Schlüsselwörter Medizinische Weiterbildung - Arbeitsmedizin - Motive - Survey - Clusteranalyse - Berufswahl
Key words Medical education - Occupational medicine - Motives - Survey - Cluster analysis - Career choiceArtikel online veröffentlicht 2024
Einleitung
Die Arbeitsmedizin ist eine wichtige Säule in der präventiven medizinischen
Versorgung; nicht zuletzt angesichts aktueller Entwicklungen wie dem digitalen
Wandel sowie der zunehmenden Verflechtung von Arbeit und Freizeit kommt der
betrieblichen Prävention eine hohe Bedeutung zu [1 ]. Eventuell unzureichende Angebote in der arbeitsmedizinischen bzw.
betriebsärztlichen Versorgung in Deutschland wurden in den letzten Jahren diskutiert
[2 ]
[3 ]
[4 ]. Hinsichtlich dieses
Diskurses stellt sich auch die Frage nach einer adäquaten Akquise des
arbeitsmedizinischen Nachwuchses.
Bezüglich der arbeitsmedizinischen Weiterbildung ist zwischen der Weiterbildung zum
Facharzt bzw. zur Fachärztin für Arbeitsmedizin und der Zusatzbezeichnung
Betriebsmedizin zu unterscheiden. Im Jahr 2018 wurden in der
Musterweiterbildungsordnung (die inzwischen weitgehend unverändert Eingang in die
neuen Weiterbildungsordnungen aller Bundesländer gefunden hat) die
Anrechnungsmöglichkeiten klinischer Fächer neben der Inneren Medizin für die
Facharztausbildung Arbeitsmedizin erweitert [5 ]. Zudem wurde der Weg für den berufsbegleitenden Erwerb der
Zusatzbezeichnung „Betriebsmedizin“ geebnet. Die Zusatzbezeichnung Betriebsmedizin
können Ärzt:innen mit bereits abgeschlossener Facharztausbildung erwerben, indem sie
neun Monate betriebsärztliche Tätigkeit und den Grundkurs Arbeitsmedizin absolvieren
[6 ].
Es wurde bislang keine Studie in Deutschland zu den Motiven durchgeführt, die
Ärzt:innen zu einer beruflichen Laufbahn in der Arbeits- bzw. Betriebsmedizin
motivieren. Ziel der vorliegenden Studie ist daher die Untersuchung der Motive der
Teilnehmenden arbeitsmedizinischer Weiterbildungskurse für die Aufnahme einer
arbeitsmedizinischen Weiterbildung sowie deren Zufriedenheit mit der Weiterbildung,
um Hinweise auf eine adäquate Akquise von Nachwuchsmediziner:innen abzuleiten.
Weiterhin sollen die Rolle und Gestaltung der Arbeitsmedizin im Medizinstudium
evaluiert werden, um Möglichkeiten der Attraktivitätssteigerung
präventivmedizinischer Fächer bereits während des Studiums zu eruieren.
Methodik
Stichprobe und Studiendesign
Die vorliegende Studie stellt die Basiserhebung einer geplanten
Längsschnitterhebung dar und wurde von April 2018 (Standort Dresden) bzw. Januar
2021 (vier weitere Standorte, vgl. [Tab.
1 ]) bis einschließlich Dezember 2021 durchgeführt. Die Befragung wurde
zunächst sachsen-, später deutschlandweit umgesetzt. An der Erhebung nahmen
Teilnehmende arbeitsmedizinischer Kurse von fünf der neun arbeitsmedizinischen
Akademien teil. Die Teilnehmenden der vier weiteren Akademien (Bayern, Berlin,
Hessen, Nordrhein) konnten für die vorliegende Auswertung nicht berücksichtigt
werden, da bis zu Beginn der Datenanalyse keine anonymisierten
Teilnehmendenlisten vorlagen. Nach einer einjährigen Erhebungsphase von Januar
bis Dezember 2021 wurde ein Stichprobenumfang von n =359 ausgefüllten
Fragebögen (Online: n =256; Paper-Pencil: n =103) erreicht. Es
wurden bei der Online-Befragung alle Datensätze ausgeschlossen, die
unvollständig ausgefüllt waren (n =44), unstimmige bzw. widersprüchliche
Antworten enthielten (n= 22) oder doppelt bzw. mehrfach vorlagen
(n =16). Bei der Paper-Pencil Befragung mussten hinsichtlich dieser
Kriterien keine Datensätze ausgeschlossen werden. Nach Abschluss der Bearbeitung
der Rohdaten wurden alle Datensätze (n =Online: n =174;
Paper-Pencil: 103) zusammengeführt (n =277). Anschließend wurden alle
Datensätze von Akademien mit einem Rücklauf von weniger als zehn Prozent sowie
von Teilnehmenden an Akademien, für die aufgrund fehlender Rückmeldungen kein
Rücklauf berechnet werden konnte, ausgeschlossen (n= 233). Die
Gesamtresponse an allen eingeschlossenen Akademien (Baden-Württemberg, Hamburg,
Rheinland-Pfalz, Sachsen und Westfalen-Lippe) betrug 29%, die Response an der
Sächsischen Landesärztekammer (SLÄK) betrug 50%, und die Response an den übrigen
vier Akademien lag zwischen 18% und 23%. Die Follow-Up-Befragung soll
voraussichtlich im Jahr 2024 beginnen mit weiteren, regelmäßigen Befragungen
alle drei Jahre.
