Rofo 2024; 196(06): 536
DOI: 10.1055/a-2276-4382
Brennpunkt

Kommentar zu „JUNGES FORUM – Kognitive Verzerrung in der Radiologie“

Judith Herrmann
1   Institute for Diagnostic and Interventional Radiology, University Hospital Tübingen, Tübingen, Germany (Ringgold ID: RIN27203)
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Behavioral Economics, die Verhaltensökonomie, untersucht die Einflüsse von kognitiven, psychologischen und Umweltfaktoren auf die Entscheidungsfindung. Eine wichtige Erkenntnis ist, dass Menschen häufig kognitive Verzerrungen zeigen, nicht immer rational handeln und insbesondere auf Heuristiken zurückgreifen, um Entscheidungen zu vereinfachen.

Dieses Manuskript bietet spannende Einblick in die Anwendung der Verhaltensökonomie in der radiologischen Weiterbildung. Die Autor/-innen analysieren präzise, wie kognitive Verzerrungen und Heuristiken den Entscheidungsprozess in verschiedenen Bereichen der radiologischen Ausbildung beeinflussen können und präsentieren Lösungsansätze zur Minimierung dieser Effekte.

Besonders hervorzuheben ist die Etablierung eines Arbeits- und Lernumfeldes, das auf den Prinzipien einer „just culture“, einer Gerechtigkeitskultur, basiert. In diesem Umfeld steht kontinuierliches Lernen im Vordergrund anstatt Schuld zuzuweisen, und Weiterbildende werden unterstützt sowie fair behandelt, wenn Fehler passieren. Diese Art der Fehlerkultur fördert Fehler in der Bildinterpretation, welche durch kognitive Verzerrungen entstehen, als Lerngelegenheit zu betrachten, um langfristig Fehler zu reduzieren.

Die Diskussion über Feedback und Bewertung im Bereich der medizinischen Aus- und Weiterbildung ist ebenso von großer Bedeutung. Die Autoren betonen, dass die Art und Weise wie Feedback formuliert wird, einen erheblichen Einfluss auf die Zufriedenheit und das Selbstbewusstsein der Weiterbildenden haben kann. Kognitive Verzerrungen bei Bewertungen können zu verpassten Chancen für die Weiterentwicklung der Weiterbildenden führen. Es wird empfohlen, Feedback stets positiv zu formulieren, Entwicklungsbereiche aufzuzeigen, anstatt Mängel und identifizierte Fehler zu betonen. Zudem sollte Feedback frei von Vorurteilen sein, die auf der Identität, Geschlechtsidentifikation, sexuellen Orientierung und sozioökonomischem Status beruhen.

Ein weiter bedeutender Aspekt betrifft die Struktur radiologischer Befunde, die kognitive Verzerrungen auslösen und somit bei sowohl zuweisenden Ärzt/-innen als auch Patient/-innen zu Missverständnissen führen können. Die Anwendung strukturierter Befunde kann dazu beitragen, komplexe Sachverhalte klarer zu präsentieren und somit das Verständnis von komplexen radiologischen Befunden zu erleichtern.

Die Abschnitte über den Einfluss von Defaults, Nudges und Anreizen auf die Abteilungsabläufe bieten zudem praxisnahe, innovative Ansätze, um kognitive Verzerrungen zu minimieren, die Effizienz und die berufliche Leistungsfähigkeit zu steigern und Burnout-Raten zu reduzieren.

Insgesamt ist dieses Manuskript nicht nur für Radiolog:innen in der Position der Lehrenden, sondern auch für Weiterbildende äußerst relevant. Es unterstreicht die Bedeutung eines bewussten Umgangs mit kognitiven Verzerrungen, um eine optimale Lernumgebung zu schaffen und Fehler als integralen Bestandteil des Lernprozesses zu akzeptieren, um somit den klinischen Alltag für alle effizient und motivierend zu gestalten.



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Article published online:
22 May 2024

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