgische Eröffnung innerhalb weniger Tage erfolgen.
Einseitige Choanalatresie: Typische Beschwerden der einseitigen CA sind eine
einseitige Nasenatmungsbehinderung, eine persistierende, schleimige Rhinorrhoe
sowie in den meisten Fällen eine Septumdeviation zur betroffenen Seite. Die
Diagnose wird häufig in zeitlichem Abstand zur Geburt gestellt, gelegentlich
erst im Jugend- oder gar Erwachsenenalter. Weitere anatomische Auffälligkeiten
wie ein spitzbogiger Gaumen oder eine Gesichtshypoplasie sind nicht selten. Die
chirurgische Versorgung sollte ab dem 6. bis 12. Lebensmonat erfolgen. Gewisse
Autoren sehen den optimalen Operationszeitpunkt zwischen dem 6. und 12.
Lebensjahr. Dies basiert auf der Tatsache, dass sich die topographischen
Verhältnisse bis dahin um über das Doppelte vergrößert haben. Dies soll die
Anzahl von Revisionsoperationen reduzieren. Eine einseitige CA sollte in jedem
Fall chirurgisch versorgt werden, da es ansonsten fast zwangsläufig zu
Folgeerkrankungen wie rezidivierenden Sinusitiden, Tubenventilationsstörungen
oder Otitiden kommt [12]
[13].
Syndrome/kongenitale Anomalien
Pagon et al. [14] prägten 1981 erstmals das
Akronym CHARGE-Assoziation, die durch eine Vielzahl von kongenitalen Anomalien
gekennzeichnet ist und autosomal-dominant vererbt wird: „Coloboma of the eye“
(Kolobom), „Heart defects” (Herzfehlbildungen), „Atresia of the nasal choana”
(Choanalatresie), „Retardation of growth and/or development” (Wachstums- und
Entwicklungsretardierung), „Genital and/or urinary abnormalities”
(Urogenitalfehlbildungen), „Ear abnormalities and deafness” (Ohranomalien und
Taubheit). Studien [15] berichten, dass
7–29% der Patienten mit CA ein CHARGE-Syndrom aufweisen. Weitere Patienten
fallen durch andere kongenitale Anomalien wie Tracheomalazie, Laryngomalazie,
subglottische Stenose oder andere spezifische Syndrome wie
Treacher-Collins-Syndrom, Apert-Syndrom oder Pfeiffer-Syndrom auf. Insgesamt
liegen bei 49% der Patienten mit CA assoziierte Fehlbildungen vor, insbesondere
bei bilateralen CA [16]. Im Falle
syndromaler Erkrankungen und nasaler Obstruktion sollte gezielt nach einer CA
gefahndet werden [11].
Diagnostik
Die Diagnosestellung erfolgt meist klinisch. Typischerweise beginnt die
Diagnostik im Kreißsaal durch transnasales Einführen eines dünnen Saugkatheters
in den Nasopharynx. Der Verdacht auf eine CA sollte geäußert werden, wenn das
Vorschieben des Katheters über 3 bis 3,5 cm hinaus nicht möglich ist. Dies wäre
die Distanz, nach der die Choane beim Neugeborenen in der Regel erreicht sein
sollte. Es sei zu beachten, dass der Katheter sich nicht im unteren Nasengang
aufrollt und eine CA vortäuscht oder verschleiert. Die nasale Obstruktion kann
durch Verwendung einer Hauchplatte oder eines Larynxspiegels objektiviert werden
([Abb. 5]). Im Normalfall entsteht
ein ca. 1,5–2 cm großer Niederschlag vor jedem Nasenostium. Eine definitive
klinische Diagnose einer CA lässt sich endoskopisch verifizieren. Die
Nasenendoskopie mit einem dünnen flexiblen Endoskop sollte nach vorsichtigem
Absaugen und Abschwellen der Schleimhaut durchgeführt werden. Dies ermöglicht
die direkte Visualisierung der Choanalregion und die Bestätigung der
Verdachtsdiagnose [13]. Die bildgebende
Diagnostik der Wahl für die Operationsplanung ist die Computertomographie (CT).
Sie ermöglicht eine detaillierte Darstellung der knöchernen Strukturen und die
Bestimmung des Ausmaßes der Verknöcherung und der Größe einer eventuell
vorhandenen membranösen Atresie. Typischerweise zeigt sich der dorsale Vomer
verdickt und die ipsilaterale laterale Nasenwand vorgewölbt. Zudem werden
anatomische Normvarianten dargestellt, die für den Operateur von großer
Bedeutung sind. Alternativ steht die hochauflösende Magnetresonanztomographie
(MRT) zur Verfügung, die ähnliche, detaillierte Informationen liefert, die
Knochenstrukturen jedoch nur indirekt darstellt. Vorteile sind die Vermeidung
einer Strahlenexposition und die trotzdem mögliche Darstellung von
Schädelbasisanomalien. Trotz der bestehenden kontroversen Diskussionen über
Computertomografien im Kindesalter sollte bei der Choanalatresie dieses
bildgebende Verfahren erfolgen.
Abb. 5 Atemspiegel nach Ernst Glatzel zur Prüfung der
Luftdurchgängigkeit der Nase.
Therapie
Chirurgische Ansätze stellen die Therapie der Wahl dar. Hierbei sind verschiedene
Techniken beschrieben worden. Die Evidenz für Vor- und Nachteile dieser
Techniken basieren bislang jedoch nicht auf randomisierten prospektiven Studien
[17], sodass seit der Erstbeschreibung
der chirurgischen Behandlung Mitte des 19. Jahrhunderts kein klarer Konsens
bezüglich der anzuwendenden Technik besteht. Endoskopische Techniken existieren
seit mehr als 20 Jahren und werden heutzutage von den meisten Operateuren
bevorzugt. Die chirurgischen Behandlungsoptionen umfassen die transnasale
Perforation, die transpalatinale Resektion, die transnasal endoskopische
Perforation und die transnasal endoskopische Choanalplastik [18].
Die transnasale Punktion gilt als obsolet, ist aber historisch gesehen die erste
Methode, die bei der CA zum Einsatz kam. Sie wurde 1854 von Carl Emmert
beschrieben und bestand in einer Blindpunktion retropalatinal, die mit einem
gebogenen Trokar durchgeführt wurde. Später wurde ein 120° Endoskop oder ein
Spiegel verwendet, um den Bereich der Atresie zu untersuchen. Nach der Punktion
wurde die eröffnete Choane mit Bougies oder Blakesley erweitert, bis das Lumen
ausreichend groß war. Die Eröffnung der Stenose ist bei dieser Technik leider in
der Regel nur temporär und erfordert daher oftmals Revisionseingriffe [10]. Zudem besteht ein Komplikationsrisiko
insbesondere bei der Blindpunktion aufgrund von Verletzungen des Septums, der
seitlichen Nasenwand, des Nasengewölbes oder des Clivus [13].
Bei der transpalatinalen Resektion wird die Schleimhaut des harten Gaumens in
einem lokalen Lappen angehoben und die gesamte Dicke des Knochens im Bereich der
knöchernen Atresie mit dem Diamantbohrer abgetragen. Trotz geringerer Inzidenz
von Re-Stenosen sind die Komplikationen dieser Technik immer noch häufig. Hierzu
gehören die Entwicklung eines fehlgeformten, hochbogigen Gaumens, eines
Kreuzbisses, nasopalatinale Fisteln und Dehiszenzen. Aus diesen Gründen wird
diese Methode für Kinder unter 6 Jahren nicht empfohlen. Mit dem Aufkommen der
endoskopischen Techniken ist die Anzahl transpalatinal durchgeführter
Operationen gesunken [19].
Die transnasal endoskopisch assistierte Perforation ist technisch vergleichbar
mit der oben beschriebenen Blindpunktion, aber mit zusätzlicher endoskopischer
Kontrolle. Hierdurch wird die Komplikationsrate bezüglich einer Schädigung des
angrenzenden Gewebes reduziert. Bei Frühgeborenen können selbst kleine starre
Optiken zu groß sein, um transnasale endoskopische Choanalplastiken zu
ermöglichen. In diesen Fällen stellt die transnasal endoskopisch assistierte
Perforation die Methode der Wahl zur Behandlung der bilateralen CA dar. In der
Regel ist dann aber eine transnasal endoskopische Revisions-Choanalplastik zu
einem späteren Zeitpunkt erforderlich, sobald die anatomischen Bedingungen dies
zulassen.
Die transnasal endoskopische Choanalplastik wird von den meisten Operateuren als
chirurgische Technik der Wahl angesehen und basiert auf der endoskopischen
Resektion der Atresieplatte und des posterioren Septums (Vomer), wodurch eine
vereinte bilaterale Choane („Einzelchoane“) geschaffen wird. In erster Linie
wird für die Knochenresektion „kaltes“ Instrumentarium verwendet. Im Falle
medialisierter medialer Pterygoidplatten kann der Diamantbohrer eingesetzt
werden. Zudem wurde der erfolgreiche Einsatz des CO2-Lasers und von
Ballondilatatoren beschrieben [20]
[21]
[22]. Die Autoren des Referates bevorzugen den Einsatz eines schmalen
Diamantbohrers unter Verwendung einer reduzierten Umdrehungszahl (10.000
Umdrehungen/min). Die Schleimhaut sollte – falls möglich – als gestielter Lappen
erhalten werden, der am Ende des Eingriffs auf die freiliegenden knöchernen
Wände der Neochoane gelegt wird, um eine Epithelisierung der Wundflächen zu
beschleunigen und damit eine Re-Stenose zu verhindern [23]. Die Erfolgsrate der transnasal
endoskopischen Choanalplastik, gemessen am Auftreten einer Re-Stenose oder der
Notwendigkeit einer Revisionsoperation, beträgt in einer Metaanalyse von
Strychowsky et al. 65% [24].
Risikofaktoren für eine Re-Stenose sind assoziierte kongenitale Anomalien,
Reflux von Mageninhalt in den Nasopharynx und ein Alter des Neugeborenen von
weniger als 10 Tagen. Navigationssysteme können zur Erleichterung der
Orientierung bei veränderter Anatomie zum Einsatz kommen [25]. Neben den anatomischen Voraussetzungen
wird der Erfolg des operativen Eingriffs durch folgende weitere Faktoren
beeinflusst [26]: ausreichende Resektion
des posterioren Septums (Vomer), Vermeidung knöcherner Kanten und großer Flächen
freiliegenden Knochens, Verzicht auf Stents, Durchführung einer adäquaten
postoperativen Nachsorge.
Prognose
Das Einsetzen von Stents wird in Expertenkreisen kontrovers diskutiert. Die
Vorteile des Einsatzes von Stents liegen in der etwas geringeren Inzidenz von
Re-Stenosen, einer zufriedenstellenden Luftdurchgängigkeit in der ersten
postoperativen Phase und der Unterstützung der Reepithelisierung während der
Heilungsphase der Neochoane. Zu diesem Zweck werden Stents bis zu 16 Wochen
eingelegt [24] und müssen regelmäßig
gewechselt werden. Nachteile des Einsatzes können druckbedingte
Schleimhautschädigungen, Granulations- und Narbenbildung, bakterielle
Besiedelung, Ulzerationen und mechanische Blockierung der Schleimsekretion sein
[27]. In der Metaanalyse von
Strychowsky et al. wurde festgestellt, dass die meisten Komplikationen nach
Chirurgie von CA auf den Einsatz von Stents zurückzuführen sind. Neben den
vorher genannten sind dies vor allem Naseneingangsstenosen. Neben der
Stenteinlage wurde die Verwendung von Mitomycin C bei der Prävention der
Granulationsbildung, der Re-Stenosierung und zur Senkung der
Revisionsoperationsrate beschrieben [28].
Dennoch wird sie aufgrund ihrer potenziellen Karzinogenität und der bislang
fehlenden klinischen Wirksamkeitsdaten nur in komplexen Fällen empfohlen.
In ihrem 2019 publiziertem Artikel gibt die „International Pediatric
Otolaryngology Group (IPOG)“ folgende Empfehlungen zum postoperativen Management
der CA ab [20]:
Einsatz von Medikamenten:
-
Protonenpumpenhemmer (PPI) werden von 63,4% der Mitglieder des IPOG
empfohlen, wobei die übliche Verordnungsdauer bis zu zwei Monate
beträgt.
-
Die Verschreibung von Antibiotika ist umstritten: 46,4 % der Mitglieder
verschreiben orale oder intravenöse Antibiotika, 53,6 % verschreiben sie
nicht.
-
Intranasale Kortikosteroide werden häufig verwendet (71,4 %), systemische
Kortikosteroide dagegen nicht (28,6 %).
-
0,9%ige NaCl-Lösung sollte nach der Operation topisch angewendet werden
(100 %), wobei 82,1 % der Mitglieder eine Dauer von vier Wochen
empfehlen. Es wird empfohlen, die Nase ein- bis dreimal pro Tag zu
spülen (75 % der Mitglieder).
Follow-up
Die klinische Nachuntersuchung sollte eine flexible oder starre Nasenendoskopie
beinhalten (96,4 %). Der Zeitpunkt der ersten postoperativen Kontrolle liegt bei
75% der Mitglieder in den ersten zwei Wochen. Eine „second-look“ Operation unter
Vollnarkose wird bei ausgewählten Patienten von 50 % der Mitglieder und
systematisch von 25 % durchgeführt. Gründe für eine präventive postoperative
Untersuchung unter Vollnarkose sind bilaterale Choanalatresien, syndromale
Choanalatresien (wie die CHARGE-Assoziation), geringes Gewicht und niedriges
Alter. Die Mehrheit der Mitglieder (64,2 %) berichtet, dass der Zeitpunkt dieses
Eingriffs innerhalb des ersten Monats nach der Erstoperation liegen sollte. Eine
postoperative Bildgebung wird nicht empfohlen, auch nicht bei
Revisionsoperationen (96,4 %). Objektive Beurteilungen der Nasenatmung werden
nur selten durchgeführt und sind bei Neugeborenen und Kleinkindern kaum möglich.
Die Dauer der Nachuntersuchung sollte lang sein, mindestens ein Jahr (100 %).
Einige Zentren führen Nachsorgeuntersuchungen bis ins Erwachsenenalter durch.
Das chirurgische Ergebnis wird nach 6–12 Monaten als stabil angesehen (73,3%).
Es wurden jedoch auch verzögerte Re-Stenosen beschrieben, sodass die Eltern und
Patienten auch über ein zeitverzögertes Auftreten eines Rezidivs aufgeklärt
werden sollten.
Kindliche Tränenwegstenosen
Einleitung
Die Obstruktion des Tränennasengangs (NLDO) ist die häufigste Ursache für
anhaltenden Tränenfluss bzw. Augenausfluss bei Kindern. Sie tritt bei bis zu
20% aller Neugeborenen auf und verursacht bei ca. 6% der Betroffenen im
ersten Lebensjahr Symptome [29].
Nahezu 90 % der Fälle klingen spontan oder unter konservativer Behandlung ab
[30]. Unterschieden wird zwischen
der angeborenen und der erworbenen NLDO. NLDO in der pädiatrischen
Altersgruppe sind fast immer kongenitalen Ursprungs aufgrund einer fehlenden
Kanalisierung des distalen Endes des Tränengangs mit Fortbestehen eines
häutigen Stegs auf Höhe der Hasner-Klappe [31]. Die Inzidenz der kongenitalen NLDO ist bei Kindern mit
kraniofazialen Anomalien und Down-Syndrom höher. Die Ursachen der erworbenen
NLDO sind nicht ausreichend erforscht.
