Schlüsselwörter
Infektiologie - Facharztausbildung - Qualität der medizinischen Versorgung - Emerging Infections - Antibiotic Stewardship
Keywords
infectious diseases - postgraduate training - health care quality - emerging infections - antibiotic stewardship
Abkürzungen
ABS:
Antibiotic Stewardship
COVID-19:
Coronavirus Disease 2019 durch SARS-CoV-2
HIV:
Humanes Immundefizienz-Virus
OPS:
Operationen- und Prozedurenschlüssel
SAB:
Staphylococcus-aureus-Blutstrominfektion
Einleitung
Infektionskrankheiten sind ein häufiger Grund für eine stationäre Behandlung oder verkomplizieren diese: Bei 13 % aller stationären Behandlungen in Deutschland ist eine Infektion die Hauptdiagnose, bei 20 % findet sich unter den Nebendiagnosen mindestens eine Infektion [1]. Mehrere Faktoren tragen zu dieser Entwicklung bei und führen zu infektiösen Komplikationen: eine alternde Gesellschaft, vermehrte Multimorbidität, immunsuppressive Therapien sowie operative Eingriffe und Implantationen von Prothesen und Fremdmaterialien. Global zunehmende Resistenzraten von Infektionserregern erfordern einen rationalen Einsatz von Antiinfektiva, während der Klimawandel sowie die Zunahme der globalen Bevölkerungsdichte und -mobilität das Risiko von Ausbrüchen, insbesondere durch Zoonosen, erhöhen, wie die COVID-19-Pandemie zuletzt eindrücklich gezeigt hat.
Infektionskrankheiten – allgemeine und spezialisierte Behandlung
Infektionskrankheiten – allgemeine und spezialisierte Behandlung
Infektionskrankheiten treten in allen medizinischen Disziplinen auf, und ihre Behandlung ist in der Regel bei Fachärztinnen und -ärzten für Allgemeinmedizin oder Vertretern organspezifischer Facharztkompetenzen in guten Händen. Darüber hinaus findet sich eine besondere und auch für die Zukunft wichtige infektiologische Kompetenz bei Ärztinnen und Ärzten aller Disziplinen, die eine Zusatzweiterbildung Infektiologie erworben haben. Für die Prävention und Behandlung besonders komplizierter Infektionen oder für Infektionen bei komplex erkrankten Patientinnen und Patienten sind jedoch darüber hinaus gehende infektiologische Kompetenzen erforderlich.
Der Deutsche Ärztetag hat deshalb 2021 die Einführung eines Facharztes für Innere Medizin und Infektiologie beschlossen. Bis auf wenige Ausnahmen gibt es diese Weiterbildungsmöglichkeit nun in allen Landesärztekammern. Für viele junge Ärztinnen und Ärzte ist die Infektiologie aufgrund der Interdisziplinarität und der zunehmenden Bedeutung ein attraktives Fach, zusätzlich gestärkt durch die neue Facharztbezeichnung. Entsprechend wird die Nachfrage nach Weiterbildungskapazitäten weiter zunehmen.
Für die stationäre infektiologische Behandlung existieren – je nach den lokalen Gegebenheiten – unterschiedliche Konzepte, von der vorwiegend konsiliarischen Betreuung der anderen klinischen Fächer bis hin zu einer bettenführenden Infektiologie. Immer ist ein hohes Maß an interdisziplinärer Zusammenarbeit gefordert, da jedes Organsystem betroffen sein kann und häufig spezielle diagnostische und therapeutische Verfahren durch die jeweilige Fachdisziplin erforderlich sind. Primär gefragt ist die Infektiologie bei der Behandlung von Menschen mit HIV-Infektion und besonders kontagiösen oder gefährlichen Infektionen sowie bei Patienten mit importierten Erkrankungen. Die Endokarditis und Infektionen, die mit implantiertem Fremdmaterial assoziiert sind, sowie Infektionen bei Organtransplantierten sind typische Beispiele, bei denen eine spezielle infektiologische Kompetenz hilfreich ist. Bei komplizierten Infektionen mit resistenten oder multiresistenten Erregern sollte die Infektiologie regelhaft in die Behandlung miteinbezogen werden.
