Hintergrund
Medizinische Fachanagestellte (MFA) leisten in ihrem Arbeitsalltag organisatorische
Aufgaben und sind stark in die direkte Patient*innenversorgung involviert [1]
[2]. Da Patient*innen beim ersten
Auftreten des Covid-19-Virus einen verstärkten Informationsbedarf hatten, wurden die
MFA häufig als erste Ansprechpersonen der Patient*innen [3] mit stark erhöhten Telefonanfragen
konfrontiert. Zusätzlich zur psychischen Belastung durch die eigene Unsicherheit
gegenüber dem Virus und die Sorge einer möglichen Ansteckung stellte dies einen
weiteren Stressfaktor während der Pandemie dar [1]
[2]
[4].
Im Dezember 2020 fanden die ersten Impfungen gegen Covid-19 statt [5], nachdem die Ständige Impfkommission
eine vorläufige Empfehlung für die Impfungen herausgegeben hatte [6]. Die ersten 53 Impfzentren
Nordrhein-Westfalens eröffneten Anfang Februar 2021 [7].
Zu diesem Zeitpunkt war in den niedergelassenen Praxen noch nicht klar, ob, wann und
unter welchen Bedingungen die Impfungen in ihren Räumlichkeiten durchgeführt werden
sollten. Dennoch verlagerte sich der Arbeitsfokus hin zur Impforganisation und
dessen Vorbereitung [4] und letztlich
zur Durchführung der Impfungen auch in hausärztlichen Praxen ab April 2021 [5].
Die Organisation und Durchführung von Impfungen stellte sich für Praxisteams und
besonders die MFA als große Herausforderung heraus. Gründe waren u. a.
Lieferengpässe der Impfstoffe und die Erstellung einer Impfpriorisierung für
Risikogruppen. Die damit verbundene längere Wartezeit für einen Impftermin bedeutete
für die MFA ein erhöhtes Aufkommen telefonischer und persönlicher Anfragen von
Patient*innen, die eine Impfung einforderten [8]
[9]
[10].
In der Zeit des Impfbeginns in niedergelassenen Praxen begann die Durchführung der
PIPER-Studie: „Pandemiemanagement in der Praxis – Erfahrungsbericht und Reflexion“.
Ziel der Studie war es, einen Einblick in die Situation von Praxisteams in der
alltäglichen Arbeit mit Covid-19 zu gewinnen und dadurch einen möglichen Einfluss
auf den beruflichen Alltag der Hausärzt*innen, MFA und Pflegekräften
offenzulegen.
In dieser Veröffentlichung berichten wir von Herausforderungen denen die MFA während
der Impforganisation gegenüberstanden und explorieren Hürden und potenzielle
Bewältigungsstrategien.
Methoden
Rekrutierung
Ab April 2021 wurden 275 Lehrpraxen der Abteilung für Allgemeinmedizin der
Ruhr-Universität in Bochum zunächst schriftlich, dann telefonisch kontaktiert.
Durch die pandemiebedingte schlechte Rücklaufquote wurde die
Rekrutierungsstrategie angepasst [11] und die Studie im Juni mit einem Newsletter von Fachverbänden
(VERAH (Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis), Hausärzteverband) sowie
über das sich im Aufbau befindliche hausärztliche Forschungspraxennetz HAFO.NRW
beworben. Zusätzlich nutzten wir Schneeballempfehlungen der bereits befragten
Praxen. Basierend auf Studien mit ähnlichen Fragestellungen erwarteten wir eine
Sättigung bei etwa 25 Interviews [12]
[13]. Die
Forschungsgruppe diskutierte parallel zur Datenerhebung in regelmäßigen
Abständen die Daten, Codes und entwickelten Kategorien. Nach etwa dem 18.
Interview war klar, dass die nachfolgenden Interviews kein neues Wissen mehr
erbringen würden, obwohl die befragten Personen aus unterschiedlichen
Bundesländern stammten und die Berufserfahrung stark variierte.
Einschlusskriterien waren die Tätigkeit in einer hausärztlichen Praxis als MFA
oder im Praxismanagement und die Bereitschaft zur Teilnahme.