Therapie
Die Therapie der NLDO bei Kindern ist überwiegend konservativ durch Kompression
oder Massage des Tränensacks und ggf. durch Applikation topischer Antibiotika im
Falle eines Ausflusses. Selten sind Spülungen der Tränenwege erforderlich [32]. Nach einem Alter von 12 Monaten sinkt
die Wahrscheinlichkeit der Spontanheilung und die meisten Patienten werden durch
Sondierung oder Intubation des nasolakrimalen Drainagesystems behandelt [33]. In refraktären Fällen sollte eine
operative Therapie in Erwägung gezogen werden. Diese sind sehr selten und
beschränkten sich im Wesentlichen auf Kinder mit kraniofazialen Dysmorphien oder
Traumata.
Historisch gesehen wurden refraktäre sakkale und postsakkale Tränenwegsstenosen
durch externe Dacryozystorhinostomien (DCR) behandelt. Diese Prozedur wurde
erstmalig 1904 durch Toti beschrieben und stellt ein hochwirksames Verfahren zur
Korrektur der NLDO dar. Mit dem Aufkommen starrer nasaler Endoskope und
faseroptischer Lichtträgersysteme wurde der endonasale Zugangsweg dank besserer
Beleuchtung und Vergrößerung gerade im pädiatrischen Patientengut erheblich
verbessert. Die endoskopische DCR (EDCR) hat über die Jahre viele Änderungen
u. a. auf dem Gebiet der Pädiatrie erfahren, zum Beispiel in der Frage nach dem
Erhalt und der Form eines Mukosalappens [34]. Die EDCR ist in vielen Zentren dank ihrer zahlreichen Vorteile
gegenüber der externen DCR die chirurgische Therapieoption der Wahl geworden
[35]
[36]
[37]. Der endonasale Zugang
ermöglicht die Drainage eines obstruierten Tränensacks und -systems ohne
Notwendigkeit der Durchführung eines Schnitts im Gesicht und somit ohne
Entstehung einer Narbe. Zudem ist das chirurgische Trauma im Bereich des
medialen Lidwinkels und des Orbitagewebes sowie die Blutungsgefahr geringer. Das
pädiatrische endoskopische Instrumentarium ist speziell für einen optimierten
chirurgischen Zugang konzipiert und ermöglicht auch die Korrektur intranasaler
Ursachen der Epiphora (d. h. membranöse und knöcherne Obstruktionen,
Verwachsungen, Schleimhautanomalien, Hyperplasien der unteren Nasenmuschel).
Ähnlich wie bei der Therapie der Choanalatresien wird der Einsatz von
Silikonstents, sowohl bei der externen als auch bei der endoskopischen DCR,
kontrovers diskutiert. In einigen Zentren erfolgt der Einsatz systematisch, in
anderen gezielt und nur bei Verdacht auf eine Kanalstenose oder bei
Revisionsoperationen [38]. Ziel ist es,
die dauerhafte Durchgängigkeit des DCR-Ostiums zu gewährleisten. Es gibt jedoch
Hinweise darauf, dass die Stenteinlage das Risiko einer granulierenden
Entzündung und somit eines Misserfolgs der Operation erhöht. Zur Vorbeugung der
Obstruktion des DCR-Ostiums durch Granulationsgewebe wird der Einsatz von
Mitomycin C oder 5-Fluorouracil als Alternative zum Stenting beschrieben. In
einer Metaanalyse untersuchten Cheng et al. [39] die Wirksamkeit der Anwendung von Mitomycin C während der EDCR
und kamen zu dem Schluss, dass sie zur Verringerung der Verschlussrate des
geschaffenen Ostium beitragen kann. Die Autoren des Referats bevorzugen eine
großzügige Abtragung des Os lacrimale sowie eine flächige Eröffnung des
Tränensacks zur Minimierung des Re-Stenoserisikos und empfehlen, den Einsatz von
Mitomycin C auf Einzelfälle (zum Beispiel komplexe Rezidivsituationen) zu
beschränken. Die pädiatrische EDCR unterscheidet sich aufgrund der anatomischen
Gegebenheiten von der EDCR bei Erwachsenen. Bei Kindern ist die Nasenhaupthöhle
relativ eng mit proportional voluminösen Nasenmuscheln. Das Vorhandensein einer
Septumdeviation erschwert das endoskopische Verfahren, da eine Septumplastik
aufgrund ihrer möglichen Auswirkungen auf das Gesichtswachstum in der Regel
vermieden wird. Trotz der engen Nasenanatomie bei jungen Patienten konnten
systematische Reviews zeigen, dass die endoskopische DCR im Vergleich zum
externen Verfahren ähnlich Erfolge ermöglicht [40]. Daher stellt sie das Verfahren der Wahl dar.
Therapeutische Aspekte der akuten und chronischen Rhinosinusitis
Therapeutische Aspekte der akuten und chronischen Rhinosinusitis
Entzündliche Erkrankungen der Nasenhaupt- und -nebenhöhlen sind häufig. Vor allem die
akute Rhinosinusitis gehört bei Kindern zu den häufigsten Krankheitsbildern
überhaupt. Die Therapie wird in der Regel durch Pädiater oder Allgemeinmediziner
koordiniert. Der Hals-Nasen-Ohrenarzt ist bei der Betreuung der unkomplizierten
akuten Rhinosinusitis bei Kindern üblicherweise nicht der erste Ansprechpartner. Die
meist viral induzierte akute Infektion der oberen Atemwege (common cold) ist
vergesellschaftet mit einer Nasenatmungsbehinderung, mit nasaler Sekretion und
teilweise begleitet von Kopf- oder Gesichtsschmerz sowie Husten. Die Erkrankung ist
meist selbstlimitierend und aufgrund der kurzfristigen Dauer ist eine rein
symptomatische Therapie ausreichend. Erst bei persistierenden oder rekurrierenden
Symptomen sind weiterführende diagnostische und therapeutische Maßnahmen indiziert.
Die akute bakterielle Rhinosinusitis ist selten im Vergleich zur viralen Form,
sodass die Gabe von Antibiotika meist nicht erforderlich ist. Die
Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde wird in der Regel erst im Rahmen von Komplikationen
akuter Rhinosinusitiden hinzugezogen. Hierbei sind orbitale Komplikationen deutlich
häufiger als intrakranielle Komplikationen, vor allem bei jüngeren Kindern. Die
entzündlichen Komplikationen des Schädelknochens (sinugene Osteomyelitis) ist im
Vergleich nochmals seltener [41]. Aus diesem
Grund befasst sich das vorliegende Kapitel mit der orbitalen Komplikation. Die
chronische Rhinosinusitis ist im Vergleich zur akuten Form bei Kindern wesentlich
seltener. Es werden die aktuellen Neuerungen der Therapie aufgegriffen und
abgegrenzt von der für den HNO-Arzt routinierten Betreuung von Erwachsenen mit einer
chronischen Rhinosinusitis. Auf Kongressen werden isolierte
Keilbeinhöhlenpathologien oft im Rahmen eigener Sessions diskutiert, weshalb hierzu
eine gezielte Literaturrecherche erfolgte. Letztlich schließt das Kapitel mit einem
Update zur pädiatrischen Allergologie, wobei hier auch Schwerpunkte zur Sprache
kommen, die bewusst über das Thema „Rhinologie“ hinausgehen, um weitere
Krankheitsbilder einzuschließen, die als Komorbiditäten durch den HNO-Arzt erkannt
werden müssen, um die Patienten einer weiteren zielgerichteten Therapie
zuzuführen.
Sinugene orbitale Komplikationen
Ursachen und Formen
Die häufigste URsache orbitaler Komplikationen in der pädiatrischen
Rhinologie ist die akute Rhinosinusitis und hierbei am häufigsten die
Sinusitis ethmoidalis [42]. Die akute
Rhinosinusitis ist bei Kindern eine häufige Erkrankung, während orbitale
sinugene Komplikationen im Vergleich sehr selten sind. Sie treten bei
Kindern in Relation häufiger auf als bei Erwachsenen. Die Siebbeinzellen
sind im Gegensatz zu anderen Nebenhöhlen bereits im frühen Kindesalter
angelegt und fungieren als Ausgangsherd für orbitale Manifestationen der
Entzündungen. Der Begriff der orbitalen Komplikation fasst Krankheitsbilder
unterschiedlichen Schweregrades zusammen. Man unterteilt sie entsprechend
ihrer Lokalisation und Ausprägung. International akzeptiert und am
häufigsten verwendet ist die Einteilung nach Chandler [43], obwohl diese nicht unumstritten
ist, wie im Folgenden erläutert. Chandler führte beispielsweise den Begriff
der „Zellulitis“ ein, der auch heute noch im internationalen Sprachgebrauch
verwendet wird, wobei er besser durch andere Termini wie „Entzündung“ oder
„Inflammation“ ersetzt werden sollte. Die einzelnen Subtypen der orbitalen
Komplikation können sich sequenziell, also nacheinander manifestieren, dies
muss aber nicht der Fall sein. Die präseptale Zellulitis bzw. das präseptale
Lidödem (Chandler I) stellt hierbei die leichteste Ausprägung der Erkrankung
dar und ist mit ca. 60–75% die häufigste sinugene orbitale Komplikation bei
Kindern und Erwachsenen [44]
[45]. Es handelt sich um ein
inflammatorisches Ödem von Ober- und/oder Unterlid. Eine Entzündungsreaktion
innerhalb der internen Orbitastrukturen findet sich nicht, sodass es sich
streng genommen nicht wirklich um eine orbitale als vielmehr um eine
präorbitale Komplikation handelt. Die Ursache für eine solche Manifestation
kann neben der Sinusitis auch dentogen sein oder andere Ursachen wie
Insektenstiche, Tränenwegsentzündungen oder Hauterkrankungen haben [46]. Eine Eskalation stellt die
Periostitis (im internationalen Sprachgebrauch orbitale Zellulitis, Chandler
II) dar, bei der die Entzündung sich im orbitalen Fettgewebe ausbreitet.
Symptome hierbei sind nicht nur ein geschwollenes Ober- und/oder Unterlid
wie bei der präseptalen Form, sondern auch im Verlauf der Erkrankung
Doppelbilder und eine Bulbusprotrusion. Das Krankheitsbild ist bereits
deutlich schwerwiegender mit einer erhöhten Gefahr weiterer Komplikationen.
Der Visus ist in der Regel noch normal, kann sich aber im Laufe der
Erkrankung ebenfalls verschlechtern. Die nächste Stufe stellt der
subperiostale Abszess zwischen der knöchernen Orbitawand und der Periorbita
dar (Chandler III). Pathomechanimus ist hier am ehesten die
Infektionsausbreitung aus den Ethmoidalzellen über die dünne Lamina
papyracea, über die Knochenkanäle der Arteria ethmoidalis anterior und
posterior oder über venöse Abläufe aus der Orbita. Schließlich folgt die
Orbitaphlegmone (Chandler IV), eine extrem schwere Erkrankung mit massiver
Protrusion des Bulbus, Doppelbildern, oft einer kompletten Ophthalmoplegie
und rascher Visusverschlechterung bis hin zur Erblindung. Oft werden im
klinischen Alltag orbitale Komplikationen ohne Abszessformation als
Phlegmone bezeichnet, aber in der Regel liegen präseptale Inflammationen
oder maximal eine Periostitis mit entzündetem Fellgewebe vor. Diese dürfen
nicht fälschlicherweise als Orbitaphlegmone bezeichnet werden. Im
Maximalfall einer orbitalen Komplikation kann es zu einer Fortleitung nach
intrakraniell kommen, in erster Linie in den Sinus cavernosus (Chandler V,
zählte unter Chandler noch zu den orbitalen Komplikationen, ist aber de
facto bereits eine intrakranielle Komplikation). Diese Erkrankung hat eine
hohe langfristige Morbidität und auch eine signifikante Mortalität [47].
Diagnostik
Kernfrage der Diagnostik ist die Unterscheidung der meist einfach zu
therapierenden präseptalen Zellulitis in Abgrenzung zu den anderen orbitalen
Komplikationen nach Chandler II bis V. Klinisches Erscheinungsbild und
Laborwerte sind hier bereits wegweisend [48]. Patienten mit orbitaler Beteiligung haben deutlich häufiger
Allgemeinsymptome wie Fieber und eine klinisch manifeste akute purulente
Rhinosinusitis. Doppelbilder, Ophthalmoplegie und ein Exophthalmus treten
ausschließlich bei orbitalen und nicht der präseptalen Ausprägung auf. Die
optimale Bildgebung wird in der Literatur kontrovers diskutiert. Eine valide
Diagnose ist ausschließlich über eine Schnittbildgebung möglich. Die Indikation
zur Computertomografie wird bei Kindern sehr zurückhaltend gestellt, da jegliche
Strahlenexposition nach Möglichkeit zu vermeiden ist. Nichtsdestotrotz arbeitet
ein Großteil der Autoren der begutachteten Artikel mit der Computertomografie
als Bildgebung der Wahl. Ohne Frage kann aber das MRT äquivalente, in vielen
Fällen bessere Informationen zur Diagnosestellung und Therapieplanung liefern.
Gerade die Frage nach einer exakten Abszessausdehnung und einer Beteiligung des
Sinus cavernosus oder einer anderen intrakraniellen Ausdehnung kann das CT nicht
beantworten. Die anatomischen Landmarken, die im Falle einer Operation über das
CT üblicherweise dargestellt werden, können indirekt auch in der
Kernspintomografie visualisiert sein. Daher schlagen die Autoren eine MRT als
Bildgebung der Wahl zur Diagnosestellung und Therapieplanung bei orbitaler
Komplikation einer Sinusitis vor [49]. In
der Realität kann die Verfügbarkeit einer MRT-Untersuchung ein kritisches
Argument sein, da diese nicht in jedem Krankenhaus rund um die Uhr gegeben ist.
Insbesondere in der Notfallsituation und außerhalb regulärer Arbeitszeiten bzw.
außerhalb medizinischer Maximalversorgungssituationen kann dies dazu führen,
dass man alternative Bildgebungsverfahren nutzen muss. In vielen der gesichteten
Publikationen wird im Fall einer klinisch eindeutigen präseptalen Problematik
(Chandler I) auf eine Bildgebung verzichtet. Nur im Falle eines
therapierefraktären, prolongierten oder progressiven Verlaufs bzw. einer
vermuteten Komplikation erfolgt in der Chandler I Situation eine Bildgebung. Ab
dem Stadium Chandler II muss, hier sind die Aussagen in der Literatur eindeutig,
eine Bildgebung erfolgen, um eine Abszessformation auszuschließen. Im
Zweifelsfall sollte man sich großzügig für die Durchführung einer Bildgebung
entscheiden.
Therapie
In der aktuellen Literatur wird von mehreren Autoren das adäquate therapeutische
Vorgehen insbesondere von Manifestationen nach Chandler I und II diskutiert. Das
Spannungsfeld zwischen der Indikation zur frühzeitigen chirurgischen Sanierung
des Ausgangsherdes in den Nasennebenhöhlen und der Ausschöpfung konservativer
Therapiemaßnahmen wird kontrovers zwischen HNO-Ärzten und Pädiatern diskutiert.
