ergopraxis 2024; 17(03): 46-48
DOI: 10.1055/a-2212-2021
Perspektiven

Plötzlich Chefin – Rollenwechsel zur Führungskraft

Lisa Holtmeier
 

So ein Rollenwechsel steckt voller Herausforderungen, Veränderungen und Chancen für das gesamte Team. Diese Transformation geht weit über eine bloße Neuregelung der Aufgaben hinaus. Sie ist von tiefgreifenden Veränderungen in der Rollenidentität, der Interaktion mit dem Team und der Übernahme neuer Verantwortlichkeiten geprägt. Erfahren Sie, wie dieser Wandel erfolgreich gestaltet werden kann.


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Wenn aus einer Mitarbeiterin plötzlich eine Führungskraft wird, ist dieser Rollenwechsel für alle in der Praxis Chance und Herausforderung zugleich. Quelle: © S. Schaaf/Thieme

Immer häufiger entscheiden sich Unternehmen für eine Führungsperson „aus den eigenen Reihen“. Insbesondere im Gesundheitswesen ist dieser Schritt nicht unüblich, denn er dient unter anderem auch der Bindung von Mitarbeitenden. So eine Beförderung hat einige Vorteile, dazu gehören:

Vertrautheit mit dem Team und den Prozessen

Kolleg*innen, die Führungspersonen werden, kennen die Teammitglieder, Arbeitsprozesse und die Unternehmenskultur. Dieses Insiderwissen kann dabei helfen, einen reibungslosen Übergang zu gewährleisten und die Einarbeitungszeit in die neue Position zu verkürzen.

Motivation und Vertrauen im Team

Werden Kolleg*innen zu Führungspersonen, kann dies das Vertrauen und die Motivation im Team stärken. Die Mitarbeitenden könnten sich besser verstanden und unterstützt fühlen, da die neue Führungskraft ihre Bedürfnisse und Herausforderungen aus eigener Erfahrung kennt. Und es fällt vielen Mitarbeitenden leichter, sich einer bekannten Person anzuvertrauen.

Kontinuität und Stabilität

Eine interne Beförderung schafft oft mehr Kontinuität und Stabilität im Team. Bestehende Beziehungen bleiben erhalten, was die Zusammenarbeit und den Arbeitsfluss erleichtert.

Kenntnis der Stärken und Schwächen des Teams

Eine Führungsperson aus dem Kreis der Kolleg*innen kennt meist die Stärken und Schwächen des Teams und kann dieses Wissen nutzen, um die Teamleistung zu optimieren und gezielt Entwicklungsmaßnahmen einzuleiten.

Ein solcher Rollenwechsel hält aber auch Herausforderungen bereit. Wenn Sie diese kennen, können Sie gezielt gegensteuern und entsprechende Strategien entwickeln. Zu den wichtigsten Herausforderungen gehören:

Veränderung der Beziehungsdynamik

Der Rollenwechsel kann die Beziehungsdynamik zu ehemaligen Kolleg*innen verändern. Es könnte schwierig sein, eine Balance zwischen der neuen Rolle als Führungsperson und der Aufrechterhaltung von Beziehungen zu finden, die zuvor auf Gleichheit basierten. Neid und Skepsis könnten der neuen Führungsperson begegnen. Auch wenn es im Gesundheitswesen oft keine großen Hierarchien gibt, ist dieser Wechsel dennoch nicht zu unterschätzen. Auch die Teammitglieder brauchen etwas Zeit für diese Umgewöhnung.

Vertrauensverlust oder Konflikte

Manchmal kann es zu Vertrauensverlust oder Konflikten kommen, wenn Teammitglieder das Gefühl haben, dass ehemalige Kolleg*innen möglicherweise parteiisch sind oder ihnen gegenüber strenger sind als gegenüber anderen. In vereinzelten Fällen kommt es dann zu der Frage: „Auf welcher Seite stehst du eigentlich?“ Das kann eine frischgebackene Führungsperson sehr herausfordern.

Neue Verantwortlichkeiten und Stress

Der Rollenwechsel bringt andere Verantwortlichkeiten, Erwartungen und einen höheren Arbeitsdruck mit sich. Bisherige Aufgaben müssen abgegeben werden, damit durch zu viele Aufgaben die Gesundheit nicht leidet. Die neue Führungsperson muss möglicherweise schnell lernen, mit anderen Tätigkeiten und hohen Erwartungen umzugehen. Mit einem solchen Rollenwechsel sind oft auch Hoffnungen aufseiten der Teammitglieder verbunden.

Isolation oder Distanzierung

Es kann sein, dass sich das Team von ehemaligen Kolleg*innen distanziert, weil die Teammitglieder der Ansicht sind, dass die neue Führungsperson nicht mehr dazugehört. Das kann eine emotionale Belastung für diese sein und ihrerseits zu einer Distanzierung führen. Dadurch wiederum kann sich das Team bestätigt oder vielleicht auch zurückgewiesen fühlen. In der Folge entstehen oft unangenehme zwischenmenschliche Konflikte.

