Arthritis und Rheuma 2024; 44(04): 282-284
DOI: 10.1055/a-2270-0239
Verbandsnachrichten

Nachrichten des Verbandes Rheumatologischer Akutkliniken e. V.

Heinz-Jürgen Lakomek
 

Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie und Klinische Immunologie (DGRh) und des Verbandes Rheumatologischer Akutkliniken (VRA) zur Aufforderung der spezifischen Definition der Leistungsgruppe „Komplexe Rheumatologie“ und zur Grouper-Entwicklung


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Hintergrund

Das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) hat mit dem Krankenhaus-Transparenzgesetz den Auftrag erhalten, alle einzelnen DRG-Abrechnungsfälle eindeutig einer einzigen Leistungsgruppe (und einem Krankhausstandort) zuzuordnen (sog. Leistungsgruppen-Grouper)[ 1 ]. Die Fachgesellschaften werden dazu aufgefordert, das InEK bei der Definition von Leistungsgruppen über „spezifische“ Attribute (z. B. OPS & ICD-Kodes, Alter) zu unterstützen. Die neuen Mechaniken der Krankenhausplanung und -finanzierung sind hoch komplex und sind in ihrem Zusammenspiel und Auswirkungen von Seiten der Fachgesellschaften nur schwer zu verstehen. Die Definitionen der Leistungsgruppen und ihrer Qualitätskriterien werden jedoch absehbar erheblichen Einfluss auf die künftigen Versorgungstrukturen und deren Finanzierung haben. Die Einführung von Mindestvorhaltezahlen[ 2 ] könnte dies erheblich verstärken. Analysen zu qualitativen und quantitativen Auswirkungen, die sich aus unterschiedlichen Definitionen der Leistungsgruppen und ihrer Hierarchisierung im Leistungsgruppen-Grouper ergeben könnten, stehen nicht zur Verfügung. Fachgesellschaften müssten damit Leistungsgruppen definieren, ohne dass von ihnen die Konsequenz der gewählten Definitionen abgeschätzt werden könnte.

Die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie und Klinische Immunologie (DGRh) und der Verband rheumatologischer Akutkliniken e. V. (VRA) unterstützen gerne Initiativen zur Erhöhung der Transparenz und die Schaffung von Instrumenten zu einer bedarfsorientierten und qualitätsfördernden Krankenhausplanung.

Der VRA und die DGRh sehen sich hierbei als Informationsgeber zu medizinischen Fragestellungen und Fragen der Versorgungsstrukturen in der akutstationären Rheumatologie. Der VRA und die DGRh besitzen hingegen keine Expertise in der Entwicklung von Leistungsgruppensystemen im Kontext neuer ordnungspolitischer Rahmenbedingungen und Finanzierungsmechaniken. Die Erfahrung aus mehr als 20 Jahren DRG-Systementwicklung nach dem Prinzip der Gesamtkostenhomogenität lehrt, dass Leistungsgruppensysteme für konkrete Zwecke entwickelt werden und dabei – wie das G-DRG-System auch – weitgehend den Bezug zu medizinisch einheitlichen Fallgruppen verlieren können. Die Konzeption von Leistungsgruppensystemen zur transparenten Darstellung von Versorgungsqualität, zu einer bedarfsgerechten Krankenhausplanung und einer sachgerechten Finanzierung von Vorhaltekosten übersteigt die Kompetenz des VRA und der DGRh deutlich.

Wir möchten jedoch auf folgende, aus unserer Sicht wichtigen Aspekte hinweisen:

  • Die inhaltlich zu definierende Leistungsgruppe ist textlich vorgegeben und lautet „Komplexe Rheumatologie“. Auch die Qualitätskriterien sind vorgegeben[ 3 ] und bereits aus dem NRW-Modell bekannt. Allerdings soll nicht die Definition aus NRW übernommen, sondern durch eine Definition über OPS und ICD ersetzt werden.