Die Therapie richtet sich einerseits nach dem Stadium der Erkrankung, aber auch
nach der Dynamik und dem Ansprechen auf die ggf. bereits laufende Therapie. Im
Falle von anatomischen Schädelanomalien oder odontogenen Entzündungen werden die
Indikationen zur Operation sehr frühzeitig gestellt, außer in den absoluten
Anfangsstadien der Erkrankung. Bei sinugenen orbitalen Komplikationen von
Kindern mit normaler Schädelanatomie besteht die Empfehlung zur konservativen
Behandlung mit einer systemischen Antibiotikatherapie in den Stadien Chandler I
und II. Im Stadium Chandler I ist eine orale Therapie im ambulanten Setting nach
guter Aufklärung der Eltern denkbar, wenn keine systemischen
Inflammationszeichen bestehen und eine orbitale Beteiligung sicher
ausgeschlossen werden kann. Allerdings kann es auch in diesen ausgewählten
Fällen zum Progress kommen, so dass eine engmaschige Überwachung erforderlich
ist und bei ausbleibender Besserung rasch auf eine intravenöse Therapie
umgesetzt werden muss [50]. Im Stadium
Chandler II erfolgt die antibiotische Therapie immer intravenös. Bei einem
fehlenden Therapieansprechen nach spätestens 48 Stunden sollte eine
Nasennebenhöhlen-Operation erfolgen. Vorher empfiehlt sich eine Bildgebung, da
ein fehlendes Ansprechen auf eine Antibiotikatherapie ein Hinweis auf einen
Wechsel in ein höheres Chandler Stadium bzw. auf eine Abszedierung sein kann,
die bei der Operationsplanung Berücksichtigung finden muss. Ab dem Stadium
Chandler III (klinisch / radiologisch) sollte frühzeitig operiert werden. Bei
Verschlechterung des Visus ist eine Notfalloperation erforderlich [51]. Im Rahmen des chirurgischen Eingriffs
wird der Ausgangsherd saniert, das heißt, die akute Sinusitis wird im Sinne
einer endoskopischen endonasalen Operation entlastet und drainiert. Im Falle
einer intraorbitalen Druckproblematik (Protrusio, Doppelbilder, …) wird die
Lamina papyracea flächig entfernt und die Periorbita nach medial inzidiert.
Hierdurch kann eine suffiziente Druckentlastung gewährleistet werden, die einer
Visusverschlechterung entgegenwirkt [52].
Sollte eine intraorbitale Abszedierung vorliegen, muss der Abszess ebenfalls
entlastet werden. Je nach Lage erfolgt dies in den meisten Fällen ebenfalls
endonasal endoskopisch oder in manchen Fällen (zum Beispiel bei einer
Abszesslokalisation im lateralen Orbitaanteil) über einen transfazialen Zugang.
Beispielhaft sei hier eine HNO-ärztliche Arbeit von McDermott et al. [53] aus Columbus, Ohio, US genannt, die an
einer Kohorte von 168 Kindern mit orbitalen Komplikationen nach Chandler I bis
III ihre Ergebnisse zusammenfassten. Alle Patienten erhielten initial eine
intravenöse antibiotische Therapie. In der Regel wurde Ampicillin plus Sulbactam
verabreicht. Ca. die Hälfte der stationär behandelten Kinder litt an einer
intraorbitalen Inflammation (Chandler II). Bezogen auf die gesamte Kohorte war
nach erfolgloser medikamentöser Therapie eine Operation bei 49% der Patienten
erforderlich. In den Chandler I Fällen wurden letztendlich 30% der Kinder
operiert, ähnlich waren die Zahlen bei Chandler II mit 29% operierter Kinder.
Die Chandler III Fälle wurden fast alle operiert. Im Vergleich mit anderen
Publikationen wurde die Operationsindikation in der vorliegenden Arbeit eher
großzügig gestellt. Das Vorgehen ist im internationalen Vergleich nicht
einheitlich, so publizierten beispielsweise Santos et al. [46], Pädiater aus Portugal, eine Fallserie
mit 122 Fällen von Kindern mit Chandler I und II Komplikationen. Das
therapeutische Vorgehen bestand aus einer antibiotischen Therapie, in 16% der
Fälle wurden auch einmalig systemische Glukokortikosteroide verabreicht. Nur 2
Kinder wurden aufgrund einer Abszessentwicklung operiert. Obwohl die Daten
dieser exemplarisch genannten Studien divergent sind, lassen sich bei der
Sichtung der aktuellen Literatur trotzdem einheitliche Grundprinzipien der
Therapie orbitaler Komplikationen festlegen. Generell gilt, dass eine
stationäre, intravenöse Therapie auch bei beginnenden Fällen indiziert ist [54]. Hinzu kommen lokal abschwellende
Maßnahmen, dies kann auch eine Einmalgabe von Steroiden beinhalten. Bei Fällen
im Stadium Chandler I und II wird 48 Stunden nach Therapiebeginn eine
Reevaluation vorgenommen, im Falle einer raschen Progredienz unter Therapie
natürlich bereits vorher. Die Wahrscheinlichkeit einer Operationsindikation ist
für Chandler II höher als für Chandler I [55]. Letztgenannte Subgruppe kann in den meisten Fällen
ausschließlich konservativ behandelt werden [44]. Während vor ca. 15 Jahren und in den Jahren davor die
chirurgische Akuttherapie in fast der Hälfte der Fälle erfolgte, ist dies
heutzutage nur noch bei durchschnittlich 20% der Patienten der Fall [56]. In Fällen von Chandler III und höher
wird die OP-Indikation sofort gestellt. Die Daten in der Literatur zeigen, dass
Patienten in den Stadien III und höher von einer vorherigen ein- bis zweitägigen
konservativen Therapie in der Regel nicht profitieren, im Gegenteil ist das
Hinauszögern der Operation in diesen Fällen riskant [53]
[57]. Die Prognose ist bei adäquater Diagnosestellung und Therapie
gut, 95% der Fälle erreichen eine vollständige Ausheilung ohne Langzeitschäden
[58]. Auch wenn diese Daten sehr
positiv erscheinen, handelt es sich bei jeder orbitalen Komplikation (ab
Chandler II) um eine schwere Erkrankung, die nur durch konsequente stationäre
Therapie erfolgreich behandelt werden kann. Auch im Falle eines reinen
phlegmonösen Lidödem, also einer präorbitalen Manifestation (Chandler I) ist in
vielen Fällen eine stationäre Aufnahme zur intravenösen Therapie und Überwachung
des Verlaufs erforderlich. Selbst wenn die Prognose unter Berücksichtigung der
Therapieempfehlungen gut ist, kommt es in seltenen Fällen zu schweren und
bleibenden neurologischen Komplikationen wie einem dauerhaften Visusverlust,
einer Epilepsie sowie fokal neurologischen Ausfällen oder sogar zu Todesfällen
[59]. Die beste Möglichkeit zur
Verhinderung derartiger Verläufe und zur Verbesserung des Outcomes ist eine
frühzeitige und korrekte Diagnosestellung und eine adäquate interdisziplinäre
Therapie.
Chronische Rhinosinusitis bei Kindern
Zur chronische Rhinosinusitis (CRS) bei Erwachsenen liegen zahlreiche
epidemiologische Daten vor. In der Altersgruppe unter 18 ist dies hingegen nicht
der Fall, wenige Informationen findet man zudem zu weiter differenzierten
Alterssubgruppen wie zu Kindern unter 6 Jahren, unter 12 Jahren und zu
Jugendlichen. Der Hauptgrund für die schwache Datenlage liegt darin begründet,
dass eine klinische Abgrenzung zwischen einer echten CRS, dem klinischen Bild
einer Rachenmandelhyperplasie inklusive deren Folgeerkrankungen und einer
allergischen Rhinitis aufgrund der sich überschneidenden Symptomatik schwierig
ist. In der Versorgungslandschaft, die für die kindliche CRS neben den
HNO-Ärzten vor allem durch die niedergelassenen Kinderärzte und auch die
Allgemeinmedizin repräsentiert wird, gehört eine diagnostische starre oder
flexible Nasenendoskopie, die zur Differenzierung einer CRS hilfreich wäre,
nicht zur Routine. Dadurch ist die Diagnose einer kindlichen CRS in der Regel
eine klinische Ausschlussdiagnose. Diese Einschränkungen in der validen
Diagnosestellung müssen bei der Betrachtung sämtlicher Daten zur kindlichen CRS,
sowohl zur Epidemiologie als auch zur Diagnostik und zur Therapie, immer
berücksichtigt werden. Immunologisch unterscheidet sich die kindlich CRS von der
adulten Form. Während man bei Erwachsenen prädominant eine eosinophile
Entzündungsform vorfindet, ist die kindliche CRS in der Regel geprägt durch ein
nicht-eosinophiles, neutrophiles oder lymphozytäres Zellinfiltrat. Es existieren
natürlich trotzdem auch eosinophile Entzündungsmuster bei Kindern. Die
eosinophile CRS kann sich mit oder ohne Polypen manifestieren, oft als schwerere
Verlaufsform als die neutrophile Form und hat eine Assoziation zu Asthma
bronchiale und allergischer Rhinitis [60].
Zusammenfassend kann man bei Kindern die häufige neutrophile CRS unterscheiden
von der selteneren eosinophilen Form. Daneben sind die spezifischen CRS-Formen
wie die allergische Pilzsinusitis, die CRS im Rahmen einer Analgetikaintoleranz,
die CRS im Rahmen einer Primären Ziliendyskinesie und einer zystischen Fibrose
und die CRS im Kontext mit primären Immundefekten abzugrenzen [61].
Epidemiologie
Trotz aller Einschränkungen finden sich in der Literatur Publikationen zur
Erfassung der Prävalenz der CRS im Kindesalter. Eine Studie von Sidell et al.
[62] analysierte ein US-Register,
welches Daten zu ca. 42 Millionen Schulkindern beinhaltet. Die Diagnose einer
CRS wurde innerhalb des betrachteten Kollektivs bei 4% der Kinder, also bei 1,7
Millionen Individuen, dokumentiert. Diese Zahlen stellen zumindest einen
Richtwert dar, auch wenn man davon ausgehen muss, dass die Diagnose in der Regel
nicht auf der Basis von endoskopischen Untersuchungsmethoden gestellt wurde.
Interessant ist an dieser Stelle eine Studie aus Schweden. Hier wird ein
landesweites Programm genutzt, in dem initial ca. 4.000 Neugeborene
eingeschlossen wurden, die regelmäßig Fragebögen – unter anderem zu
Gesundheitsfragen – beantworten müssen (Swedish population-based birth cohort
Barn (Children), Allergy, Milieu, Stockholm Epidemiological Study (BAMSE)). 3112
16-Jährige nahmen an einer Fragebogenaktion teil, von denen 1,5%
Symptomkombinationen angaben, die nach den EPOS (European Position Paper on
Rhinosinusitis and Nasal Polyps) 2007-Kriterien auf eine CRS hinweisen können.
Die Diagnose wurde daraufhin über ein gezieltes Telefoninterview teilweise
validiert und schließlich über eine fachärztliche Nasenendoskopie verifiziert,
sodass am Ende 0,3% der Jugendlichen aus der Kohorte tatsächlich eine CRS hatten
[63]. Auch wenn die Daten zur CRS bei
Kindern und Jugendlichen wesentlich weniger akkurat erhoben werden und nur
indirekte Hinweise auf die Häufigkeit der CRS eruierbar sind, zeigt sich doch
ein Trend, dass die Erkrankung eine deutlich niedrigere Prävalenz zu haben
scheint als in der erwachsenen Bevölkerung. Nichtsdestotrotz sind die
Einschränkungen der Lebensqualität vergleichbar mit denen im
Erwachsenenalter.
Ätiologie
Bezüglich prädisponierender Faktoren stehen genetische Einflüsse und
Umwelteinflüsse einander gegenüber. Epidemiologische Studien zeigen klar, dass
sich die CRS familiär häuft und besonders häufig bei Verwandten ersten Grades zu
finden ist. Auch wenn an dieser Stelle wieder erwähnt werden muss, dass die
Diagnose mit hoher Wahrscheinlichkeit in einem signifikanten Prozentsatz falsch
positiv gestellt wurde, ist die festgestellte familiäre Häufung ein Indikator
für eine genetische Prädisposition [64].
Erste Untersuchungen zu genetischen Veränderungen bei Menschen mit CRS (Kinder
und Erwachsene) ergeben interessante Daten zu möglichen, mit der Erkrankung
assoziierten genetischen Varianten [65]
[66]. Hier bleibt allerdings
abzuwarten, ob sich zukünftig klare Mutationsmuster identifizieren lassen, die
im besten Fall prognostisch, diagnostisch oder therapeutisch genutzt werden
können. Anatomische Variationen im Inneren der Nase haben bei Erwachsenen einen
gewissen Einfluss auf die Entstehung und Aufrechterhaltung einer CRS. Diese
Variationen finden sich zwar auch bei Kindern, beispielsweise Conchae bullosae
oder vergrößerte Zellen im Agger nasi, die betroffenen Patienten leiden
allerdings nicht an einer CRS. Anatomische Varianten sind bei Kindern generell
seltener als bei Erwachsenen und finden sich, wenn überhaupt, bei älteren
Kindern oder Jugendlichen. Grund hierfür ist das erst im höheren Kindesalter
ausreifende Nasennebenhöhlensystem [67]
[68]. Neben den genetischen
Ursachen spielen Umweltfaktoren bei der Entstehung der CRS eine gewisse Rolle,
wobei sich nur vereinzelt nachvollziehbare Zusammenhänge nachweisen lassen.
Akute oder rezidivierende virale Infektionen könnten theoretisch zur Entstehung
einer CRS im Kindesalter beitragen. Durch die viralen oder bakteriellen
Infektionen kommt es zu Schleimhautödemen, Mukus-Mehrproduktion und -Retention
und dadurch Ostienobstruktion, wodurch ein Teufelskreis von sich selbst
aufrechterhaltenden Prozessen angestoßen wird. Obwohl der Pathomechanismus
nachvollziehbar wäre, wurde bis dato nie nachgewiesen, dass virale Infektionen
tatsächlich ursächlich für die CRS sind [61]. Die Exposition zu Tabakrauch schränkt nachweislich die
mukoziliäre Clearance und die epitheliale Regeneration ein. Passive oder aktive
Tabakrauch-Exposition stellt einen bekannten Risikofaktor für die Entstehung
einer CRS dar [69]. Auch wenn der
Zusammenhang zwischen Passivrauchen und der Rhinosinusitus vor allen für die
akute Form nachgewiesen wurde, ist anzunehmen, dass auch die Entstehung der
chronischen Rhinosinusitis im Zusammenhang mit Tabakrauch steht. Nachgewiesen
wurde zudem ein schlechteres postoperatives Ergebnis bei Kindern mit
Rauchexposition nach Nasennebenhöhlenoperation sowie höhere Rezidivraten und
schlechtere funktionelle Scores (schlechtere Lebensqualität, geringere
Symptomreduktion, schlechteres Riechen). Der fehlende eindeutige
pathophysiologische Nachweis eines Zusammenhangs zwischen Tabakrauch-Exposition
und der primären Entstehung einer CRS wird durch die Daten zur akuten
Verlaufsform und zur schlechteren Erfolgsrate der Standardtherapien bei
exponierten Kindern kompensiert [70]
[71]. Auch ein klarer Nachweis einer
ätiopathologischen Rolle der allergischen Rhinitis bei der Entstehung einer
kindlichen CRS ist bei exakter Sichtung der Literatur nicht zweifelsfrei
gegeben. Die Häufigkeit eines gemeinsamen Auftretens von CRS und allergischer
Rhinitis ist zweifelsohne vorhanden, oft auch im Zusammenhang mit einem
komorbiden Asthma bronchiale, allerdings spielt die allergische Rhinitis
andersherum betrachtet wahrscheinlich keine nachweisliche Rolle bei der
Entstehung der CRS [72]. Die Rolle
adenoider Vegetationen bei der Entstehung und der Persistenz einer CRS ist von
besonderem Interesse. Wie anfangs erwähnt, gibt es große Überscheidungen
zwischen den Folgeerkrankungen vergrößerter Adenoide und der CRS, sodass die
Krankheitsbilder klinisch teilweise schwer voneinander unterschieden werden
können. Ein gemeinsames Auftreten ist häufig. Mehrere Studien konnten zeigen,
dass die Symptome einer CRS nach Entfernung der Adenoide signifikant verbessert
werden, aber durch die Eigenständigkeit beider Erkrankungen auch nicht
vollständig verschwinden. Hierbei spielen die Adenoide wohl in erster Linie eine
Rolle als Keimreservoir [73]
[74]. Bei therapierefraktären
CRS-Erkrankungen im Kindesalter bzw. rasch wiederkehrenden Symptomen einer
akuten oder chronischen Rhinosinusitis muss ein angeborener Immundefekt
ausgeschlossen werden [75]. Die
Sonderformen der CRS im Zusammenhang mit einer zystischen Fibrose und einer
Primären Ziliendyskinesie werden in den entsprechenden Kapiteln dieses Referats
separat adressiert.
