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DOI: 10.1055/a-2208-1622
Imagepflege mit „linientreuen“ Ausländern (Ehrenmitgliedschaften Teil 4)
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Als sich die seinerzeitige Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie (DGG) im Oktober 1933 in Berlin zu ihrem ersten Kongress im Nationalsozialismus traf, hatte sich der damalige Vorsitzende Walter Stoeckel[1] bestens mit den neuen Machthabern arrangiert und die „Gleichschaltung“ der Gesellschaft faktisch schon vollzogen. Wunschgemäß grenzte er in seiner von völkischer Diktion geprägten Eröffnungsrede die jüdischen Mitglieder aus, die er als „beklagenswerte Opfer“ einer zur Gesundung des deutschen Volkes notwendigen Härte bezeichnete. Zusätzlich hatte Stoeckel ganz im Sinne der Machthaber eine Sitzung zu den Zwangssterilisationen nach dem im Juli des Jahres verabschiedeten Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (GzVeN) ins Programm aufgenommen. Sie sollte ebenso wie eine thematisch analoge Veranstaltung beim Folgekongress 1935 der wissenschaftlichen Legitimierung dieser Maßnahmen dienen.
Diese Politisierung der DGG wurde von den meisten Mitgliedern, wenn nicht zustimmend, so doch weitgehend schweigend zur Kenntnis genommen. Zumindest ein Teil der Ausländer unter ihnen äußerte aber auch Unbehagen. Zwei Schweizer kehrten der DGG deshalb explizit „aus Protest gegen unsere Gleichschaltung“ bzw. mit Hinweis auf die eigene „weltanschauliche Haltung“ den Rücken. Damit teilte sich dem Vorstand unmissverständlich mit, dass hier für das Ansehen der Gesellschaft und die gewünschte Internationalität Gefahren lauerten.
August Mayer, der als Präsident den Kongress von 1935 ausrichtete, sprach deshalb entsprechende Warnungen aus und hatte bei seinen Kongressvorbereitungen stets mögliche negative Auswirkungen der Programmgestaltung auf „das Ausland“ im Auge. Außerdem wurde in der Folge u. a. der erweiterte Vorstand auf bis zu 11 Mitglieder vergrößert, um „das Ausland auch genügend berücksichtigen zu können.“ Kriterien für die Berufung in das Gremium waren „politische Zuverlässigkeit“ und Übereinstimmung in Leitfragen der Erbgesundheitspolitik [1].
Publication History
Article published online:
08 February 2024
© 2024. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
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