Infektiologische (Mit-)Behandlung und Behandlungsqualität
Infektiologische (Mit-)Behandlung und Behandlungsqualität
Zahlreiche Studien belegen, dass die (Mit-)Behandlung durch Infektionsexpertinnen und -experten vorteilhaft ist. Am deutlichsten wird dies bei Infektionserkrankungen mit einem hohen Sterberisiko. So wurde in Studien aus unterschiedlichen Ländern gezeigt, dass die Einbindung der Infektiologie in die Behandlung der Staphylococcus-aureus-Blutstrominfektion (SAB) zu einer Senkung der Letalität um ca. 40 % führt ([Abb. 1]) [2]. Ähnliche Daten wurden für Blutstrominfektionen durch Enterokokken oder Candida-Spezies erhoben [3]
[4]. Bei der Behandlung der Endokarditis oder periprothetischer Infektionen empfehlen Leitlinien die Einbindung der Infektiologie, z. B. in interdisziplinären Teams [5]
[6]. Dementsprechend sind in Deutschland dort, wo infektiologisches Fachpersonal verfügbar ist, bereits vielfach interdisziplinäre Endokarditis-Teams etabliert, in denen Expertinnen und Experten aus Kardiologie, Kardiochirurgie und Infektiologie gemeinsam die Diagnostik und Therapie koordinieren.
Abb. 1 Infektiologisches Konsil und Überleben bei Staphylococcus-aureus-Blutstrominfektionen (SAB) [2].
Der Bedarf an infektiologischer Expertise schlägt sich auch in den Anfragen für infektiologische Beratungen nieder. An den Universitätskliniken Berlin – Charité, Frankfurt, Freiburg, Gießen, Köln und Regensburg, wo infektiologische Kliniken oder Schwerpunkte bereits seit Langem etabliert sind, wurden im Jahr 2022 ca. 15 000 infektiologische Konsile erbracht. Angefordert wurden diese aus nahezu allen Fachabteilungen: chirurgischen (46 %), internistischen (21 %) und anderen (33 %) ([Abb. 2]). Inhaltlich stehen Fragen nach gezielten diagnostischen Maßnahmen sowie nach einer optimalen antiinfektiven Therapie im Vordergrund. In 20 % der Fälle führt die infektiologische Beratung zu einer neuen Diagnose bzw. zur Revision der initialen Arbeitsdiagnose [7].
Abb. 2 Anforderer für infektiologische Konsile in 6 Universitätskliniken (2022; n = 14 964).
Infektiologie in der stationären Versorgung
Infektiologie in der stationären Versorgung
Die Aufgabe der Infektiologie besteht primär in der kompetenten Behandlung von Patientinnen und Patienten mit komplexen Infektionen sowie mit Komorbiditäten. Dies erfordert spezielle Kompetenzen in der Diagnostik wie Therapie, aber auch entsprechende Kenntnisse in der Pathophysiologie der Organerkrankungen. Aus diesem Grund ist die Infektiologie als Schwerpunkt in der Inneren Medizin angesiedelt.
In Krankenhäusern höherer Versorgungsstufen, insbesondere an den Universitätskliniken, werden Fachärztinnen und -ärzte für Innere Medizin und Infektiologie und Fachärztinnen und Fachärzte mit Zusatzweiterbildung Infektiologie benötigt, um eine kompetente Behandlung von Infektionskrankheiten mit hoher Komplexität zu gewährleisten. Perspektivisch sollten alle Universitätsklinika über eine infektiologische Einheit mit dieser Kompetenz verfügen. Eine stetig steigende Zahl von Fachärztinnen und Fachärzten hat in den letzten Jahren die Zusatzweiterbildung Infektiologie erworben ([Abb. 3]) [10]. Die Expertise dieser Kolleginnen und Kollegen wird auch in Zukunft dringend gebraucht, sowohl in den Kliniken der Maximalversorgung als auch in Häusern der mittleren Versorgungsstufe. Um an internationale Standards von Ländern mit gut etablierten infektiologischen Strukturen wie den USA oder Schweden aufzuschließen, werden 1000–2000 Ärztinnen und Ärzte mit infektiologischer Spezialexpertise benötigt [11]. Hierzu sind in den nächsten Jahren große Anstrengungen nötig, die besonders von den aktuell 33 DGI-zertifizierten Zentren geleistet werden müssen. Mit den bisherigen Zuwachszahlen bei den Zusatzweiterbildungen Infektiologie erscheint es realistisch, dass in den nächsten zehn Jahren in Deutschland 1000 Infektiologinnen und Infektiologen, 50 % davon mit Facharztkompetenz, weitergebildet werden.