Instrumente/Interviewleitfaden
Für die Interviewdurchführung wurde nach eingehender Literaturrecherche ein
halbstrukturierter Interviewleitfaden entwickelt. Der Fokus des
Interviewleitfadens sollte dabei vor allem auf dem Arbeitsalltag der MFA liegen,
sodass dieser in vier Themenschwerpunkte gegliedert wurde (s. [Tab. 1]). In dieser
Veröffentlichung werden Teilergebnisse präsentiert, die sich mit den
Herausforderungen während des Beginns der Impfkampagne befassen (in der Tabelle
fettgedruckte thematische Schwerpunkte).
Tab. 1 Themenschwerpunkte des gesamten
Interviewleitfadens
Themenschwerpunkt
|
Inhalt
|
Situationsvergleich
|
|
Pandemieverlauf
|
-
Reflektion des Pandemiebeginns
-
Arbeitsalltag zu Beginn der Pandemie
-
Veränderungen im Arbeitsalltag im Verlauf der
Pandemie
|
Unterstützung
|
-
Verfügbarkeit von Schutzmaterialien
(Mund-Nasen-Schutz, Overalls, Handschuhe)
-
Gewünschte Unterstützung
-
Digitale Unterstützung (z. B. Videosprechstunde)
|
Ausblick
|
|
Datenerhebung/Interviewdurchführung
Die Interviews wurden ausschließlich telefonisch durchgeführt, um den MFA einen
möglichst niederschwelligen Zugang zu ermöglichen. Die Interviewerin orientierte
sich bei der Durchführung an den getätigten Aussagen und passte so die
Fragestellung und Struktur an [14].
Alle Interviews wurden mit einem Diktiergerät aufgezeichnet und im Anschluss von
einem externen Schreibbüro transkribiert und pseudonymisiert. Außerdem erhielten
alle Teilnehmenden im Vorfeld ein Informationsblatt inklusive einer
Datenschutzaufklärung und einer Einwilligungserklärung und hatten die
Möglichkeit mündlich oder schriftlich Fragen zu stellen. Eine schriftliche
Einwilligung wurde eingeholt.
Auswertung
Zur Auswertung der Interviews wurde die Qualitative Inhaltsanalyse in Anlehnung
an Kuckartz genutzt [15]. Mithilfe
der Software MAXQDA [16] wurden
zunächst deduktiv aus der Literatur und anhand des Leitfadens vorläufige
Kategorien erstellt, welche dann sukzessiv im Codierungsprozess durch induktive
Kategorien aus dem Material ergänzt wurden [15]
[17]. Alle Interviews wurden
mithilfe des so entstandenen Codebaums von AS codiert; besonders dichte Passagen
wurden gemeinsam mit AS, NC und KS betrachtet. Abweichungen wurden in Diskussion
mit ICO, HCV, KS und NC als interdisziplinäre Supervisor*innen gemäß eines
konsensuellen Ansatzes gelöst. Die Autor*innen sind
Gesundheitswissenschaftler*innen, Pflegewissenschaftler*innen bzw.
Soziolog*innen, Ärzt*innen und Medizinethiker*innen mit einem qualitativen
Schwerpunkt und/oder Erfahrung in der Analyse von interprofessioneller
Zusammenarbeit.
Ergebnisse
Stichprobenbeschreibung
Insgesamt wurden in einem Zeitraum von sechs Monaten 21 MFA (inklusive
Praxismanager*innen und Praxisassistent*innen) aus vier Bundesländern
(Nordrhein-Westfalen=17; Thüringen=1; Baden-Württemberg=2; Niedersachsen=1)
telefonisch interviewt. Die Interviewdauer betrug dabei 17 bis 50 Minuten, im
Mittelwert 32 Minuten. Die MFA waren durchschnittliche 43 Jahre alt, bei einer
Spanne von 26 und 61 Jahren, 20 waren weiblich und ihre Berufserfahrung lag
zwischen fünf und 45 Dienstjahren, im Mittelwert bei 22 Jahren.
Initial waren 25 Interviews geplant, allerdings zeigte sich bei bereits nach 21
Interviews eine thematische Sättigung [12]
[13], sodass die
Rekrutierung an dieser Stelle abgeschlossen wurde.
Kernthemen
Bezogen auf den Schwerpunkt „Covid-19-Impfungen“ konnten wir als Kernthemen
identifizieren: 1) Wahrgenommener Druck auf die MFA, 2) Arbeitsbelastung durch
Impfungen und 3) Lösungsansätze.