  • Politisch wäre aus unserer Sicht zunächst einmal zu klären, ob eine Definition der Leistungsgruppe entsprechend der Textbezeichnung oder den zugrundeliegenden Qualitätskriterien gewünscht wird. Bereits im NRW-Modell stand der Titel („Komplexe Rheumatologie“) im Widerspruch zur Definition und den zugewiesenen Qualitätskriterien. Auch im DRG-System besteht häufig wenig Bezug von DRG-Titel zur Definition und/oder de facto abgebildeten Fallkollektiven. Bei einer Nutzung in einem Transparenzverzeichnis, das sich gezielt an Behandlungsbedürftige richtet, wäre eher eine Orientierung am Titel anzustreben. Für eine Krankenhausplanung oder Vorhaltefinanzierung mit professionellem Adressatenkreis dürfen durchaus auch andere Aspekte im Vordergrund stehen. Soll stattdessen eine Orientierung an den Qualitätskriterien der Leistungsgruppe „Komplexe Rheumatologie“ gemäß der fachärztlichen Vorgaben aus NRW erfolgen, müsste die Leistungsgruppe Leistungen umfassen, die einerseits unter ausschließlich fachärztlich rheumatologischer Vorhaltung und andererseits auch unter ausschließlich fachärztlich orthopädischer Vorhaltung (mit Zusatzweiterbildung orthopädischer Rheumatologie) erbracht werden dürfen. Hier haben der VRA und die DGRh bislang einen konkreteren Auftrag vermisst. Ggf. wären dann auch noch weitere Fachgesellschaften in die Definition der Leistungsgruppe einzubeziehen.

  • Gewünscht wird eine „spezifische“ Definition. Wir interpretieren dies als Auftrag, Fallkollektive mit bereits existierenden OPS- und ICD-Kodes bzw. Kombinationen davon zu beschreiben, die (möglichst) exklusiv von Krankenhausstandorten behandelt werden sollten, die die o. g. Qualitätskriterien erfüllen. Medizinisch kaum möglich wäre die Definition eines Fallkollektivs, das ausschließlich (spezifisch) die Titel erfüllt, da selbstverständlich „komplexe rheumatologische Fälle“ auch notfallmedizinische, intensivmedizinische, operative und viele weitere Leistungen anderer Fachdisziplinen benötigen können und eine rheumatologische Exklusivität medizinisch eine Rarität darstellt.

  • Damit wird bereits das Problem der Überschneidung und Abgrenzung von Leistungsgruppen offensichtlich. § 21 Abs. 3c Satz 1 KHEntgG i. V. m. § 21 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe g und Nr. 2 Buchstabe i KHEntgG schreibt eine eindeutige Zuordnung eines Falles zu nur einer einzigen Leistungsgruppe vor. Da sich selbst bei einer „spezifischen“ Definition Fälle – wie im DRG-System auch – für mehrere Leistungsgruppen qualifizieren können, bedarf es einer Hierarchisierung der Leistungsgruppen im Rahmen der Grouper-Erstellung. Diese Hierarchie ist weder vorgegeben (auch keine Kriterien hierfür durch den Gesetzgeber) noch ist bekannt, wie das InEK diese Hierarchisierung umsetzen soll und wird. Insbesondere in der konservativen Medizin wird diese Hierarchisierung einen erheblichen Einfluss auf die Zuordnung zu den Leistungsgruppen nehmen. Damit wird deutlich, dass die Fachgesellschaften zwar versuchen können, Leistungsgruppen formal zu definieren, aber keinen wirklichen Einfluss auf die Zuordnung von Fällen zu diesen Leistungsgruppen haben. Allenfalls können sie über die Definition entscheiden, welche Fälle nicht den entsprechenden Leistungsgruppen zugeordnet werden.

  • Die angestrebte 1:1-Zuordnung von Fällen zu Leistungsgruppen nach Hierarchisierung lässt bereits die Nutzung in einem Transparenzverzeichnis als wenig transparenzförderlich erscheinen – zumindest sofern Kennzahlen (z. B. Fallzahlen, Personaleinsatz) quantitativ dargestellt werden sollen.

