Schlüsselwörter Typ-1-Diabetes - Früherkennung bei Kindern - präsymptomatisches Frühstadium - Inselautoantikörper-Screening
Keywords type 1 diabetes - early detection in children - presymptomatic early stage - islet autoantibody screening
Einführung
Es besteht ein ungedeckter diagnostischer und therapeutischer Bedarf bei
Typ-1-Diabetes
Typ-1-Diabetes ist die häufigste Stoffwechselstörung auf der Basis einer
Autoimmunerkrankung bei Kindern. Bis zum Alter von 17 Jahren ist circa eine von
250 Personen von der Krankheit betroffen. Insgesamt leben in Deutschland etwa
32.000 Kinder und Jugendliche mit Typ-1-Diabetes und jedes Jahr gibt es ungefähr
3200 Neuerkrankungen in dieser Altersgruppe [1 ]. Über die letzten Jahrzehnte
lässt sich eine konstante Zunahme der Häufigkeit des Typ-1-Diabetes und der
Schwere der Manifestation beobachten, insbesondere bei jungen Kindern [1 ]
[2 ]
[3 ]
[4 ]
[5 ]
[6 ]. Je früher im Leben der
Typ-1-Diabetes klinisch manifest wird, desto gravierender ist die Reduktion der
Lebenserwartung [7 ]. Über 80% der
betroffenen Kinder und deren Eltern haben keine Verwandten mit Typ-1-Diabetes
und damit oft keine Kenntnisse zu dieser Erkrankung [8 ]; daher sind viele Familien mit
jüngeren Kindern nur unzureichend oder gar nicht mit den Symptomen beim Ausbruch
der Stoffwechselerkrankung vertraut. Trotz aller Bemühungen zur Aufklärung der
Bevölkerung und der Ärzteschaft über die wichtigsten Anzeichen der Erkrankung
wird ein Typ-1-Diabetes bei mehr als einem Drittel aller Betroffenen zu spät
entdeckt [4 ]
[5 ]
[6 ], d. h. zu einem Zeitpunkt, an
dem bereits schwerwiegende Störungen in der Regulation des Glukosestoffwechsels
mit einer potenziell lebensbedrohlichen Übersäuerung des Bluts, der diabetischen
Ketoazidose, aufgetreten sind. Um diese bedrohliche Situation zu verhindern, ist
ein Screening auf Inselautoantikörper zur Früherkennung von Typ-1-Diabetes
dringend erforderlich, denn dadurch kann die durchschnittliche Rate an schweren
Stoffwechselentgleisungen drastisch reduziert werden [9 ]
[10 ]
[11 ]
[12 ]
[13 ]
[14 ]
[15 ]
[16 ]. Im Vergleich zum
Neugeborenen-Screening, das heute in Deutschland 19 angeborene Krankheiten
umfasst und bei dem in etwa eines von 1333 (0,075%) Neugeborenen eine der
Zielkrankheiten aufweist (Gesamtprävalenz 75 von 100.000) [17 ], tritt ein klinischer
Typ-1-Diabetes bei Kindern und Jugendlichen deutlich häufiger auf (Prävalenz 400
von 100.000) als alle im Neugeborenen-Screening erfassten Einzel-Erkrankungen
zusammen.
Typ-1-Diabetes stellt eine große individuelle Belastung für Betroffene jeden
Alters sowie für Familien und Betreuungspersonen z. B. in Kindergärten, Schulen
oder Vereinen dar [18 ]. Trotz
technologischer Innovationen und neuer Insulinpräparate werden die gesetzten
Therapieziele oft nicht erreicht, und akute Entgleisungen des Stoffwechsels wie
Hypo- oder Hyperglykämien treten auf. Ein suboptimaler Therapieverlauf mit
wiederholt auftretenden Stoffwechselentgleisungen resultiert in langfristigen
Komplikationen, die zu einer reduzierten Lebensqualität und Lebenserwartung
führen. In diesem Zusammenhang ist wichtig zu betonen, dass Mortalität und
Morbidität bei Typ-1-Diabetes eng mit der Güte der Stoffwechseleinstellung und
der Betazell-Restfunktion assoziiert sind [19 ]. Deshalb sollte jegliche
Anstrengung unternommen werden, um die Stoffwechseleinstellung von Beginn an,
d. h. bereits im Frühstadium der Erkrankung noch vor dem Auftreten klinischer
Symptome, durch rechtzeitigen Therapiebeginn so optimal wie möglich zu gestalten
und die Betazell-Restfunktion durch Vermeidung einer schweren
Stoffwechselentgleisung bestmöglich zu erhalten. Das Screening auf
Typ-1-Diabetes im Frühstadium ist dafür eine notwendige Voraussetzung und kann
dazu beitragen, die Gesundheit und die Lebensqualität der Betroffenen und ihrer
Angehörigen zu verbessern. Auch kann die Zeit bis zum Beginn der klinischen
Stoffwechselerkrankung genutzt werden, um die Betroffenen und ihre Familien auf
die Herausforderungen einer lebenslangen Insulintherapie vorzubereiten. Der
Nutzen einer frühen Diagnose von Typ-1-Diabetes hinsichtlich der Vermeidung von
Stoffwechselentgleisungen und damit verbundener Risiken für die neurokognitive
Entwicklung [20 ]
[21 ], einer verbesserten
Betazell-Restfunktion und einer langfristig besseren Lebensqualität wird
gesundheitspolitisch und öffentlich bisher jedoch noch nicht ausreichend
wahrgenommen und anerkannt.
Ein präsymptomatisches Frühstadium des Typ-1-Diabetes kann sicher erkannt
werden
Der bestätigt-positive Nachweis von multiplen Inselautoantikörpern im Blut
kennzeichnet bei Personen, die noch keine Diabetessymptome aufweisen, das
Vorliegen eines Typ-1-Diabetes-Frühstadiums ([Abb. 1 ]). Seit 2015 wird der
präsymptomatische Typ-1-Diabetes zudem in zwei Frühstadien eingeteilt (Stadium 1
und 2), mit Hilfe derer der Zeitpunkt der klinischen Diabetesmanifestation
eingeschätzt und der Einsatz von interventionellen Immuntherapien gesteuert
werden kann [22 ]
[23 ]
[24 ]
[25 ]. Schulungen und
Folgeuntersuchungen können so individuell gestaltet werden, damit der Aufwand
und die Belastung durch Vorsorgemaßnahmen für die Familien so gering wie möglich
bleiben. Die Stratifizierung der Progressionsrate in Substadien 1a und 1b
ermöglicht zudem eine noch individuellere Beratung und Betreuung der Kinder und
ihrer Familien [26 ].