Tab. 1 Soziodemografische und berufliche Merkmale der
Stichprobe.
Merkmale
Stichprobe n=233 (100%)
Geschlecht
Frauen
159 (68,2%)
Männer
73 (31,3%)
Fehlend
1 (0,4%)
Alter Mittelwert (in Jahren) (SD)
43,1 (7,9)
Aktuelle Weiterbildungseinrichtung
Bochum
28 (12,0%)
Dresden
115 (49,4%)
Hamburg/Lübeck
23 (9,9%)
Ulm/Stuttgart
67 (28,8%)
Aktueller Kurs
Modul I (ehemals: A1)
40 (17,2%)
Modul II (ehem. A2)
30 (12,9%)
Modul III (ehem. B1)
50 (21,5%)
Modul IV (ehem. B2)
27 (11,6%)
Modul V (ehem. C1)
34 (14,6%)
Modul VI (ehem. C2)
51 (21,9%)
Datenerhebung
Der Fragebogen wurde in Anlehnung an den Fragebogen von Enderle (2015) [4 ] erstellt und um eigene Fragen ergänzt.
Der initial verwendete Fragebogen mit 31 Items wurde im Zuge der
deutschlandweiten Ausweitung im Jahr 2021 um Fragen zur Digitalisierung,
SARS-CoV-2 und zur neuen Weiterbildungsverordnung erweitert und von der
„Paper-Pencil“- in eine Online-Version übertragen. Die Fragen zu Digitalisierung
und SARS-CoV-2 wurden separat von Efimov et al. (2023) [8 ] ausgewertet. An der arbeitsmedizinischen
Akademie in Dresden fand die Befragung in Paper-Pencil-Form statt, an den
restlichen Akademien wurde sie online umgesetzt. Der Fragebogen beinhaltete
sowohl Fragen zu dem aktuellen arbeitsmedizinischen Kurs (siehe Online-Tabelle
B1 im Anhang) als auch zu soziodemographischen und berufsbezogenen Informationen
wie z. B. Anzahl der Berufsjahre (siehe Online-Tab. B2/B3). Auch der Umfang der
aktuellen Erwerbstätigkeit wurde erfragt sowie geplante berufliche Veränderungen
in den kommenden zwei Jahren (siehe Online-Tab. B4). Bezüglich der Weiterbildung
wurden die Teilnehmenden nach dem Hauptgrund der Weiterbildung, dem
Weiterbildungsziel, dem geplanten Zeitanteil arbeitsmedizinischer Tätigkeit und
den Erwartungen an die Arbeitsmedizin befragt (siehe Online-Tab. B5). Zudem
wurde erhoben, inwiefern das Fach Arbeitsmedizin stärker in das Medizinstudium
einbezogen werden sollte (Online-Tab. B5). Zusätzlich wurde gefragt, wie viele
Stunden pro Woche und am Wochenende Zeit für Erholung zur Verfügung steht
(Online-Tab. B6). Im Rahmen der neuen (Muster-)Weiterbildungsordnung wurden die
Teilnehmenden gebeten einzuschätzen, inwieweit die Anpassungen der neuen
Weiterbildungsordnung den Zugang zur Facharztprüfung/Prüfung zur
Zusatzbezeichnung erleichtern (Online-Tab. B7). Zusätzlich konnten in einem
Freitextfeld Verbesserungsvorschläge zu Förderungsmöglichkeiten der
arbeitsmedizinischen Facharztweiterbildung gemacht werden.
