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DOI: 10.1055/a-2226-4896
Sachlich-rechnerische Richtigstellung – Dokumentationspflichten im Vertragsarztrecht
- I. Einführung
- II. Urteil des SG Hannover vom 14.12.2022
- III. Urteil des Sozialgericht Münchens vom 04.05.2023
- IV. Dokumentationspflichten im Vertragsarztrecht
- V. Zusammenfassung
I. Einführung
Den Vertragsarzt treffen grundsätzlich eine Vielzahl von Pflichten, die Behandlung penibel zu dokumentieren. Dabei kann leicht der Überblick verloren gehen, woraus sich die Pflicht ergibt und worauf sie sich im Einzelfall erstreckt. Die Bandbreite der Normen hierzu reichen von privatrechtlichen Dokumentationspflichten bis hin zu solchen Pflichten, die zur Darstellung der wirtschaftlichen Berechnung des Honorars im Verhältnis zur Kassenärztlichen Vereinigung oder der gesetzlichen Krankenversicherung wirken. Im Rahmen aktueller Entscheidungen beleuchtet der Beitrag, inwiefern eine fehlerhafte oder unzureichende Dokumentation als Indiz für eine rechtswidrige Honoraranforderung im Rahmen der Prüfung nach § 106 d SGB V dienen kann.
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II. Urteil des SG Hannover vom 14.12.2022
Das Sozialgericht Hannover stellte in seinem Urteil vom 14.12.2022, Az. S 24 KA 208/19 fest, dass eine Honorarkürzung allein wegen fehlender oder unzureichender Dokumentation nicht in Betracht kommt. Den Berichtigungsbescheid der Kassenärztlichen Vereinigung hob das Sozialgericht auf und gab dem Kläger Recht.
1. Sachverhalt
In dem genannten Verfahren hatten zwei Fachärzte für Allgemeinmedizin gegen die Honorarrückforderung des vierten Quartals 2017 und des ersten Quartals 2018 geklagt. Die Rückforderung hatte im Rahmen einer zeitbezogenen Plausibilitätsprüfung stattgefunden. Die beklagte Kassenärztliche Vereinigung hatte das Prüfverfahren wegen Überschreitung der Gebührenordnungsposition („GOP“) 01411 (Dringender Besuch) des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes („EBM“), 01412 (Dringender Besuch/dringende Visite auf der Belegstation) und 01415 (Dringender Besuch eines Patienten in beschützenden Wohnheimen bzw. Einrichtungen bzw. Pflege- oder Altenheimen mit Pflegepersonal) im Quartalsprofil eingeleitet. Aus den ICD-codiert eingereichten Diagnosen konnte nicht auf die Dringlichkeit geschlossen werden. Die Kassenärztliche Vereinigung („KV“) führte aus, dass die Pflegedokumentation nicht eingereicht wurde und dementsprechend auch kein Rückschluss auf die Dringlichkeit der Besuche geschlossen werden kann. Nach Ansicht der Kassenärztlichen Vereinigung lägen Abrechnungsfehler vor, die zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung berechtigen würden.
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2. Entscheidungsgründe
Zunächst stellt das Sozialgericht fest, dass Rechtsgrundlage der sachlich-rechnerischen Richtigstellung § 106 d Abs. 2 SGB V ist und die Kassenärztliche Vereinigung die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen feststellt. Geprüft wird, ob die Leistungen rechtmäßig, also im Einklang mit den gesetzlichen, vertraglichen und satzungsrechtlichen Vorschriften des Vertragsarztrechts – mit Ausnahme des Wirtschaftlichkeitsgebots – erbracht und abgerechnet worden sind. § 106 d Abs. 2 Satz 1 SGB V stellt gemäß § 37 Satz 1 SGB I eine Sonderregelung im Verhältnis zu § 45 SGB X, der die Rücknahme eines begünstigenden Bescheides, wie es z. B. eine Honorarabrechnung ist, regelt, dar. Nach § 106 d Abs. 5 Satz 3 SGB V sind die Maßnahmen, also Regresse, die aus den sachlich-rechnerischen Prüfungen folgen, innerhalb von zwei Jahren ab Erlass des Honorarbescheides festzusetzen. Diese Rechtslage gilt erst seit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz und war in der Entscheidung, die einen früheren Zeitraum betraf, nicht anzuwenden.