Diagnostik
Diagnostisch ist die Unterscheidung zwischen einer CRS und der rezidivierenden
akuten Form bzw. der allergischen Rhinosinusitis nicht einfach, teilweise nicht
möglich. Die Symptome wie nasale Obstruktion, chronische Mundatmung,
infektunabhängiges Schnarchen, rezidivierender Husten oder Riechstörungen sind
unspezifisch. Zudem werden gerade Riechstörungen von Kindern in der Regel nicht
registriert oder kommuniziert. Die diagnostischen Vorgehensweisen sind bei
Kindern identisch zu denen der Erwachsenen. Im Vordergrund stehen hier die
Anamneseerhebung sowie die klinische endoskopische Nasenuntersuchung. Zur
Verifizierung der Diagnose und zur Abgrenzung zu Symptomen einer
Adenoidhyperplasie ist diese besonders relevant. Über die Indikation und Art der
Bildgebung wird nach wie vor kontrovers diskutiert. Die Computertomografie und
die Magnetresonanztomografie eignen sich beide, um relevante Zusatzinformationen
zu erhalten, die die Diagnose einer CRS stützen. Im Falle von vermuteten
Komplikationen akuter Exazerbationen der CRS sind CT- oder/und
MRT-Untersuchungen ohne Frage indiziert. In diesen Fällen kann eine
CT-Bildgebung vor allem dann in Betracht gezogen werden, wenn orbitale
Komplikationen der Erkrankung im Raum stehen und abgeklärt werden müssen. Mehr
Aussagekraft bietet die MRT bei Befall des Orbitatrichters zur Evaluation einer
intrakraniellen Beteiligung oder einer Beteiligung des Sinus cavernosus [49]. Auch vor einer geplanten Operation ist
die Durchführung einer Bildgebung indiziert, meist erfolgt hierbei eine
Computertomografie. Eine möglichst geringe Strahlenexposition ist bei der
Diskussion zur Indikation und Art der Bildgebung ein relevanter Faktor. CT und
MRT sind allerdings auch nur einer von mehreren Bausteinen in der Diagnostik der
CRS und können alleinstehend die Diagnose nicht verifizieren [76]
[77]. Eine Allergietestung sollte bei Kindern mit CRS standardmäßig
vorgenommen werden, hier verweisen wir auf das entsprechende Kapitel dieses
Referats. Ein herkömmlicher Hauttest (Prick-Test) ist nicht altersgebunden,
sollte allerdings aus Compliance-Gründen bei Kindern unter 6 Jahren nicht
erfolgen. Riechteste können prinzipiell erfolgen, sind allerdings dadurch
erschwert, dass Kinder nicht selten die zu identifizierenden Riechstoffe noch
nicht kennen oder sie nicht verbalisieren können. Daher ist die Aussagekraft
eines Riechtests in den jüngeren Altersgruppen eingeschränkt [78]. Spezifische Ursachen wie eine
zystische Fibrose oder eine Primäre Ziliendyskinesie müssen bei Kindern mit CRS
sorgfältig ausgeschlossen werden.
Nicht chirurgische Therapie
Auch bezüglich der Therapie der kindlichen CRS ist die Datenlage in der Literatur
lückenhaft. Die medikamentöse Therapie steht im Vergleich zur Operation im
Vordergrund. Zum Einsatz von Antibiotika in der Therapie der CRS existieren nur
eingeschränkt brauchbare Daten. Trotzdem werden sie häufig eingesetzt. Die
EPOS-Gruppe fasst in ihren 2020 veröffentlichten Guidelines zu diesem Thema
zusammen, dass es placebo-kontrollierte prospektive Studien zur antimikrobiellen
Therapie der kindlichen CRS gibt. Allerdings erfolgten in den meisten Studien
zusätzlich zur oralen oder intravenösen antibiotischen Therapie auch
therapeutisch wirksame konservative Maßnahmen wie Nasenspülungen oder
Inhalationen, sodass der Effekt der antibiotischen Therapie alleine nicht
zweifelsfrei bewertet werden kann. Wie in Studien zur Therapie der CRS bei
Erwachsenen auch scheint die kurzfristige Gabe eines Antibiotikums lediglich
akute Exazerbationen abzufangen, auf den chronischen Prozess allerdings kaum
Effekte zu zeigen. EPOS postuliert dahingehend, dass eine kurzzeitige oder auch
langfristige (bis zu 4 Monate) orale Therapie mit Antibiotika keinerlei Effekte
auf die CRS zu haben scheint. Sie konnte sich in keiner doppelblinden
placebo-kontrollierten Studie als alleinige Therapie effizient abbilden, sondern
nur in Kombination mit anderen, ebenfalls wirksamen Maßnahmen. Dies gilt auch
für intravenöse Antibiotikatherapieansätze, die ausschließlich in kleinen
Studien untersucht wurden und zudem auch wieder durch zeitgleich durchgeführte
andere Maßnahmen wie Adenotomien oder parallele Kochsalzspülungen der
Kieferhöhle in ihrer Bewertbarkeit eingeschränkt sind [79]. Zusammenfassend gibt es derzeit keine
Evidenz für eine Wirksamkeit von kurz- oder langfristigen Antibiotikaschemata
(oral oder intravenös) bei der Behandlung von Kindern mit CRS. Allerdings sind
in jedem Fall weitere Studien erforderlich, um klare Aussagen zu dieser Thematik
treffen zu können. Da gerade die längerfristige Gabe von Antibiotika auch mit
einer Reihe von relevanten Nebenwirkungen einhergehen kann, wird diesbezüglich
zum aktuellen Zeitpunkt keine Empfehlung ausgesprochen. Ausgenommen sind hiervon
Kinder mit zystischer Fibrose oder Primärer Ziliendyskinesie, bei denen andere
Therapieschemata zum Einsatz kommen als bei CRS-Kindern ohne diese
Grunderkrankungen. Auch zur Anwendung intranasaler Steroide ist die Datenlage
bei Kindern bezüglich der Effektivität nicht einwandfrei. Sie gehören allerdings
ohne Zweifel zu einem festen Bestandteil sämtlicher Therapiealgorithmen bei der
Behandlung der CRS bei Kindern. Das Sicherheitsprofil von intranasalen Steroiden
ist nachgewiesenermaßen günstig, eine systemische Wirkung von Mometason konnte
sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern ausgeschlossen werden. Da bei
Erwachsenen nachweislich therapeutische Effekte von intranasalen Steroiden
vorhanden sind und diese auch Metaanalysen standhalten [80], können diese Ergebnisse mit hoher
Wahrscheinlichkeit auch auf kindliche Erkrankungen und Therapieschemata
extrapoliert werden. Aufgrund des günstigen Sicherheitsprofils und der hohen
Wahrscheinlichkeit einer vorhandenen Wirksamkeit werden intranasale Steroide in
jedem Fall als Standardtherapeutikum der kindlichen CRS empfohlen. Ohne Frage
sind auch systemische Steroide hoch wirksam [81], allerdings aufgrund ihres Nebenwirkungsprofils nur zurückhaltend
einzusetzen. Nasenspülung mit Kochsalzlösung sind in mehreren Studien als
effektiv evaluiert worden. In einer bereits älteren, aber formal einwandfreien
Studie erhielten 3- bis 16-jährige Patienten mit einer CRS Nasenspülungen mit
hypertoner und isotoner Kochsalzlösung. Einige wenige Patienten tolerierten die
Therapie aufgrund eines Nasenbrennens nicht. Die anderen Patienten tolerierten
die Therapie und profitierte klinisch davon. Beide Konzentrationen (0,9% und
3,5%) führten zu einer Reduktion der postnasalen Sekretion, aber nach Anwendung
hypertoner Kochsalzlösung kam es zu einem Rückgang der Verschattungen der
Kieferhöhle sowie zu einer Reduktion des Hustens [82]. Die Zugabe von Antibiotika zur
Nasenspülung erbringt keine relevanten Zusatzvorteile. Andere Studien konnten
ebenfalls eine Wirksamkeit von Kochsalzspülungen feststellen, in verschiedenen
Kombinationen und Darreichungsformen [83].
Kochsalzspülungen gehören weltweit zu den am häufigsten eingesetzten
Therapiemaßnahmen und haben sich aufgrund ihrer zuverlässigen Wirksamkeit als
feste konservative Therapiemaßnahme etabliert. Durchschnittlich geben bis zu 70%
der Patienten eine Symptomverbesserung und eine Verbesserung der Lebensqualität
unter Nasenspülungen an [84].
Chirurgische Therapie
Bei den chirurgischen Maßnahmen muss differenziert werden zwischen der Adenotomie
im Sinne eines Entfernens des Keimreservoirs (indirekte Sanierung) und der
funktionellen endoskopischen Nasennebenhöhlenoperation im Sinne einer direkten
Sanierung der Erkrankung. Generell wird eine Adenotomie als chirurgische
Erstlinientherapie zur Behandlung einer kindlichen CRS angesehen. Neben der
Verbesserung der Obstruktion der Nasenatmung wird auch das für die CRS relevante
Keimreservoir und die Biofilmformationen entfernt. An dieser Stelle muss erneut
auf die oft schwierige Differenzierung zwischen einer Adenoidhyperplasie und
einer CRS als Ursache einer entsprechenden Symptomatik hingewiesen werden sowie
auf die großen Überschneidungen im klinischen Erscheinungsbild beider
Erkrankungen. Da eine Adenotomie in jedem Fall als ein therapeutischer Schritt
bei der Behandlung der CRS angesehen werden kann, wird sie als wesentlich
kleinere chirurgische Maßnahme einer Nasennebenhöhlenoperation vorgeschaltet, um
im Anschluss die verbleibende Symptomatik der CRS neu zu beurteilen und das
Therapieschema zielgerichteter zu reevaluieren. Die American Academy of
Otolaryngology, Head and Neck Surgery AAO HNS empfiehlt in einem Konsensuspapier
eine Adenotomie als effektive Erstlinientherapie bei Kindern unter 12 Jahren mit
einer CRS. Bei älteren Kindern (13 Jahre und älter) konnte kein Konsensus
gefunden werden [85]
[86]. Die funktionelle endoskopische
Nasennebenhöhlenoperation kommt in der Regel dann zum Einsatz, wenn die
Adenotomie und/oder eine adäquate medikamentöse Therapie nicht zu einer
Verbesserung der Symptome geführt hat. Zur Effektivität der
Nasennebenhöhlenoperation bei Kindern existieren zahlreiche Studien. Einige
deuten darauf hin, dass eine Kombination aus medikamentöser Therapie und
Operation im Zehnjahresverlauf eine höhere Symptomkontrolle erwirkt als eine
alleinige medikamentöse Therapie [87]
[88]
[89]. Bei älteren Kindern ist die funktionelle
Nasennebenhöhlenoperation effektiver als eine Adenotomie alleine. Die
Erfolgsrate der funktionellen endoskopischen Nasennebenhöhlenoperation wird mit
knapp 90% in einem Übersichtsartikel als sehr hoch angesehen [90]. Während früher die Durchführung
sogenannter Second look Operationen zur Reinigung der Nasenhöhlen nach
Nasennebenhöhlenoperation nicht unüblich war, kommt diese Maßnahme zunehmend
außer Mode. Es konnte nicht gezeigt werden, dass eine Second look Operation zu
einer Reduktion der Revisionsraten führt [91].
Keilbeinhöhlenpathologien
Zu isolierten Keilbeinhöhlenpathologien wurden in den letzten Jahren immer wieder
kleine Fallserien veröffentlicht. Grund hierfür liegt sicherlich in der
Seltenheit dieser Pathologien und der verhältnismäßig großen Zahl an
Differenzialdiagnosen. In der Regel ist das Leitsymptom chronischer isolierter
Keilbeinhöhlenpathologien ein persistierender Kopfschmerz mit Projektion auf die
Schädelmitte. Aber auch andere, unspezifische Kopfschmerzlokalisationen sind
möglich. Weitere, ebenfalls unspezifische Symptome sind Nasenatmungsbehinderung,
Nasenbluten oder neu aufgetretenes Schnarchen [92]. Je nach Ausdehnung des Prozesses können auch Sehstörungen
auftreten. Bei akuten isolierten Keilbeinhöhlenpathologien ist die Symptomatik
häufig noch kombiniert mit Fieber und einem eingeschränkten Allgemeinzustand
[93]. Die häufigsten Ursachen für
chronische Keilbeinhöhlenprozesse sich chronische Entzündungen mit einem
isolierten Manifestationsmuster und deren Komplikationen wie Muko- oder
Pyozelen. Daneben finden sich auch eine Vielzahl an gut- und bösartigen
Neoplasien. Meningozelen oder Enzephalozelen treten im Kindesalter zwar häufiger
im Siebbeindach auf, sind aber auch in der Keilbeinhöhle zu finden [94]. Heutzutage erfolgt die Therapie fast
ausschließlich endonasal endoskopisch mit Eröffnung der Ostiums und Sanierung
des Prozesses bzw. Entnahme einer Biopsie im Falle eines Tumorverdachts. Sollten
Sehstörungen auftreten, muss eine Therapie sehr schnell eingeleitet werden zur
Verhinderung einer weiteren Verschlechterung. Manche Autoren berichten von einer
Erholung des Visus bei frühzeitiger Sanierung, zumindest bei akuten
Veränderungen. Die Therapiesequenz beginnt in der Regel mit einer Bildgebung zur
Abklärung kindlicher Kopfschmerzen oder anderer unspezifischer Symptome, bei der
die Keilbeinhöhlenverschattung als meist überraschender Befund zutage tritt.
Meist erfolgen zur Kopfschmerzabklärung Magnetresonanztomografien, welche zur
Eingrenzung der Nebenhöhlen-Pathologie die aussagekräftigste Technik darstellt.
Uneinigkeit besteht in der Frage nach einer zusätzlich erforderlichen
Computertomografie. Einige Autoren schlagen eine Ultra-low-dose CT vor. Im Falle
einer Visusstörung sollte notfallmäßig auf jeden Fall beides erfolgen, CT und
MRT. Die Minimalanforderung wäre hier ein CT, falls eine MRT in der
Notfallsituation nicht verfügbar sein sollte.