Datenanalyse
Die erhobenen quantitativen Daten wurden deskriptiv ausgewertet. Eine
hierarchische (agglomerative) Clusteranalyse wurde mithilfe des Ward-Verfahrens
für binäre Variablen durchgeführt, um verschiedene Motive für den Beginn einer
arbeitsmedizinischen Weiterbildung zu typologisieren. Nicht-binäre Variablen
(Alter, Zeit für Nebentätigkeit neben dem Hauptberuf, Anzahl der Berufsjahre als
Ärzt:in, Zeit für Entspannung täglich und am Wochenende) wurden vorab
dichotomisiert. Die folgenden Variablen wurden für die Clusteranalyse verwendet:
Alter, Geschlecht, Familienstand, Kinder, Zeit für Tätigkeit neben dem
Hauptberuf, abgeschlossene Facharztausbildung, „angestellt in einem
überbetrieblichen Dienst“, Anzahl der Berufsjahre als Ärzt:in, geplante
berufliche Veränderungen, Hauptgründe für den Beginn einer arbeitsmedizinischen
Weiterbildung, Erwartungen an die Arbeitsmedizin, angestrebtes
Weiterbildungsziel sowie Zeit für Entspannung täglich und am Wochenende. Das
Ellbogenkriterium wurde genutzt, um die am besten geeignete Anzahl an Clustern
zu identifizieren. Nach Identifikation der Cluster wurden mit Hilfe von χ2-Tests
Unterschiede zwischen den Clustern identifiziert (Online-Tab. Anhang A1). Die
statistische Auswertung erfolgte mit IBM SPSS Statistics (Version 26).
Ergebnisse
Deskriptive Charakteristika
In die Analysen konnten n =233 Fragebögen einbezogen werden. Da sich die
Charakteristika der Dresdner Teilnehmenden nicht substanziell von denen der
Gesamtstichprobe unterschieden und auch die sonstigen Studienergebnisse
vergleichbar waren, wurde auf eine Subanalyse der Dresdner Stichprobe
verzichtet. Der Großteil der befragten Personen war weiblich (68,5%) und das
Alter lag im Mittel bei 43,1 Jahren (SD= 7,9 Jahre, siehe [Tab. 1 ]). Die Teilnehmenden waren
durchschnittlich 11,2 Jahre als Ärzt:innen tätig (SD =7,4 Jahre), zu 60%
vollzeiterwerbstätig und strebten zu 73,4% die Fachgebietsbezeichnung
Arbeitsmedizin an. 49% haben am arbeitsmedizinischen Weiterbildungskurs am
Standort Dresden teilgenommen.
Mit 51 Nennungen (21,9%) nahmen die meisten Teilnehmenden an Kursteil VI (ehemals
C2) teil ([Tab. 1 ]). 92,7% waren bereits
arbeitsmedizinisch tätig, und zwei Drittel strebten eine arbeitsmedizinische
Tätigkeit mit einem Zeitanteil von mindestens 75% an ([Abb. 1 ]).
Abb. 1 Angestrebter Zeitanteil arbeitsmedizinischer Tätigkeit.
Clusteranalyse zur Identifikation von Motiven für den Beginn einer
arbeitsmedizinischen Weiterbildung
Von 233 Teilnehmenden konnten n =211 in die Clusteranalyse einbezogen
werden. Die Clusteranalyse identifizierte vier Cluster von Motiven: „Work &
Life Balance“, „Karriere & Interesse“, „Selbstständigkeit“ und
„Veränderungswunsch“, denen 74, 61, 41 und 35 Teilnehmende zugeordnet werden
konnten ([Tab. 2 ]). Im Folgenden werden
die einzelnen Cluster näher skizziert (s. auch Online-[Tab. 1 ] im Anhang).
Tab. 2 Charakteristika der vier Cluster.