Wahrgenommener Druck auf die MFA
Der Wunsch nach einer Impfung war insbesondere bei Impfeinführung in den Praxen
sehr groß und es bestand ein Missverhältnis von hoher Nachfrage und stark
begrenztem Angebot:
Praxismanager*in-01: „In den ersten drei Wochen haben wir halt nie mehr als
30, 35 Dosen gehabt. […] Wir […] hatten am Tag deutlich mehr Registrierungen
als wir in der Woche an Impfstoff hatten.“
Diesen Druck spürten die MFA in der Impforganisation deutlich. Die Metapher des
„Überrannt-werdens“ brachte ein Gefühl von Kontrollverlust und Sorge zum
Ausdruck:
MFA-04: „Es ist einfach das Mentale […], was da wirklich sehr beeinträchtigt
wird. Dieser ganze Druck, da jetzt auf mal von heute auf morgen mit umgehen
zu müssen. Und, dass man sagt so 'Da muss jetzt irgendwie was laufen,
und […] es sind ja alle überrannt worden.“
Gleichzeitig hatten MFA den Eindruck, es werde trotz massiver Überstunden, um den
Mehraufwand zu stemmen, immer noch mehr von ihnen gefordert:
MFA-07: „Dass wir teilweise 14 Stunden gearbeitet haben, da hat keiner ein
Wort drüber verloren! Ganz im Gegenteil: Da hieß es dann noch 'Was?
Jetzt macht ihr schon Feierabend?'.“
Es wurde eine deutliche körperliche und mentale Mehrbelastung durch die MFA
thematisiert, bei geringen Erholungsphasen:
Praxismanager*in-02: „Also, wenn man da abends so spät rauskommt, hat man
morgens früh das Gefühl, man war gar nicht weg.“
Die Stimmung seitens der Patient*innen sei dabei teils aggressiv oder respektlos
gewesen. Es entstand der Eindruck, Patient*innen wollen ihre Covid-19-Impfung um
jeden Preis erhalten:
MFA-14: „Die Patienten sind einfach tatsächlich übergriffig, von der […]
Wortwahl und auch von der Klangfarbe der Stimme.“
MFA-05: „Es schlägt einem eine Respektlosigkeit, auch Unverschämtheiten –
manche werden auch sehr persönlich – […] entgegen.“
Dieser andauernde Druck führte dazu, dass manche MFA ihren Beruf nicht mehr gerne
ausübten und den Patient*innenkontakt am liebsten vermeiden wollten:
Praxismanager*in-02: „Ich möchte heute einfach nicht hier an der Anmeldung
sitzen. Egal welcher Patient reinkommt, er macht mich aggressiv, ich kann
heute einfach nicht.“
MFA-02: „[…] Aber als es dann jeden Tag ein anderer Mist war, den man regeln
musste, […] da war man zum Teil schon nah dran, den ganzen Käse
hinzuschmeißen und sich eine Alpakafarm in Peru zu kaufen.“
Arbeitsbelastung durch Impfungen
Die stark erhöhte Arbeitsbelastung durch die Impfungen setzte sich maßgeblich
durch die Organisation der Impftermine, wahrgenommene bürokratische Hürden, und
kurzfristige Änderungen der Impfempfehlungen zusammen.
Das zusätzliche hohe bürokratische Aufkommen beinhaltete die mündliche und
schriftliche Aufklärung über die Impfung seitens der Ärzt*innen, eine
Einwilligungserklärung der Patient*innen und die Dokumentation mit komplexen
Ziffernschlüsseln über die Impfung. Seitens der MFA herrschte Unverständnis
darüber, weshalb die Covid-19-Impfung nicht wie andere Impfungen dokumentiert
werden konnte:
MFA-09: „Man braucht zum Impfen drei Leute: Einer macht die Doku, […] Doktor
macht die Aufklärung, und einer impft. Das ist halt bei allen anderen
Impfungen deutlich einfacher, ne?“
Besonders belastend schilderten die MFA kurzfristige Änderungen der
Impfempfehlungen seitens der Politik:
MFA-13: „Und dann wollten wir am 10.07.[2021] die Zweitimpfung mit
AstraZeneca© machen und dann […] hat ja Herr Spahn und das RKI ja empfohlen,
die Kreuzimpfung durchführen zu lassen, und da sind wir natürlich auf diesem
Impfstoff hier hängengeblieben und die werden wir jetzt einfach nicht mehr
an unsere Patienten los.“
Erschwerend kamen widersprüchliche Aussagen der Medien zu Verträglichkeit und
möglicher Risiken verschiedener Impfstoffe hinzu. Dies habe Patient*innen
verunsichert, wiederum zu einem erhöhten Informationsbedarf und schlussendlich
bei vielen Patient*innen zu einer ablehnenden Haltung gegenüber mutmaßlich
„unsichereren“ Impfstoffen beziehungsweise zur Präferenz eines bestimmten
Impfstoffes beigetragen.
