Warum eignet sich die Herzbildgebung besonders für die Nutzung von KI?
Bernhard Föllmer: Die Entwicklung von KI in der radiologischen Diagnostik hat in den letzten Jahren
enorme Fortschritte gemacht. Die Auswertung der Bilddaten ist jedoch äußerst komplex,
zeitaufwändig und unterliegt einer hohen Intra- und Interobserver-Variabilität. KI-gestützte
Auswertungen könnten helfen, die Analysen schneller und robuster durchzuführen und
die frühzeitige Risikoabschätzung für kardiovaskuläre Ereignisse auf der Basis komplexer,
multimodaler Daten zu verbessern.
Welche klinische Fragestellung haben Sie besonders im Blick und warum ist diese bedeutsam?
Prof. Dewey: Klinische Studien haben einen Zusammenhang zwischen Plaquemerkmalen und kardiovaskulären
Ereignissen gezeigt. Es bleibt jedoch noch zu untersuchen, inwieweit diese durch nicht-invasive
Verfahren wie die CT und MRT identifiziert werden können. KI könnte diese Lücke schließen,
indem Bilddaten aus großen randomisierten Studien wie DISCHARGE automatisch analysiert
werden, um Plaques zu identifizieren, zu quantifizieren, zu charakterisieren und ihre
Vulnerabilität vorherzusagen. Genau diese Themen wurden zum zentralen Fokus des von
der DFG unterstützten 2. QCI-Meetings.
Wie sind Sie bei der Entwicklung der Roadmap zur KI für koronale Plaques vorgegangen?
Bernhard Föllmer: Die „Roadmap on the use of artificial intelligence for imaging of vulnerable atherosclerotic
plaque in coronary arteries“ basiert auf den Empfehlungen eines interdisziplinären
Expertenteams von Ärztinnen und Ärzten aus den Bereichen Radiologie, Kardiologie und
Herzchirurgie sowie der Ingenieurwissenschaft und der Informatik, die während des
Quantitative Cardiovascular Imaging Meetings im September 2022 erarbeitet wurden.
In einem mehrstufigen Delphi-Prozess wurden 15 Fragen zum aktuellen Stand der KI für
die Analyse von koronaren Plaques, aktuellen Herausforderungen, vertrauenswürdiger
KI sowie zukünftigen Richtungen der KI-gestützten Plaque-Diagnostik und -Prognose
diskutiert. Die im Konsens gefundenen Antworten, aber auch offene Fragen wie die Notwendigkeit
randomisierter Studien zur Validierung der KI, sind in der KI-Roadmap abgebildet.
Was sind die entscheidenden Anforderungen für KI-Anwendungen, um in der klinischen
Praxis sinnvoll genutzt werden zu können?
Prof. Dewey: Bevor KI in der koronaren Bildgebung in großem Umfang in den klinischen Alltag integriert
werden kann, müssen die KI-Systeme an großen, vielfältigen und repräsentativen Datensätzen
trainiert und evaluiert werden, um ihre Robustheit und Generalisierbarkeit sicherzustellen.
Viele aktuelle Anwendungen liefern gute Ergebnisse bei hoher Bildqualität. KI-Anwendungen
müssen also robust, aber auch ethisch und fair sein und den rechtlichen Rahmenbedingungen
entsprechen. Diagnosen und Prognosen der KI müssen für Ärztinnen und Ärzte sowie Patientinnen
und Patienten interpretier- und erklärbar sein.
Was ist bei der KI-gestützten Diagnose von Herzerkrankungen bereits heute möglich?
Bernhard Föllmer: Die KI-gestützte Diagnose umfasst ein breites Spektrum von Anwendungen, angefangen
von der automatischen Extraktion des Koronarbaums über die Erkennung und Klassifizierung
von Stenosen oder die automatische Erkennung und Segmentierung arteriosklerotischer
Plaques bis zur Prognose der koronaren Herzkrankheiten (siehe [Abb. 1]).
Abb. 1 KI-gestützte Anwendungen zur Plaque-Diagnose und Prognose in der koronaren Bildgebung.
Quelle: Föllmer B et al. Nat. Rev. Cardiol. 21, 51–64 (2024), Springer Nature Limited.
Welche Entwicklungen sind absehbar und wo besteht noch größerer Forschungs- und Entwicklungsbedarf?
Prof. Dewey: Bei einigen Aufgaben der nicht-invasiven koronaren Bildgebung, wie zum Beispiel dem
koronaren Kalzium-Scoring, befindet sich die KI bereits auf einem ähnlichen Qualitätsniveau
wie Radiologinnen und Radiologen. Die meisten Software-Tools erfordern jedoch noch
erfahrene Personen aus der Radiologie, die bestimmte Vorverarbeitungsschritte durchführen
oder die letzten 5 Prozent der Bilddaten analysieren, bei denen die KI keine brauchbaren
Ergebnisse liefert. Eine vollautomatische KI-Lösung für die Diagnose und Prognose
ist derzeit weder für nicht-invasive (CT, MRT) noch für invasive Methoden (OCT, IVUS)
verfügbar.
Was sind jenseits von offenen Forschungsfragen Herausforderungen bei der Einführung
von KI-Anwendungen in die klinische Praxis?
Bernhard Föllmer: Für eine breite Integration von KI in den klinischen Alltag der koronaren Bildgebung
benötigen wir zumindest für KI-basierten Anwendungen, die das Patientenmanagement
beeinflussen, randomisierte kontrollierte Studien, die den klinischen Nutzen bestätigen.
Darüber hinaus benötigen wir vertrauenswürdige Modelle, die robust und sicher gegenüber
Bildartefakten, Rauschen oder anatomischen Anomalien sind. Es besteht die Gefahr,
dass eine Überrepräsentation von Patienten mit hohem Krankheitsrisiko oder eine Unterrepräsentation
bestimmter Patientengruppen in den Daten zu falschen Ergebnissen führt. Ein Beispiel
wäre, wenn Modelle nur an Patienten mit stabilem Brustschmerz trainiert und evaluiert
wurden, dann aber an Patienten mit akutem Brustschmerz angewendet werden. Repräsentativität
und Diversität der Trainingsdaten sind ausschlaggebend, um Modelle zu trainieren,
die ihr volles Potenzial entfalten können.
QCI – Quantitative Cardiovascular Imaging meeting (DE 1361/22–1)
Link zur KI-Roadmap: https://www.nature.com/articles/s41569-023-00900-3 (siehe [Abb. 2]).
Hier gelangen Sie zur KI-Roadmap.
Abb. 2 KI-Roadmap zur Analyse von koronaren vulnerablen Plaques. Quelle: Föllmer B et al.
Nat. Rev. Cardiol. 21, 51–64 (2024), Springer Nature Limited.