Abb. 3 Ärztinnen und Ärzte mit Zusatzweiterbildung Infektiologie [10].
Zusätzlich bedarf es jedoch auch einer konsequenten Anpassung der verfügbaren Abrechnungs- und Erlössystematik. Die Infektiologie ist ähnlich wie die Rheumatologie oder die Endokrinologie eine Fachdisziplin ohne hoch technisierte invasive Diagnostik und Therapie (wie z. B. Endoskopie oder Herzkatheter) und wird daher, trotz häufig langwieriger stationärer Therapie und hohem Zeitbedarf, hinsichtlich Datenanalyse, Differenzialdiagnose und Beratung im aktuellen DRG-System nicht adäquat abgebildet. Es existieren nur wenige spezielle infektiologische OPS-Codes (z. B. Isolation bei bestimmten Erregern). Die wichtigsten interdisziplinären Leistungen, wie die häufig langwierige und kostenintensive Therapie komplexer infektiologischer Krankheitsbilder, bedürfen dringend eigener OPS-Codes oder äquivalenter Vergütungsstrukturen. Da derzeit zentrale Leistungen der Infektiologie nicht ausreichend abgebildet sind, wird die spezialisierte Versorgung trotz der nachgewiesenen positiven Effekte auf das Behandlungsergebnis für die meisten Kliniken wirtschaftlich unattraktiv.
Antiinfektiva zählen zu den meistverwendeten Arzneimitteln, jedoch erfolgt ihr Einsatz häufig ohne rechtfertigende Diagnose bzw. zu lange oder zu ungezielt [8]. Diese Praxis leistet der weltweiten Verbreitung von Antibiotikaresistenzen Vorschub. Im vergangenen Jahrzehnt wurden deshalb unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie (DGI) Programme unter der Bezeichnung „Antibiotic Stewardship“ (ABS) aufgesetzt. Antibiotic Stewardship ist eine interdisziplinäre Aufgabe und kann als Teilbereich der Infektiologie angesehen werden, was sich auch in den Weiterbildungscurricula niederschlägt. Mittlerweile haben sich viele Fachärztinnen und Fachärzte zu ABS-Experten fortgebildet [9] und leisten fächerübergreifend einen entscheidenden Beitrag für die Verbesserung der Versorgungsqualität und den rationalen Einsatz von Antiinfektiva in deutschen Kliniken.
In Krankenhäusern der Basisversorgung werden auch in Zukunft Infektionskrankheiten vorwiegend von den primär behandelnden Disziplinen behandelt werden. In diesen Kliniken können Ärzte und Ärztinnen mit ABS-Fortbildung, neben der Tätigkeit in interdisziplinären ABS-Teams, zur Verbesserung der Versorgung beitragen.
Ambulante Versorgung in der Infektiologie
Ambulante Versorgung in der Infektiologie
Bereits seit Jahrzehnten hat sich in Deutschland im ambulanten Sektor eine starke Infektiologie etabliert. Die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen sind in der Regel federführend bei der Therapie chronischer Virusinfektionen wie der HIV-Infektion, sexuell übertragbaren Erkrankungen (z.B. Syphilis) oder viralen Hepatitiden und leisten hier einen essenziellen Versorgungsbeitrag. Diese kompetenten infektiologischen Praxen kooperieren vielerorts eng mit den jeweiligen Fachabteilungen im stationären Bereich. Eine weiter verbesserte intersektorale Versorgung von Infektionserkrankungen ist unbedingt anzustreben, zum Beispiel bei der ambulanten parenteralen Antibiotikatherapie (APAT), die eine stationäre Behandlung oft deutlich verkürzen kann.