  • Problematisch wird die angestrebte Spezifität und Hierarchisierung im Kontext des geplanten § 8 Abs. 4 Satz 4 ff. KHEntgG (Abrechnungsverbot, Mindestvorhaltezahlen und Wegfall der Vorhaltevergütung bei deren Unterschreitung). Mit der Definition einer Leistungsgruppe soll festgelegt werden, wer diese Fälle zukünftig noch abrechnen darf. Die Hierarchisierung hat bei komplexen Fällen – krankenhausindividuell – einen hohen Einfluss auf die Fallzahlen und damit ggf. auch auf die Mindestvorhaltezahlen. Erfolgt beispielsweise häufig eine kombinierte rheumaorthopädisch-rheumatologische Behandlung und wird die rheumaorthopädische Operation z. B. aufgrund des Casemix-Anteils hierarchisch höher gewichtet, so erbringt die rheumatologische Klinik datentechnisch-formal weniger „komplexe Rheumatologie“ als eine andere Klinik, die ebenso viele Belegungstage „komplexe Rheumatologie“ erbringt und die Qualitätskriterien gleichermaßen erfüllt, aber keine rheumaorthopädischen Operationen erbringt. Dramatischer wird sich jedoch die erzwungene Exklusivität der Leistungsgruppen-Zuordnung in Verbindung mit dem Abrechnungsverbot auswirken. Dies soll an einem trivialen Beispiel nachstehend demonstriert werden, wird jedoch auch bei allen allgemeinen Leistungsgruppen des NRW-Systems auftreten: Für die Rheumatologie – in Abgrenzung zur Kinder- und Jugendrheumatologie (voraussichtlich Leistungsgruppe 47 „Spezielle Kinder- und Jugendmedizin“) – wird sich die Frage stellen, wo Rheumaerkrankte im Alter von z. B. 12–18 Jahren behandelt werden sollen. Würden Fälle in dieser Altersperiode der Leistungsgruppe „Spezielle Kinder- und Jugendmedizin“ zugeordnet, so dürften sie gemäß Anlage 2 zum geplanten § 135e SGB V – außer bei Notfällen – nur in Einrichtungen mit 5 fachärztlichen Vollzeitäquivalenten der Kinder- und Jugendmedizin und 3 fachärztlichen Vollzeitäquivalenten mit kinder- und jugendrheumatologischer Zusatzqualifikation behandelt und abgerechnet werden. Von diesen Einrichtungen wird es nur eine Handvoll in ganz Deutschland geben. Würden diese Fälle hingegen einer Leistungsgruppe „Komplexe Rheumatologie“ (oder „Allgemeine Innere Medizin“) zugeordnet, so dürften diese Fälle nicht mehr von darauf spezialisierten Kinderkliniken behandelt und abgerechnet werden, wenn nicht zusätzlich (medizinisch nicht notwendig!) auch eine Abteilung zur Behandlung von Erwachsenen am Standort vorgehalten wird.

  • Über die Definition der Leistungsgruppen werden damit auch Entscheidungen über die zukünftige Versorgung getroffen, die sich nicht medizinisch-qualitativ begründen lassen und viel Spielraum auch für berufspolitische Strategien öffnen.

  • Ebenso ist zu beachten, dass durch die vom Gesetzgeber geforderte und für eine leistungsgruppenbezogene Vorhaltefinanzierung zwingend notwendige, eindeutige Zuordnung von Fällen zu Leistungsgruppen die Weiterbildung stark gefährdet werden kann. Fachärztliche Kompetenzen sind häufig nicht exklusiv. Muss eine Entscheidung getroffen werden, welche Leistung (z. B. OPS) welcher Leistungsgruppe zugeordnet wird, wird dies dazu führen, dass Standorte, die diese Leistungsgruppen nicht zugewiesen bekommen (z. B. weil ihnen die fachärztliche Qualifikation der ausgewählten Leistungsgruppe fehlt), in der Folge diese Leistungen nicht mehr abrechnen können. Die Standorte können dann auch keine Weiterbildung mehr anbieten, nur weil ihr Fachgebiet bei der Zuordnung der Leistungen zur Leistungsgruppe „leer ausgegangen“ ist.

