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DOI: 10.1055/a-2325-7137
„Hilfsmittel ermöglichen mir, Selbstbestimmung zu leben“ – Betroffenensicht: Hilfsmittelversorgung
Daniel Rickenbacher lebt wegen eines Sauerstoffmangels während der Geburt mit einer Cerebralparese. Trotz seiner Einschränkungen ist es ihm wichtig, selbstbestimmt zu leben. Dabei unterstützen ihn Hilfsmittel. Welche Rolle diese in seinem Leben spielen, zeigte schon das Interview, das er ergopraxis mit Unterstützung seines Talkers gab.
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Lieber Herr Rickenbacher, stellen Sie sich zu Beginn doch bitte kurz vor.
Ich heiße Daniel Rickenbacher und bin 30 Jahre alt. Ich habe aufgrund eines Sauerstoffmangels während der Geburt eine Cerebralparese (CP). Geboren wurde ich in Illgau. Das liegt im Kanton Schwyz in der Schweiz. Mittlerweile lebe ich alleine – mit Unterstützung meiner Assistenz – in Alpnach Dorf.
Nach der Schule machte ich zunächst eine zweijährige Ausbildung zum Praktiker für Büroarbeiten an der Bürofachschule in Luzern. Dort lebte und arbeitete ich bis 2020 in der Rodtegg-Stiftung für Menschen mit einer körperlichen Behinderung. Seit Mai 2020 arbeite ich bei der Firma Active Communication im Marketing und als Referent für Unterstützte Kommunikation (UK). Dort führe ich auch einen Blog (www.bit.ly/daniels_blog). Active Communication ist ein Unternehmen, das Hilfsmittel herstellt und Menschen mit Unterstützungsbedarf berät und versorgt. Der Schwerpunkt liegt auf der UK.
Ich bin im Internet auf Ihr Zitat „Ich lebe Selbstbestimmung bis zur Grenze meiner Beeinträchtigung“ gestoßen. Wie genau definieren Sie Selbstbestimmung für sich?
Selbstbestimmung bedeutet für mich, dass ich meine Meinung äußere und klar formuliere, was ich erwarte oder was jemand für mich tun soll. Ich möchte allein entscheiden, wo ich lebe und was ich tun will. Ich bestimme selbst für mich – niemand anderes macht das.
Welchen Stellenwert haben technische Hilfsmittel in Ihrem Alltag?
Tatsächlich sind sie alles für mich. Sie ermöglichen mir, Selbstbestimmung zu leben: Ich erreiche meine Wohnung, kann sprechen, mich fortbewegen, das Assistenzteam managen und dadurch auch mal allein sein.
Mit „Assistenzmanagement“ meine ich, dass ich meine Assistenzpersonen komplett selbstständig organisiere. Ich suche Personal, stelle es ein, schreibe ihre Arbeitspläne, zahle ihnen den Lohn aus, mache die Abzüge, sende die Stunden an die Invalidenversicherung usw.
Welche Hilfsmittel verwenden Sie?
Ich nutze ein Kommunikationsgerät und einen Elektrorollstuhl. Beides verfügt über Bluetooth, sodass ich darüber die PC-Maus steuern und auf dem Computer schreiben kann.


Am Elektrorollstuhl habe ich außerdem einen Tassenhalter. Mit dem HouseMate kann ich über das Smartphone die Türen öffnen und das Umfeld steuern, zum Beispiel das Licht oder meine Kaffeemaschine.
Welche Erfahrungen haben Sie mit Ergotherapie in Bezug auf die Hilfsmittelversorgung gemacht?
Tatsächlich ist es schon eine Weile her, dass ich das letzte Mal Ergotherapie bekam. Sie war aber hilfreich bei der Hilfsmittelfindung, Rollstuhlwahl und -anpassung. Die Ergotherapie ermöglichte Alltagserfahrungen mit dem Hilfsmittel, quasi wie eine Art „Alltagslehrer“.
Die Möglichkeiten von und die Auswahl an Hilfsmitteln nehmen stetig zu – seien es Geräte oder Apps. Wie kann es Berater*innen da gelingen, alle Hilfsmittel und aktuellen Entwicklungen zu kennen?
Meiner Meinung nach sind das Angebot und die Vielfalt so groß, dass man gar nicht alles wissen oder kennen kann. Ich finde es wichtig, dass sich Ergotherapeut*innen immer wieder informieren und dazulernen. Es ist unerlässlich, eng mit den jeweiligen Hilfsmittelfirmen und allen Beteiligten zusammenzuarbeiten.
Gerne gebe ich auch meine Erfahrungen weiter. Bis auf den diesjährigen 7. Winterthurer Ergo-Gipfel wurde ich noch nie eingeladen, Ergotherapeut*innen aus meiner Perspektive zu berichten. Wenn es Bedarf gibt, komme ich gerne zu Weiterbildungen.
Haben Sie das Gefühl, einen Überblick über das Hilfsmittelangebot zu haben?
Mein Vorteil besteht darin, dass ich durch meine Arbeitsstelle immer up to date bin und von neuen Hilfsmitteln früh erfahre – auch von denen, die für mich in Frage kommen könnten. Aber einen gesamten Überblick zu haben ist schwer. Es gibt eine unfassbare Menge.
Was ist für eine Hilfsmittelberatung wichtig?
Ergotherapeut*innen sollten sich in die Hilfsmittelberatung einarbeiten. Zusammenarbeit und Absprachen mit den Hilfsmittelfirmen sind meiner Meinung nach unerlässlich. Als wichtigen Punkt sehe ich außerdem, Hilfsmittel individuell an den Menschen anzupassen – kein Überstülpen von Standardprodukten.
Den Aufwand, für Klient*innen die individuell passenden Hilfsmittel zu besorgen, sollte man auf sich nehmen. Die Person muss immer im Mittelpunkt stehen. Ich habe das Gefühl, dass das oft zu kurz kommt.
Kann künstliche Intelligenz die Hilfsmittelberatung durch einen Menschen Ihrer Meinung nach in Zukunft ersetzen?
Wir, die Hilfsmittel brauchen, sind auf die Ergotherapeut*innen sowie ihr individuelles Vorgehen mit Klient*innen angewiesen! Beeinträchtigungen sind so vielfältig – das benötigt auch ein individuelles Vorgehen. Die Erfahrungen und das kreative Denken sind meiner Meinung nach nicht zu ersetzen.
Was ist Ihnen noch wichtig zu sagen?
Die Zusammenarbeit von allen Beteiligten ist zusammen mit der Motivation die Grundlage für eine erfolgreiche Hilfsmittelversorgung. Das schließt Klient*in, Hilfsmittelversorger*in, Schule, Wohnheim oder Arbeitsstätte mit ein.
Das Gespräch führte Julia Müller.
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Publication History
Article published online:
09 January 2025
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