Nach den Begrüßungen durch Gastgeber Olaf Hardt ([Abb.
1]), Geschäftsführenden Direktor Thomas Wüstner, beide Vivantes Klinikum
Neukölln, und der Sprecherin von ackpa, Bettina Wilms ([Abb. 2]), Querfurt, erhält der stellvertretende Sprecher, Karel Frasch
([Abb. 3]), Donauwörth, die Gelegenheit,
seinen langjährigen Chef und ersten Referenten des Tages Thomas Becker
(Seniorprofessor, Uni Leipzig, zuvor 2002–2022 BKH Günzburg / Uni Ulm), in Form
einer kleinen Laudatio anzumoderieren. In seinem Vortrag „Profession und Erfahrung“
schlägt Becker einen weiten psychiatrisch-historischen Bogen im Lichte der
gesellschaftlichen Strömungen unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklungen im
angloamerikanischen Raum: In den 1960ern standen sich biologische Psychiatrie und
Gemeindepsychiatrie mehr oder weniger unverwandt gegenüber, erst nach und nach und
in den USA sehr spät wurden „gemeindepsychiatrische“ Prinzipien wie
Gleichbehandlung, Peer Support, Empowerment, Kooperation mit Psychologen und
Recovery-Orientierung auch angesichts stark wachsender wissenschaftlicher Basis
prominent in Szene gesetzt. Dies resultierte in entsprechenden
Leitlinienempfehlungen. Demgegenüber, so Becker, sei in jüngerer Zeit eine
„Ökonomisierung des Sozialen“ zu beobachten, was intensiven Austausch mit
politischen Entscheidungsträgern erforderlich mache.
Abb. 1 Olaf Hardt begrüßt die Teilnehmer*innen.
Abb. 2 Bettina Wilms, Sprecherin.
Abb. 3 Karel Frasch, stellv. Sprecher.
Den zweiten Vortrag, diesmal online, hielt Herbert Weisbrod-Frey, Heidelberg,
Patientenvertreter im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) und ehemaliger Leiter des
Bereichs Gesundheitspolitik beim ver.di Bundesvorstand unter dem Titel „Wie viel
Professionalität braucht die Psychiatrie? Die Perspektive der Patient*innen“: Die im
Gefolge der Psychiatrie-Enquête ausgearbeitete Psychiatrie-Personalverordnung
(Psych-PV) wurde, so Weisbrod-Frey, angesichts mangelnder Sanktionierung regelhaft
unterschritten. Der 2016 erteilte Auftrag, eine neue Personalausstattung
festzulegen, mündete (ohne dass hinreichend seriöse Daten zur Verfügung standen) in
die Vorgaben der Psychiatrie und Psychosomatik-Richtlinie PPP-RL, wobei hier
entsprechende Sanktionierungen zwar vorgesehen, aber derzeit ausgesetzt sind. Welche
Personalbemessung für eine leitliniengerechte Behandlung zugrunde zu legen ist,
welche Qualitätsindikatoren zum Zuge kommen und inwiefern die Vorhaltung von
Genesungsbegleitern budgetwirksam berücksichtigt wird, dürfte ebenso Gegenstand
kommender Sitzungen sein wie die Berücksichtigung komorbider Intelligenzminderungen
und die Ausweitung des Regelwerks auf die ambulante Behandlung.
Es folgte ein Referat der Past Präsidentin der Deutschen Ärztlichen Gesellschaft für
Verhaltenstherapie (DÄVT) Beate Deckert, Würzburg, zur leider berechtigten Frage, ob
die ärztliche Psychotherapie ein Auslaufmodell ist angesichts der zu erwartenden
Flut an psychologischen und „Direkt“–Psychotherapeut*innen. Frau Deckert hob das
spezifisch „Integrative“ der ärztlichen Psychotherapie hervor, wies aber auch auf
die aufwendige Aus- und Weiterbildung hin, die den Arztberuf bei Wunsch,
psychotherapeutisch zu arbeiten, im Vergleich zum Direktstudium weniger attraktiv
erscheinen lasse. Außerdem herrsche hohe Unsicherheit angesichts teilweise kaum
durchschaubarer bundeslandspezifischer Bedingungen und teilweiser Nichtanerkennung
von analogen Befugnissen. Die psychologischen Psychotherapeuten seien griffiger
organisiert und politisch damit einflussreicher als die sehr divers auftretenden
Ärzteorganisationen mit ihren zahlreichen Partikularinteressen.