MFA-05: „In Zukunft […] würde ich mir wünschen, […], dass man einfach mehr
miteinander redet, nicht so ad hoc-Aktionen startet, sondern einfach
vielleicht zweimal überlegen, bevor man medienwirksam irgendwie was
raushaut. Weil das hat sehr viel Verunsicherung bei allen hervorgeführt. […]
Man hat viel dadurch kaputtgemacht.“
Weitere organisatorische Herausforderungen waren die Anmeldung von Menschen bei
mehreren Impfstellen und die Berücksichtigung der Ampullengröße bei ohnehin
knappem Impfstoff (fünf bis sechs Impfdosen pro Ampulle). Die MFA hatten den
Eindruck, sobald Personen an anderer Stelle geimpft waren, wurden die Termine
nicht bzw. nicht zuverlässig abgesagt. Das machte weitere langwierige Telefonate
erforderlich, insbesondere vor dem Hintergrund, eine neue Ampulle nur bei
ausreichender Zahl an zu impfenden Personen anzubrechen:
MFA-07: „Zudem macht uns das ganze Impfen ziemlich zu schaffen, weil die Leute
sich bei mehreren Stellen anmelden. […] Also es kommt tatsächlich vor, dass
wir manchmal drei Stunden telefonieren, um sechs Leute
zusammenzukriegen.“
Um diesem Umstand Sorge zu tragen, planten die Praxen zum Teil Impfungen auf
Abruf, damit Patient*innen kurzfristig noch die aufgezogenen und verfügbaren
Impfdosen erhalten:
MFA-16: „Was wir jetzt erleben, dass die Leute nicht kommen. Nicht
absagen, zu ihren zwei Terminen, und man hat tatsächlich Impfstoff
aufgezogen, den man nicht braucht. Ich hab mir jetzt angewohnt, nur noch
Sechserblocks an Terminen zu vergeben, und ziehe dann auch nur noch sechs
Impfungen auf, pro Fläschchen, weil ich möchte einfach keinen aufgezogenen
Impfstoff wegschmeißen.“
Zusätzlich belastend sei gewesen, den Patient*innen kurzfristige Änderungen
(Termine, Impfempfehlungen) zu kommunizieren. Hierbei hätten die MFA versucht,
den Menschen die Gründe der Impfengpässe zu erläutern und eine deeskalierende
Rolle einzunehmen, auch wenn ihnen die Gründe selbst nicht immer bekannt gewesen
seien:
MFA-05: „Zum Beispiel wie das mit AstraZeneca©, den Impfstoff wollte hinterher
keiner mehr. Den hat man angepriesen wie eine heiße Kartoffel, keiner wollte
es mehr. Und es ist mit Sicherheit auch ein guter Impfstoff, und besser so
ein Impfstoff wie gar kein Impfstoff.“
MFA-17: „Und dann kam nämlich die Diskussion, das 'Ich will aber kein
Astra[Zeneca]©, 'Nein, da gehe ich nachher von ins Krankenhaus, da muss
ich ja sterben', sowas mussten wir uns dann in der Diskussion
mitgeben.“
Um dem Patient*innenwunsch nachzukommen und eine reibungslose Impforganisation
inklusive Dokumentation zu gewährleisten, war häufig umfassende Mehrarbeit
außerhalb der Sprechzeiten notwendig:
MFA-10: „[…] also das bedeutet Mittwoch- und Freitagnachmittag, wo wir unsere
Zeit quasi opfern für diese Impfungen.“
Lösungsansätze
Am häufigsten wurde in den Interviews das Fehlen eines roten Fadens in Bezug auf
das Impfkonzept kritisiert. Eine solche Leitlinie oder Arbeitsanweisung wurde
von den MFA als Wunsch für die Zukunft formuliert:
MFA-10: „Und dass man genau, wie so einen Leitfaden, dass wir als Praxis genau
gewusst hätten: Nach diesem Leitfaden können wir gehen und sind dann somit
auf der sicheren Seite. Aber das wussten wir selber nicht. Das ist wie […]
ein Tag so, ein Tag so, am nächsten Tag so, nächste Woche wieder anders,
dann wieder anders.“
Der Nachhaltigkeitsaspekt war den MFA ebenfalls äußerst wichtig, sodass sie sich
Gedanken dazu gemacht haben, wie möglichst wenig Impfstoff verworfen werden kann
(siehe oben), auch wenn dies Mehrarbeit in Form von Telefonaten nach sich
zog:
MFA-16: „Das […] widerstrebt einem dermaßen, ne? Da irgendwas wegzuschmeißen,
was so teuer ist und was so wertvoll ist, ja?