Abb. 1 Schematische Darstellung zur Pathogenese und
Stadieneinteilung des Typ-1-Diabetes (Abbildung basiert auf Daten aus
[70 ]). Basierend auf
einer genetischen Prädisposition kann es zum Auftreten von Autoimmunität
gegen die Betazellen in den Langerhans-Inseln der Bauchspeicheldrüse
kommen (Inselautoimmunität). Der bestätigt-positive Nachweis von
Autoantikörpern im Blut, die gegen mehrere, verschiedene
Betazell-Antigene gerichtet sind (multiple Inselautoantikörper),
kennzeichnet bei Personen, die noch keine Diabetessymptome aufweisen,
das Vorliegen eines Typ-1-Diabetes im Frühstadium. Das Frühstadium kann
mit Normoglykämie (Stadium 1) oder Dysglykämie (Stadium 2) verbunden
sein. Personen mit einem präsymptomatischen Frühstadium entwickeln über
einen individuell-variablen Zeitraum hinweg einen klinischen
Typ-1-Diabetes mit Hyperglykämie (Stadium 3), die unbehandelt zum
Auftreten von Diabetessymptomen führt. Die Progressionsrate kann durch
immunologische und metabolische Tests eingeschätzt werden. *Hohes Risiko
für schnelle Progression zu Stadium 3 [26 ].
Die Fr1da-Studie generiert neue Evidenz
Die Fr1da-Studie, die 2015 als Modellprojekt „Typ-1-Diabetes: Früh erkennen –
Früh gut behandeln“ in Bayern vom Institut für Diabetesforschung, Helmholtz
Munich initiiert wurde [27 ], ist
heute das weltweit größte öffentliche Früherkennungsprogramm für
präsymptomatischen Typ-1-Diabetes bei Kindern [15 ]
[26 ]. In Zusammenarbeit mit
Kinderarztpraxen und pädiatrischen Diabeteseinrichtungen, unterstützt durch den
bayerischen Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) sowie durch
PaedNetz Bayern e.V., wird Kindern in Bayern im Rahmen einer
Vorsorgeuntersuchung (U7 bis U11) oder eines Kinderarztbesuches im Alter
zwischen 2 und 10 Jahren ein kostenloses und freiwilliges Screening auf
Inselautoantikörper im Blut angeboten. Bisher haben über 180.000 Kinder an
diesem Screening teilgenommen. Ein Frühstadium des Typ-1-Diabetes wurde bei 0,3%
der bayerischen Kinder diagnostiziert (Prävalenz 300 von 100.000) [15 ]. Kinder mit einem Frühstadium
werden eingeladen, an einem metabolischen Staging (oraler Glukosetoleranztest
[OGTT], Hämoglobin A1c [HbA1c]) und einem Präventiv-Schulungsprogramm in einer
pädiatrischen Diabetesklinik in der Nähe des Wohnortes der Familie teilzunehmen.
In der Schulung wird erklärt, was ein Frühstadium des Typ-1-Diabetes bedeutet
und was zu beachten ist, welche Symptome bei einer Stoffwechselentgleisung
auftreten, und wie der Blutzucker gemessen wird. Die Familien erhalten einen
Ratgeber (Link: www.typ1diabetes-frueherkennung.de/fileadmin/FRIEDA/Fr1da/Ratgeber.pdf )
und eine Notfallkarte über Symptome und pathologische Blutzuckerwerte;
Materialien, die speziell für die Frühphase des Typ-1-Diabetes entwickelt wurden
(Link: www.typ1diabetes-frueherkennung.de/infomaterial ). Die Inhalte der
Schulung werden durch einen Wissenstest im Verlauf abgefragt und gegebenenfalls
aufgefrischt. Anhand der Ergebnisse des OGTTs und HbA1c-Werts wird zwischen
Typ-1-Diabetes im Stadium 1 (Normoglykämie), Stadium 2 (Dysglykämie), und
Stadium 3 (Hyperglykämie) unterschieden und ein Vorsorgeplan mit
Kontrollterminen implementiert (Link: https://www.typ1diabetes-frueherkennung.de/fileadmin/FRIEDA/Fr1da/Vorsorgeplan.pdf ).
Dabei kann mit einem Progressions-Wahrscheinlichkeit-Score das Risiko für die
Entwicklung eines klinisch-manifesten Typ-1-Diabetes innerhalb der nächsten 2
Jahre genauer eingeschätzt werden [26 ]. Mit jeder Familie wird individuell vereinbart, wie die
Blutzucker-Messung zu Hause erfolgen soll. Hierzu wird ein Blutzuckermessgerät
zur Verfügung gestellt, sowie ein Tagebuch zur Dokumentation der Messwerte. Die
Familien werden ebenfalls, soweit verfügbar, über Möglichkeiten zur Teilnahme an
klinischen Studien zur Prävention informiert. Mit standardisierten Fragebögen
(PHQ-9) werden das Wohlbefinden, die Ängste und Sorgen sowie der Stress der
Eltern von Kindern mit Typ-1-Diabetes-Frühstadium evaluiert (bei
Befundmitteilung bzw. Schulung, nach 6 und nach 12 Monaten). Bei deutlich
erhöhten Angst- und Depressionswerten wird eine psychologische Beratung vor Ort
vermittelt. Zudem können sich Eltern mit ihren Fragen und Sorgen an eine
kostenlose Telefon-Hotline der Fr1da-Studie wenden. Kinder mit
klinisch-manifestem Typ-1-Diabetes werden in der Regelversorgung weiter
betreut.
Im Rahmen der Fr1daPlex -Initiative wird seit Anfang 2022 der
Früherkennungstest auch für Kinder in Niedersachsen und Hamburg („Fr1da im
Norden“, Leitung: Kinderkrankenhaus Auf der Bult, Hannover) sowie in Sachsen
(„Fr1da in Sachsen“, Leitung: Zentrum für Regenerative Therapien, TU Dresden)
kostenlos angeboten (Informationen unter www.fr1da.de).