„Fachkräftemangel – müssen (psychiatrische) Krankenhausträger bescheidener werden?“
fragte der letzte Redner an diesem Vormittag, Paul Bohmke, Geschäftsführer des
Pfalzklinikum Klingenmünster, einem psychiatrischen und neurologischen
Großkrankenhaus und Träger von Angeboten der Eingliederungshilfe mit insgesamt über
2500 Mitarbeiter*innen. Deutschland verzeichne, so Bohmke, eine (noch) hohe
Arztdichte: Derzeit seien etwas über 200 000 Ärzt*innen berufstätig. Die „Baby
Boomer“ träten jedoch nach und nach in den Ruhestand ohne für genügend Nachwuchs
gesorgt zu haben. Die Nachrekrutierung gestalte sich immer schwieriger und müsse
perspektivisch, so Bohmke, mehr durch Ärzte mit ihren spezifischen Kenntnissen und
Fertigkeiten bewerkstelligt werden. Er nannte hierzu auch die Verwendung zeitgemäßer
„Tools“ wie soziale Medien, „Corporate Benefits“ und flexible Arbeitszeitmodelle
(„Zeitwertkonto“, Lebensarbeitszeit, Stipendien bei Bleibezusage). Um am Markt
weiterexistieren zu können, führe an ausgeklügelten „Human Resources“-Strategien
kein Weg vorbei.
Nach der Mittagspause fand die ackpa Mitgliederversammlung statt. Diese wurde mit
einer Gedenkminute an den verstorbenen Ehrenvorsitzenden, Prof. Dr. Manfred Bauer,
Offenbach (1937–2024), eröffnet. Verabschiedet werden aus ackpa und dem
Geschäftsführenden Ausschuss (GA), dem beide angehört hatten, Margareta
Müller-Mbaye, Waldbreitbach, und Michael Berner, Karlsruhe – danke Euch beiden! Als
neue ackpa Mitglieder begrüßt werden konnten Stylianos Banatas, Dinslaken, Attila
Hirsch, Troisdorf, Deborah Janowitz, Stralsund, Michael Kluge, Glauchau, Raimund
Steber, Memmingen, Christian Stoppel, Lutherstadt Wittenberg, und Burkhard Rehr,
Geesthacht. Nach Hinweis auf die durch unseren Webmaster und Fotografen Dieter Hoppe
modernisierte Website www.ackpa.de erstattete Sprecherin Bettina Wilms den
Tätigkeitsbericht des GA: Es bestehen zahlreiche regelmäßige Kontakte zu /
Mitgliedschaften in maßgeblichen Organisationen, insbesondere DGPPN (die Sprecherin
und ihre beiden Stellvertreter sind Mitglieder des Vorstandes), BDK und APK (Andreas
Bechdolf, Berlin-Kreuzberg/Friedrichshain und Christian Kieser, Potsdam), STÄKO
(Sylvia Lorenz, Bad Salzungen) und zu politischen Akteuren. Desweiteren sind
ackpa-Mitglieder an der Erarbeitung von Leitlinien beteiligt (u. a. Lille Mahler:
Psychosoziale Therapien, Martin Schäfer: Bipolare Störungen). Neben der Jahrestagung
findet alle zwei Jahre zusätzlich eine gemeinsame Konferenz mit der BDK statt
(nächstmalig am 26./27.09.2024 in Magdeburg: „Weiterbildung am Vorabend eines
Krankenhaus-Strukturwandels“). Im jeweils anderen Jahr soll eine ackpa online
Konferenz auch kurzfristig zu aktuellen Themen zu tagen. Das ackpa Positionspapier
wird nach Rekonstitution der Arbeitsgruppe unter Federführung von Olaf Hardt,
Berlin-Neukölln und Martin Schäfer, Essen weiterbearbeitet. Nach dem Bericht der
Kassenführerin Sylvia Lorenz und dem Ländersprecherupdate beginnt die Planung zu den
Symposien (ackpa und ackpa-BDK; Einreichungsdeadline 19.04.) auf dem diesjährigen
DGPPN Kongress (27.-30.11.2024), weitere wichtige Termine sind der Workshop des
Netzwerks Steuerungs- und Anreizsysteme für eine moderne psychiatrische Versorgung
(23.04. in Berlin-Wannsee), NFEP (03./04.06. in Berlin-Herzberge),
Bundesambulanztreffen (06.06. in Hamburg) und die nächste ackpa Jahrestagung
(13./14.03.2025 in Troisdorf). Anschließend wird Olaf Hardt, Berlin-Neukölln ohne
Gegenstimme in den GA gewählt, herzlichen Glückwunsch! Weitere aktuelle Themen sind
die leider noch immer nicht erreichte Kassenfinanzierung der Sprachmittlung und der
doch recht unterschiedliche Umgang der Kliniken mit den
Psychotherapiedirektstudent*innen (BQT III und nachfolgende Weiterbildung).
