Nun ist die stationäre psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung nicht per se zu
kritisieren, wir benötigen sie für viele Patienten unzweifelhaft, sehr
wahrscheinlich auch künftig für mehr als die Hälfte der heute stationär Behandelten.
Tageskliniken machen zudem einen nicht unerheblichen Anteil an der
Krankenhausversorgung aus, in NRW wird deren Anteil bezogen auf alle voll- und
teilstationären Plätze derzeit auf etwa 16% geschätzt [2].
Zielgruppe
Dennoch muss man sich fragen, warum nicht deutlich mehr Kranke, für die ein
alternatives, d. h. ambulantes Behandlungssetting infrage kommt, in einem solchen
behandelt werden. Dabei sind nicht diejenigen psychisch Kranken gemeint, die bereits
heute im ambulanten Setting durch niedergelassene Ärzte und Psychotherapeuten
regelbehandelt werden (und leider häufig lange Wartezeiten in Kauf nehmen müssen).
Es geht auch nicht um diejenigen psychisch Kranken, die bereits heute in
Psychiatrischen Institutsambulanzen versorgt werden und dabei immerhin
interprofessionell und etwas intensiver behandelt werden können. Im Folgenden geht
es um die bisher (teil)stationär behandelten psychiatrisch-psychotherapeutischen
Krankenhauspatienten.
Warum mehr Ambulantisierung?
Warum mehr Ambulantisierung?
Im Fünften Sozialgesetzbuch (SGB V) gilt die Maßgabe „ambulant vor stationär“ schon
sehr lange, und § 39, 1 SGB V beschreibt explizit: „Die Krankenhausbehandlung wird
vollstationär, stationsäquivalent, tagesstationär, teilstationär, vor- und
nachstationär sowie ambulant erbracht…“. Diese Leitsätze haben aber nicht zu
grundsätzlichen Veränderungen der psychiatrischen Krankenhauslandschaft geführt
hat.
Der Sachverständigenrat zur Begutachtung im Gesundheitswesen hat bereits 2018
empfohlen, intensiv-ambulante Angebote u. a. in Psychiatrischen Institutsambulanzen
(gemäß §118 SGB V) aufzubauen, um die „große Lücke“ zwischen ambulanter
fachärztlicher und psychotherapeutischer Regelbehandlung einerseits und
(teil)stationärer Behandlung andererseits zu schließen ([3], S. 745–746; 748).
Bei solchen Überlegungen hat die Patientenperspektive selbstverständlich eine große
Bedeutung. Überraschenderweise existiert hierzu wenig gesichertes Wissen, wie
Schneeberger und Kollegen kürzlich in einer Meta-Analyse berichteten [4]. Es scheint sich aber abzuzeichnen, dass einige
Patientengruppen ein ambulantes Behandlungssetting präferieren und alle in die
Entscheidung über das Behandlungssetting einbezogen werden möchten.
Ausgestaltung und Abgrenzung zu anderen Modellen
Ausgestaltung und Abgrenzung zu anderen Modellen
Die Frage ist nun, wie genau ein solches intensiv-ambulantes Behandlungsangebot
aussehen kann, um tatsächlich (teil)stationäre Behandlung effektiv und effizient
vermeiden zu können. Dabei ist zunächst die Frage, welche Einrichtungen geeignet
sind, ein solches Angebot zu realisieren. Die Antwort fällt im Deutschen
Versorgungssystem eindeutig aus: Es sind die Psychiatrischen Institutsambulanzen (§
118 SGB V), da sie bereits in allen Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie
existieren und somit bereits ein flächendeckendes Versorgungsnetz besteht. Der
Arbeitskreis Psychiatrischer Institutsambulanzen hat bereits 2020 im Namen der drei
wesentlichen Klinikfachverbände ein Rahmenkonzept für eine Ambulante
Intensivbehandlung (AMBI) veröffentlicht und ging dabei davon aus, dass die
Patienten während einer Behandlungsepisode einen Behandlungsbedarf an mindestens
drei Tagen pro Woche aufweisen [5]. Zahlreiche
weitere Aspekte der Behandlung, ihrer Organisation und Finanzierung sind dort
dezidiert beschrieben. Zudem bietet das Modell auch die Möglichkeit einer
sektorübergreifenden Versorgung mit niedergelassenen Fachärzten.
Immer wieder wird in diesem Zusammenhang die Abgrenzung zur stationsäquivalenten
Behandlung (StäB) diskutiert. Zwei Punkte sind hier entscheidend: Zum einen stellt
StäB definitionsgemäß eine stationäre Krankenhausbehandlung dar, zum anderen sind
die außerordentlich rigiden Vorgaben (z. B. persönliche Kontakte an 7 Tagen pro
Woche) mit einer bedarfsangepassten, flexiblen ambulanten Intensivbehandlung nicht
vereinbar. Interessant ist der gemeinsame Bericht der Deutschen
Krankenhausgesellschaft und des GKV-Spitzenverbands über StäB vom 23.12.2021 [6]. Die separate Schlussbewertung des
GKV-Spitzenverbandes geht noch einen Schritt weiter. Hier heißt es: „Die Regelungen
zur StäB sind zu streichen und durch eine intensivierte Versorgung in den
Psychiatrischen Institutsambulanzen zu ersetzen.“ (Seite 40).