Im Fall von akuten Krankheitsverläufen liegen in der Regel entzündliche
Veränderungen vor. Diese werden daher primär antibiotisch behandelt. Sollten
neben Kopfschmerzen keine weiteren Symptome vorhanden sein, insbesondere keine
Visusstörungen, kann zunächst ausschließlich medikamentös therapiert werden.
Operative Vorgehensweisen sind in allen anderen Fällen unmittelbar oder bei
Versagen der ausschließlich konservativen Therapie indiziert. Die meisten
Pathologien in der kindlichen Keilbeinhöhle sind gutartige, in der Regel
entzündliche Veränderungen. Dies rechtfertigt ein zunächst minimal invasives
Vorgehen. Sollten – wie immer im Fall einer Meningo- oder Enzephalozele –
Defekte der Schädelbasis vorliegen, ist eine Rekonstruktion erforderlich, was in
der Keilbeinhöhle bekanntermaßen anspruchsvoll sein kann. Eine eindeutige
Exposition der Duradefektes ist Voraussetzung für eine Defektdeckung. Die
intradurale Einlage von zum Beispiel Faszie oder anderer Materialien ist optimal
als erster Schritt der Rekonstruktion mit anschließender mehrschichtiger
Abdeckung durch Fibrinmaterialien. Optimal ist die Auflage eines nasoseptalen
Lappens, auch bei Kindern. Immer wieder wurde Sorge geäußert, ob eine
ausgedehnte Nasennebenhöhlenoperation generell und insbesondere bei einseitigen
Operationen einen Einfluss auf das Schädel- und Gesichtswachstum von
Heranwachsenden haben könnte [95]. Dies
konnten Lee und Kollegen [96] nicht
bestätigen. Vielmehr führt der pathologische Prozess selbst zu einer Veränderung
der Pneumatisation und Anatomie [97].
Pädiatrische Allergologie
Rhinologisch-allergische Erkrankungen gehören zu den häufigen Erkrankungen in der
Pädiatrie und beeinflussen die Lebensqualität der betroffenen Kinder erheblich.
Obwohl die genaue Ursache für die allergische Erkrankung der Kinder nicht
vollständig geklärt ist, spielen genetische Veranlagung, Umweltfaktoren und
Veränderungen im Lebensstil eine wichtige Rolle. Wie bei Erwachsenen handelt es
sich dabei durchaus nicht „nur“ um eine Entzündung der Nasenschleimhäute,
sondern um eine systemische, immunologische Erkrankung mit vermehrt auftretenden
weiteren Autoimmunerkrankungen und multiplen Komorbiditäten.
Im Folgenden wird auf die bei Kindern abweichende klinische Manifestation
eingegangen und auf die oft von Eltern und Kindern gewünschte Minimaldiagnostik.
Bewusst geht dieses Kapitel im Rahmen eines kleinen Exkurses auf Komorbiditäten
der allergischen Rhinitis ein. Der HNO-Arzt ist nicht selten erste Anlaufstelle
für die Abklärung einer allergischen Rhinitis. Dabei ist die grobe Kenntnis
komorbider Erkrankungen notwendig, um die Anamnese zielgerichtet zu erweitern
und ggf. eine Weiterhandlung zu veranlassen. Daher wird das Organsystem der Nase
in diesem Kapitel teils verlassen, um zusätzlich kurz neue Therapieansätze beim
allergischen Asthma bronchiale und den Nahrungsmittelallergien abzuhandeln.
Klinische Manifestation allergischer Inhalationserkrankungen bei
Kindern
Eine korrekte Diagnose ist entscheidend für eine effektive Behandlung
rhinologisch-allergischer Erkrankungen bei Kindern. Kleinkinder bedürfen zur
Vermittlung ihrer Anamnese eines Erwachsenen. Kindern, die mit allergischen
Erkrankungen aufwachsen, fehlt häufig der Vergleich zu einem Leben mit einem
gesunden Atemwegssystem. Daher sollte der betreuende HNO-Arzt auf klinische
Manifestationen oder Erkrankungskombinationen achten, die auf das Vorliegen
einer Allergie hinweisen können und bei Vorliegen derartiger Symptome gezielt
eine allergologische Diagnostik ergänzen. Sämtliche Symptome sind unspezifisch
und treten ebenso bei nicht allergischen Kindern auf. Allerdings ist die
Persistenz der Symptomatik oder auch die Kombination aus vielen Symptomen
suggestiv für das Vorliegen einer zugrundeliegenden Allergie. Klinische Symptome
bzw. Diagnosen, die auf eine rhinologisch-allergische Grunderkrankung bei
Kindern hinweisen, sind (saisonale) Konjunktivitiden, eine atope Dermatitis,
rezidivierende Paukenergüsse mit konsekutiver Sprachentwicklungsverzögerung,
Rhonchopathie, obstruktive Schlafapnoe, chronische Mundatmung, Asthma
bronchiale, Infekthäufung, Sinusitiden ohne und mit orbitaler Komplikation sowie
rezidivierende Otitis media bei Schulkindern und Jugendlichen trotz vorab
durchgeführter Adenotomie. Allergisch erkrankte Familienangehörige machen eine
Erkrankung des betroffenen Kindes wahrscheinlicher. Die kumulative Inzidenz für
Pollensensibilisierung ist bei weiblichen Kindern von Eltern mit atopischen
Erkrankungen doppelt so hoch wie bei weiblichen Kindern von Eltern ohne
atopische Erkrankung. Bei den Jungen ist sie sogar fast dreimal so hoch [98]. Bei den genannten Diagnosen und/oder
positiver Familienanamnese für Allergien ist die Implementierung eines
allergischen Screenings entscheidend, um die evtl. zugrunde liegende allergische
Erkrankung frühzeitig zu erkennen und eine Chronifizierung zu verhindern. Ein
Versuch, auch jüngeren Kindern eine Symptombeschreibung mittels Analogskala zu
ermöglichen, wurde von EUFOREA ((European Forum for Research and Education in
Allergy and Airway Diseases), internationale Non-Profit Organisation mit
Schwerpunkt Forschung und Ausbildung, Patienteninformation bzgl. allergischer
und inhalativer Erkrankungen. https://www.euforea.eu/) [99] angeregt, siehe [Abb. 6].
Dies ermöglicht auch jüngeren Kindern bildlich ihre Symptome zu benennen, eine
für den Arzt wesentliche Zusatzinformation unabhängig von der Einschätzung der
Eltern.
Abb. 6 Analogskala für Kleinkinder zur Einstufung ihrer
Beschwerden nach EUFOREA. Quelle: Scadding GK, Smith PK, Blaiss M,
Roberts G, Hellings PW, Gevaert P, Mc Donald M, Sih T, Halken S,
Zieglmayer PU, Schmid-Grendelmeier P, Valovirta E, Pawankar R, Wahn U.
Allergic Rhinitis in Childhood and the New EUFOREA Algorithm. Front
Allergy 2021; 2: 706589. doi: 10.3389/falgy.2021.706589 [rerif]
Allergische Rhinitis bei Kindern: In Deutschland sind 37,1% der 3- bis
17-Jährigen gegen die Allergenmischung SX1 (Lieschgras, Roggen, Birke, Beifuß,
Katzen- und Hundeschuppen, Hausstaubmilben und dem Schimmelpilz Cladosporum)
sensibilisiert. Dabei sind Jungen (42,6%) zunächst häufiger betroffen als
Mädchen (31,3%). Diese Daten stammen aus der sogenannten KiGGS Welle 2 Studie,
einer Langzeitbeobachtungsstudie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in
Deutschland, die vom Robert-Koch-Institut durchgeführt wird [100]
[101]. Der prozentuale Anteil neuer Fälle mit allergischer Rhinitis
steigt zwischen dem Alter von 3 und 12 Jahren mit einer konstanten Rate von ≈ 2%
pro Jahr an (EUFOREA) [99]. Die KiGGS
Studie geht von 11% ärztlich diagnostizierten Kindern und Jugendlichen mit
Heuschnupfen aus. Die Tatsache, dass zwischen den ermittelten Sensibilisierungen
(37,1%) und den ärztlich diagnostizierten Patienten (11%) eine deutliche
Diskrepanz liegt, wird in der KiGGS Studie wenig hinterfragt. Anzuführen sind
hier die fehlenden nasalen Provokationstestungen, die unzureichende Ermittlung
von Allergenschwellen und nicht zuletzt die im Vergleich zu anderen europäischen
Ländern fehlenden Fachärzte für Allergologie in Deutschland. Letztendlich ist
somit die tatsächliche Anzahl von allergischen Kindern in Deutschland nicht
bekannt. Länderübergreifend zeigt sich allerdings eine seit den 1980er Jahren
ansteigende und in letzter Zeit in Deutschland stagnierende Prävalenz
respiratorischer Allergien [102]. Klinisch
unterscheiden sich Patienten mit „Heuschnupfen“, also Pollenallergiker, zumeist
von Patienten mit Milben- und Schimmelpilzallergien. Letztere werden im
Angelsächsischen als „Blockers“, sprich Patienten mit behinderter
Nasenluftpassage, bezeichnet während Pollenallergiker „sneezers and runners“
sind. Die weiteren Unterscheidungen in intermittierend-persistierende, milde und
mäßig/schwere allergische Rhinitis sind bekannt und es sei auf die fortlaufend
aktualisierten umfangreichen internationalen Leitlinien verwiesen [103]
[104].
Minimaldiagnostik von Inhalationsallergenen
Das Gesamt-IgE ist ein unspezifischer inflammatorische Marker, der bei
Th2-Entzündung aber auch Infektionen insbesondere mit Parasiten und
immunologischen Erkrankungen erhöht ist. Unauffällige Werte schließen eine
allergische Erkrankung nicht aus, aber die Relation des Gesamt-IgE zum
spezifischen IgE ist ein hilfreicher Parameter. Bei Patienten mit niedrigem
spezifischem IgE (sIgE) und niedrigem Gesamt-IgE können serologische
Allergieteste als falsch negativ eingeschätzt werden, wenn man das sIgE isoliert
betrachten würde [105]. „Blockers“, also
Patienten mit nasaler Obstruktion, nasaler Sprache, Tubenventilationsstörung und
Sprachentwicklungsverzögerung, sollten auf Sensibilisierungen/Allergien auf
Hausstaub- und Vorratsmilben, Schimmelpilze und Haustiere untersucht werden.
Dabei ist die Diagnostik auf das spezifische IgE im Gesamtextrakt sensitiver als
die Bestimmung der IgE-Spiegel gegen Majorallergenkomponenten und die Prick
Testung sensitiver als die serologische Untersuchung [106]. Zudem kommen kombinierte Hausstaub-
und Vorratsmilbensensibilisierungen häufiger vor als „nur“ isolierte
Hausstaubmilben- oder alleinige Vorratsmilbensensibilisierungen [107]. „Sneezers oder Runners“, also
Patienten mit wässriger Rhinitis, Nies- und Juckreiz, häufig mit saisonalen
Beschwerden, sollten neben der oben genannten Diagnostik ein erstes Screening
auf die häufigen Pollenallergene erhalten. In Deutschland sind neben den Gräsern
und Birken und ihren Verwandten (Hasel, Erle, Hainbuche, Eiche, Buche, usw.) vor
allem diagnostisch die Nicht-PR-10-verwandten Baumpollen abzugrenzen, zum
Beispiel die Esche und Platane, ggf. auch die Zypressengewächse als wichtige
Pollenallergene [108]. „Nieser und
Laufnasen“ werden im Gegensatz zu den Patienten mit behinderter Nasenluftpassage
zumeist frühzeitiger diagnostiziert, zumal diese auch begleitend häufig über
Juckreiz und konjunktivale Mitbeteiligungen klagen. Trotzdem wird die
allergische Rhinitis oft bagatellisiert und nur ca. zwei Drittel werden wegen
dieser Erkrankung einem Arzt vorgestellt [109]. Nur ca. 10% der Betroffenen werden adäquat behandelt [110]. Dies betrifft sowohl die
zeitintensive Aufklärung bezüglich einer erforderlichen Allergenreduzierung im
häuslichen Umfeld als auch die korrekte Anwendung von Nasensprays zur lokalen
Therapie mit nasalen Glukokortiokidsprays (z. B. zugelassen: Mometason ab 3 Lj.,
Fluticason ab 4 Lj., Kombipräparate bei saisonaler Rhinitis ab 12 Jahren z. B.
Dymista, Ryaltris). Laut Wartna et al. [111] ist eine bedarfsweise Medikation einer kontinuierlichen Therapie
bei Kindern vorzuziehen. Die einzige kurative Therapie, die
Allergen-Immuntherapie (AIT), die nachweislich zu einer Reduktion von
Asthmaentwicklungen führt, wird detailliert und mit gesundheitsökonomischer
Bewertung der Therapeutika in der aktuellen deutschen Leitlinie dargestellt
[112].
Vor Therapie ist eine kombinierte Diagnostik mittels kutaner und serologischer
Testung hilfreich, insbesondere vor oralen Immuntherapien (SLIT) sollten auch
die Allergenkomponenten bestimmt werden, um die korrekte AIT auszuwählen.
Gräser- oder Hausstaubmilbenallergiker können sehr komplexe
Sensibilisierungsmuster zeigen mit Majorallergenen, die nicht in allen
Präparaten enthalten sind. Zur ergänzenden oder alleinigen medikamentösen
Therapie der allergischen Rhinitis wird auf die oben genannten umfangreichen
internationalen, europäischen und die deutsche Leitlinie hingewiesen [113].
Komorbiditäten und neue Therapieansätze
Patienten, die an einer allergischen Rhinitis erkranken, zeigen gehäuft weitere
Komorbiditäten. Am bekanntesten sind die atopische Dermatitis und das
allergische Asthma bronchiale. Im Folgenden wird insbesondere auf die
Erkrankungen eingegangen, die neben dem Pädiater zumeist auch dem HNO-Arzt
vorgestellt werden, bevor weitere Fachdisziplinen konsultiert werden.
Allergisches Asthma bronchiale: Epidemiologische Untersuchungen zeigen, dass über
einen Beobachtungszeitraum von 10 Jahren etwa 40% der Patienten mit allergischer
Rhinitis ein Asthma bronchiale entwickeln. Auch dabei sind Jungen häufiger als
Mädchen betroffen. Besteht bereits ein Asthma bronchiale, so zeigen in dieser
Gruppe 60–70% auch eine allergische Rhinitis. Therapeutisch wird die
Allergen-Immuntherapie über alle Therapiestufen beim kontrollierten Asthma
bronchiale empfohlen, siehe aktualisierte Nationalen Versorgungsleitlinie Asthma
[114]. Da inhalative
Glukokortikosteroide (ICS) wie Fluticason, Beclometason und Budesonid in
klinischen Studien einen messbaren, wenn auch geringgradigen Effekt auf das
Längenwachstum haben, sollte immer die geringste Menge an ICS eingesetzt werden.
Anders als in der deutschen NVL (Nationalen Versorgungsleitlinie) werden
inhalative Steroide bereits bei geringer Symptomlast vom internationalen
Expertenforum der Global Initiative for Asthma GINA bereits bedarfsweise bei
Kindern unter 5 Jahren und ab 6 Jahren ggf. auch als Dauertherapie empfohlen
(GINA, 2022). Beim schwergradig persistierenden Asthma (Stufe 5 und 6) bestehen
Zulassungen für folgende Biologika: ab dem 6. Lebensjahr für Omalizumab
(monoklonaler Antikörper gegen humanes Immunglobulin E), Dupilumab (monoklonaler
Antikörper mit Blockade der Zytokine Interleukin-4 und Interleukin-13 durch
hemmende Bindung an die alpha-Kette des Interleukin-4 Rezeptors) und Mepolizumab
(monoklonaler Antikörper gegen Interleukin-5) und ab dem 12. Lebensjahr für
Tezepelumab (monoklonaler Antikörper gegen thymisches stromales Lymphopoietin).
