Schmerzmedizin
Interdisziplinäre Diagnose- und Behandlungsstrategien
Christoph Maier, Ulrike Bingel, Esther Pogatzki-Zahn (Hrsg.): Schmerzmedizin. Interdisziplinäre Diagnose- und Behandlungsstrategien. München: Elsevier, 2024. 672 Seiten, gebunden, 97,00 Euro, ISBN 9783437215452
Seitdem sich die Schmerztherapie in den 1990er-Jahren zunehmend als eigenständige medizinische Disziplin etabliert hat, ist eine Fülle von Lehrbüchern zur Schmerztherapie erschienen, deren Bandbreite extrem groß ist. Dass dieses Buch über Schmerzmedizin jetzt schon in der 6. Auflage erscheint, spricht für seine Qualität und Konzeption. Dieses Buch adressiert die Schmerzmedizin als Ganzes und ganzheitlich interdisziplinär und zielt somit dorthin, wo der stärkste Fort- und Weiterbildungsbedarf besteht.
Dieses Buch ist quasi eine Monografie über das gesamte klinische Spektrum der Schmerzmedizin, erstellt von zahlreichen Expertinnen und Experten aus allen Bereichen. Es richtet sich somit nicht an Interessierte für ein einzelnes Gebiet der Schmerzmedizin, sondern an diejenigen, die sich entweder in der Schmerztherapie formal weiterbilden möchten bis hin zur Erlangung der Zusatzbezeichnung oder an diejenigen, die über ihren klinischen Tellerrand hinaus sich für die Behandlung von Menschen mit akuten und chronischen Schmerzen interessieren.
Mehr noch als ähnliche Lehrbücher ist dieses Buch klinisch orientiert, wobei die Pathophysiologie und die neuesten Forschungserkenntnisse nicht allgemein dargestellt werden, sondern immer in Bezug auf die einzelnen Schmerzsyndrome. Lediglich die diagnostischen apparativen Verfahren werden übergeordnet dargestellt. Im Bereich der therapeutischen Methoden kommt es insofern zu einer gewissen Doppelung, als einzelne Therapieverfahren sowohl unter den jeweiligen Schmerzsyndromen als auch in einem eigenständigen Abschnitt dieses Buches tiefergehend abgehandelt werden. Es handelt sich hierbei aber nicht um eine Redundanz, sondern um eine sinnvolle didaktische Notwendigkeit. Es geht nämlich zum einen um die Indikationsstellung und die sachgemäße Anwendung von Therapieverfahren und zum anderen um das Erlernen von Techniken und das tiefergehende Wissen über Medikamente und andere Therapieverfahren.
In dieser Auflage sind die modernen Entwicklungen der Schmerzmedizin berücksichtigt. Hierzu gehört z. B. die Diskussion um den Stellenwert von Cannabis in der Schmerztherapie. Neue Themengebiete wie viszerale Schmerzen und metabolische Schmerzen wurden neu aufgenommen. Besondere Zielgruppen der Schmerztherapie und Senioren, Kinder, Schwangere und Stillende werden eigenständig adressiert, die Kapitel sind entsprechend angepasst worden.
Dieses Buch bleibt ein Standardwerk für die genannte Adressatengruppe. Für Studierende ist es zu speziell, für Experten in einzelnen Fachgebieten zu allgemein. Somit richtet es sich gerade an die große Zahl unserer Kolleginnen und Kollegen, die sich schmerzmedizinisch fort- oder weiterbilden möchten.
Stefan Evers, Coppenbrügge
Psychiatrie als Beziehungsmedizin
Thomas Fuchs: Psychiatrie als Beziehungsmedizin. Ein ökologisches Paradigma. Stuttgart: Kohlhammer, 2023. 17 Abbildungen, 221 Seiten, kartoniert, 31,00 Euro, ISBN 9783170368453
In seinem neuen Werk „Psychiatrie als Beziehungsmedizin“ bietet Prof. Thomas Fuchs, renommierter Psychiater und Philosoph aus Heidelberg, eine innovative Weiterentwicklung des biopsychosozialen Modells an. Dieses Buch ist ein Muss für jeden Kliniker, der die Komplexität der menschlichen Psyche aus einer ganzheitlichen Perspektive verstehen möchte. Fuchs gelingt es auf hervorragender Weise, die Brücke zwischen philosophischen Theorien und klinischer Praxis zu schlagen und dabei eine neue Sichtweise auf die Psychiatrie zu präsentieren.
Zentral in diesem Buch ist das Konzept der 5-E Cognition: auf Deutsch übersetzt stehen die „E“ für folgende Facetten der Kognition: verkörpert, enaktiv, ausgedehnt, eingebettet und emotiv. Diese 5 Dimensionen erweitern das traditionelle biopsychosoziale Modell, indem sie die Wechselwirkungen zwischen Körper, Geist und Umwelt in den Fokus rücken. Fuchs argumentiert überzeugend, dass psychische Erkrankungen nicht isoliert in einem einzelnen Organismus entstehen, sondern in komplexen, dynamischen Beziehungen zwischen Individuum und Umwelt. Ein wesentlicher Aspekt, den Fuchs hervorhebt, ist die zirkuläre Kausalität. Anstatt lineare Ursache-Wirkung-Beziehungen, die in der Medizin üblich sind, zeigt er auf, wie psychische Zustände und soziale Interaktionen sich gegenseitig beeinflussen und verstärken. Dieses Modell eröffnet neue Perspektiven für die Diagnostik und Therapie psychischer Störungen, indem es die dynamischen Beziehungen betont. Anhand von Fallbeispielen illustriert Fuchs, wie die Konzepte der 5-E Cognition und die zirkuläre Kausalität in der klinischen Praxis angewendet werden können.
Fuchs Schreibstil ist klar und prägnant, und das Buch mit knapp 200 Seiten sehr überschaubar, was die Lektüre auch für Leser ohne tiefgehende philosophische Vorkenntnisse zugänglich macht. Er versteht es, ohne Vereinfachung komplexe Theorien anschaulich und verständlich zu vermitteln. Dies macht „Psychiatrie als Beziehungsmedizin“ zu einer wertvollen Ressource für Kliniker, die ihre Praxis auf eine fundierte und ganzheitliche Grundlage stellen möchten. Insgesamt handelt es sich um ein bereicherndes Werk für die Psychiatrie, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Es lädt die Leser ein, über die traditionellen Grenzen der Disziplin hinauszudenken und die Psyche als dynamisches Beziehungsphänomen zu erkunden.
Prisca Bauer, Freiburg