Frühdiagnostik von Typ-1-Diabetes mittels
Inselautoantikörper-Screening
Das Screening auf Inselautoantikörper beruht auf einer Teststrategie, die vier
Inselautoantikörper mit zwei unterschiedlichen Methoden in zwei zeitversetzten
Blutproben untersucht [27 ]
[28 ]
[29 ]. Gemäß den Daten der T1DI- und
TEDDY-Studien hat ein einmaliges Screening auf multiple Inselautoantikörper
(Typ-1-Diabetes-Frühstadium) die höchste Sensitivität im Alter von 4 Jahren;
dadurch werden 40% aller Fälle von klinischem Typ-1-Diabetes bis zum Alter von
15 Jahren erkannt [30 ]. Ein
zweimaliges Screening im Alter von 2 und 6 Jahren ergibt eine Sensitivität von
82%, d. h. es werden>80% aller klinischen Manifestationen bis zum Alter von
15 Jahren erfasst [30 ]
[31 ]. Bezogen auf eine kumulative
Inzidenz des klinischen Typ-1-Diabetes von 0,35% bis zum Alter von 15 Jahren
sind das 280 pro 100.000 Kinder, bei denen mit dieser Screening-Strategie ein
Typ-1-Diabetes-Frühstadium erkannt werden kann, bevor die Erkrankung im weiteren
Verlauf bis zum Alter von 15 Jahren klinisch manifestiert ([Abb. 2 ]). Die Spezifität (der
Positiv-Prädiktive-Wert, PPV) der Testung ist nahe 100%, d. h. nahezu alle
Kinder mit einem positiven Testergebnis entwickeln innerhalb von 20 Jahren einen
klinisch-manifesten Typ-1-Diabetes. Der PPV für eine
Typ-1-Diabetes-Manifestation innerhalb von 10 Jahren liegt bei 75% und bis zum
15. Lebensjahr bei 79% [31 ]
[32 ]. Eine Zurückbildung von
multiplen Inselautoantikörpern ist selten und liegt unter 1% in der TEDDY-Studie
[33 ]. Von 5 Kindern, die in
der TEDDY-Studie im Verlauf Autoantikörper-negativ wurden, entwickelten 3 Kinder
im Analysezeitraum einen klinisch-manifesten Typ-1-Diabetes, was darauf
hindeutet, dass die Rückbildung von multiplen Inselautoantikörpern nicht mit
einer Verringerung des Risikos verknüpft ist.
Abb. 2 Die kumulative Inzidenz für klinischen Typ-1-Diabetes
(Stadium 3 T1D) ist als Kurve für Kinder in Bayern bis zum Alter von 12
Jahren dargestellt. Die schattierte Fläche unterhalb der Kurve
beschreibt den Anteil der erkrankten Kinder (80% bis zum Alter von 15
Jahren), die durch Inselautoantikörper-Screening im Alter von 2 und 6
Jahren bereits vor der klinischen Manifestation im präsymptomatischen
Frühstadium des Typ-1-Diabetes (Stadium 1 und 2) erkannt werden können.
Anonymisierte Daten von 1.181.878 Kindern, die zwischen 2010 und 2018
geboren sind, wurden freundlicherweise von der Kassenärztlichen
Vereinigung Bayerns (KVB) für diese Analyse zur Verfügung gestellt.
Durch Verzögerung der Krankheitsprogression die Belastungen von Betroffenen
reduzieren
Da Typ-1-Diabetes immer mehr Kinder betrifft, werden dringend Interventionen
benötigt, die den Autoimmunprozess zurückdrängen und das Fortschreiten zur
Stoffwechselerkrankung aufhalten können. Insbesondere Kinder, bei denen sich die
Erkrankung vor dem Alter von 10 Jahren klinisch manifestiert, sind von
Folgeerkrankungen des Diabetes und einer erheblichen Einschränkung der
Lebensqualität und Reduktion der Lebenserwartung betroffen [7 ]. Insofern kann nicht genug
betont werden, dass die Betroffenen mit Blick auf Morbidität und Lebenserwartung
desto mehr profitieren, je länger das Fortschreiten zu einem klinisch-manifesten
Typ-1-Diabetes verzögert werden kann. Gerade in der Grundschule ist es oft sehr
schwierig, die notwendige Betreuung für Kinder mit Typ-1-Diabetes zu
realisieren, und die Jahre der Pubertät sind bei Personen mit Typ-1-Diabetes
aufgrund der Hormonumstellung sowie durch alterstypische Verhaltensänderungen
oft mit einer unzureichenden Stoffwechselkontrolle verbunden [34 ]. Hier kann jegliche Verzögerung
der klinischen Manifestation helfen, Stoffwechselentgleisungen in einer für die
Familien emotional fordernden Zeit zu vermeiden.
Die Belastungen der Betroffenen und ihrer Familien bei der Diagnose eines
klinischen Typ-1-Diabetes sind vielschichtig; sie umfassen nicht nur emotionale
und soziale, sondern auch finanzielle Aspekte. Eltern versäumen oft ihre Arbeit
oder geben sie ganz auf, um den speziellen Herausforderungen der Erkrankung des
Kindes mit Typ-1-Diabetes gerecht werden zu können [35 ]. Gleichzeitig ist sowohl die
alltägliche, besonders aber auch die emotionale Belastung der Eltern und
betroffenen Kinder und Jugendlichen durch die ständige Auseinandersetzung mit
der Diabeteskontrolle und -therapie hoch [18 ]. Eine Verzögerung der
Diabetesmanifestation kann hier dazu beitragen, die vielfältigen Belastungen
durch das Therapiemanagement hinauszuzögern und dadurch die Lebensqualität zu
erhöhen.
Nutzen der Früherkennung von Typ-1-Diabetes
Nutzen der Früherkennung von Typ-1-Diabetes
Die Fr1da-Studie zeigt, dass durch Frühdiagnostik, Schulung und Monitoring die
Ketoazidose-Rate bei Typ-1-Diabetes-Manifestation bei Kindern aus der
Allgemeinbevölkerung signifikant gesenkt und patientenrelevante Endpunkte verbessert
werden können ([Tab. 1 ]). Von den
hausärztlich tätigen Kinder- und Jugendärzten in Bayern nehmen zwei Drittel (~66%)
an der Fr1da-Studie teil. Verglichen mit einer bayerischen
Vorschulbevölkerungserhebung unterscheiden sich die Kinder der Fr1da-Studie nicht in
der Geschlechterverteilung (Jungen 51,5% versus 51,3%) oder der Häufigkeit von
Adipositas (3,2% versus 3,1%), so dass von einer repräsentativen Studienpopulation
auszugehen ist [15 ]
[36 ].