Variablen
Cluster
Work & Life Balance (n =74)
Karriere & Interesse (n =61)
Selbstständigkeit (n =41)
Veränderungswunsch (n =35)
Geschlecht
Frauen
70 (94,6%)
40 (65,6%)
20 (48,8%)
19 (54,3%)
Männer
4 (5,4%)
21 (34,4%)
21 (51,2%)
16 (45,7%)
Alter
Mittelwert in Jahren (SD)
41,4 (5,6)
38,8 (6,5)
43,4 (8,3)
49,6 (5,7)
Familienstand
Feste Partnerschaft
72 (97,3%)
54 (88,5%)
40 (97,6%)
32 (91,4%)
Keine feste Partnerschaft
2 (2,7%)
7 (11,5%)
1 (2,4%)
3 (8,6%)
Kinder
Ja
72 (97,3%)
19 (31,1%)
34 (82,9%)
33 (94,3%)
Nein
2 (2,7%)
42 (68,9%)
7 (17,1%)
2 (5,7%)
Cluster 1: Work & Life Balance
35% der 211 Teilnehmenden wurden dem Cluster „Work & Life Balance“
zugeordnet. Personen aus diesem Cluster hatten am seltensten eine bereits
abgeschlossene Facharztausbildung (39,2%), arbeiteten am häufigsten bei einem
überbetrieblichen Dienst (56,8%), waren zum Großteil weiblich (94,6%) und hatten
am häufigsten Kinder (97,3%). Jene Teilnehmenden zeichneten sich v. a. durch
Erwartungen an die Arbeitsmedizin aus, die auf die Vereinbarkeit von Familie und
Beruf abzielen. Sie gaben am häufigsten an, neben dem Hauptberuf zusätzlich mehr
als 20 Stunden pro Woche (Care-)Arbeit zu verrichten wie bspw.
Kinderbetreuung.
Cluster 2: Karriere & Interesse
Das Cluster „Karriere & Interesse“ repräsentiert 29% der Teilnehmenden, die
in die Clusteranalyse einbezogen wurden. Jenes Cluster umfasst v. a. die jungen
(Altersdurchschnitt: 38,8 Jahre) kinderlosen Teilnehmenden (68,9%) mit wenig
Berufserfahrung. Circa 77% waren weniger als neun Jahre (Median) als Ärzt:in
tätig. Diese nannten am häufigsten karriere- und interessenbezogene Erwartungen
wie bspw. „gute Aufstiegsmöglichkeiten“ und „Behandlung eines breiten Spektrums
an Krankheiten“. Jene Teilnehmenden gaben am häufigsten an, ihr Einkommen
erhöhen zu wollen. Zudem wählten sie am häufigsten das inhaltliche Interesse als
Hauptgrund für den Beginn einer arbeitsmedizinischen Weiterbildung.
Cluster 3: Selbstständigkeit
Das Cluster „Selbstständigkeit“ umfasst 19% der Teilnehmenden und hat den größten
Anteil an männlichen Teilnehmern (54,3%) sowie an Teilnehmenden mit bereits
abgeschlossener Facharztausbildung (90,2%). Personen dieses Clusters wollten
eigenverantwortlich und selbstständig arbeitsmedizinisch tätig sein. Jene waren
am seltensten bei einem überbetrieblichen Dienst tätig und gaben am häufigsten
an, eine arbeitsmedizinische Tätigkeit in der eigenen Praxis (46,3%)
anzustreben. Zudem wählten sie am häufigsten das Weiterbildungsziel
„Betriebsmedizin“. In den Freitextantworten der Teilnehmenden aus diesem Cluster
wurde häufig der Wunsch nach Selbstständigkeit geäußert wie bspw.
„eigenverantwortliches Arbeiten als angestellter Betriebsarzt ohne direkte
Vorgesetzte“ oder „nach Praxisabgabe Teilzeittätigkeit mit hoher
Selbstorganisation und Eigeninitiative“.
Cluster 4: Veränderungswunsch
Von 211 Teilnehmenden sind 17% dem Cluster „Veränderungswunsch“ zuzuordnen. Jene
hatten den höchsten Altersdurchschnitt von 49,6 Jahren (SD 5,7) und die
längste Berufserfahrung. Circa 89% der Teilnehmenden war länger als neun Jahre
als Ärzt:in tätig. Für sie stellte der Wunsch nach Veränderung die
Hauptmotivation für den Beginn einer arbeitsmedizinischen Weiterbildung dar.
Dieser Wunsch betrifft v. a. die ärztliche Tätigkeit an sich. Dies zeigt sich
darin, dass jene als Hauptgrund für den Beginn einer arbeitsmedizinischen
Tätigkeit prozentual am häufigsten die Frustration in der bisherigen ärztlichen
Tätigkeit wählten (51,4%). Verglichen mit Teilnehmenden aus anderen Clustern
gaben Teilnehmende aus diesem Cluster am seltensten den Wunsch an, ihr Einkommen
erhöhen zu wollen.