Unsicherheit über die neue Rolle

Ehemalige Kolleg*innen können unsicher über die Erwartungen oder Anforderungen der neuen Führungsrolle sein und sich möglicherweise überfordert fühlen. Manche frischgebackenen Führungspersonen neigen dazu, es allen recht machen zu wollen und zu beweisen, dass sie die Richtigen für diese Rolle sind. Dieser rasante Start führt oft zu Überforderung und Überlastung.

10 Tipps für einen gelungenen Rollenwechsel

① SELBSTREFLEXION

Wie möchten Sie führen? Was macht für Sie eine „gute“ Führungsperson aus? Wie kann es Ihnen gelingen, eine solche „gute“ Führungsperson zu werden?

Einer der wichtigsten Skills einer Führungsperson ist die Selbstreflexion. Lernen Sie Ihre Stärken und Schwächen kennen. Machen Sie sich bewusst, woran Sie noch arbeiten möchten und was Sie schon gut können. Selbstreflexion schafft innere Klarheit und diese unterstützt Sie dann in der Kommunikation mit dem Team. Das wiederum führt zu mehr Vertrauen.


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② AKTIV WERDEN

Warten Sie nicht darauf, dass ehemalige Kolleg*innen auf Sie zukommen. Suchen Sie aktiv nach Kontakt und Gespräch, das schafft Vertrauen, kann Missverständnisse sofort aus dem Weg räumen und bietet eine wichtige Grundlage für die weitere Zusammenarbeit.


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③ KOMMUNIKATION

Studien betonen die Bedeutung von effektiver Kommunikation und Beziehungsmanagement während des Rollenwechsels. Ein erfolgreicher Wechsel erfordert klare und offene Kommunikation sowie die Entwicklung neuer Beziehungen und Arbeitsdynamiken. Bleiben Sie mit dem Team in Kontakt. Nehmen Sie die Teammitglieder mit in diesen Veränderungsprozess. Sprechen Sie offen über Erwartungen, Wünsche, Veränderungen und Sorgen. Stärken Sie Ihre Beziehungen zum Team, indem Sie sich für deren Belange interessieren, zuhören und Unterstützung anbieten.


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④ Zuhören und informieren

Zu Beginn der Rolle als neue Führungsperson ist das Zuhören und Informieren von entscheidender Bedeutung. Diese Fähigkeiten geben Ihnen die Möglichkeit, den Puls des Teams zu erfassen, Bedürfnisse zu verstehen und Vertrauen aufzubauen. Durch aktives Zuhören kann die Führungskraft wertvolle Einblicke gewinnen, die es ermöglichen, die Herausforderungen, Bedenken und Ideen der Teammitglieder zu verstehen. Dieses Verständnis wiederum stärkt die Beziehung zum Team und fördert eine offene Kommunikationskultur.


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⑤ AUTHENTISCH UND VORBILD SEIN

Authentizität und Vorbild zu sein sind grundlegende Fähigkeiten, die eine neue Führungsperson benötigt, um Vertrauen aufzubauen und eine positive Unternehmenskultur zu etablieren. Indem die Führungskraft authentisch ist und ihre Werte und Überzeugungen klar kommuniziert, schafft sie Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit, die für eine starke Beziehung zum Team unabdingbar sind. Vorbild zu sein bedeutet, dass die eigenen Werte und Verhaltensweisen kongruent zueinander sind.


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⑥ GEDULDIG SEIN

Geduld ist ein entscheidender Skill für eine neue Führungsperson, da sie in der Lage sein muss, langfristige Ergebnisse zu sehen, diese aufzubauen und dabei geduldig mit sich selbst zu sein. Der Übergang vom Teammitglied zur Führungskraft erfordert Zeit, Anpassung und Lernprozesse – sowohl für die Führungskraft als auch für das Team. Geduld ermöglicht es, Veränderungen zu managen und mit den individuellen Entwicklungen der Teammitglieder umzugehen. Sie erlaubt es der Führungsperson, in schwierigen Situationen Ruhe zu bewahren.

Durch Geduld wird auch Vertrauen aufgebaut, da ein geduldiges Verhalten zeigt, dass die Führungskraft sich um die langfristige Entwicklung und das Wohlbefinden ihres Teams kümmert, anstatt sich von kurzfristigen Herausforderungen entmutigen zu lassen. Auch die eigene Entwicklung als Führungsperson braucht Geduld.


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⑦ FÜHREN SIE SICH SELBST

Mit Selbstführung ist gemeint, dass Sie die eigene Arbeitsweise, Ihre Zielsetzung und den eigenen Energiehaushalt managen. Indem Sie als Führungskraft Ihre Zeit effektiv einteilen, Prioritäten setzen und sich selbst motivieren, können Sie ein Vorbild fürs Team sein. Selbstführung bedeutet auch, sich selbst zu reflektieren, auf sich selbst Acht zu geben, ständig zu lernen und sich persönliche Entwicklungsziele zu setzen.