Kinder, bei denen im Rahmen des Inselautoantikörper-Screenings der Fr1da-Studie ein
Typ-1-Diabetes-Frühstadium diagnostiziert wurde, wiesen zum Zeitpunkt der klinischen
Manifestation des Typ-1-Diabetes in nur 2,5% (3 von 118) der Fälle eine Ketoazidose
auf. Bei Kindern, die zusätzlich an einer Schulung und am Monitorprogramm
teilgenommen hatten, waren es 1,9% (2 von 107) [16 ]. Diese Rate ist deutlich niedriger
als die durchschnittliche Ketoazidose-Rate bei Diabetesmanifestation bei Kindern und
Jugendlichen in Deutschland, die seit vielen Jahren bei über 20% liegt und während
der Covid19-Pandemie zeitweise auf 44,7% angestiegen ist [4 ]
[37 ]
[38 ]. Ähnliche Ergebnisse sind bereits
aus den Beobachtungsstudien BABYDIAB, DAISY, und TEDDY ([Tab. 2 ]) bekannt [9 ]
[10 ]
[11 ]
[12 ].
Darüber hinaus wurde in aktuellen Studien an großen Fallzahlen gezeigt, dass die dem
Langzeit-Blutzucker entsprechenden HbA1c-Werte bei Personen, die bei klinischer
Manifestation des Typ-1-Diabetes keine Ketoazidose aufwiesen, langfristig
signifikant niedriger waren (Online-Supplement Tabelle 1–3 ). Dagegen war eine
Ketoazidose bei Diabetesmanifestation mit einer schlechteren Langzeitprognose
assoziiert [39 ]
[40 ]
[41 ]
[42 ]. Dazu zählen auch durch Ketoazidose
verursachte Schäden am Gehirn (Diffusität und Volumenzunahme der weißen Substanz,
Volumenabnahme der grauen Substanz), die mit kognitiven Störungen (Defizite in
Erinnerung, Aufmerksamkeit, Intelligenzquotienten) verbunden sind [21 ]
[43 ]
[44 ]. Aus diesen Daten kann geschlossen
werden, dass die Vermeidung einer Ketoazidose bei Diabetesmanifestation potenziell
zu einer Reduktion von diabetischen Folgeerkrankungen, kardiovaskulären Erkrankungen
sowie kognitiven und neurologischen Defiziten beitragen kann. Weiterhin zeigen
aktuelle Daten des Prospektiven Diabetes-Verlaufsregisters (DPV), an dem sich 495
Diabetes-Kliniken in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Luxemburg beteiligen,
dass Kinder mit einer Ketoazidose zum Zeitpunkt der Diabetesdiagnose in den nächsten
10 Jahren eine um 50% höhere Rate an weiteren Ketoazidose-Episoden aufweisen [8 ].
Zudem hatte mehr als die Hälfte (56%) der Kinder, bei denen in der Fr1da-Studie ein
Typ-1-Diabetes-Frühstadium diagnostiziert wurde, zum Zeitpunkt der klinischen
Diabetesdiagnose keine Krankheitssymptome [16 ]. Insbesondere beklagten nur 6,5% der Kinder einen Gewichtsverlust
[45 ]. Im Gegensatz dazu wiesen
altersentsprechende Kinder der Bayerischen Diabetesregister-Studie DiMelli, bei
denen der klinische Typ-1-Diabetes ohne vorausgegangene Frühdiagnose aufgetreten
war, in 91% der Fälle Symptome bei Manifestation auf, und 83% beklagten einen
Gewichtsverlust [45 ]. Vergleichsdaten
hinsichtlich patientenrelevanter Endpunkte liefert eine aktuelle Analyse aus dem
Sächsischen Diabetesregister ([Tab.
1 ]) [46 ]. Hier wiesen von
907 Kindern im Alter bis 10 Jahren mit neu manifestiertem Typ-1-Diabetes zum
Zeitpunkt der Diagnose 333 Kinder (36,7%) eine Ketoazidose auf, darunter 116 (12,8%)
mit einer schweren Ketoazidose (pH<7,1). Symptome wurden bei 96% der jungen
Patienten festgestellt, und alle Kinder (100%) benötigten eine Hospitalisierung
(mediane Verweildauer 11 Tage; Interquartilsbereich, IQR, 9–14 Tage). Kindern der
Fr1da-Studie wiesen bei klinischer Manifestation dagegen eine signifikant niedrigere
Hospitalisierungsrate (74%) auf, mit einer medianen Verweildauer von 8 Tagen (IQR
0–11 Tage).
Kinder, die an der Verlaufsbeobachtungsstudie TEDDY teilgenommen und einen
klinisch-manifesten Typ-1-Diabetes entwickelt haben, hatten nach der Diagnose für
mindestens 12 Monate höhere C-Peptidspiegel (d. h. eine bessere
Betazell-Restfunktion), niedrigere HbA1c-Werte und einen geringeren Insulinbedarf
[47 ]. Kinder aus der Fr1da-Studie
mit bekanntem Typ-1-Diabetes-Frühstadium, hatten bei klinischer
Diabetesmanifestation signifikant höhere C-Peptid-Spiegel und niedrigere HbA1c-Werte
als altersentsprechende Kinder der DiMelli-Studie, die ohne vorherige Frühdiagnose
erkrankt waren ([Tab. 1 ]) [16 ].
Eine Restmenge an C-Peptid, also ein Funktionserhalt der Betazelle, wie er in der
Fr1da-Studie gezeigt wurde, geht – zusammen mit einer rechtzeitig-begonnenen,
adäquaten Insulintherapie – mit einer besseren Stoffwechselkontrolle (HbA1c), einem
deutlich niedrigeren Risiko für diabetische Folgeschäden und Hypoglykämie und einem
niedrigeren Risiko für die Entwicklung einer Ketoazidose einher. Dieser bedeutende
Zusammenhang wurde in großen klinischen Studien wiederholt nachgewiesen, unter
anderem in den amerikanischen DCCT und EDIC-Studien [48 ]
[49 ]
[50 ]. Die DCCT-Studie zeigte bei
Personen mit Typ-1-Diabetes in einer siebenjährigen Nachbeobachtungszeit den starken
inversen Zusammenhang zwischen einem höheren C-Peptid zu Beginn der Studie und einem
niedrigeren HbA1c-Wert, sowie einem niedrigeren Risiko für Retinopathie und schwere
Hypoglykämie [49 ]. Verglichen wurden
138 Personen mit C-Peptid-Werten von 0,2–0,5 nmol/l (mittleres C-Peptid 0,317
nmol/l) und 274 Personen mit C-Peptid-Werten<0,2 nmol/l (mittleres C-Peptid 0,079
nmol/l). Pro 50% höherem C-Peptid bei Studienbeginn verringerte sich im Verlauf der
HbA1c-Wert um durchschnittlich 0,07% (0,8 mmol/mol) (P=0,0003) und das Risiko einer
Retinopathie und schweren Hypoglykämie um 12% (P=0,003) bzw. 8,2% (P<0,0001)
[49 ].
