PiD - Psychotherapie im Dialog 2025; 26(01): 1
DOI: 10.1055/a-2289-6379
Editorial

Editorial

Barbara Stein

Liebe Leserin, lieber Leser,

ich lebe in einer Stadt, in der etwas mehr als jeder oder jede zweite einen Migrationshintergrund hat. In der U-Bahn vom Bahnhof nach Hause höre ich in der Regel mir meist unbekannte Sprachen, treffe selten auf Deutsch miteinander sprechende Mitreisende. Manchmal frage ich mich dann, ob dieser Bias an der Selektion möglicher U-Bahn Fahrer*innen liegt oder ob Deutsch sprechende Menschen, zumindest in der U-Bahn, weniger miteinander sprechen. In der Schule meiner Tochter war es so „normal“, familiäre Wurzeln außerhalb Deutschlands zu haben, dass sie in diesem Zusammenhang auf die Übersiedelung ihres Ur-Ur-Urgroßvaters von Polen nach Deutschland verwies, um einen Außenseiterstatus zu vermeiden.

In meinem Berufsalltag als Psychotherapeutin ist dies anders. Wir alle wissen um die Zugangsbarrieren für Menschen mit Migrationshintergrund zu unserem deutschen Gesundheitssystem, insbesondere zu psychotherapeutischen Versorgungsangeboten. Auch wenn wir an uns den Anspruch haben, diskriminierungsfrei und kultursensibel zu sein, so leben und arbeiten wir doch, wenn man ehrlich ist, häufig in einer „Blase“. Selbst gut gemeinte, aber unbedachte Fragen nach Herkunft usw. können zu Kränkungen, Entwertungen und Ausgrenzungen führen. Auch als Psychotherapeut*innen sind wir vor Vorurteilen, Stereotypien und latent rassistischen Gedanken nicht gefeit. Bevor Sie protestieren: Haben Sie mal einen Rassismus-Test gemacht? Die Fragen dort sensibilisieren für ausgrenzende Denkmuster und stellen unser Selbstbild möglicherweise in Frage. Das ist unbequem, unangenehm und manchmal auch beschämend. In der Auseinandersetzung mit Themen wie Kultursensibilität, Gendergerechtigkeit oder Diversität müssen wir unsere Komfortzone verlassen. Und das ist gut so.

Ich freue mich, dass, gerade in Zeiten oft rauer politischer Diskussionen und Stimmungsmache gegen Mitbürger mit Migrationserfahrungen, die PiD ein Heft zum Thema der interkulturellen Psychotherapie vorlegt. Auch das ist gut so!

Ich wünsche Ihnen anregende Impulse!

Ihre

Barbara Stein



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Article published online:
25 February 2025

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