Grundsätzlich muss die überprüfende Kassenärztliche Vereinigung die Fehlerhaftigkeit der Honorarabrechnung belegen und begründen. Ergeben sich begründete Zweifel daran, dass der Tatbestand einer GOP erfüllt ist, so ist der Vertragsarzt angehalten an der Beseitigung der Zweifel durch sachdienliche Angaben mitzuwirken. Dabei hat er die entsprechend dienenden Tatsachen so genau wie möglich vorzubringen und zu belegen. Welche Angaben dabei konkret von dem Arzt erwartet werden können, ist einzelfallabhängig.
Mögliche Falschabrechnungen, wie in dem vorliegenden Fall, kann eine Kassenärztliche Vereinigung nicht damit begründen, dass der Vertragsarzt eine Dokumentation, hier die Dringlichkeit betreffend, unterlassen hat. Das Sozialgericht verweist auf die vorangegangenen Entscheidungen des Landessozialgerichts Niedersachen-Bremen vom 22.05.2019, Az.: L 3 Ka 10/17 und vom 06.09.2017, Az.: L 3 KA 108/14 und schließt sich diesen an. Nach Ansicht des Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen kommt eine sachlich-rechnerische Berichtigung allein wegen nicht ordnungsgemäßer Dokumentation nur in Betracht, wenn im Leistungstatbestand des EBM oder in vorangestellten allgemeinen Bestimmungen hierzu das Erfordernis der Dokumentation normiert ist. Nicht ausreichend ist ein Verstoß gegen die allgemeine Dokumentationspflicht des § 57 Abs. 1 BMV-Ä. Nach dieser Vorschrift gilt:
„Der Vertragsarzt hat die Befunde, die Behandlungsmaßnahmen sowie die veranlassten Leistungen einschließlich des Tages der Behandlung in geeigneter Weise zu dokumentieren.“
Weder die GOP 01 415 noch die vorangestellten Vorbemerkungen sehen eine solche Dokumentation vor. Insofern konnte sich die Kassenärztliche Vereinigung nicht mit Erfolg darauf berufen, dass aus der fehlenden oder unzureichenden Dokumentation auf die Nichterfüllung des Leistungsinhalts geschlossen werden kann. Zwar sei nach dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen eine Honorarberichtigung bei unvollständiger Dokumentation dann gerechtfertigt, wenn die Dokumentation ausschlaggebend dafür ist, dass die Erbringung der mit einer GOP abgebildeten ärztlichen Leistung nicht bewiesen werden kann. Notwendig dafür sind aber zunächst begründete Zweifel an der vollständigen Leistungserbringung. Allein die Feststellung einer überdurchschnittlich häufigen Abrechnung bestimmter GOP des EBM genügt für die Annahme begründeter Zweifel jedoch nicht. Begründete Zweifel auszuräumen ist vorrangig Sache des Vertragsarztes. Diese Obliegenheit ist umso ausgeprägter, je gravierender die Hinweise auf Abrechnungsfehler sind. Die von der Kassenärztlichen Vereinigung angeführten statistischen Abrechnungshäufigkeit im Vergleich zur Fachgruppe sind nach dem Sozialgericht nicht ausreichend.
Der Vortrag der Kassenärztlichen Vereinigung war nicht überzeugend. Insbesondere der Vorwurf über die fehlerhafte oder unzureichende Dokumentation war nach dem Sozialgericht Hannover kein Verstoß, der im Sinne des § 106 d Abs. 2 SGB V zu einer sachlich-rechnerischen Richtigstellung berechtigt.
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III. Urteil des Sozialgericht Münchens vom 04.05.2023
In ähnlicher Sache entschied das Sozialgericht München am 04.05.2023, Az. S 38 KA 180/20, wobei die Urteile im Ergebnis abweichen. Dennoch zeigt sich bei näherer Betrachtung, dass sich auch hier die gleichen Grundsätze bezüglich der Dokumentationspflicht ergeben.
1. Sachverhalt
In dem Fall des Sozialgerichtes München hatten die Kläger, zwei Fachärzte für Allgemeinmedizin, sich gegen die Rückforderung von Honorar gewehrt. Dem Rückforderungsbescheid ging eine Plausibilitätsprüfung des ersten Quartals 2012 bis zum ersten Quartal 2017 voran.
Die Kassenärztliche Vereinigung hatte aufgrund hoher Überschreitungen im Vergleich zur Fachgruppe (bis zu 618 %), sowie der hohen Anzahl von nicht eingelesenen Versicherungskarten und hohe Tagesprofilzeiten (bis zu 23,6 Stunden) ein Indiz für die nicht ordnungsgemäße Abrechnung gesehen.