Beurteilung des Faches Arbeitsmedizin im Medizinstudium & der
arbeitsmedizinischen Weiterbildung
Etwa zwei Drittel (69%) der Befragten empfanden Umfang und Rolle der
Arbeitsmedizin im Medizinstudium als zu gering bzw. zu wenig präsent und
sprachen sich für eine stärkere Einbindung des Faches Arbeitsmedizin in der
akademischen Ausbildung aus. In den Freitextantworten wurde auch angemerkt, dass
das Fach Arbeitsmedizin im Studium praxisnäher gestaltet werden könnte, z. B.
durch arbeitsmedizinische Exkursionen. Die Vorteile der Arbeitsmedizin, wie eine
gute Vereinbarkeit von Beruf und Familie, sollten stärker hervorgehoben werden.
Bezüglich der Frage, inwieweit die Anpassungen im Zuge der neuen (Muster-)
Weiterbildungsordnung den Teilnehmenden bei dem Zugang zur Facharztprüfung
geholfen haben, zeigte sich kein einheitliches Meinungsbild. Etwa 40% der
Befragten waren der Ansicht, dass die Anpassungen hilfreich waren. Demgegenüber
erlebten aber auch insgesamt 60% die Anpassungen als (eher) nicht oder nur
teilweise hilfreich. 48 Teilnehmende machten Verbesserungsvorschläge zu der
arbeitsmedizinischen Weiterbildung. Am häufigsten wurden eine finanzielle
Förderung der Weiterbildung, weniger Präsenzanteile und die freie Wahl der
Akademien für die Teilnahme an den einzelnen Kursteilen gewünscht. Inhaltliche
Änderungswünsche waren z. B. Fortbildungen zu aktuellen klinischen Themen.
Diskussion
Die vorliegende Studie vermittelt einen ersten Einblick in die Charakteristika von
angehenden Arbeits- und Betriebsmediziner:innen sowie deren Motive, eine
arbeitsmedizinische Weiterbildung zu absolvieren. Hinsichtlich der Beweggründe, die
Ärzt:innen zum Beginn einer arbeitsmedizinischen Weiterbildung bewegen, lassen sich
in der vorliegenden Stichprobe vier Motive identifizieren: „Work & Life
Balance”, „Karriere & Interesse”, „Selbstständigkeit“ und „Veränderungswunsch“.
Das Motiv „Work & Life Balance“ war dabei am häufigsten vertreten, d. h. der
Wunsch nach einer stärkeren Vereinbarkeit von Beruf- und Privatleben war für die
Mehrheit der Befragten ein zentraler Beweggrund für die Weiterbildung. Dies zeigte
sich ebenso in der Studie von Enderle [4 ], in
der auch die Möglichkeiten der familienfreundlichen Arbeitszeitgestaltung in der
Arbeitsmedizin am häufigsten als Hauptgrund für den Beginn einer
arbeitsmedizinischen Weiterbildung gewählt wurden. In dem Cluster „Work & Life
Balance“ wurde am häufigsten von den Personen angegeben, dass sie noch neben dem
Hauptberuf zusätzlich mehr als 20 Stunden pro Woche (Care-)Arbeit verrichteten. Dies
könnte auch ein Grund dafür sein, dass jenen Personen eine familienfreundliche
Arbeitszeitgestaltung wichtig ist, damit sie diesen Tätigkeiten weiterhin nachgehen
können. Die vorliegende Clusteranalyse ergab aber auch, dass zwei Drittel der
Teilnehmenden andere Motive als die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie haben, die
sie zu einer arbeitsmedizinischen Weiterbildung bewegen: karriere- und
interessenbezogene Bewegründe sowie der Wunsch, selbstständig zu arbeiten, aber auch
das Bedürfnis nach Veränderung hinsichtlich der ärztlichen Tätigkeit können
Ärzt:innen dazu bewegen, eine arbeitsmedizinische Weiterbildung zu beginnen. Die
Teilnehmenden aus dem Cluster „Selbstständigkeit“ wählten am häufigsten das
Weiterbildungsziel „Betriebsmedizin“. Dies lässt vermuten, dass sie primär die
Motivation haben, sich mit der Zusatzweiterbildung „Betriebsmedizin“ in Ergänzung zu
ihrer Haupttätigkeit ein zweites Standbein aufzubauen.