Adjuvante Therapien, die nach klinischer Manifestation des Typ-1-Diabetes zusätzlich
zur Behandlung mit Insulin erfolgen, könnten in der Zukunft ebenfalls zum längeren
Erhalt der Betazell-Funktion beitragen [51 ].
Die psychische Belastung der Eltern ist bei der Diagnose eines
Typ-1-Diabetes-Frühstadiums signifikant geringer als bei einer klinischen
Manifestation der Stoffwechselerkrankung ohne vorausgegangene Früherkennung, wie
eine Auswertung der Fr1da- und DiMelli-Studiendaten zeigt [15 ]. Der initial leicht erhöhte PHQ-9
Depressionsscore nahm nach Frühdiagnose, Schulung und Monitoring ab und unterschied
sich nach sechs Monaten nicht von der Belastung von Eltern gesunder Kinder. Sehr
ähnliche Daten zeigt die BABYDIAB-Studie [52 ] und die Fr1dolin-Studie, bei der die psychische Belastung bei 52
Elternpaaren von Kindern mit Typ-1-Diabetes in Stadium 1 oder 2 sowie 367
Elternpaaren von Kindern mit erhöhten LDL-Cholesterinwerten untersucht wurde [53 ]
[54 ]. Die initial erhöhte psychische
Belastung der Eltern ging nach sechs Monaten auf das mittlere Niveau der
Allgemeinbevölkerung zurück. Hohe elterliche Belastungen waren mit bereits
vorliegenden individuellen Problemlagen assoziiert.
Zugang zu einer präventiven Therapie mit Teplizumab (FDA zugelassen).
Früherkennung durch Inselautoantikörper-Screening ist die einzige
Möglichkeit, um Personen zu identifizieren, die von einer Therapie mit
Teplizumab profitieren.
Tab. 1 Gegenüberstellung von patientenrelevanten Endpunkten
sowie von Parametern der Blutzuckerregulation und Betazell-Funktion bei
Diagnose des klinischen Typ-1-Diabetes (T1D) Stadium 3 für Kinder mit
versus ohne zuvor bekanntem T1D Frühstadium aus der Fr1da-Studie, der
Bayerischen Diabetesregister-Studie DiMelli und dem Sächsischen
Diabetesregister.
Status bei Diagnose des klinischen T1D Stadium 3
T1D Stadium 3 bei vorher bekanntem T1D Frühstadium
T1D Stadium 3 bei nicht bekanntem T1D Frühstadium
P-Wert
Prozentuale Veränderung bei vorher bekanntem T1D Frühstadium*
Referenz
Ketoazidose, Anteil % (95% CI)
2,5 (0,9; 7,2)
36,7 (33,6; 39,9)
<0,0001
minus 93%
[16 ]
[46 ]
Hospitalisierung, Anteil % (95% CI)
74,4 (65,9; 81,3)
100 (99,6; 100)
<0,0001
minus 26%
[16 ]
[46 ]
Symptome, Anteil % (95% CI)
43,8 (35,3; 52,7)
95,7 (94,2; 96,8)
<0,0001
minus 54%
[16 ]
[46 ]
Gewichtsverlust, Anteil % (95% CI)
6,5 (3,0; 13,4)
83,4 (80,2; 86,2)
<0,0001
minus 92%
[45 ]
Ketonurie [moderat/groß], Anteil % (95% CI)
22,2 (13,2; 34,9)
78,4 (75,2; 81,3)
<0,0001
minus 72%
[16 ]
HbA1c (mmol/mol), Median (IQR)
51 (45; 67)
91 (75; 107)
<0,001
minus 44%
[16 ]
Nüchtern-Blutglukose (mmol/l), Median (IQR)
5,3 (4,6; 6,4)
7,2 (5,7; 9,1)
<0,05
minus 26%
[16 ]
Nüchtern-C-Peptid (nmol/l), Median (IQR)
0,21 (0,15; 0,33)
0,10 (0; 0,17)
<0,001
plus 110%
[16 ]
* verglichen mit Wert bei nicht bekanntem T1D Frühstadium.
Tab. 2 Gegenüberstellung der Prävalenz von Ketoazidose bei
klinischer Manifestation des Typ-1-Diabetes (T1D) bei noch sehr jungen
Kindern mit Inselautoantikörper-Screening im Verlauf der TEDDY-Studie
verglichen mit Kindern aus T1D Inzidenz-Studien ohne vorheriges
Screening [10 ].
Datenquelle
T1D Manifestationsalter<2 Jahre, Ketoazidose, % (95% CI)
P-Wert*
T1D Manifestationsalter<5 Jahre, Ketoazidose, % (95% CI)
P-Wert*
TEDDY-Studie
15,0 (6,4; 30,5)
11,3 (5,7; 21,0)
SEARCH-Studie
50,0 (36,7; 63,3)
<0,0001
36,4 (30,7; 42,4)
<0,0001
Finnish Pediatric Diabetes Register
44,8 (37,5; 52,3)
<0,0001
18,7 (16,0; 21,8)
0,11
DPV-Register
54,0 (49,2; 58,8)
<0,0001
32,2 (30,0; 34,4)
<0,0001
*verglichen mit Ketoazidose-Prävalenz in TEDDY bei T1D Manifestation im Alter
von<2 und<5 Jahren.
