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DOI: 10.1055/a-2245-4078
Sexkauf. Eine rechtliche und rechtsethische Untersuchung der Prostitution
Die Autor*innen des im Jahr 2023 erschienenen Werks „Sexkauf. Eine rechtliche und rechtsethische Untersuchung der Prostitution“ sind Prof. Dr. Elke Mack, die an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Erfurt die Professur für Christliche Sozialwissenschaft und Sozialethik innehat, und Prof. Dr. Ulrich Rommelfanger, der Rechtsanwalt und Lehrbeauftragter an der Hochschule der Sächsischen Polizei ist. Mitgewirkt hat zudem Dr. Jakob Dobnik, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Professorin Mack tätig ist. Das Buch ist eine Auftragsarbeit. Auftraggeberin ist das DIAKA, das Deutsche Institut für Angewandte Kriminalitätsanalyse e. V. (i. G.), das von bekannten Vertreter*innen des sogenannten Nordischen Modells getragen wird. In dessen Zentrum steht die Strafbarkeit von Freiern, also das „Sexkaufverbot“. Das Buch folgt der These, dass Prostitution stets mit Gewalt an den in der Prostitution tätigen Frauen einhergeht und ausnahmslos unfreiwillig ist. Es kommt zum Ergebnis, dass die Inanspruchnahme der Dienste einer Prostituierten strafwürdig ist.
Die Sozialethiker*innen Elke Mack und Jakob Drobnik steuern Beiträge zum mit 240 Seiten deutlich längeren Teil 1 bei, der mit „Eine rechtliche und rechtsethische Prüfung der Gesetzgebung zur Prostitution“ überschrieben ist. Eine im eigentlichen Sinne rechtliche Prüfung findet sich in diesem Teil des Buches nicht. Auch liegt eine in der Einleitung angekündigte „ergebnisoffen[e]“ „Studie“ (S. 19) nicht vor.
Jakob Drobnik stellt zunächst „Grundsätze zur Prostitution im Völker- und Europarecht“ dar, wobei er sich mit Bedacht auf solche beschränkt, die sich mit Menschenhandel befassen. Prostitution wird mit Menschenhandel gleichgesetzt, was sich als These durch das gesamte Werk zieht. Bereits in diesem Abschnitt wird das deutsche Regulierungsmodell des Prostituiertenschutzgesetzes jedenfalls implizit als völkerrechtswidrig bewertet, weil es – anders als das sogenannte Nordische Modell – den Menschenhandel nicht effektiv eindämme (S. 27, S. 31, S. 34, S. 36 ff.). Der Autor stellt sodann eine Auswahl mancher Entscheidungen europäischer Gerichte vor. Mit der Darstellung der „Folgewirkung der Prostitutionsgesetzgebung in Deutschland“, die insbesondere Einzelstimmen aus verschiedenen Professionen zu Wort kommen lässt, schließt er seinen Beitrag ab.
Teil 1 wird abgerundet durch den Abschnitt „Das Prinzip der Menschenwürde in der Prostitution“ von Elke Mack. Sie geht auf 40 Seiten ihrer These nach, dass Prostitution stets „sexualisierte Gewalt am Körper Dritter“ ist, und zwar unabhängig vom Willen der Prostituierten (so ausdrücklich auf S. 223). Der ausgeübte Zwang könne physischer wie psychischer, sozialer oder ökonomischer Natur sein. Mit sozialem Zwang meint die Autorin „hierarchische bzw. Clan-Abhängigkeit“, mit ökonomischem Zwang „Armutsprostitution und Bildungsferne mit beruflicher Alternativlosigkeit“ (S. 224). Aus dem grundgesetzlichen Schutz der Würde des Menschen schließt die Autorin sodann auf eine Pflicht des Staates, die gewerbliche Prostitution zu verbieten und den Sexkauf unter Strafe zu stellen (S. 255 ff.), ohne erstens die hochkomplexe Frage der Reichweite verfassungsrechtlicher Schutzpflichten, zweitens die hier einfach angenommene Beschränkung des gesetzgeberischen Bewertungs- und Gestaltungsspielraumes und drittens die prekäre Notwendigkeit des Einsatzes des Strafrechts als Ultima Ratio staatlichen Handelns zu thematisieren.