Hilfreich und unterstützend sei in der schwierigen Zeit meist das Praxisteam
gewesen. Neben den schwierigen habe es auch positive Erfahrungen und Verständnis
von Patient*innen gegeben:
MFA-03: Man kriegt auch viel Lob der Patienten, da freuen wir uns auch immer
drüber, und dass die Ärzte uns auch positive Rückmeldungen geben […] und
auch die Ärzte selber loben uns ja auch ganz viel zwischendurch.
Diskussion
Der wahrgenommene Druck durch die Herausforderungen bei der Impforganisation (z. B.
knappe Verfügbarkeit der Impfstoffe, Überstunden und fordernde Patient*innen) und
die Arbeitsbelastung durch die Impfungen (z. B. Organisation der Termine,
Administration und politische Entscheidungen) stellte eine große Belastung für MFA
dar.
Auch wenn die Arbeitsbedingungen der MFA schon früher als prekär bezeichnet wurden
[3]
[18], so summierten sich die Belastungen
während der Covid-19-Pandemie und insbesondere in der Zeit der Impforganisation
erheblich. Im Dezember 2021 wurden nachweislich die meisten Impfungen in
niedergelassenen Praxen in Deutschland durchgeführt [9]. Dies führte dazu, dass zu dem
normalen Berufsalltag zusätzliche Aufgaben angefallen sind, wie
Terminvereinbarungen, und das damit einhergehende Abtelefonieren von
Priorisierungslisten, Aufklärung, die Impfdurchführung und die damit verbundene
bürokratisch aufwändige Dokumentation, die ein hohes Maß an Belastbarkeit und
Multitasking Fähigkeit von den MFA abverlangt haben [5]. Auch andere ergänzende Studien
zeigen, dass insbesondere die Impfstoffknappheit und die Intransparenz der
Impfstoffverfügbarkeit, zu einer Kettenreaktion von Schwierigkeiten (mehr
Telefonate, keine Planbarkeit) führte [9]. Hier zeigte sich die intrinsische Motivation einiger MFA; sie
leisteten an sonst freien Nachmittagen, am Wochenende oder an Feiertagen in ihrer
Freizeit Mehrarbeit, die meist nicht vergütet wurde und auch nicht anderweitig
ausgeglichen werden konnte. Durch die hohe gesellschaftliche Verantwortung, die
dieser Beruf mit sich bringt, und eine oftmals helfende Einstellung, beruhte diese
Mehrarbeit in vielen Fällen auf Freiwilligkeit, die allerdings zur Überforderung
führen konnte [5]
[19]. Auch die Patient*innen waren in
der Zeit wesentlich fordernder sowie zum Teil übergriffig, insbesondere wenn es die
eigene Impfpriorisierung betraf. Nach medialen und politischen Fehlinformationen
steigerte sich dieses Verhalten noch, da nun patientenseitig bestimmte Impfstoffe
teils mit Respektlosigkeit, Beschimpfungen und Gewaltandrohungen eingefordert wurden
[3]
[19]. Aus politischer Sicht außen vor
gelassen wurde hingegen oftmals der persönliche Austausch mit den MFA und die Frage
nach ihren subjektiven Erfahrungen und Wünschen. So standen sie während der gesamten
Pandemiezeit an „vorderster Front“ (Zitate von MFA-05,-11,-12 und -16) und zeigten
ein besonderes Engagement, ohne das die Impfungen so nicht möglich gewesen wären
[8]
[20].