Die Ärzte hatten nur eine spärliche Dokumentation in dem Prüfverfahren eingereicht. Anders als in der Entscheidung des Sozialgerichtes Hannover, wies das Sozialgericht München die Klage der Ärzte als unbegründet ab.
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2. Entscheidungsgründe
Maßgeblicher Unterschied zu der eingangs dargelegten Entscheidung aus Hannover ist, dass die von der Kassenärztlichen Vereinigung aufgeworfenen Zweifel an der Abrechnung gravierender waren und es daher die Obliegenheit der Ärzte war, die tiefgreifenden Zweifel durch entsprechendes Vorbringen auszuräumen.
Das Sozialgericht München führt zunächst aus, dass für die erfolgte Plausibilitätsprüfung mehrere Aufgreifkriterien vorlagen. Dazu gehören die hohen Überschreitungen im Vergleich zur Vergleichsgruppe, der große Anteil an Patienten, bei denen keine eingelesenen Versichertenkarten vorlagen, die hohe Tagesprofilzeit und die Abrechnung bereits verstorbener Patienten. Durch die Verdichtung der Vorwürfe lagen nach dem Sozialgericht erhebliche und begründete Zweifel an der Richtigkeit der eingereichten Abrechnung vor. Die Vermutung dränge sich geradezu auf, dass die Ärzte Leistungen nicht ordnungsgemäß abgerechnet hätten.
In dem Prüfverfahren hatte die Kassenärztliche Vereinigung die Patientendokumentation zur Durchsicht von den Ärzten angefordert. Die Dokumentation gehört zu den am aussagekräftigsten und essenziellen Unterlagen, die zu einer Prüfung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit neben anderen Unterlagen (z. B. OP-Berichte und MRT- CT- oder Röntgenaufnahmen) herangezogen werden können. Der Dokumentation ärztlicher Leistungen kommt in diesem Kontext medizinisch und (haftungs-)rechtlich eine erhebliche Bedeutung zu. Sie kann aber auch dem Vertragsarzt im Rahmen der Abrechnung vertragsärztlicher Leistungen zur Nachweisführung nützlich sein. Erfolgt keine Dokumentation oder kann der Nachweis einer Dokumentation wie vorliegend nicht geführt werden, gelten die Leistungen als nicht erbracht. Voraussetzung für eine solche Annahme ist, dass begründete Zweifel an der Richtigkeit vorliegen.
Aus dem bloßen Ansatz einer Gebührenordnungsposition folgt nicht, dass die Leistung erbracht wurde und der Leistungsinhalt erfüllt ist. Vielmehr ist so zu dokumentieren, dass ein fachkundiger Außenstehender ohne weiteres in der Lage ist, zu beurteilen, ob die jeweiligen Leistungsbestandteile erfüllt sind. Nach § 57 BMV-Ä bzw. § 10 Abs. 1 der Berufsordnung für die Ärzte Bayerns und Art. 18 Abs. 1 Ziffer 3 Heilberufekammergesetz (HKaG) Bayern besteht eine allgemeine Dokumentationspflicht; entsprechende Pflichten finden sich in den Berufsordnungen der anderen Landesärztekammern und überwiegend in den Heilberufe(kammer)gesetzen der Länder. Es handelte sich in dem vorliegenden Fall um eklatante Verstöße gegen die Dokumentationspflicht, so dass die Ärzte den Nachweis der vollständigen Leistungserbringung nicht erbringen konnten.
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IV. Dokumentationspflichten im Vertragsarztrecht
Wie aus den beiden Urteilen hervorgeht, existieren für den Vertragsarzt verschiedene Dokumentationspflichten. Die meisten dieser Dokumentationspflichten sollen dem Patienten im Rahmen der Fortführung der medizinischen Heilbehandlung und Arzthaftungsprozessen dienen. Sie können aber genauso dem Vertragsarzt nützen, einen im Raum stehenden Verstoß der unvollständigen Leistungsbringung von sich zu weisen und stellen insofern einen Beweis dar. Wie in den oben genannten Entscheidungen, wurde die Indizwirkung fehlender Dokumentation im Rahmen der Plausibilitätsprüfung nach § 106 d SGB V diskutiert. So können Verstöße gegen die ordnungsgemäße Leistungserbringung und Abrechnung dadurch indiziert sein, dass keine Dokumentation in dem Prüfverfahren vorgelegt werden kann. In aller Regel genügt allein ein Verstoß gegen die allgemeine Dokumentationspflicht nach § 57 Abs. 1 BMV-Ä aber nicht aus. Wichtig ist an dieser Stelle zwischen den sich für den Vertragsarzt ergebenden Dokumentationspflichten und den verschiedenen Schutzrichtungen der Normen zu unterscheiden.