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⑧ SELBSTFÜRSORGE UND SELBSTEMPATHIE

Selbstfürsorge ist ein essenzieller Skill für eine neue Führungsperson, denn sie hilft dabei, die eigene mentale, physische und emotionale Gesundheit zu erhalten. Der Rollenwechsel bringt neue Herausforderungen und Verantwortlichkeiten mit sich, die oft mit einem höheren Stresslevel einhergehen können. Selbstfürsorge ermöglicht es Führungspersonen, sich um ihre eigenen Bedürfnisse zu kümmern, um auf lange Sicht effektiv für ihr Team da sein zu können. Dies beinhaltet das Setzen von Grenzen, den Ausgleich zwischen Arbeit und Freizeit und den Zugang zu Unterstützung.

Wenn Sie die Herausforderungen kennen, die ein Rollenwechsel im Team mit sich bringt, können Sie gezielt gegensteuern.


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⑨ FEEDBACK EINHOLEN

Feedback einzuholen ist wichtig für eine neue Führungsperson, da dies ihr ermöglicht, kontinuierlich zu lernen und sich zu verbessern. Durch das aktive Einholen von Feedback von Teammitgliedern und Vorgesetzten erhält die Führungskraft wertvolle Einblicke in ihre Leistung, ihre Führungsqualitäten und ihre Arbeitsweise. Dieses Feedback bietet eine Möglichkeit zur Selbstreflexion und versetzt die Führungskraft in die Lage, ihre Stärken zu stärken und an Schwächen zu arbeiten. Darüber hinaus demonstriert das Einholen von Feedback Offenheit und Engagement für eine kontinuierliche Verbesserung, was das Vertrauen der Mitarbeitenden stärken und eine offene Kommunikationskultur fördern kann. Somit ist das Einholen von Feedback ein wesentlicher Bestandteil des Lernprozesses.

⑩ Lernen und sich weiterentwickeln

Führen darf und muss man lernen! Nur weil Sie Führungsperson sind, heißt es nicht automatisch, dass Sie das sofort können (müssen). Es gibt inzwischen sehr viele gute Bücher und Weiterbildungen zum Themenspektrum „Leadership“. Dieser Prozess kann Ihnen dabei helfen, Ihren ganz eigenen, authentischen Führungsstil zu finden oder zu entwickeln.

Gute Führung bedeutet kontinuierliches Lernen und Weiterentwickeln. Sie werden nachhaltig, beruflich und persönlich davon profitieren. Bleiben Sie am Ball!


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Gute Reise!

Der Übergang von vertrauten Kolleg*innen zu Führungspersonen ist eine transformative Reise, die Herausforderungen, Lernmöglichkeiten und Chancen mit sich bringt. Auf dieser Reise geht es nicht nur um den Erwerb neuer Fähigkeiten, sondern auch um die Entwicklung einer neuen Rolle und die Gestaltung einer authentischen Führung. Es erfordert Geduld, Anpassungsfähigkeit und den Willen, sich kontinuierlich weiterzuentwickeln. Die Erfahrungen, die eine neue Führungsperson in diesem Prozess sammelt, sind von unschätzbarem Wert, da sie nicht nur ihre eigene Entwicklung vorantreiben, sondern auch eine positive Veränderung für das gesamte Team und die Praxis, Klinik oder Einrichtung bewirken können. Ich wünsche Ihnen eine gute Reise!

Lisa Holtmeier


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Lisa Holtmeier ist Ergotherapeutin BSc, Gründerin von WORDSEED, Kommunikationscoach und Podcasterin. Sie hält Vorträge, gibt Fortbildungen und coacht Praxen im Bereich der internen und externen gesunden Kommunikation. Kommunikation wird in ihrer Arbeit als betriebliche Gesundheitsförderung eingesetzt. WORDSEED: Worte säen – Gesundheit, Zufriedenheit und Motivation ernten. E-Mail: durchstarter@wordseed.de

Publication History

Article published online:
01 March 2024

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Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

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Lisa Holtmeier ist Ergotherapeutin BSc, Gründerin von WORDSEED, Kommunikationscoach und Podcasterin. Sie hält Vorträge, gibt Fortbildungen und coacht Praxen im Bereich der internen und externen gesunden Kommunikation. Kommunikation wird in ihrer Arbeit als betriebliche Gesundheitsförderung eingesetzt. WORDSEED: Worte säen – Gesundheit, Zufriedenheit und Motivation ernten. E-Mail: durchstarter@wordseed.de
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Wenn aus einer Mitarbeiterin plötzlich eine Führungskraft wird, ist dieser Rollenwechsel für alle in der Praxis Chance und Herausforderung zugleich. Quelle: © S. Schaaf/Thieme