Der zweite Tag unter dem (neuen) Titel „Was braucht die Region?“ (Hintergründe unter
https://ackpa.de/kommendekreis/), moderiert von Sylvia Lorenz, wurde
eröffnet von Barbara Florange, Klinikdirektorin Psychiatrie, Psychotherapie und
Psychosomatik und Geschäftsführerin beim GFO-Verbund Olpe, die zum Thema
„Empfehlungen des BMJ zum zukünftigen Umgang mit Unterbringungen in psychiatrischen
Kliniken“ sprach. Sie skizzierte die nicht immer übersichtlichen rechtlichen
Rahmenbedingungen (UN-Behindertenrechtskonvention, Europa-/Bundesrecht), wobei auch
in Ermangelung rechtlicher Handhabemöglichkeiten durch die Behandler mit einer
weiteren Zunahme von mehrjährigen Unterbringungen ohne (Zwangs-)Behandlungen zu
rechnen sei. Anschließend stellte Olaf Hardt die „sektorübergreifende Behandlung am
Vivantes Klinikum Neukölln: Herausforderungen und Hindernisse mit Blick auf die
Transformation der psychiatrischen Behandlung mit den Mitteln des Krankenhauses“ vor
– und damit auch die zweitgrößte Berliner Klinik, von der wiederum die Psychiatrie
mit 194 Betten, 21 StäB- und 94 TK-Plätzen die größte Einzelklinik innerhalb des
Hauses ist. Wie bereits beim bunten Vorabend vor Ort erlebt, ist die Migrantenquote
in Neukölln sehr hoch. Die Schließungszeiten der entsprechenden Stationen sind
überschaubar; durchschnittlich einmal täglich kommt es in der Klinik zu einem
Übergriff. StäB, so Hardt, ist besonders im Hinblick auf den in Berlin
prävalierenden Pflegekräftemangel eine praktikable Alternative. Nach einer kurzen
Pause präsentierte Arno Deister, jahrzehntelanges ackpa Mitglied, DGPPN-Präsident
2017/18 und für die Bundesärztekammer Mitglied der AG PPP-RL des G-BA, erste Zahlen
und Eindrücke vom zeitgleich stattgefundenen EPPIK-Abschlusssymposium am Tag zuvor:
Aus 29 Kliniken für Erwachsenenpsychiatrie konnte ein plausibler Datensatz generiert
worden; allein 70+% der Patient*innen wurden im Cluster 1 („Regelbedarf in allen
drei Dimensionen“) verortet. Die entsprechend abgeleiteten Minutenwerte für die
unterschiedlichen Berufsgruppen waren im Vergleich zur PPP-RL wenig überraschend
weitaus höher, was im Lichte des Fachkräftemangels als große Herausforderung für
alle beteiligten Akteure zu werten ist. Hier könnte eine Lösung im Rollout von
Organisationsformen im Sinne regional orientierter globaler Krankenhausbudgets (oft
unter der Bezeichnung „Regionalbudget“ beschrieben) liegen. Hier zeigt sich eine
höhere Personaleffizienz im Hinblick auf die Patientenversorgung. Erfreulicherweise
hat diese Perspektive auch in den Empfehlungen der Regierungskommission bereits
Niederschlag gefunden. Eine intensive Tagung mit vielerlei brandaktuellen Themen und
besonderem Rahmenprogramm geht zu Ende – wir freuen uns auf die nächste!