Nichtsdestotrotz wurde mehrfach kritisiert, dass die MFA seitens der Politik und zum
Teil auch von der Bevölkerung zu wenig Wertschätzung und keine staatliche
Sonderzahlung für ihr besonderes Engagement und ihren Einsatz erhalten haben [4]
[9]
[21].
MFA stellten jedoch zentrale Akteur *innen während der Pandemie dar, ohne sie wären
Covid-19-Impfungen in den Praxen in diesem Umfang nicht möglich gewesen [22]. Dies sollte in zukünftigen
Pandemieplänen unbedingt ausreichend berücksichtigt werden. In einem – schon bereits
vor der Pandemie – Beruf, der mit Fachkräftemangel, Mehrarbeit und oft geringer
Wertschätzung verbunden ist, müssen Vorkehrungen getroffen werden, um die
Patient*innenversorgung auch unter Pandemiebedingungen weiterhin gewährleisten zu
können.
Vor diesem Hintergrund wäre eine staatliche Sonderzahlung für MFA, wie sie bei den
Pflegekräften gezahlt wurde, ebenfalls angemessen. Dazu müssten von Seiten der
Arbeitgeber*innen die Beschäftigungsverhältnisse gemeldet werden, sobald eine
Sonderzahlung angekündigt wird.
Um die Arbeitsbelastung der MFA kurzfristig etwas zu entlasten und ihre Sichtbarkeit
zu erhöhen, könnten "Hinweisschilder" für Patient*innen aufgestellt
werden, die auf die Herausforderung in der Praxis, wie z. B. Doppelbuchungen,
aufmerksam machen und ggf. auch einen Verhaltenskodex beinhalten. Zusätzlich könnten
KI-gestützte Anrufbeantworter die in einer Vielzahl anfallenden Telefonanrufe
verwalten und das Telefonklingeln reduzieren. Des Weiteren könnten Teambesprechungen
in der Praxis hilfreich sein, in denen Konflikte und Herausforderungen des
Managements gemeinsam besprochen werden. Diese Maßnahmen dienen allerdings eher der
Stärkung der MFA, ändern jedoch nichts an den strukturellen Schwierigkeiten, die nur
ganzheitlich mit allen Akteur*innen erreicht werden können.
Die organisatorische Lösung für zukünftige Pandemien oder Ausnahmezustände zeigt sich
darin, einen Leitfaden aus den Erfahrungen der letzten Jahre zu entwickeln.
Insbesondere die Impforganisation könnte zentral gestaltet werden, sodass
Patient*innen nicht ununterbrochen in den Praxen anrufen und MFA keine zusätzlichen
Telefonlisten abarbeiten müssten. Eine transparente und zentrale Vergabe von
Impfterminen, bspw. durch die Kassenärztliche Vereinigung oder Krankenkassen, könnte
zusätzlich die schwierigen Auseinandersetzungen mit den Patient*innen reduzieren,
die sich dadurch nicht an mehreren Impfstellen gleichzeitig registrieren können. So
würde sich der administrative Aufwand für MFA verringern und die Organisation
insgesamt erleichtern, was letztendlich auch aus ökonomischer Sicht sinnvoll wäre.
Dazu wäre eine enge Zusammenarbeit mit den jeweiligen Praxen notwendig, die
Zeitfenster für Impfungen in ihren Praxisablauf integrieren könnten. Die
Zusammenarbeit aus Politik, kassenärztlicher Vereinigungen und MFA wurde ebenfalls
in den Interviews thematisiert und sollte dementsprechend in Zukunft aufgegriffen
werden. Gerade die MFA können Praxisabläufe sehr gut einschätzen und haben Erfahrung
in den Möglichkeiten einer Impforganisation. Die teilweise über Nacht von der
Politik angekündigten Neuerungen wurden meist nicht in Zusammenarbeit mit den Praxen
entwickelt bzw. (zu) spät kommuniziert und waren folglich zum Großteil auch nicht
für die MFA umsetzbar. Hieraus sollten für künftige Pandemien Schlüsse gezogen und
Akteur*innen aus der Praxis in die Entscheidungsprozesse einbezogen werden, um diese
umsetzbar zu gestalten. Ansatzpunkte könnten auch eine zentrale Befragung bezüglich
der Wünsche und Verbesserungsvorschläge der MFA einen Leitfaden für künftige
Pandemien liefern.