Nervenheilkunde 2024; 43(05): 231-233
DOI: 10.1055/a-2233-4175
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Psychedelika in der Psychiatrie ̶ Nachlese der 1. Tagung der DGPFT e. V.

Uwe Herwig
 
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    Prof. Dr. Dr. Uwe Herwig Gründungsvorsitzender DGPFT e. V. (dgpft.de) Ärztlicher Direktor, stv. Geschäftsführer, Zentrum für Psychiatrie Reichenau, Akademisches Lehrkrankenhaus Universität Konstanz, Lehrbeauftragter Universitäten Ulm und ZürichQuelle: ©privat

    Der Einsatz von Psychedelika in der Psychiatrie wird in den letzten Jahren erneut wissenschaftlich vertieft untersucht, zunehmend fachlich und gesellschaftlich diskutiert sowie international teilweise bereits klinisch praktiziert. Psychedelika, wie Psilocybin und LSD, aber auch atypische Vertreter wie MDMA (Methylendeoxy-Metamphetamin) und Ketamin, führen zu qualitativ veränderten Bewusstseinszuständen, deren Erleben und Inhalte bei verschiedenen psychischen Erkrankungen therapeutisch wirksam sein könnten. Die Fachwelt greift das Thema seit knapp 10 Jahren mit zunehmenden Publikationen auch in höchstrangigen Zeitschriften auf und die Medien in Deutschland widmen sich regelmäßig in unterschiedlicher Tönung der Anwendung von Psychedelika.

    Als Haupteinsatzgebiete werden derzeit Psilocybin bei Depressionen und MDMA bei posttraumatischer Belastungsstörung (PTSD) untersucht. Aber auch weitere Indikationsgebiete wie Alkohol- und andere Suchterkrankungen werden beforscht. In den USA und Kanada gibt es bereits begrenzte Einsatzbereiche und übergreifende Bewilligungsprozesse sind im Gange. In der Schweiz können auf Basis von Einzelfallbewilligungen seit einigen Jahren psychedelikaassistierte Behandlungen durchgeführt werden und in Australien ist der klinische Einsatz von Psychedelika seit Juli 2023 legalisiert.

    Mit dem Ziel, die aufgekommene Diskussion zu einer möglichen klinischen Einführung auch in Deutschland fachlich-kritisch zu begleiten, gründeten klinische und forschende Vertreter aus Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie im Jahr 2021 die Deutsche Gesellschaft für Psychedelische Forschung und Therapie (DGPFT e. V.). Im September 2023 fand in Göttingen die erste wissenschaftliche Tagung der DGPFT e. V. statt. Fast 90 Teilnehmende und Referierende tauschten sich über aktuelle Aspekte zu den Möglichkeiten und Herausforderungen der Anwendung von Psychedelika in Psychiatrie und Psychotherapie aus.

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    Podiumsdiskussion auf der Tagung der DGPFT e. V. im September 2023 am Asklepios Fachklinikum in Göttingen (rechts nach links: Uwe Herwig, Christoph Bublitz, Claus Wolff-Menzler, Henrik Jungaberle, Jörg Daumann, Manuela Brand) Quelle: ©DGPFT

    Ein Anliegen dieser Tagung war, neben wissenschaftlichen Beiträgen auch eine kritische Beleuchtung des Themas vorzunehmen sowie organisatorische Aspekte auf dem Weg zu einer möglichen klinischen Anwendung anzudiskutieren. In dieser und in der nächsten Ausgabe der Nervenheilkunde sollen die Themen der Vorträge auch publikatorisch einfließen.

    Zunächst wird vom Autor des Editorials eine Einführung in das Thema geboten und der Stand zu den klinischen Studien beleuchtet. Hierbei wird der Forschungsschwerpunkt auf die Anwendung von Psilocybin bei Depressionen offensichtlich. Diese Anwendungen in ein psychotherapeutisches Setting einzubinden und eine Integration der Erfahrungen einer Psychedelika-Sitzung psychotherapeutisch aufzuarbeiten, ist einerseits in Diskussion, kann aber auch als zentrales Anliegen von Anwendern gesehen werden, wie Manuela Brand und Kollegen aus der Arbeitsgruppe um Gerhard Gründer ausführen. Eine geschichtliche Einrahmung und Herleitung mit Fokus auf die Arbeiten von Hanscarl Leuner zur psycholytischen Therapie bietet Torsten Passie in einem anschließenden Beitrag. Leuner war mit seiner Tätigkeit in Göttingen einer der wesentlichen Protagonisten ab der 1950er-Jahre in Europa und nicht ganz zufällig wurde auch der Tagungsort Göttingen entsprechend gewählt. Eva Schindowski und Franz Vollenweider präsentieren zur Verdeutlichung einer möglichen psychedelischen Wirkung 2 Fallbeispiele zur Psilocybin-Behandlung bei Depressionen aus einer Studie an der Universität Zürich. Die Behandlung von PTSD mit MDMA könnte zeitnah in den USA zugelassen werden, wie samt wissenschaftlicher Basis von Laura Bechtold und Dimitris Repantis ausgeführt wird. Eine mögliche Einführung in Deutschland bedarf einer gründliche Betrachtung rechtlicher Aspekte und Rahmenbedingungen. Diese werden detailliert von Christoph Bublitz und Lorenz Böllinger dargelegt. Und letztlich werden von Jörg Daumann und Uwe Herwig noch zu berücksichtigende kritische Aspekte und Fragen in dem Themenfeld aufgeworfen.

    Abschließend mag noch angeführt sein, dass insbesondere angesichts häufiger Therapieresistenzen und Chronifizierungen psychischer Erkrankungen die Erweiterung aktueller Therapiemöglichkeiten ein wichtiges Ziel der psychiatrischen Forschung und der Weiterentwicklung von Behandlungen darstellt. Ob Psychedelika als mögliche Ergänzung des psychiatrisch-psychotherapeutischen Angebotsspektrums dienen können, wird sich noch zeigen. Die Diskussion hierzu ist mit zunehmender fachlicher und gesellschaftlicher Beteiligung und Aufmerksamkeit bereits im Gang.

    Uwe Herwig, Reichenau


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    Publication History

    Article published online:
    14 May 2024

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    Georg Thieme Verlag KG
    Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

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    Prof. Dr. Dr. Uwe Herwig Gründungsvorsitzender DGPFT e. V. (dgpft.de) Ärztlicher Direktor, stv. Geschäftsführer, Zentrum für Psychiatrie Reichenau, Akademisches Lehrkrankenhaus Universität Konstanz, Lehrbeauftragter Universitäten Ulm und ZürichQuelle: ©privat
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    Podiumsdiskussion auf der Tagung der DGPFT e. V. im September 2023 am Asklepios Fachklinikum in Göttingen (rechts nach links: Uwe Herwig, Christoph Bublitz, Claus Wolff-Menzler, Henrik Jungaberle, Jörg Daumann, Manuela Brand) Quelle: ©DGPFT