Für die isolierte kindliche allergische Rhinitis ist keines der Präparate als
alleinige Therapie zugelassen, obschon diese mit der Komorbidität erfolgreich
mitbehandelt wird.
sIgE- und nicht-sIgE-vermittelte Nahrungsmittelallergien: Pädiatrische Patienten
entwickeln im Kleinkindalter selten sekundäre Nahrungsmittelallergien auf
Pollen, Kreuzallergien mit Symptomen eines oralen Allergiesyndroms kommen jedoch
vor. Deutlich häufiger sind primäre sIgE-vermittelte Nahrungsmittelallergien mit
Anaphylaxien. Diese können bei Kindern je nach Alter sehr unterschiedlich
verlaufen. Säuglinge und Kleinkinder neigen vermehrt zu Erbrechen, Husten und
Vigilanzminderung, während größere Kinder Prodromi zeigen können mit plötzlich
einsetzender Rhinitis, Husten, Heiserkeit, perioralem Juckreiz und/oder Jucken
in den Handinnenflächen oder Fußsohlen, zumeist schnell gefolgt von den
bekannten weiteren generalisierten Symptomen einer Anaphylaxie, Details siehe
aktualisierte Leitlinie Anaphylaxie [115].
Wichtige Anaphylaxie-auslösende Nahrungsmittel im Kleinkindalter sind u. a.
Kuhmilch und Ei. Anders als in der „Erwachsenen Allergologie“ verlieren sich
diese Nahrungsmittelallergien oft schon bis zum Schuleintritt, während in der
Kindheit auftretende Fisch- und Nussallergien meist bestehen bleiben. Bei den
Nüssen sind die Ursachen für schwerer verlaufende Anaphylaxien zumeist die
Speicherproteine. Wichtige Majorallergene der Speicherproteine für die
Diagnostik sind Erdnuss-Ara h 2, Cashew- Ana o 3, Haselnuss-Cor a 14 und Cor a
9, Walnuß-Jug r 1. Für Erdnüsse steht aktuell erstmalig eine zugelassene
kommerzielle orale Allergen-Immuntherapie (AIT) zur Verfügung ab dem 4. bis zum
17. Lebensjahr. Eine AIT für Kleinkinder (1–3 Jahre) befindet sich als epikutane
Anwendung in der Studienphase III. Die ersten Daten der epikutanen AIT sehen
vielversprechend aus [116]. Beide
Präparate sollen die Anaphylaxierate beim akzidentellen Verzehr von Spuren von
Erdnüssen bei Kindern senken. Ein komplikationsloser Verzehr von Erdnüssen
bleibt unerreicht.
Kinder und Jugendliche, die dem HNO-Arzt mit Dysphagien vorgestellt werden,
sollten auch an die Nicht-IgE-vermittelte eosinophile Ösophagitis (EoE) denken
lassen. Die EoE ist eine chronische immunvermittelte Erkrankung der Speiseröhre.
Ca. 2/3 der Patienten zeigen spezifisches sIgE auf Allergene ohne sicheren
Hinweis darauf, dass sich passend zu diesem spezifischen IgE auch eine klinische
Symptomatik manifestiert. Allerdings kann bei einem Drittel der Patienten (bei
Kindern häufiger als bei Erwachsenen) die Karenz von Kuhmilch und/oder anderen
primären Nahrungsmitteln wie Gluten-haltigem Getreide, Nüssen oder Eiern zur
Ausheilung der EoE führen. Neu aufgenommen in die deutsche AIT-Leitlinie ist die
Beobachtung, dass orale Immuntherapien zu einer Erstmanifestation einer EoE (ca.
2,7 %) führen können [117]. Als
Kontraindikation für eine sublinguale Immuntherapie (SLIT) gelten nun
entzündliche gastrointestinale, ebenso akute wie chronisch rezidivierende
Erkrankungen sowie offene Wunden der Mundhöhle. Seit der Erstbeschreibung der
EoE (1993) zeigt sich ein rasanter, 20-facher Inzidenzanstieg der EoE bei
Kindern mit einem ersten Manifestationsgipfel im Kleinkindalter (bis 3.
Lebensjahr) und dem zweiten Peak bei Jugendlichen. Jungen erkranken auch hier
zwei bis dreimal häufiger. Kleinkinder zeigen gehäuft Nahrungsverweigerung,
Erbrechen, Bauschmerzen und Gedeihstörungen während bei Jugendlichen die
Bolusimpaktion zwingend hinweisend ist. Oft besteht dann bereits eine längere
Klinik mit Dysphagie und adaptiven Strategien z. B. langem Kauen, reichlich
Trinken bei den Mahlzeiten usw. Die Diagnostik kann endoskopisch im Vollbild
charakteristisch sein (sog. Trachealisierung des Ösophagus), wird aber zumeist
histologisch gestellt (mindestens 6 Gewebeproben aus verschiedenen Abschnitten
des Ösophagus und der Nachweis von >15 Eosinophilen pro hochauflösendem
Gesichtsfeld). Therapeutisch werden, neben der Karenz von möglichen auslösenden
Nahrungsmitteln Protonenpumpeninhibitoren und topische Kortikosteroide (z. B.
orodispersibles Budesonid-Jorveza) eingesetzt. Ohne therapeutischen Nutzen
erwiesen sich anti-IL-5 (Mepolizumab, Reslizumab) und anti-IgE (Omalizumab).
Noch in der Studie befindet sich Dupilumab, was nach ersten Ergebnissen
therapeutisch von Nutzen sein kann [118].
Allergische Rhinitis und kognitive/psychische Störungen bei Kindern: Eine
Vielzahl von Studien belegen die Leistungsminderungen von Schülern, die unter
allergischen Symptomen leiden [119]
[120]
[121]
[122]. Aber auch die
Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) zeigt eine gehäufte
Komorbidität zur allergischen Rhinitis [123]. Schans et al. [124]
konnten in einer großen Metaanalyse zeigen, dass ADHS gehäuft bei atopischen
Erkrankungen beobachtet wird und dass die Wahrscheinlichkeit, an ADHS zu
erkranken, bei Allergikern im Vergleich zu Kontrollpersonen um 30 bis 50 % höher
ist. Dies galt nicht nur für Asthma bronchiale und atopische Ekzeme, sondern
auch alleinig für die allergische Rhinitis, wobei die Heterogenität der
Studiendaten bei den Rhinitis-Studien als erheblich gewertet wurde. Ob dies ein
sekundäres Phänomen ist oder ein kausaler Zusammenhang besteht ist unklar.
Vielfach untersuchte serologische Parameter waren uneindeutig, allerdings konnte
Gao et al. [125] in einer Pilotstudie an
einem kleinen Kollektiv erstmalig im funktionellen Neuroimaging in Ruhe
veränderte Hirnaktivitäten für Patienten mit allergischer Rhinitis im Vergleich
zu einer Kontrollgruppe nachweisen. Fuhrmann et al. [126] zeigen anhand einer AOK-Kohorte für
Deutschland mit 41.484 Kindern, dass Kinder, die in den ersten zwei Lebensjahren
Antihistaminika erhielten (N=5540), aber keine atopische Dermatitis zeigten, ein
um 35% erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines ADHS hatten. Kinder mit
atopischer Dermatitis und Antihistaminika zeigten sogar ein 47% erhöhtes Risiko,
später an ADHS zu erkranken. Die Autoren diskutieren kritisch, dass auch
Schlafstörungen und der Bedarf an Antihistaminika erste Anzeichen für das in dem
Alter noch nicht diagnostizierte ADHS sein könnten. Insgesamt aber wird die
frühe Gabe von Antihistaminika kritisch bewertet. Einschränkend muss darauf
hingewiesen werden, dass in den genannten Studien mehrheitlich Antihistaminika
der ersten Generation verordnet wurden, die derzeit nicht mehr empfohlen sind.
Es werden grundsätzlich Antihistaminika der zweiten Generation für Kinder
angeraten, da sie weniger liquorgängig sind, weniger den REM-Schlaf verkürzen
und weniger zentralnervöse Nebenwirkungen zeigen. Antihistaminika der zweiten
Generation mit der geringsten Gehirnpenetration sind Bilastin (zugelassen ab dem
sechsten Lebensjahr) und Fexofenadin (30mg zugelassen ab dem sechsten
Lebensjahr) [99].
Systemerkrankungen mit chronischer Sinusitis als Leitsymptom
Systemerkrankungen mit chronischer Sinusitis als Leitsymptom
Die Betreuung von Patienten mit zystischer Fibrose (CF) sowie Primärer
Ziliendyskinesie (PCD) gehört trotz der Seltenheit der beiden Krankheitsbilder zu
den Kernaufgaben des pädiatrisch orientierten HNO-Arztes. Beide Erkrankungen
erfordern bereits in der Diagnostik, aber auch im Verlauf in der Therapie ein hohes
Maß an Interdisziplinarität. Bei der Betreuung dieser Patienten ist eine enge
Absprache und eine optimal abgestimmte Logistik zwischen den beteiligten
Fachdisziplinen absolut erforderlich. Seitens der HNO-Heilkunde bedarf es eines
hohen Maßes an Verständnis für die Krankheitsbilder und die Komplexität der
betroffenen Patienten. Dies ist eine Grundvoraussetzung für die Entwicklung eines
Vertrauensverhältnisses zu den pädiatrischen Pulmologen und zum Aufbau einer
erfolgreichen interdisziplinären CF/PCD-Sprechstunde.
Management der Nasennebenhöhlen bei zystischer Fibrose
Die Erkrankung der zystischen Fibrose (auch Mukoviszidose, englisch: cystic
fibrosis, CF) wird verursacht durch biallele pathogenetische Varianten im CF
transmembrane conductance regulator (CFTR) Gen. Die daraus resultierende
Dysfunktion des CFTR betrifft neben den Epithelzellen der Lunge auch die
Schleimhäute des Genitaltrakts, des Gastrointestinaltrakts und der oberen
Atemwege einschließlich der Nasennebenhöhlen und der Mittelohren. Ein gestörter
Chloridtransport verursacht in den Nasennebenhöhlen eine eingeschränkte
mukoziliäre Clearance, wodurch es zu chronisch persistierenden und
exazerbierenden Infektionen und problematischen mikrobiotischen Besiedelungen
kommt. Formal sind die Nasennebenhöhlen bei jedem CF Patienten mitbetroffen, was
auch radiologisch nachvollziehbar ist. Das Krankheitsbild der mit der CF
assoziierten chronischen Rhinosinusitis (CF-CRS) ist aber in einer relevanten
Anzahl von Fällen überhaupt nicht oder zumindest nur wenig symptomatisch und
kann ein „Zufallsbefund“ im Rahmen einer kraniellen Bildgebung sein. Die
Zusammenhänge zwischen der Ausprägung der CF-CRS und der Lungendynamik der
Erkrankung ist nicht final geklärt, es wird aber vermutet, dass eine manifeste
CF-CRS sich auch negativ auf die Lungenfunktion auswirkt. Mit zunehmenden
Möglichkeiten der medikamentösen Therapien bei CF ergeben sich auch für die
betroffenen Patienten mit einer Nebenhöhlenmanifestation neue Algorithmen zur
Therapieabwägung zwischen konservativem Management und einer Operation.
Konservative Therapie
Die konservativen Verfahren zur Behandlung sinunasaler Probleme für Menschen mit
CF sind vielfältig, jedoch im Vergleich zur Therapie der Lungenerkrankung fehlen
qualitativ hochwertige Studien mit großen Fallzahlen [127]. Die folgende Aufzählung fasst die
gebräuchlichsten Ansätze zusammen [128]
[129]
[130]
[131]
[132]:
-
regelmäßige Spülungen der Nasengänge mit salzhaltigen Lösungen
-
sinunasale Inhalation mit isotoner und hypertoner NaCl-Lösung
-
Sinunasale Inhalation mit Dornase alfa
-
Topische Therapie, sinunasale Inhalation oder orale Therapie mit
Steroiden
-
Sinunasale Inhalation oder systemische Therapie mit Antibiotika
-
Therapie mit CFTR-Modulatoren
Zur sinunasalen Inhalation werden dabei bevorzugt Systeme mit gepulster Abgabe
von Inhalat wie dem Pari Sinus verwandt, um eine gute sinuidale Deposition
zu erreichen. In den vergangenen Jahren wurden eine Reihe sogenannter
CFTR-Modulatoren zur Therapie der zystischen Fibrose zugelassen, die sich
positiv auf die Lungenfunktion und das Körpergewicht sowie die Lebensqualität
auswirken.
Der erste dieser Modulatoren, der unter dem Substanznamen Ivacaftor verfügbar
wurde, erhöht die Öffnungswahrscheinlichkeit des CFTR-Kanals. Damit kann
Ivacaftor bei den Menschen mit CF wirken, die entweder zu wenige CFTR-Kanäle
haben und/oder eine zwar ausreichende Zahl eines jedoch funktionsgeminderten
Kanalproteins an der Zelloberfläche exprimieren. Die bekannteste Mutation, die
zu einer fast fehlenden Öffnungswahrscheinlichkeit des CFTR-Proteins führt, ist
G551D. Diese Mutation findet sich jedoch nur bei ca. 3% der
Betroffenen in Deutschland [133]. Eine
Therapie mit Ivacaftor senkt den Schweißchloridgehalt bei Menschen mit
G551D als Maß für die gestörte CFTR-Funktion deutlich, verbessert die
bei zystischer Fibrose reduzierte Einsekundenkapazität und erhöht das bei dieser
Erkrankung typischerweise niedrige Körpergewicht. In Bezug auf die Situation der
Nasen- und Nasennebenhöhlenmanifestationen der CF gibt es eine Reihe
ermutigender Berichte. So sahen Sheikh et al. [134] bei allen zwölf von ihnen untersuchten Patienten eine
Verbesserung der Veränderungen in den Nasennebenhöhlen durch Ivacaftor. In einer
prospektiven Multicenterstudie verbesserten sich die von den Betroffenen anhand
des Sino-Nasal Outcome Test (SNOT-22) erfragte Symptomatik nach Beginn einer
Ivacaftor-Therapie.
Die in Deutschland mit Abstand dominierende Mutation im CFTR-Gen ist
F508del, die ca. 85% der Betroffenen wenigstens auf einem Allel
tragen [133]. Diese Mutation führt zum
einen zu einer fehlerhaften Faltung und damit Tertiärstruktur des CFTR-Proteins,
welches daher im endoplasmatischen Retikulum abgebaut wird, bevor es die
Zelloberfläche erreicht. Zum anderen ist auch die Leitfähigkeit des Kanals bei
der F508del-Mutation gestört. Durch Substanzen, die die Faltung des
Proteins korrigierend beeinflussen wie Lumacaftor, Tezacaftor und Elexacaftor,
kombiniert mit Ivacaftor als Funktionsverstärker konnten auch für Menschen mit
F508del mehrere Modulator-basierte Therapeutika entwickelt werden.