1. Allgemeine Dokumentationspflicht aus dem Bundesmantelvertrag für Ärzte
Sowohl das Sozialgericht Hannover als auch das Sozialgericht München sind in ihren Entscheidungen auf die Dokumentationspflicht des Vertragsarztes aus § 57 Abs. 1 BMV-Ä eingegangen. In § 57 Abs. 1 BMV-Ä heißt es: „Der Vertragsarzt hat die Befunde, die Behandlungsmaßnahmen sowie die veranlassten Leistungen einschließlich des Tages der Behandlung in geeigneter Weise zu dokumentieren“. Die Verpflichtung besteht im Verhältnis zur Kassenärztlichen Vereinigung, Krankenkasse, gemeinsame Prüfungseinrichtungen und andere mit der Datenverarbeitung beauftragten Stellen. Die Behandlung soll für die genannten Adressaten im Nachhinein nachvollziehbar sein. Die Dokumentation hat Rechnungslegungsfunktion. Sie soll im Zweifel eine Überprüfung der Richtigkeit der Abrechnung, also der wirtschaftlichen und ordnungsgemäßen Leistungserbringung sichern. Sie greift jedoch nur in dem Zweifelsfall, dass der gemachte Vorwurf derart gravierend ist, dass eine Indizwirkung eintreten kann. Liegen keine begründeten Zweifel vor, so kann die fehlende Dokumentation, also ein Verstoß gegen die Dokumentationspflicht, auch kein Indiz für einen Verstoß sein. Der Umfang der Dokumentationspflicht richtet sich nach den medizinischen Erfordernissen. Zu berücksichtigen sind die besonderen Anforderungen nach dem EBM.
Weitergehende Zwecke wie etwa die Therapiesicherung auf zivilrechtlicher oder berufsrechtlicher Ebene, sind nicht von dem Normzweck umfasst. Auch dient die Norm nicht dem Zweck der Qualitätssicherung. Ein solcher Zweck kann sich höchstens nach Maßgabe der Beschlüsse und Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses ergeben.
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2. Zivilrechtlich verankerte Dokumentationspflicht
Die Dokumentationspflicht in der zivilrechtlichen Beziehung zwischen Patienten und Behandler ergibt sich aus § 630 f. Abs. 1 BGB. Sie stellt eine normierte Nebenpflicht des Behandlers im Rahmen eines Behandlungsvertrags nach § 630a BGB dar. Festgelegt wird hierbei zunächst, dass die Dokumentation im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Behandlung zu erfolgen hat. Gemäß § 630 f. Abs. 2 BGB besteht die Pflicht, sämtliche aus fachlicher Sicht für die derzeitige und zukünftige Behandlung wesentlichen Maßnahmen und deren Ergebnisse, insbesondere Anamnese, Diagnose, Untersuchung, Untersuchungsergebnisse, Befunde, Therapien und deren Wirkung, Einwilligungen und Aufklärungen festzuhalten. Es handelt sich mitunter um die wohl weitgehendste normativ festgelegte Pflicht.
Zweck der Dokumentationspflicht ist die Therapiescherung. Dabei geht es nicht nur um die Beweiskraft der Unterlagen in möglichen Arzthaftungsprozessen und strafrechtlichen Verfahren, sondern insbesondere darum, dass die sachgerechte therapeutische Behandlung und Weiterbehandlung gewährleistet werden kann. Ohne die Dokumentation bestünde die Gefahr, dass Untersuchungen in Vergessenheit gerieten. Das Zusammenwirken mehrerer Behandelnder kann dahingehend gefördert werden, dass Auskunft über den bisherigen Behandlungsverlauf gegeben werden kann. Die Dokumentationspflicht stellt daher mitunter folgerichtiges medizinisches Vorgehen sicher, indem die aufgezeichneten Ergebnisse und Behandlungsschritte als Grundlage für eine sich möglicherweise anschließende oder später notwendig werdende Behandlung dienen. Die Bundestagsdrucksache zum Patientenrechtegesetz stellt des Weiteren darauf ab, dass durch eine ordnungsgemäße Dokumentation unnötige Doppeluntersuchungen vermieden werden können. So werden die körperlichen Belastungen für den Patienten sowie die Behandlungskosten möglichst gering gehalten (BT-Drs. 17/10488, 26).