  • Der VRA und die DGRh möchten darauf hinweisen, dass das derzeitige Repertoire an OPS- und ICD-Kodes auch gar keine Möglichkeit bietet, eine „komplexe Rheumatologie“ nach den erforderlichen „Spezifitätsvoraussetzungen“ zu definieren. „Komplexe Rheumatologie“ könnte beispielsweise durch hoch akute Verläufe von immunologisch vermittelten Systemerkrankungen mit Manifestationen in vielen unterschiedlichen Organsystemen und hoher Interdisziplinarität in der Behandlung geprägt sein. Auch die Diagnose und Behandlung von Orphan Diseases könnte als „komplexe Rheumatologie“ gewertet werden. Eine proprietär rheumatologische Geräteleistung oder Intervention existiert nicht. Der einzig nahezu spezifische OPS-Kode der Rheumatologie ist die rheumatologische Komplexbehandlung (OPS 8–983). Diese stellt jedoch einen gesonderten Behandlungskomplex mit abweichenden Kosten, aber keine zwingend medizinisch komplexe Leistung dar. Auch wenn die rheumatologische Komplexbehandlung eine für subspezialisierte Kliniken quantitativ bedeutsame Leistung sein kann, so stellt sie aber mitnichten eine das Fachgebiet definierende Leistung dar. Nur 18 Standorte in ganz Deutschland (darunter ein orthopädischer) haben nach den Qualitätsberichten aus 2022 mehr als 100 OPS-Kodes aus der OPS-Klasse 8–983 erbracht; nur 27 (darunter 2 orthopädische) mehr als 50-mal. Nur in 9 Bundesländern wurde die Leistung überhaupt mehr als 100-mal erbracht. Die Versorgung der Stadtstaaten Hamburg und Bremen mit der rheumatologischen Komplexbehandlung erfolgt komplett durch die umliegenden Bundesländer. Für die meisten Rheumakliniken stellt die rheumatologische Komplexbehandlung keine oder nur eine von vielen, aber nicht die bestimmende Behandlungsform dar. Universitätskliniken erbringen diese Leistung in der Regel gar nicht. Sollte in Ermangelung einer Alternative daher die rheumatologische Komplexbehandlung (OPS 8–983) zur Definition einer rheumatologischen Leistungsgruppe herangezogen werden, so wäre zwingend die Leistungsgruppe auch entsprechend umzubenennen. Keinesfalls wäre es für den VRA und die DGRh fachlich akzeptabel, dass die rheumatologische Komplexbehandlung eine Leistungsgruppe mit dem Titel „Komplexe Rheumatologie“ definiert!

  • Für die Entwicklung neuer „Pseudo-OPS“ oder neuer ICD-Kodes ist es bereits zu spät. Diese Prozesse hätten gesundheitspolitisch vor einigen Jahren angestoßen werden müssen, damit diese Attribute in den Daten aus 2023, die zur Grouper-Entwicklung genutzt werden, verfügbar wären. Alle diese Kodes erhöhen den Dokumentations- und Prüfaufwand bei fragwürdigem Nutzen. Einen Vorschlag zur Weiterentwicklung und Nutzung von Fachabteilungsschlüsseln nach § 301 SGB V haben der VRA und die DGRh bereits entwickelt und dem InEK sowie der AWMF zur Verfügung gestellt. Weitere möglicherweise hilfreiche Hinweise finden sich in unseren Stellungnahmen und Veröffentlichungen zum Thema [1]–[3].

Vorstand Verband Rheumatologischer Akutkliniken e.V. (VRA), Minden

Vorstand Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie und Klinische Immunologie e. V. (DGRh), Berlin

IMPRESSUM

Verantwortlich für den Inhalt

Prof. Dr. med. Heinz-Jürgen Lakomek

Geschäftsführer, Verband rheumatologischer Akutkliniken e. V. E-Mail: heinz-juergen.lakomek@muehlenkreiskliniken.de


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§ 21 Abs. 3c Satz 1 KHEntgG i. V. m. § 21 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe g und Nr. 2 Buchstabe i KHEntgG


Geplanter § 135f SGB V (Stand Referentenentwurf vom 15. April 2024)


Geplanter § 135e Abs. 4 Nr. 2 SGB V (Stand Referentenentwurf vom 15. April 2024)



Kontaktadresse

Verband Rheumatologischer Akutkliniken e. V.
Geschäftsstelle
Prof. Dr. med. Heinz-Jürgen Lakomek
Direktor Universitätsklinik für Geriatrie
Johannes Wesling Klinikum Minden
Hans-Nolte-Str. 1
32429 Minden
Phone: 0571/790 3801   
Fax: 0571/790 29 3800   
URL: lakomek@vraev.de   

Publication History

Article published online:
06 September 2024

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