Schon bei den bezüglich einer Verbesserung der Lungenfunktion nur mäßig
effektiven Kombination aus Lumacaftor und Ivacaftor zeigten sich positive
Effekte in der sinunasalen Bildgebung mittels MRT [135]
[136]. Die hocheffiziente Kombination aus Elexacaftor, Tezacaftor und
Ivacaftor konnte in einer Beobachtungsstudie an 34 Betroffenen im Alter zwischen
12 und 60 Jahren sogar in einigen Fällen eine Rückbildung nasaler Polypen
bewirken [137]. In einer weiteren Studie
von Beswick et al. [138] an 30 Betroffenen
verbesserte sich der Symptom-Score und ein CT-Score unter Therapie mit
Exelxacaftor, Tezocaftor und Ivacaftor.
Unsere persönlichen Erfahrungen mit dem Einsatz von CFTR-Modulatoren decken sich
im längeren Verlauf mit den oben beschriebenen Studienergebnissen. Allerdings
kann es bei Menschen mit CF und chronischer Rhinosinusitis insbesondere zu
Beginn einer Modulatortherapie zu einer verstärkten sinunasalen Sekretbildung
und -lösung kommen. Möglicherweise spielt diese Sekretbildung bei den
berichteten unerwünschten Ereignissen unter Modulatortherapie wie gehäuften
Kopfschmerzen und verstärkt verlegter Nasenatmung eine Rolle. Wir empfehlen den
Betroffenen mit sinunasaler Symptomatik daher, vor Beginn einer
Modulatortherapie die nasale Therapie zu optimieren und in den ersten Wochen
nach Start der Modulatortherapie konsequent weiterzuführen.
Chirurgische Sanierung der CF-CRS
In einer US-amerikanischen Datenbank wurde 50.000 Kinder unter 21 Jahren mit CF
erfasst, die 2003 bis 2016 eine stationäre Therapie aufgrund pulmonaler
Exazerbationen benötigten. Jedes fünfte Kind litt an einer klinisch manifesten,
also symptomatischen und damit therapiebedürftigen CF-CRS. In der Gesamtschau
über die 14 Beobachtungsjahre konnte festgestellt werden, dass die Inzidenz der
CF Patienten mit klinisch manifester CRS zunahm und 2016 bei ca. 25% lag. Die
Diagnose der CF-CRS wurde klinisch und radiologisch gestellt. Im Gegensatz dazu
war der Anteil der Patienten, die eine funktionelle Nasennebenhöhlenoperation
benötigte, rückläufig und belief sich in den letzten Jahren nur auf 11%. Es fiel
auf, dass vor allem Patienten mit Komorbiditäten (gastrointestinal, hepatisch,…)
eine Operationsindikation aufwiesen. In der Konsequenz ergibt sich der Bedarf
nach Studien, in denen analysiert werden muss, inwieweit CF Patienten mit
Komorbiditäten von einer Operation der Nasennebenhöhlen profitieren. Indirekt
kann aber auch festgehalten werden, dass eine CF-CRS nicht zwangsläufig
chirurgisch behandelt werden muss [139].
Eine weitere retrospektive Analyse aus den USA betrachtete eine Kohorte von ca.
11.500 Kindern unter 18 Jahren mit CF, die zwischen 2006 und 2015 in acht
verschiedenen US-Bundesstaaten ambulant oder stationär betreut worden sind.
18,7% der Patienten wurden mindestens einmal an den Nasennebenhöhlen operiert.
Die Indikation zur Operation wurde zwischen den acht eingeschlossenen
Krankenhäusern sehr unterschiedlich gestellt. Es gab keine klaren
Indikationskriterien, wann eine erste Operation und wann überhaupt eine
Operation sinnvoll erscheint. Umso mehr folgern die Autoren, dass eine bessere
Erfassung der Operationskriterien und final eine Festlegung einheitlicher
Indikationen erforderlich ist [140].
Hughes and Adil publizierten 2015 und 2021 [141]
[142] zwei Metaanalysen zur
Rolle der endoskopischen Nasennebenhöhlenoperation bei Patienten mit CF-CRS.
Hierbei wurden mehrere Reviews zusammengefasst. Die Autoren stellten fest, dass
die Nasennebenhöhlenoperation die sinunasale Symptomlast der Patienten deutlich
reduzieren kann und damit auch die Lebensqualität verbessert. Eine Reduktion von
erforderlichen i. v. Antibiotikagaben konnte nicht eindeutig gezeigt werden.
Ebenfalls nicht eindeutig waren die Effekte der Operation auf die
Erkrankungsmanifestationen der unteren Atemwege, die meisten eingeschlossenen
Studien zeigten keine Verbesserungen in den Lungenfunktionstests. Hingegen
fanden sich moderate Hinweise darauf, dass eine Nasennebenhöhlenoperation im
Nachgang einer Lungentransplantation bei Patienten mit einer CF-CRS mit oder
auch ohne Polypen einen klinischen Vorteil mit sich bringt. Gerade nach
ausgedehnten Operationen und postoperativ konsequenter Nasenspülung konnten die
Transplantat-Infektionen reduziert werden, es gab seltener Fälle einer
Bronchiolitis obliterans und in manchen Arbeiten sogar einen Überlebensvorteil
durch Pseudomonas-Eradikationen. In der Regel waren Patienten vor der
Lungentransplantation zu stark eingeschränkt in ihrer Lungenfunktion, sodass die
Nasennebenhöhlenoperation aufgrund des erhöhten Narkoserisikos nach der
Transplantation erfolgen musste. Umgekehrt wurden bei
Pseudomonas-Neubesiedelungen in transplantierten Lungen genetisch identische
Keime in Nase und Lunge nachgewiesen, was die Bedeutung der Nasennebenhöhlen als
Keimreservoir unterstreicht.
Aufgrund der kontroversen Datenlage zum Einfluss einer Nebenhöhlenoperation auf
die Lungenfunktion bei CF Patientin werden wiederholt Studien zu dieser Thematik
publiziert, so auch 2021 durch Kawai et al. Es wurden retrospektiv CF Patienten
im Kindes- und jungen Erwachsenenalter (Bereich zwischen 4 Jahren und 38 Jahren)
analysiert. Ziel war die Überprüfung, ob eine Operation sich positiv auf die
Lungenfunktion auswirken kann. Die Patienten wurden dazu eingeteilt in 3
Schweregrade in Relation zur prozentualen exspiratorischen Einsekundenkapazität
(%FEV1). Bei Werten über 70 % wurde die pulmonale Erkrankung als
leicht definiert, bei Werten unter 40% als schwer. Lag die FEV1
zwischen 40% und 70%, wurden diese Fälle als mittelschwer bezeichnet. Insgesamt
konnten 188 chirurgisch versorgte CF Patienten eingeschlossen werden, die sich
427 Operationen unterzogen hatten. Das mittlere Alter der Patienten zum
Zeitpunkt der ersten Nebenhöhlenoperation lag bei 13 Jahren, was mit den
epidemiologischen Daten vieler anderer Studien in der Literatur übereinstimmt.
Die Analyse ergab, dass es bei fast allen Patienten zu einer Verbesserung der
Lungenfunktion kam außer bei Patienten mit einer milden Erkrankung, die zu einer
besonders guten Subgruppe (FEV1 besser als 80%) gehörten. Bei den
schwer und mittelschwer Erkrankten ergab sich generalisiert eine Verbesserung
der FEV1 um 8% bzw. 3%, die im Schnitt bis zu 12 Monate gehalten
werden konnte. Bei den Patienten mit einer milden Lungenerkrankung, die eine
FEV1 zwischen 70% und 80% hatten, konnte ebenfalls eine
Verbesserung der FEV1 um 7%-Punkte festgestellt werden. Diese Studie
konnte damit zeigen, dass die Indikation zur Operation nicht nur zur
Verminderung nasaler Symptome wie Rhinorrhoe, Obstruktion, Riechstörung und
Druckgefühl führen kann sondern auch als Werkzeug zur zumindest mittelfristigen
Verbesserung der Lungenfunktion eingesetzt werden kann [143]. Die Studie ist zudem deshalb
erwähnenswert, da die hohen Fallzahlen eine statische Bewertung der an sich
kleinen FEV1-Unterschiede zuließen.
Eine italienische Arbeitsgruppe analysierte das Auftreten von Mukozelen bei
Patienten mit CF-CRS. Die retrospektive Analyse umfasst 34 Patienten mit 53
Mukozelen in einem Erfassungszeitraum zwischen 2004 und 2020. Die Mukozelen
konnten durch endoskopische HNO-ärztliche Untersuchungen in den meisten Fällen
korrekt vermutet werden und wurden durch eine Bildgebung final bestätigt. Der
Großteil der Mukozelen betraf die Kieferhöhle, nur selten das Siebbein oder die
Keilbeinhöhle. Alle Patienten erhielten eine Operation, es wurden keine
Komplikationen vermerkt und alle Patienten profitierten von der Operation im
Sinne eines rezidivfreien Verlaufs bei einer durchschnittlichen
Nachbeobachtungszeit von 85 Monaten. Die Autoren wiesen darauf hin, dass
Mukozelen als Komplikation einer CF-CRS keine Seltenheit sind und dass man über
endoskopische Untersuchungen mit einem hohen Sicherheitsgrad Mukozelen screenen
kann [144].
Immer wieder wird die Frage diskutiert, ob nach einer funktionellen
Nasennebenhöhlenoperation bei CF-CRS ein sogenannter Second Look Eingriff mit
Debridement von Wundbelägen, Durchtrennungen von Synechien und Entfernung von
Sekretverhalt sinnvoll ist. Dies kann gerade bei Kindern sinnvoll erscheinen, da
eine endoskopische postoperative Nasenpflege nicht so gut toleriert wird wie
durch Erwachsene und das Operationsergebnis durch eine entsprechend fachgerechte
Nachsorge positiv beeinflusst werden kann. Eine Arbeitsgruppe um Z. M. Helmen
ging in einer systematischen Studie dieser Frage nach. In einer retrospektiven
Analyse wurden zwischen 2013 und 2016 61 Nasennebenhöhlen-Operationen bei
pädiatrischen CF-CRS Patienten analysiert. Hierbei wurde in 38 Fällen ein Second
Look durchgeführt, durchschnittlich nach ca. 3 Wochen. Die präoperative Schwere
der Polypenmanifestation im Rahmen der CRS wurde anhand des Lund Mackay Scores
beurteilt und war in beiden Gruppen (mit und ohne Second Look) gleich. Damit
kann man von vergleichbaren Ausgangssituationen zwischen den beiden beobachteten
Gruppen ausgehen. Die perioperative Gabe von systemischen Steroiden und das
Ausmaß der Operation war bei allen Patienten einheitlich, es gab keine
Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. Bei dem Second Look Eingriff fanden
sich Synechien (26%), Residualpolypen (23%) und rasche Re-Stenosierungen der
Kieferhöhlen-Ostien (8%). Es gab keine Unterschiede zwischen beiden Gruppen
hinsichtlich der Notwendigkeit und des Zeitpunktes bis zur Gabe von Antibiotika
aufgrund erneuter Exazerbationen der CRS nach der Operation. Allerdings kam es
bei den Patienten ohne Second Look früher zu einer erneuten pulmonalen
Exazerbation. In den Revisionsraten und den Zeitabständen bis zur Revision
zeigten sich ebenfalls zwischen den Gruppen keine signifikanten Unterschiede.
Zusammenfassend bleibt der Nutzen einer Second Look Intervention nach
Nasennebenhöhlenoperation bei CF-CRS unklar, da in den meisten
Vergleichsparametern keine Vorteile der Prozedur gesehen, aber zumindest ein
positiver Effekt auf die Lungenfunktion festgestellt werden konnte. Auch aus
diesen Ergebnissen kann man erneut indirekt folgern, dass die Überlegungen zur
Operationsindikation mögliche pulmonale Verbesserungen einbeziehen muss [145].
Da CFTR-Mutationen die Entwicklung und Ausreifung der Nasennebenhöhlen-Belüftung
beeinflussen können, ist bei Erwachsenen CF-Patienten potentiell mit einer
veränderten Mittelgesichtsanatomie zu rechnen, die auch Auswirkungen auf eine
potentiell erforderliche Operation und die Komplikationsrate haben könnte.
Maggiore et al. untersuchten diese Hypothese in einer retrospektiven
Fall-Kontroll-Studie. Sie verglichen CT-Bilder von 103 erwachsenen CRS-Patienten
mit CF mit 100 CRS-Patienten ohne CF, die sich einer Nasennebenhöhlenoperation
unterziehen mussten. Dabei wurde festgestellt, dass sich die Anatomie in der CF
Gruppe dahingehend unterschied, dass die Riechrinne durchschnittlich weniger
tief ins Siebbein ragte und auch die supraorbitale Pneumatisation geringer
ausgeprägt war. Die Autoren erklären diesen Tatbestand dadurch, dass die
Ausreifung der Nebenhöhlenbelüftung im Jugendalter auch abhängig ist von einer
kontinuierlichen Luftzufuhr des Bereichs und im CF Kollektiv somit die
Ausdehnung der lufthaltigen Räume im Mittelgesicht im Vergleich vermindert ist.
Die Tiefe der Riechrinne wird hierbei als Ausdruck einer Pneumatisation des
Recessus frontalis interpretiert. Obwohl die CF-Patienten im Schnitt ausgiebiger
operiert wurden als die Nicht-CF-Patienten, kam es zu keiner erhöhten Rate an
Komplikationen wie einer Riechrinnenverletzung mit Liquorrhoe oder orbitaler
Komplikationen durch Verletzungen der Lamina papyracea [146].
Im Rahmen einer deutschen Studie wurde ein MRT-Screening bei 67 Vorschulkindern
mit CF durchgeführt, um die Entwicklung der Nasennebenhöhlen und die Prävalenz
von krankheitsspezifischen Veränderungen im Vergleich zu einer an den
Nebenhöhlen gesunden Kontrollgruppe von 30 Kindern zu untersuchen. In der
CF-Gruppe waren die Kinder 2,3 Jahre alt, in der Kontrollgruppe 3,5 Jahre. In
der Studie wurde festgestellt, dass es keine Unterschiede zwischen den
Dimensionen und der Pneumatisation der Nasennebenhöhlen zwischen beiden Gruppen
gab. Im Vergleich zu der oben genannten Studie von Maggiore et al. an
Erwachsenen zeigen sich in diesem jungen Alter noch keine Veränderungen in der
Anatomie, aber es ist zu erwarten, dass sich diese erst bei der Ausreifung der
Nebenhöhlen im frühen Jugendalter entwickeln. Allerdings konnten über das MRT
diverse Pathologien in der CF-Gruppe identifiziert werden. Dazu gehörten
Schleimhautschwellungen (83%), Mukopyozelen (75%), Polypen (26%) und
Deformationen der Kieferhöhlenwandung (68%). Die Autoren schließen, dass eine
Routine MRT Untersuchung bei CF-Kindern eine wertvolle Zusatzinformation zum
Krankheitsgeschehen ohne Strahlenbelastung liefern kann und gerade bei
zukünftigen Studiendesigns berücksichtigt werden sollte [147].