Limitationen
Die vorliegende Studie unterliegt möglichen Limitationen. Bei der
Studienpopulation handelt es sich um eine relativ kleine, in Bezug auf
soziodemographische Faktoren wie z. B. den sozioökonomischen Status homogene
Gruppe. Dies erschwerte die Bildung von Clustern [7 ]. Eine weitere Limitation ergibt sich aus
der Eigenschaft der Clusteranalyse selbst, da keine objektiven Kriterien für die
Festlegung der Anzahl an Clustern bestehen und in der Regel versucht wird, die
Anzahl der Cluster so zu bestimmen, dass sie leicht interpretierbar sind [8 ]. Dennoch erscheinen uns die in der
explorativen Clusteranalyse gefundenen Typologien als eine gute Grundlage für
weitere Analysen. In der geplanten Follow Up-Untersuchung wird sich zeigen, ob
und inwieweit die gefundenen Cluster tatsächlich trennscharf sind und ggf.
Cluster-spezifisch zugeschnittener (Weiterbildungs-)Angebote bedürfen.
Implikationen für Forschung und Praxis
Die Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigen, dass eine praxisnähere Vermittlung
von arbeitsmedizinischen Inhalten im Studium dazu beitragen könnte, mehr
arbeitsmedizinischen Nachwuchs zu generieren v. a. im Hinblick darauf, dass das
Berufsmonitoring Medizinstudierender 2018 durch die KBV ergab, dass die
Arbeitsmedizin als zukünftiges Fachgebiet mit am seltensten von den
Medizinstudierenden angestrebt wird [9 ].
Daher ist eine verbesserte, auf die Zielgruppen zugeschnittene
Informationsvermittlung zu arbeitsmedizinischen Karrierewegen bereits im
Studium, aber auch danach für die Akquise von arbeitsmedizinischem Nachwuchs
wichtig. Um zeitliche Trends erkennen und bei der Gestaltung der Weiterbildung
berücksichtigen zu können, sind weitere Befragungen mit dem gleichen Instrument
erforderlich. Zudem wären auch Längsschnittbetrachtungen sinnvoll, um zu
untersuchen, ob die Motive oder Erwartungen im weiteren Erwerbsverlauf
realisiert werden können.
Schlussfolgerungen
Die vorliegende Studie liefert erste empirische Ergebnisse zu den
unterschiedlichen Motiven der Teilnehmenden arbeitsmedizinischer
Weiterbildungskurse. Diese zeigen, dass es unterschiedliche Beweggründe gibt,
die Personen dazu bewegen, eine arbeitsmedizinische Weiterbildung anzustreben.
Auf diese sollte v. a. auch bei der Akquise von arbeitsmedizinischem Nachwuchs
eingegangen werden, indem zielgruppenspezifisch für die Arbeitsmedizin geworben
wird. Die clusteranalytische Differenzierung unterschiedlicher Motive könnte
auch für andere Tätigkeiten im Gesundheitswesen einen Beitrag zu einer
bedarfsgerechteren Gestaltung beruflicher Karrierewege und zu einer auf die
individuellen Bedürfnisse besser zugeschnittenen Karriereberatung leisten. Da
die Arbeitsmedizin beispielhaft für präventivmedizinische Fächer im
Medizinstudium steht, kann die Evaluation der Arbeitsmedizin in Studium und
Weiterbildung auch dazu beitragen, andere präventivmedizinische Fächer
attraktiver zu gestalten.
Die vorliegende Befragung ist in Deutschland bisher einzigartig, und es sind
weitere Befragungen mit dem gleichen Instrument notwendig, um zeitliche Trends
identifizieren und ihnen in der Gestaltung der Weiterbildung begegnen zu können.
Die geplanten Längsschnittanalysen versprechen einen wertvollen Aufschluss
darüber, inwieweit sich Motivation bzw. Erwartungen tatsächlich im weiteren
Berufsverlauf realisieren ließen. Aus solchen Längsschnittanalysen lassen sich
Gestaltungsmöglichkeiten ableiten, die die Attraktivität einer
präventivmedizinischen Tätigkeit noch weiter steigern können.
Verfügbarkeit von Daten und Materialien
Die in der vorliegenden Studie analysierten Datensätze sind aufgrund der
deutschen Datenschutzbestimmungen nicht öffentlich zugänglich, können aber beim
korrespondierenden Autor angefragt werden.
Genehmigung der Ethikkommission und Einverständniserklärungen
Die Studie wurde in Übereinstimmung mit der Deklaration von Helsinki und dem
Genfer Gelöbnis durchgeführt und von der Ethikkommission der TU Dresden,
Deutschland, genehmigt (EK 119042018). Vor der Durchführung der Umfrage wurden
alle Teilnehmenden schriftlich über den Datenschutz, die Vertraulichkeit und die
Anonymität der Studienergebnisse aufgeklärt. Alle Teilnehmenden unterzeichneten
eine Einverständniserklärung.