Das therapeutische Ziel einer Teplizumab-Behandlung bei Typ-1-Diabetes im Stadium 2
besteht darin, den Autoimmunprozess zu unterbrechen und dadurch die Zerstörung der
Betazellen aufzuhalten. Der monoklonale Antikörper bindet das CD3-Oberflächenantigen
auf T-Lymphozyten und führt zu einer vorübergehenden Deaktivierung CD3-positiver
Zellen, einschließlich der unerwünschten autoreaktiven Effektor-T-Zellen, und in
Folge zu einem erhöhten Anteil regulatorischer T-Zellen im peripheren Blut. Der
Wirkstoff Teplizumab (Medikamentenname Tzield) wurde im November 2022 in den USA zur
Verzögerung einer klinischen Diabetesmanifestation zugelassen. Die Zulassung basiert
auf einer Studie, die mit einer Kurzzeitbehandlung mit dem monoklonalen
anti-CD3-Antikörper Teplizumab (einmaliger 14-tägiger Infusionszyklus) die
Entwicklung des klinisch-manifesten Diabetes bei Kindern ab 8 Jahren und jungen
Erwachsenen mit einem Typ-1-Diabetes-Frühstadium und bereits bestehender Dysglykämie
(Stadium 2) um durchschnittlich 3 Jahre verzögern konnte [55 ]
[56 ]. Auch die Betazell-Restfunktion
(C-Peptid) war deutlich höher unter Teplizumab-Behandlung. Das zeigen insgesamt
sechs abgeschlossene Studien im Stadium 2 oder 3 der Typ-1-Diabetes-Erkrankung [56 ]
[57 ]
[58 ]
[59 ]
[60 ]
[61 ]. Die Anwendung von Teplizumab ist
mit Warnhinweisen und Vorsichtsmaßnahmen verbunden, einschließlich Prämedikation und
Überwachung auf Symptome des Zytokin-Freisetzungssyndroms. Häufigste Nebenwirkungen
(>10%) sind Lymphopenie (73%), Rötung und Hautausschlag (36–48%), Anämie (27%),
Leukopenie (21%), und Kopfschmerzen (11%). Bisher wurden 800 Personen mit
Typ-1-Diabetes mit Teplizumab behandelt. In den Studien traten keine unerwarteten
Nebenwirkungen auf. Die meisten Nebenwirkungen wurden als moderat und transient
eingestuft und erforderten keine Dosisanpassung. Bisher gibt es keinen Hinweis auf
ein erhöhtes Langzeitrisiko von Infektionen oder malignen Erkrankungen (1.500
Patientenjahre und bis 7 Jahre Verlaufsbeobachtung nach Behandlung).
Andere immun-basierte Therapien wie die antigen-spezifische Immuntherapie mit oralem
Insulin [62 ]
[63 ], sowie eine Therapie mit
Hydroxychloroquin [64 ] oder Abatacept
(Orencia) [65 ] haben nicht zu einer
signifikanten Verzögerung der Diabetesmanifestation geführt, wobei all diese
Therapien im Frühstadium 1 des Typ-1-Diabetes (nicht wie Teplizumab im Stadium 2)
geprüft wurden.
Potenzielle Nachteile der Früherkennung von Typ-1-Diabetes
Potenzielle Nachteile der Früherkennung von Typ-1-Diabetes
Das Screening auf Inselautoantikörper zur Erkennung von Kindern mit einem
präsymptomatischen Frühstadium des Typ-1-Diabetes wird aus verschiedenen Gründen
auch kritisch diskutiert:
Das Screening betrifft Kinder, die noch nicht selbst über ihre Teilnahme
entscheiden können.
Einmal erlangte Kenntnisse über das Vorliegen eines
Typ-1-Diabetes-Frühstadiums können nicht wieder rückgängig gemacht werden.
Das Recht auf Nichtwissen muss beachtet und in Aufklärungsgesprächen darauf
hingewiesen werden.
Es kann nicht sicher vorhergesagt werden, wann sich bei einem positiv
gescreenten Kind die Stoffwechselerkrankung klinisch manifestieren wird.
Derzeit steht keine Behandlung zur Verfügung, um die Stoffwechselerkrankung
zu verhindern.
Ein positives Screening-Ergebnis kann mit negativen Konsequenzen verbunden sein.
Durch das Wissen um das Vorliegen eines Typ-1-Diabetes-Frühstadiums könnten mehr
oder weniger unbeschwerte Jahre verlorengehen. Etwa 25% der Kinder mit einem
Typ-1-Diabetes-Frühstadium werden auch 10 Jahre nach Diagnose noch keinen klinischen
Typ-1-Diabetes entwickelt haben [32 ].
Während der Wartejahre könnten das Denken und Handeln der Eltern durch Sorge,
Vorsicht, besondere Aufmerksamkeit und zusätzlichen Aufwand geprägt sein. Diese
Unsicherheit kann sich auf die Kinder übertragen und sie langfristig emotional
beeinträchtigen. Hinzu kommen regelmäßige Selbstkontrollen und Arztbesuche mit
unangenehmen Blutentnahmen und Untersuchungen, die den Kindern altersgemäß erklärt
werden müssen. Für die Kinder stehen diese Kontrollen und ärztliche Untersuchungen
sowie die spürbare Sorge ihrer Eltern im Vordergrund. Dies könnte sich ungünstig auf
die Lebensqualität und die psychische Entwicklung der Kinder auswirken. Schließlich
könnten einige Eltern auch versuchen, den Ausbruch der Stoffwechselerkrankung bei
ihrem Kind selbst aktiv zu verhindern, z. B. durch unverhältnismäßige
Ernährungsregeln, den Verzicht auf Kontakte zu Gleichaltrigen oder den Einsatz von
ungeeigneten alternativen oder schulmedizinischen Medikamenten oder
nichtpharmazeutischen Interventionen.
Ein negatives Screening-Ergebnis kann ebenfalls mit Risiken verbunden sein. Durch die
vermeintliche Sicherheit könnten Eltern die ersten Symptome eines
klinisch-manifesten Typ-1-Diabetes bei ihrem Kind nicht wahrnehmen oder
fehlinterpretieren. Dadurch wäre die Gefahr einer diabetischen Ketoazidose für diese
kleine Gruppe von Kindern erhöht.
Eltern müssen deshalb vor der Teilnahme ihres Kindes an einem Screening über dessen
Ziele und damit verbundene Chancen und Risiken aufgeklärt werden. Sie sollten der
Teilnahme nach reiflicher Überlegung und Abwägung aller Argumente zustimmen oder sie
ablehnen können. Ein positives Screening-Ergebnis muss durch eine ausführliche
Aufklärung der Eltern über die Situation des Kindes sowie über sinnvolle und
ungeeignete Maßnahmen ergänzt werden. Diese sollte strukturiert, umfassend und
orientiert an den Fragen und Interessen der Eltern individuell durch ein
entsprechend trainiertes und erfahrenes Team erfolgen.
Eine psychische Belastung der Eltern durch die Diagnose eines
Typ-1-Diabetes-Frühstadiums muss berücksichtigt und die Bewältigung der oft
unerwarteten Nachricht durch die Eltern muss, falls erforderlich, unterstützt
werden. Emotionale Belastungen, Ängste und depressive Symptome können mit
validierten Fragebögen zeitnah erfasst und eine strukturierte Beratung angeboten
werden [15 ]
[54 ]. Die psychischen Belastungen der
Eltern sind bei der Diagnose erhöht, jedoch nur bei wenigen Personen klinisch
relevant. Die Belastung ist jedoch meist nicht auf die Diagnose eines frühen
Diabetesstadiums, sondern vor allem auf vorbestehende gesundheitliche oder
sozioökonomische Belastungen zurückzuführen. Über die Zeit und bei entsprechend
qualifizierter Beratung nimmt die psychische Belastung der Eltern ab und
unterscheidet sich nicht vom Niveau der Allgemeinbevölkerung. Relevante psychische
Belastungen treten vor allem bei Müttern und selten bei Vätern mit bereits bekannter
Angststörung, Depression oder hoher psychosozialer Belastung auf [54 ]
[66 ]. Eine qualifizierte, langfristige
Betreuung der Familien trägt dazu bei, die spätere psychische Belastung bei
Manifestation des klinischen Typ-1-Diabetes zu reduzieren.