Guidelines
Die Cystic Fibrosis Foundation (CFF) publizierte 2022 Leitlinien zur
HNO-ärztlichen Betreuung von CF-Kindern. Generell war das Evidenzlevel der zur
Verfügung stehenden Literatur nicht sonderlich hoch. Dahingehend gibt das
Komitee lediglich Empfehlungen ab. In der Sprechstundenlogistik sind die
Maßgaben der CFF zu beachten. Zur Verhinderung von Kreuzinfektionen sollten die
CF-Patienten in den Wartebereichen möglichst keinen Kontakt zu anderen Patienten
mit resistenten Keimen haben, zum Beispiel zu anderen CF-Kindern. Erreicht
werden kann dies zum Beispiel über sehr kurze Aufenthaltsdauern in den
Wartezonen, durch das Tragen von Mund-Nase-Bedeckungen, durch eine Flächen- und
Raumdesinfektion in den Untersuchungszentren oder durch das Tragen von
Handschuhen. Neben dem Screening der klinischen Relevanz der CF-CRS muss auch
regelmäßig ein otologischer und audiologischer Status erhoben werden. Zur
Erfassung der subjektiven Schwere der Erkrankungen der Nasennebenhöhlen sollte
man sich strukturierter Fragebögen bedienen. Inwieweit und zu welchem Zeitpunkt
eine Nasennebenhöhlenbildgebung erfolgen soll, und welche Art der Bildgebung
dies sein soll, wird nicht adressiert. Zur medikamentösen Basistherapie bei
CF-CRS gehören Kochsalzspülungen, deren Wirksamkeit solide belegt ist. Komorbide
Allergien müssen gezielt identifiziert und behandelt werden. Die endoskopische
Nasennebenhöhlenoperation hat einen festen Stellenwert bei therapierefraktärer
CF-CRS unter suffizienten konservativen Maßnahmen. Hier unterscheidet sich das
Vorgehen prinzipiell trotzdem von non-CF-CRS Patienten, bei denen zwar auch die
medikamentösen Therapieansätze vor einer Operationsindikation stehen, bei denen
aber der pulmonale Status im Gegensatz zur CF eine geringere Rolle spielt, wenn
es um die Entscheidung zur Operation geht. Eine perioperative
Vernebelungstherapie mit zum Beispiel Dornase alfa oder hypertoner
Kochsalzlösung sollte konsequent erfolgen, um das perioperative
Entzündungsgeschehen in den Schleimhäuten der Nasennebenhöhlen möglichst gering
zu halten. Während bei CRS-Patienten ohne CF der Benefit einer präoperativen
kurzzeitigen Steroidtherapie belegt ist [148]
[149], ist die Studienlage
bei CF-CRS hier nicht ausreichend, um eine entsprechende Empfehlung
auszusprechen. Auch sind die Autoren der Guideline sich einig, dass zum jetzigen
Zeitpunkt die Datenlage zu den Zusammenhängen zwischen einer
Nasennebenhöhlenoperation und der Lungenfunktion noch zu kontrovers ist, um die
Indikation zur OP allein aus pulmonalen Gründen zu rechtfertigen. Zumindest
sollten keine operativen Eingriffe ohne Vorliegen nasaler Beschwerden erfolgen.
Auch Routine-Adenotomien oder der Einsatz von Ballonkathetern für die
Ostienerweiterung der Nasennebenhöhlen werden nicht empfohlen [150].
Updates zur Primären Ziliendyskinesie
Neben der zystischen Fibrose ist die Primäre Ziliendyskinesie (PCD) eine weitere
genetische Erkrankung, bei der die chronische Rhinosinusitis zu den wesentlichen
Symptomen zählt. Die PCD ist autosomal rezessiv vererbt und hat als klinische
Leitsymptome das sog. Neonatal Respiratory Distress Syndrome (Neugeborenen
Atemwegssyndrom), einen Situs inversus, rezidivierende Mittelohrentzündungen,
chronischen Husten und eine chronische Nasennebenhöhlenentzündung. Im
Kindesalter entstehen Bronchiektasen, die gemeinsam mit der chronischen
Bronchitis den Krankheitsverlauf federführend bestimmen [151]. Durch die inzwischen über 40
bekannten Mutationen entstehen verschiedene Defekte in der Ultrastruktur der
Zilien, die zu unterschiedlichen Veränderungen in der Funktion der Zilien führen
[152]. Neben vollkommen bewegungslosen
Zilien finden sich auch Manifestationen mit hyper- oder hypomotilem Zilienschlag
(veränderte Schlagfrequenz) oder mit unkoordinierter Zilienbewegung (verändertes
Schlagmuster) [153]. Gemeinsam ist ein
insuffizienter mukoziliärer Transport, worüber sich die Krankheitssymptome
herleiten. Die Diagnostik der PCD ist komplex, weswegen die Erkrankung häufig zu
spät diagnostiziert wird und auch von einer gewissen Dunkelziffer an nicht
korrekt diagnostizierten PCD-Patienten auszugehen ist [154]. Die Diagnostik orientiert sich an
klinischen Scores, deren Kombination zur Verdachtsdiagnose einer PCD führen
sollten. Weit verbreitet ist das nasale NO-Screening. Erniedrigte Werte haben in
Kombination mit einem pathologischen klinischen PICADAR (PrImary CiliAry
DyskinesiA Rule) Score eine hohe Bedeutung als Screening Test für die PCD bei
Erwachsenen mit unklaren Bronchiektasen [155]. Weiterhin zählt die Untersuchung der Zilien-Ultrastruktur in
der Transmissionselektronenmikroskopie zur weiterführenden Diagnostik ([Abb. 7]). Allerdings gibt es auch
PCD-Formen mit normalem Zilienzytoskelett. Ein weiterer Diagnostikbaustein ist
die Hochgeschwindigkeits-Videomikroskopie zur Identifikation der Schlagfrequenz
und des Schlagmusters, welche ein hohes Maß an Erfahrung erfordert. Jüngere
Forschung untersucht hierbei den experimentellen Einsatz von
patientenindividuellen 3D-in vitro Nasenschleimhautmodellen zum
langfristigen Screening der Motilitätsstörung und der Austestung individueller
konservativer Therapieansätze [156]. Seit
Jahren gewinnt die genetische Diagnostik zunehmend an Bedeutung. Viele
Gendefekte konnten bereits mit korrespondierenden Defekten in der Ultrastruktur
(Defekte an den inneren und/oder äußeren Dyneinarmen oder im zentralen
Mikrotubuluspaar) in Verbindung gebracht werden. Literaturberichten zufolge sind
Genmutationen von DNAH5, DNAH11, DNAL1 und DNAI1 mit
Defekten der äußeren Dyneinarme verbunden, Genmutationen von RSPH9,
RSPH4, RSPH3 und RSPH1 sind mit Defekten der
Radialachsen vergesellschaftet. Mutationen in den Genen CCDC164,
CCDC65 und GAS8 sind hingegen mir Defekten des
Dynein-Regulationskomplexes verbunden, wobei die Ultrastruktur der Zilien völlig
normal erscheint. HYDIN kodiert für ein zentrales einzelnes Tubulin statt
eines Mikrotubuluspaares. Der Vorteil von Gentests besteht darin, dass sie
sicher, zuverlässig und je nach Organisationsstruktur der diagnostizierenden
Institution auch schnell sind, der Nachteil besteht jedoch darin, dass sie hohe
technische Anforderungen erfordern und hohe Kosten implizieren [157]
[158]
[159]. Sie zählen jetzt
bereits zu den Bausteinen der PCD-Diagnostik und werden in Zukunft trotz der
genannten Hürden bei fallenden Preisen an Bedeutung gewinnen.
Abb. 7 Transmissionselektronenmikroskopie bei Primärer
Ziliendyskinesie: Fehlende innere Dyneinarme und partiell vorhandene
äußere Dyneinarme, regelrechtes zentrales Mikrotubuluspaar.
Juvenile Nasenrachen-Angiofibrome
Juvenile Nasenrachen-Angiofibrome
Juvenile Nasenrachen-Angiofibrome (JNA) können eine therapeutische Herausforderung
darstellen. Bei optimaler Vorbereitung ist die chirurgische Sanierung in vielen
Fällen problemlos möglich. Voraussetzung für die adäquate und patientensichere
Betreuung ist ein hohes Maß an chirurgischer Erfahrung, insbesondere bei der
Identifikation komplizierter Fälle. Die Kenntnis der eigenen chirurgische Grenzen
sowie der Limitationen der Kompetenz des gesamten betreuenden Teams muss gegeben
sein.
Entstehung
JNA sind sehr seltene, gutartige, fibrovaskuläre Tumoren, die fast ausschließlich
bei männlichen Jugendlichen auftreten, am häufigsten zwischen dem 9. und 19.
Lebensjahr [160]. In der Literatur
existieren Fallberichte über JNA-Fälle bei weiblichen Jugendlichen, diese sind
allerdings äußerst selten, möglicherweise sogar kritisch zu hinterfragen [161]. Die Inzidenz von JNA beträgt ca.
1:150.000 [162]. Sie machen nur 0,5% aller
Kopf-Hals-Neoplasien aus und sind damit eine seltene Entität. Die
Ursprungslokalisation von JNA ist nach wie vor umstritten. Sicher entstehen JNA
nicht im Nasopharynx selbst, weswegen der Name der Erkrankung eigentlich
inkorrekt ist. Vielmehr scheint der Ursprung der JNA entweder im Foramen
sphenopalatinum an der Grenze zwischen dem Prozessus sphenoidale des Gaumens und
dem Pterygoidfortsatz oder im Pterygoidkanal zu liegen [163]. Durch ihr osteodestruktives
Wachstumsverhalten und die kritische Lokalisation der Raumforderungen sowie die
durch starke Vaskularisation bedingten möglichen Blutungskomplikationen handelt
es sich trotz des gutartigen Charakters um potentiell problematische Tumoren.
Die Ursache der Entstehung von JNA ist nach wie vor Gegenstand kontroverser
Diskussion. Auf der einen Seite wird angenommen, dass es sich bei JNA um echte
Neoplasien handelt, deren histologischer Ursprung allerdings umstritten ist. Es
bleibt unklar, ob es sich um eine vasoproliferative oder stromale
Zellproliferation handelt. Die hohe Expression von Geschlechtshormonrezeptoren
legt eine histologische Ähnlichkeit mit erektilem Gewebe nahe [164]. Auf der anderen Seite gehen andere
Autoren davon aus, dass eine Involutionsstörung im Sinne einer Gefäßfehlbildung
vorliegt, die durch eine fehlende Rückbildung arterieller Residuen des ersten
Kiemenbogens entsteht und durch hormonelle und genetische Einflüsse einen
Proliferationsreiz erhält. Es existieren keine Berichte in der Literatur zu
einem gehäuften familiären Auftreten von JNA. Auch wenn die publizierten Daten
meist nur wenige Fälle beschreiben, weist nichts auf eine vererbte Erkrankung
hin, sodass man genetisch am ehesten von somatischen und nicht von
Keimbahnmutationen ausgehen kann [165].
Die Zusammenhänge des JNA-Wachstums mit dem Hormonstatus sind ausgiebig
untersucht worden. Erhöhte Spiegel von Progesteron und Östradiol wurden in
Gewebebiopsien von JNA nachgewiesen, nicht aber Testosteron [166]. Zum Hormonrezeptorstatus gibt es
ebenfalls zahlreiche Publikationen, aber mit differierenden Ergebnissen. So
bleibt unklar, ob eher die Androgen- oder die Östrogenrezeptoren dominieren
[167]. Zudem scheint P450 Aromatase
eine hohe Aktivität in JNA zu haben, ein Enzym, das Androgene in Östrogene
umwandelt [168]. Eine eindeutige
Korrelation von JNA mit einer spezifischen hormonellen, genetischen oder
molekularen Veränderung konnte bis dato nicht gefunden werden. Auffällig bleiben
das typische Alter und die Prädominanz zum männlichen Geschlecht, das schnelle
Wachstum und die Möglichkeit einer spontanen Regression im Erwachsenenalter.
Doody und Kollegen [167] stellen in einer
Literaturübersicht zur Genetik und zur Molekularpathologie von JNA fest, dass
trotz sehr niedriger publizierter Fallzahlen VEGF (Vascular endothelial growth
factor) und der Wnt/β-Catenin Pathway zum aktuellen Zeitpunkt die
vielversprechendsten Targets für zukünftige Systemtherapien sein könnten.
Therapie
Der Goldstandard der Therapie besteht in der kompletten Entfernung der
Raumforderung, ggf. mit präoperativer Embolisation oder anderen neoadjuvanten
Maßnahmen. Eine davon ist die orale Gabe von Flutamid. Hierbei handelt es sich
um eine antiandrogene Substanz mit antineoplastischen Eigenschaften. Flutamid
bindet an den Androgenrezeptor und wird üblicherweise zur Therapie des
fortgeschrittenen Prostatakarzinoms eingesetzt. Die antineoplastische Wirkung
beruht auf der Inhibition der durch Testosteron stimulierten DNA-Synthese. Die
Datenlage zum Einsatz von Flutamid in der präoperativen Phase vor Tumorresektion
von JNA ist umschrieben, kritisch betrachtet existiert keine ausreichende
Evidenz zu den Indikationen, zur Effektivität oder zur Verträglichkeit beim
Einsatz des Medikaments bei Jugendlichen oder jungen Erwachsenen. In einem
Übersichtsartikel von Sitenga et al. [169]
werden Arbeiten zur präoperativen Flutamidgabe bei JNA zusammengefasst. Dabei
ergab sich ein gemischtes Ansprechen der Tumoren auf das Antiandrogen, wobei
tendenziell eher die kleinen Tumore eine Größenreduktion zeigten und die
älteren, postpubertären Patienten besser ansprachen als die präpubertären. Eine
allgemeine Empfehlung zur Gabe kann daher nicht abgegeben werden, Flutamid
stellt aber zumindest eine zu berücksichtigende Option bei der neoadjuvanten
Therapie dar. Die Frage nach dem Benefit einer präoperativen Embolisation und
der dazu erforderlichen Technik muss letztendlich in prospektiven Studien
untersucht werden, aber zum jetzigen Zeitpunkt kann man bereits sagen, dass eine
Embolisation im Rahmen einer Tumordirektpunktion vorteilhaft gegenüber einer
transarteriellen Embolisation zu sein scheint. Dies drückt sich in einer
niedrigeren Rezidivrate aus, was letztendlich indirekt für eine höhere Rate an
kompletten Entfernungen sprechen könnte. Zudem war die Tumordirektpunktion
verbunden mit einer niedrigeren Komplikationsrate. Generell war die Rate an
Rezidiven bei Patienten mit embolisierten Raumforderungen, egal in welcher
Technik die Embolisation erfolgt war, geringer als bei Fällen ohne eine
Vorbehandlung. Die Embolisation wirkt sich auch positiv auf die Operationszeit
und den Blutverlust aus [170]. Neben den
positiven Effekten auf den Blutverlust und die Übersichtlichkeit während der
Operation werden bei der Angiografie selbst natürlich auch die Verhältnisse der
Gefäßarchitektur dargestellt. Dies gibt Auskunft über potentiell zu versorgende
Gefäßzuflüsse, kritische Lokalisationen des Tumors (die Gefäßversorgung
betreffend) und kann damit auch Einfluss haben auf die Wahl des Zugangswegs oder
andere operative Schritte [171]. Während
vor einigen Jahren noch offene chirurgische Zugangswege und eine mikroskopische
Tumorentfernung über einen Mundvorhofzugang oder ein (modifiziertes) Midfacial
degloving eher üblich waren, bevorzugt man heutzutage eher den endonasalen,
endoskopischen Zugangsweg. Die Vorteile liegen in der deutlich besseren
Visualisierung der teils ausgedehnten Tumoren und einen durch den weniger
invasiven Zugangsweg bedingten reduzierten Blutverlust ([Abb. 8]). In Kombination mit einer
präoperativen Embolisation sind beim endoskopischen Vorgehen kaum mehr
Bluttransfusionen erforderlich [172].
Abb. 8 Juveniles Nasenrachen-Angiofibrom links bei einem
17-jährigen männlichen Patienten, MRT-Bildgebung in axialer Schnittebene
präoperativ und 6 Monate postoperativ.