Priv.-Doz. Dr. Anne Regierer
Dr. Yvette Meißner
Prof. Dr. Anja Strangfeld
Liebe Leser*innen der ersten Ausgabe der arthritis + rheuma im Jahr 2024,
mit diesem Heft möchten wir einen momentan viel diskutierten Aspekt der Medizin aufgreifen,
die sogenannte Gendermedizin, auch geschlechtsspezifische oder geschlechtersensible
Medizin genannt.
Immer häufiger setzt sich die Erkenntnis durch, dass Frauen und Männer unterschiedliche
Risikofaktoren für das Auftreten von Erkrankungen aufweisen, Symptome und Ausprägungen
der Krankheiten unterschiedlich sind und auch deren Prognose häufig durch das Geschlecht
beeinflusst wird. Ein prominentes Beispiel hierfür ist das signifikant höhere Risiko
für einen schwereren Verlauf bzw. Versterben bei COVID-19 für Männer im Vergleich
zu Frauen. Geschlechtsspezifische Unterschiede bestehen aber nicht nur hinsichtlich
bestimmter Krankheitscharakteristika, sondern auch in der medizinischen Versorgung.
Sowohl biologische als auch soziokulturelle Unterschiede können hierfür ursächlich
sein.
In der Rheumatologie gibt es darüber hinaus bei einigen Erkrankungen sehr starke Unterschiede
in der Prävalenz mit deutlich mehr betroffenen Frauen, z. B. bei der rheumatoiden
Arthritis oder dem systemischen Lupus erythematodes. In diesem Heft widmen sich die
Autor*innen verschiedenen Aspekten einer geschlechtsspezifischen Betrachtung von rheumatologischen
und muskuloskelettalen Erkrankungen.
Hildrun Haibel, Uta Kiltz und Kolleginnen beschreiben klinische, diagnostische und
therapeutische Besonderheiten bei Frauen mit Spondyloarthritiden. Bei diesen dauert
es z. B. weiterhin länger bis zur korrekten Diagnosestellung und sie erfahren häufiger
Fehldiagnosen als männliche Patienten, was die Krankheitslast bei Frauen erhöht. Frauen
weisen zudem eine größere Vielfalt an klinischen Symptomen auf, u. a. eine höhere
Prävalenz für Nackenschmerzen und peripheren Manifestationen.
Für die Diagnostik der axialen Spondyloarthritis ist die Bildgebung des Achsenskeletts
und der Sakroiliakalgelenke wesentlich. Welche geschlechtsspezifischen Aspekte hierbei
beachtet werden müssen, wird von Katharina Ziegeler und Denis Poddubnyy zusammengefasst.
Sie stellen dar, dass nicht nur die anatomisch unterschiedliche Beschaffenheit der
Gelenke von Männern und Frauen für klinisch relevante Unterschiede in der Bildgebung
sorgen, sondern auch das Erscheinungsbild. Insgesamt ist die diagnostische Genauigkeit
einer MRT der Sakroiliakalgelenke bei Frauen niedriger als bei Männern und sollte
deshalb mit Vorsicht interpretiert werden.
Um bestmögliche Behandlungsergebnisse in der Orthopädie und Unfallchirurgie zu erzielen,
plädiert Ralph Gaulke für eine umfassende Berücksichtigung aller Faktoren, die diese
beeinflussen können. Hierzu zählen u. a. auch geschlechtsspezifische Aspekte. So weisen
Männer und Frauen sowohl konstitutionelle als auch Unterschiede in der Statik auf.
Wie sich dies auf einzelne Gelenke auswirkt und damit auch das Vorgehen bei bestimmten
operativen Eingriffen angepasst werden sollte, wird ausführlich erläutert.
Hans-Christian Schuppe und Frank-Michael Köhn beschreiben aus andrologischer Sicht
reproduktionsmedizinische Aspekte bei rheumatologischen Erkrankungen des Mannes. Sie
zeigen auf, dass Fertilitätsstörungen bei chronisch-entzündlichen Erkrankungen nicht
nur durch die Erkrankung selbst, sondern auch durch deren Therapie und bestimmte Lebensstilfaktoren
beeinflusst werden. Die Diagnostik bei unerfülltem Kinderwunsch wird ausführlich dargestellt
und therapeutische Optionen aufgezeigt. Nach der Lektüre wird deutlich, dass bei bestehendem,
besonders aber bei unerfülltem Kinderwunsch, eine interdisziplinäre Betreuung inklusive
umfassender andrologischer Diagnostik angestrebt werden sollte.
Der Blickwinkel von weiblichen Patientinnen mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen
in Bezug auf Kinderwunsch und Schwangerschaft wird im Artikel von Yvette Meißner beleuchtet.
Der Konflikt zwischen der eigenen und der kindlichen Gesundheit kann zu Unsicherheiten
führen, die sich auch auf das emotionale und psychische Wohlbefinden der Patientinnen
auswirken. Die größten Sorgen und Ängste der Patientinnen betreffen die Arzneimitteltherapie
und das Krankheitsmanagement. Es besteht ein hoher Bedarf an aktuellen und umfassenden
Informationen, beginnend mit dem Entscheidungsprozess für oder gegen ein Kind, über
die Schwangerschaft bis zum Elternsein.
Wir wünschen Ihnen neue Erkenntnisse und viel Freude bei der Lektüre der vielfältigen
Beiträge in diesem Heft und wünschen Ihnen für das Jahr 2024 alles Gute
Ihre
Anne Regierer, Yvette Meißner und Anja Strangfeld