Kosten der Frühdiagnostik
Kosten der Frühdiagnostik
Eine Analyse der Kosten der Früherkennungsuntersuchung im Rahmen der Fr1da-Studie
ergab einen Betrag von etwa 28 Euro pro Kind [67 ]. Sollte das Screening in die
medizinische Regelversorgung aufgenommen werden, wurde prognostiziert, dass sich der
Betrag auf etwa 22 Euro pro Kind reduzieren könnte [67 ]. Die Kostenanalyse berücksichtigte
sowohl die Aufklärung und Blutabnahme durch den Kinder- und Jugendarzt, und die
Verarbeitung und Analyse der Blutproben, als auch die Befundmitteilung. Ebenso
enthalten waren die Ausgaben für Tests zur Einschätzung der Betazell-Funktion (OGTT)
und der Qualität der Stoffwechseleinstellung (HbA1c) sowie für eine Schulung zur
Prävention und Beratung für betroffene Kinder und deren Familien.
Schritte der Implementierung
Schritte der Implementierung
Wichtige Schritte für die Implementierung eines Screenings in Deutschland sind
erstens die Fortbildung der Kinder- und Jugendärzte, die über das Screening
aufklären sollen. In der Fr1da-Studie in Bayern erfolgte diese über regelmäßige
Informationsveranstaltungen und Vorträge bei den Qualitätszirkeln. Zweitens müssen
einzelne wenige überregionale Laboratorien etabliert werden, die ähnlich wie beim
Neugeborenen-Screening die Testung durchführen. Eventuell könnte die Testung sogar
von den Neugeborenen-Screening-Laboren durchgeführt werden. Drittens müssen
regionale Kapazitäten für Schulung und Betreuung der Kinder mit einem Frühstadium
des Typ-1-Diabetes sichergestellt werden. Derzeit erkranken in Deutschland jedes
Jahr etwa 3200 Kinder und Jugendliche neu an klinischem Typ-1-Diabetes. Bei einem
zweifachen Screening im Alter von 2 und 6 Jahren werden zunächst zusätzlich pro Jahr
etwa 2900 Kinder mit einem Typ-1-Diabetes-Frühstadium diagnostiziert (basierend auf
einer Schätzung von ca. 800.000 Kindern wohnhaft in Deutschland pro Zeitpunkt und
einer Teilnehmerrate von 90%), die mit den Jahren die spontanen Diagnosen zu großen
Teilen ersetzen. Obwohl die Betreuung von Kindern mit Frühstadium deutlich weniger
Ressourcen bedarf und auch die klinischen Manifestationen milder verlaufen, wird
eine Ausweitung der vorhandenen Kapazitäten wahrscheinlich notwendig sein, um den
Versorgungsbedarf bei einem populationsbasierten Screening abzudecken.
Empfehlung – Zusammenfassende Schlussfolgerung
Empfehlung – Zusammenfassende Schlussfolgerung
Der Vorteil einer Diabetesfrüherkennung durch Inselautoantikörper-Screening muss
gegenüber den Nachteilen abgewogen werden. Nachteile einer frühen Diagnose liegen in
der möglichen Vorverlagerung der Konfrontation mit einer chronischen Erkrankung, die
zu einer vermehrten psychischen Belastung führen kann. Gleichzeitig muss aber betont
werden, dass die chronische Autoimmunerkrankung Typ-1-Diabetes zu diesem Zeitpunkt
bereits latent vorliegt und weiter voranschreitet. Deshalb muss ein wichtiger
Bestandteil von Früherkennungsuntersuchung die Aufklärung und die Freiwilligkeit der
Teilnahme sein.
Die oben beschriebenen Vorteile einer Früherkennung sprechen in Abwägung gegenüber
den potenziellen Risiken aus unserer Sicht eindeutig dafür, die Aufklärung über die
Möglichkeit und das konkrete Angebot der Früherkennung des Typ-1-Diabetes in die
Regelversorgung von Kindern aufzunehmen. Die von Wilson und Jungner in einem
WHO-Bericht von 1968 definierten und danach modifizierten Entscheidungskriterien
über die Angemessenheit eines Screenings sehen wir für ein
Inselautoantikörper-Screening zur Früherkennung von Typ-1-Diabetes bei Kindern als
weitestgehend erfüllt an ([Tab. 3 ])
[68 ]
[69 ].
Tab. 3 Die Wilson-Jungner-Kriterien zur Beurteilung der
Validität eines Vorsorgeprogramms angewandt für ein
Inselautoantikörper-Screening zur Früherkennung von Typ-1-Diabetes bei
Kindern. Es wird gekennzeichnet, was für den Typ-1-Diabetes
zutrifft.
Grundsatz
Anwendung für Screening auf Typ-1-Diabetes
1.
Die Erkrankung, auf die untersucht wird, sollte ein wichtiges
Gesundheitsproblem darstellen.
Trifft zu
2.
Der natürliche Verlauf der Erkrankung sollte gut verstanden
sein.
Trifft zu
3.
Es sollte ein Frühstadium nachweisbar sein.
Trifft zu
4.
Eine Behandlung in einem frühen Stadium sollte von größerem
Nutzen sein als in einem späteren Stadium.
Trifft zu; siehe Nutzen I-IV
5.
Es sollte einen geeigneten Test für den Nachweis des Frühstadiums
geben.
Trifft zu
6.
Der Test sollte für die Bevölkerung akzeptabel sein.
Trifft zu
7.
Es sollten Intervalle für die Wiederholung des Tests festgelegt
werden.
Trifft zu
8.
Für die durch das Screening entstehende zusätzliche klinische
Arbeitsbelastung sollten angemessene Vorkehrungen im
Gesundheitswesen getroffen werden.
Trifft teilweise zu; Einrichtungen vorhanden, Ausweitung der
Kapazitäten erforderlich
9.
Die körperlichen und psychischen Risiken sollten geringer sein
als der Nutzen.
Trifft zu; siehe Nutzen III
10.