Im 60 Seiten umfassenden Teil 2, der mit „Verfassungsrechtliche Prüfung der geltenden Prostitutionsgesetzgebung in Deutschland“ überschrieben ist, befasst sich der Rechtsanwalt Ulrich Rommelfanger nach einer Beschreibung sowohl des Prostituiertenschutzgesetzes von 2017 als auch des von 2002 bis 2017 geltenden Prostitutionsgesetzes mit Grundrechten. Der Autor hält sich, anders als seine Co-Autorin Mack, mit einem eindeutigen Urteil zur Vereinbarkeit von Prostitution und Menschenwürde zurück und beschränkt sich darauf, Zweifel anzubringen und auf eine „sehr überwiegende“ Auffassung „aller Kenner der Szene“ zu verweisen (S. 294). Entsprechend offen konstatiert er auch, das Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit werde „grundsätzlich verletzt“ (S. 299); die Berufsfreiheit komme nicht zum Tragen, wenn die Prostitution nicht freiwillig sei (S. 301). Juristisches Terrain verlässt der Autor schließlich im dritten Abschnitt seines Beitrags, in dem er verschiedene Akteur*innen – von der Prostitutionsaussteigerin bis zum Staatsanwalt – mit ihren persönlichen Meinungen zu Wort kommen lässt. Teil 2 schließt mit einer Auswertung und einem Fazit.
Das Werk enthält wenig Neues und noch weniger Substantielles. Insbesondere liefert es nichts (juristisch) Belastbares zum Verhältnis von Prostitution, Menschenwürde und kollidierenden weiteren Grundrechten. Das ist überraschend. Denn das Buch stellt eine steile These auf und behauptet, dass Prostitution nicht mit der durch Artikel 1 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes absolut geschützten und nicht abwägungsfähigen Menschenwürde („Die Menschenwürde ist unantastbar“) vereinbar sei. Und dass der Staat deshalb verpflichtet sei, Prostitution zu verbieten und die Inanspruchnahme der Dienstleistung unter Strafe zu stellen. Für diese Behauptungen bedürfte es einer belastbaren Argumentation. Denn in einem Rechtsstaat muss das „scharfe Schwert des Strafrechts“ mit Bedacht angewandt werden. Die einzig auffindbare Argumentation besteht in der beständig wiederholten, aber nie schlüssig belegten Grundannahme, dass Prostitution immer unfreiwillig sei.
Die schlanke Argumentation im Buch steht in auffälligem Kontrast zur Rechtsprechung, die gerade zum Verhältnis von Menschenwürde und freiem Willen eine Fülle von interessanten Ansatzpunkten liefern könnte. Dieses dogmatische und ethische Füllhorn wird aber von den Autor*innen höchst selektiv und nur insoweit dargeboten, wie es die eigene These zu stützen scheint. Eine ergebnisoffene Studie, wie sie eingangs angekündigt wird, liegt jedenfalls nicht vor.
So unterschlägt der Autor Drobnik in seiner „Rechtsprechungsübersicht“, dass sich etwa der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ausdrücklich nur zur Zwangsprostitution geäußert hat, die auch in Deutschland bereits unter Strafe steht, und diese gerade nicht mit gewerblicher Prostitution, die das Prostituiertenschutzgesetz regelt, gleichsetzt. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts taucht gar nicht erst auf, obwohl sich das Gericht ja ausdrücklich zu Prostitution geäußert hat: Es hat in seinem Beschluss vom 28.04.2009 (1 BvR 224/07) zur Zulässigkeit von Wohnungsprostitution im Geltungsbereich einer Sperrgebietsverordnung die Prostitution dem Schutzbereich der Berufsfreiheit nach Artikel 12 Abs. 1 Grundgesetz unterstellt.