Auch das Modell der Koordinierten und Strukturierten Versorgung (KSV) gemäß § 92
Absatz 6b SGB V kann eine Ambulante Intensivbehandlung durch das Krankenhaus nicht
ersetzen. Zwar soll hiermit eine berufsgruppenübergreifende, koordinierte und
strukturierte Versorgung insbesondere für schwer psychisch erkrankte Versicherte mit
einem komplexen psychiatrischen oder psychotherapeutischen Behandlungsbedarf
geschaffen werden [7], aber die Zielgruppe sind
überwiegend ambulante und nicht krankenhausbedürftige psychisch Kranke. Auch wenn
das Modell grundsätzlich zu einer Verbesserung der Versorgung führen kann, sind die
Vorgaben derart gestaltet, dass eine flächendeckende Realisierung einer Reduktion
von (teil)stationären Behandlungssettings in absehbarer Zeit kaum zu erwarten
ist.
Bereits existierende Modelle und wesentliche Ergebnisse
Bereits existierende Modelle und wesentliche Ergebnisse
Mittlerweile existieren im psychiatrischen Bereich eine ganze Reihe von
Modellprojekten nach §64 SGB V, die z.T. auch wissenschaftlich evaluiert wurden. Das
bekannteste ist sicher das sogenannte Regionalbudget [8]. Ein guter Überblick wurde kürzlich von Neumann et al. in einer
Metaanalyse veröffentlicht [9]. Die Mehrzahl
dieser Modellprojekte führen demnach, soweit sie Kliniken für Psychiatrie und
Psychotherapie betreffen und sektorübergreifend angelegt sind, zu einem sehr klaren
Ergebnis: Es kommt zu einem Abbau stationärer, zu einem Aufbau teilstationärer und
zu einem Aufbau ambulanter Behandlungen in den meisten Modellregionen.
Bemerkenswerterweise weisen die Evaluationsergebnisse auch darauf hin, dass
Behandlungsergebnisse mindestens gleich gut blieben. In einem eigenen
ambulant-intensiven Projekt der Integrierten Versorgung bei depressiv Erkrankten
(§145a SGB V) konnten wir in einer nicht randomisierten Kontrollgruppenstudie (und
daher vorläufig) zeigen, dass die Behandlungsergebnisse einer sechswöchigen
ambulanten Intensivbehandlung der stationären Therapie nicht unterlegen waren [10]. Das Hamburger Recover-Projekt wird vom
Innovationsfond gefördert und verfolgt eine gesteuerte und koordinierte Versorgung
auch schwer erkrankter Patienten [11]. In diesem
Projekt werden die Betroffenen bedarfsangepasst deutlich häufiger ambulant als
stationär behandelt, erste Ergebnisse scheinen ebenfalls ermutigend.
Finanzierungsmodelle
Im sogenannte Regionalbudget und anderen Modellprojekten nach §64b SGB V sind
Regelungen getroffen worden, die eine ambulant-intensive statt (teil)stationärer
Behandlung ermöglichen. Allerdings bedarf es einer Möglichkeit in der
Regelversorgung, um tatsächlich eine flächendeckende Umstrukturierung der
Krankenhausversorgung zu ermöglichen. Während die Finanzierung der (teil)stationären
psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung in Deutschland grundsätzlich
bundeseinheitlich geregelt ist, ist sie für die Psychiatrischen Institutsambulanzen
auf Landesebene geregelt. Da sehr unterschiedliche Modelle existieren, lässt sich
eine intensiv-ambulante bedarfsangepasste Behandlung derzeit allenfalls – und auch
dort nur mit Einschränkungen - abbilden, wo das sogenannte Bayerische
Vergütungsmodell eingeführt wurde und auskömmlich finanziert ist. Möglicherweise
eröffnet sich ein neuer Weg durch die Erleichterung der Einführung von
Regionalbudgets, die Regierungskommission [12]
empfiehlt einen Kontrahierungszwang, wenn die Krankenhäuser bereits mit einigen
Krankenkassen einen Vertrag geschlossen haben und 25% der Versicherten einer Region
eingeschlossen wurden.
Zusammenfassend
bleibt zu hoffen, dass die wissenschaftlichen Ergebnisse, die zunehmenden Stimmen aus
der Fachpolitik und die Stimmen der Betroffenen dazu führen, auch in Deutschland
mehr Ambulantisierung der Krankenhauspsychiatrie im Sinne einer ambulant-intensiven
Behandlung zu realisieren, oder mit den Worten von A. Deister: „Wir wollen keine
anderen Patienten behandeln – wir wollen unsere Patienten anders behandeln.“ ([8], S. 216).