Die Kosten sollten in einem annehmbaren Verhältnis zum
Gesundheitsnutzen des Programms stehen.
Trifft zu; siehe Kosten , detaillierte
Kosten-Nutzen-Analysen laufen
Ein zweimaliges Screening hat die beste Sensitivität und den besten Vorhersagewert,
wenn es im Alter von 2 und 6 Jahren durchgeführt wird. Für ein einmaliges Screening
ist im Alter von 4 Jahren die Sensitivität und der Vorhersagewert am höchsten.
Kinder und Jugendliche mit einem Frühstadium des Typ-1-Diabetes müssen in
spezialisierten Diabeteseinrichtungen zusätzlich zur fachärztlichen Versorgung durch
die betreuende Kinderärztin bzw. den Kinderarzt mitbehandelt werden. Dabei sind
strukturierte Schulung, qualifizierte Aufklärung, Beratung zum Umgang mit dem Wissen
um den Diabetes und Monitoring wichtige Bestandteile der frühen Behandlung.
Ein Glukosetoleranztest und die Bestimmung des HbA1c-Wertes sind im Frühstadium
wichtige Parameter zur Stadieneinteilung und zur Einschätzung des Zeitpunkts der
klinischen Manifestation. Durch eine Blutzuckerüberwachung (Monitoring: Glukose,
HbA1c, ggf. OGTT, kontinuierliche Glukosemessung, je nach Stadium alle 3–24 Monate)
kann die Stoffwechselentgleisung (Ketoazidose) verhindert und der optimale Zeitpunkt
einer Insulintherapie erkannt werden [70 ]. Dadurch können Krankenhausaufenthalte vermieden bzw. verkürzt
werden. Die Früherkennung eröffnet den Zugang zu aktuell und zukünftig verfügbaren
präventiven und therapeutischen Optionen, sobald diese in Europa/Deutschland
zugelassen werden.
Insgesamt besteht ein großer, bisher noch unzureichend erfüllter Bedarf an
krankheitsmodifizierenden Therapien und präventiven Optionen bei Typ-1-Diabetes. Die
Zulassung innovativer Antikörpertherapien, die zunehmend bei Autoimmunerkrankungen
eingesetzt werden, eröffnen erstmals neue therapeutische Optionen, von denen
Teplizumab in der Behandlung des präsymptomatischen Frühstadiums (Stadium 2) des
Typ-1-Diabetes, für das es bisher keine anderen Therapieoptionen gibt, ein erstes
Beispiel ist. Es ist die erste zugelassene Immuntherapie der Autoimmunerkrankung
Typ-1-Diabetes, mit der es gelingen kann, die Manifestation der chronischen
Stoffwechselerkrankung zu verzögern. Nach klinischer Manifestation steht, wie bisher
auch, allen Betroffenen die Insulintherapie zur Verfügung, die – je früher im
Verlauf der Erkrankung sie begonnen wird – zu einer anhaltend verbesserten
Stoffwechseleinstellung führt.
Das Positionspapier „Früherkennung von Typ-1-Diabetes durch
Inselautoantikörper-Screening“ wird von folgenden Personen aus
wissenschaftlichen und medizinischen Einrichtungen getragen
Prof. Dr. Anette-Gabriele Ziegler, Prof. Dr. Peter Achenbach, Prof. Dr. Sandra
Hummel (Helmholtz Munich, Institut für Diabetesforschung; Klinikum rechts der
Isar, Technische Universität München), Dr. Christiane Winkler, Dr. Florian
Haupt, Dr. Melanie Gündert (Helmholtz Munich, Institut für Diabetesforschung),
Prof. Dr. Martin Hrabe de Angelis (Helmholtz Munich; Technische Universität
München), Prof. Dr. Olga Kordonouri, Dr. Thekla von dem Berge (Kinder- und
Jugendkrankenhaus AUF DER BULT), Prof. Dr. Karin Lange (Medizinische Hochschule
Hannover, Medizinische Psychologie), Prof. Dr. Reinhard Berner, Dr. Gita Gemulla
(Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Carl
Gustav Carus, Technische Universität Dresden), Prof. Dr. Ezio Bonifacio, Dr.
Angela Hommel (Center for Regenerative Therapies Dresden, Technische Universität
Dresden), Prof. Dr. Michele Solimena (Technische Universität Dresden), Prof. Dr.
Julia Hauer, PD Dr. Katharina Warncke (Zentrum für Kinder und Jugendmedizin,
München Klinik und Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München),
Dr. Désirée Dunstheimer (Klinik für Kinder- und Jugendmedizin,
Kinderdiabetologie, Universitätsklinikum Augsburg), Dr. Leonie Weber, Monika
Sattelberger (Kinderklinikum Kempten), Dr. Uwe Ermer (Ameos Klinikum St.
Elisabeth Neuburg), Dr. Marina Sindichakis (Kinderklinik/Kinderdiabetologie
Traunstein KSOB), Dr. Sonja Braig (Klinik für Kinder und Jugendliche, Klinikum
Bayreuth GmbH), Dr. Nicole Nellen-Hellmuth (MVZ Leopoldina Schweinfurt, Kinder-
und Jugenddiabetologie), Dr. Susanne Brämswig (RoMed Klinikum Rosenheim – Klinik
für Kinder- und Jugendmedizin/ Kinderdiabetologie), Dr. Anja Lorrmann (KJF
Klinik Josefinum GmbH Augsburg), Dr. Dominik Ewald (Kinder- und Jugendarzt,
Regensburg; Landesvorsitzender BVKJ Bayern), Dr. Gabi Haus (Kinder- und
Jugendärztin, München; 1. stellv. Landesvorsitzende BVKJ Bayern), Dr. Michael
Hubmann (Kinder- und Jugendarzt, Zirndorf; 2. stellv. Landesvorsitzender BVKJ
Bayern; designierter Präsident des BVKJ), Dr. Michael Kandler (Kinder- und
Jugendarzt, Nürnberg; Vorsitzender PaedNetz Bayern e.V.), Dr. Philip Wintermeyer
(Kinder- und Jugendarzt, München; Stellv. Vorsitzender PaedNetz Bayern e.V.),
Dr. Otto Laub (Kinder- und Jugendarzt, Rosenheim; Ehemals Vorsitzender PaedNetz
Bayern e.V.)
Das Positionspapier wird unterstützt durch
Sandra Schneller, Bundesvorsitzende des Deutschen Diabetiker Bund e.V.
Klaus Holetschek, ehem. Staatsminister im Bayerischen Staatsministerium für
Gesundheit und Pflege