Die Autorin Mack ignoriert, dass ihre Annahme, Prostitution sei stets (also auch unabhängig von psychischem oder physischem Zwang) unfreiwillig, nicht mit dem im liberalen Rechtsstaat geltenden Begriff der Menschenwürde zu vereinbaren ist. Dem Grundgesetz zugrunde liegt die Vorstellung, dass der „Mensch in Freiheit sich selbst bestimmt und entfaltet“. „Die unverlierbare Würde des Menschen als Person“, so das Bundesverfassungsgericht im Sterbehilfe-Urteil vom 26.02.2020 (2 BvR 2347/15), „besteht hiernach darin, dass er stets als selbstverantwortliche Persönlichkeit anerkannt bleibt.“ Auch diejenigen, die sich in Not für eine bestimmte Handlung entscheiden und eine andere (etwa das Nichtstun) unterlassen, handeln danach selbstverantwortlich. Mit dieser Rechtsprechung ist ein „Zwang zur Würde“, eine Verhaltensregel zum „menschenwürdigen“ Benehmen oder zum „richtigen Mensch-Sein“ nicht zu vereinbaren.
Eine anderslautende Rechtsprechung, die den Versuch unternahm, die Würde des Menschen objektiv und unabhängig vom Willen der Beteiligten zu bestimmen, ist längst überholt. Während das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung zu Peep-Shows aus dem Jahr 1981 gegen diese noch eine solche objektiv verstandene Menschenwürde ins Feld geführt hatte, hielt es sich in der zweiten Peep-Show-Entscheidung zehn Jahre später mit der Nutzung der Menschenwürde zurück und rekurrierte stattdessen auf die öffentliche Ordnung. Auch das Bundesverfassungsgericht verfolgte den Flirt mit einer von allgemeinen Moralvorstellungen aufgeladenen Menschenwürde, den es im Beschluss über die Einziehung des Horrorfilms „Tanz der Teufel“ aus dem Jahr 1992 bei der Auslegung des Tatbestands der strafbaren Gewaltdarstellung (§ 131 Strafgesetzbuch) aufgenommen hatte, nicht weiter.
Eine etwas umfassendere Darstellung der Rechtsprechung findet sich in Teil 2, wobei auch hier negativ auffällt, dass Rechtsprechung, die die These der Autor*innen stützt, größeren Raum einnimmt als die, die eine kritischere Betrachtung erforderlich gemacht hätte. So stellt der Autor nicht nur die erste Peep-Show-Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 1981 ausführlich dar, sondern auch eine erstinstanzliche Entscheidung des Verwaltungsgerichts Neustadt zum Verbot einer Veranstaltung mit „Zwergenwerfen“ (S. 277 ff.). Diese kuriose Entscheidung aus dem Jahr 1992 mag plakativ sein; verfassungsrechtlich gilt aber seit über 30 Jahren anderes. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Sterbehilfe dagegen wird nur mit einem Satz gewürdigt (S. 290).
Gar nicht aufgegriffen wird von den Autor*innen die naheliegende Frage, wie weit die Schutzpflicht des Staates zugunsten von Prostituierten reicht. Grundrechte sind zunächst einmal Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe; sie können aber auch einen Schutzanspruch an den Staat vermitteln. Bei der Wahrnehmung einer solchen Schutzpflicht hat der Gesetzgeber einen grundsätzlich weiten Bewertungs- und Gestaltungsspielraum. Ob hier eine solche Schutzpflicht sich tatsächlich dahingehend verdichtet, dass dieser Spielraum auf eine einzige legislative Entscheidung schrumpft, die auch noch strafrechtlicher Natur sein muss, bleibt in diesem Werk unbearbeitet.
Wer sich also dafür interessiert, ob Prostitution in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen mit dem Grundgesetz zu vereinbaren ist, wird durch die Lektüre im besten Fall nicht erhellt, im schlimmsten Fall verärgert. Einen Beitrag zur aktuellen Debatte über die Regulierung von Prostitution liefert das Auftragswerk nicht. Das Buch kann deshalb nur denjenigen empfohlen werden, die – aus moralischen oder politischen Gründen – die Einführung der Freierstrafbarkeit unterstützen und sich durch Gleichgesinnte bestätigt sehen wollen.
Stefanie Killinger (Göttingen)
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Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
05. Februar 2024
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