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3. Dokumentationspflicht nach der (Muster-) Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte
Nach § 10 Muster-Berufsordnung Ärzte („MBO-Ä“) wird der Vertragsarzt zur Aufzeichnung in Ausübung seines Berufes gemachten Feststellungen und getroffenen Maßnahmen angehalten. Es handelt sich um eine in § 630 f. Abs. 1 BGB kodifizierte Nebenpflicht aus dem Behandlungsvertrag und trifft jeden Arzt persönlich unabhängig seines Anstellungsverhältnisses.
Es handelt sich um die berufsrechtliche Parallelvorschrift zu § 630 f. BGB. Primär bezweckt werden soll somit die Dokumentation von therapeutischen Zwecken gegenüber dem Patienten und die Sicherstellung der ordnungsgemäßen Behandlung als Beweismittel in einem späteren Arzthaftungsprozess.
Nach früherer Ansicht war Hauptzweck von § 10 MBO-Ä, dass die Dokumentation dem Arzt als Gedächtnisstütze dient. Dies ist aus heutiger Sicht eine überflüssige Klarstellung. Die Regelung dient spiegelbildlich zur zivilrechtlichen Ausprägung auf berufsrechtlicher Ebene der allgemeinen Therapiesicherung.
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4. Dokumentationspflicht im Strahlenschutz
Wie bereits in dem Beitrag vom April 2022 im Detail erörtert, kommt dem Radiologen eine Dokumentationspflicht über die Stellung der rechtfertigenden Indikation zu. Diese ist seit dem 20.05.2021 in § 85 Abs. 1 Satz 2 Nummer 1 StrlSchG normiert. Die Dokumentationspflicht, die im nationalen Recht normiert ist, geht deutlich weiter als die in der zugrundeliegenden EU-Richtlinie festgelegten. Die Richtlinie 2013/59/Euratom richtet in Artikel 58b an die Mitgliedsstaaten die Verpflichtung, eine Dokumentation anzuordnen, nach der „Angaben zur Patientenexposition […] Teil des Berichts über das medizinisch-radiologische Verfahren [sind]“. National geht die Pflicht zur Dokumentation deutlich weiter, da auch der Zeitpunkt der Indikationsstellung umfasst ist.
Schutzrichtung der Norm ist ebenfalls die Therapiesicherung, hier jedoch speziell auf den Aspekt des Strahlenschutzes beschränkt. So führt der Bundesrat zur Begründung der erhöhten Dokumentationspflicht aus, dass sich aus der Vollzugspraxis diese Notwendigkeit ergeben hatte, um dafür zu sorgen, dass die rechtfertigende Indikation zeitnah vorgenommen wird und auch die Besonderheiten jedes Einzelfalls beachtet werden. Die Einhaltung der Strahlenschutzverordnung ist nach der Präambel zu Kapitel 34.1 Nummer 1 des EBM Voraussetzung für die Berechnungsfähigkeit der Gebührenordnungsposition des Kapitels 34 des EBM.
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V. Zusammenfassung
Aus einer unzureichenden Dokumentation können nach den Urteilen der Sozialgerichte Hannover und München Kassenärztliche Vereinigungen nicht direkt einen Verstoß herleiten, der die Kassenärztlichen Vereinigungen im Rahmen einer Plausibilitätsprüfung zu einer sachlich-rechnerischen Richtigstellung berechtigt. Allerdings sollte im Rahmen von gravierenden und umfangreichen von den Kassenärztlichen Vereinigungen vorgetragenen Verstößen, die erhebliche Zweifel an der Unrichtigkeit der Abrechnung begründen, ein Vertragsarzt beachten, dass eine fehlende Dokumentation Indizwirkung zukommt, die es möglichst zu erschüttern gilt.
In der Beziehung zwischen Vertragsarzt und der Kassenärztlichen Vereinigung ergibt sich eine Dokumentationspflicht aus § 57 Abs. 1 BMV-Ä. Dabei ist zu beachten, dass sich deren konkreter Umfang stets nach dem Einzelfall der Leistung und dem Leistungsinhalt nach dem EBM richtet. In der Röntgendiagnostik ist insbesondere die Präambel zu Kapitel 34.1 des EBM neben den Voraussetzungen der konkreten Gebührenordnungspositionen zu beachten. Allein die Feststellung einer überdurchschnittlich häufigen Abrechnung bestimmter GOP des EBM genügt für die Annahme begründeter Zweifel dabei jedoch nicht aus.
René T. Steinhäuser
Rechtsanwalt
Rechtsanwälte Wigge
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Telefon: (040) 33 98 705–90
Telefax: (040) 33 98 705–99
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Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
21. Februar 2024
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