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DOI: 10.1055/a-2325-7391
Bis hierher und nicht weiter – Gesunde Abgrenzung
- Folgen von fehlender Abgrenzung
- Wer ist verantwortlich?
- Arten von Grenzen
- Physische Grenzen
- Emotionale Grenzen
- Mentale Grenzen
- Zeitliche Grenzen
- Soziale Grenzen
- Spirituelle Grenzen
- So setzen Sie Grenzen richtig
Grenzen zu setzen ist im Arbeitsalltag gerade von Therapeut*innen zwingend notwendig, um langfristig gesund zu bleiben und Freude am Beruf zu haben. Aber wie funktioniert gesunde Abgrenzung? Welche Formen von Grenzen gibt es und wie können Sie und Ihre Mitarbeitenden in der Praxis nachhaltig auf sich und Ihren „inneren Garten“ achten?
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Gesunde Abgrenzung bezieht sich darauf, klare Grenzen zu setzen und diese auf eine Weise zu kommunizieren und zu wahren, die für das eigene Wohlbefinden förderlich sind, ohne dabei die Grenzen oder Bedürfnisse anderer zu verletzen. Somit ist gesunde Abgrenzung ein wichtiger Teil professioneller Distanz oder – wie es Prof. Dr. Sven Gottschling zu sagen pflegt – professioneller Nähe. Diese Distanz bezieht sich auf eine emotionale Grenze, die Fachpersonen verschiedener Berufe aufrechterhalten, um eine angemessene Arbeitsbeziehung zu wahren. Sie ermöglicht es, objektiv zu bleiben und die persönlichen Bedürfnisse ihrer Klient*innen angemessen zu berücksichtigen, ohne von persönlichen Emotionen oder Vorurteilen beeinflusst zu werden. Es bedeutet nicht, dass man unpersönlich oder gleichgültig ist, sondern dass eine ausgewogene Haltung gewahrt wird, die es ermöglicht, effektiv und gesund zu arbeiten, während man gleichzeitig Grenzen respektiert.
Folgen von fehlender Abgrenzung
Ständige Grenzüberschreitungen im beruflichen Umfeld können schwerwiegende gesundheitliche Auswirkungen haben. Wenn Grenzen nicht gewahrt werden, kann dies zu einem hohen Maß an Stress und emotionaler Erschöpfung führen. Menschen, deren Grenzen ständig überschritten werden, können sich überfordert fühlen und unter chronischem Stress leiden, was langfristig zu einem Burn-out führen kann und das Immunsystem nachweislich schwächt. Der ständige Druck, unangemessene Anforderungen zu erfüllen oder persönliche Grenzen zu ignorieren, kann auch das Selbstwertgefühl und das Selbstvertrauen beeinträchtigen. Darüber hinaus können ständige Grenzverletzungen zu Konflikten am Arbeitsplatz führen, das Vertrauen in die Arbeitsumgebung beeinträchtigen und die allgemeine Arbeitsmoral negativ beeinflussen. Die krankheitsbedingten Fehlzeiten können dadurch enorm steigen.
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Wer ist verantwortlich?
Grundsätzlich ist es wichtig, dass Sie und Ihre Therapeut*innen ihre eigenen Grenzen und Bedürfnisse kennen und wahrnehmen. Diese Grenzen sollten dann respektvoll gegenüber den Klient*innen und dem Team kommuniziert werden. Gleichzeitig lohnt es sich, als Führungsperson in Mitarbeitendengesprächen nachzufragen und über individuelle Grenzen und Bedürfnisse zu sprechen. Zudem sollte Sie als Führungsperson unterstützend tätig werden, wenn Angehörige oder Klient*innen sich in der Therapie übergriffig verhalten. In solchen Fällen ist Rückendeckung gefragt.
Wichtig ist hierbei zu erwähnen, dass jede Person individuelle Grenzen hat. Bedürfnisse und Grenzen unterscheiden sich stark von Mensch zu Mensch. Grenzen müssen nicht immer verstanden und gleichzeitig zwangsläufig respektiert werden.
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Arten von Grenzen
Wenn von Grenzen die Rede ist, wird in unterschiedliche Arten von Grenzen unterschieden. Diese Differenzierung dient vor allem dazu, einen individuellen „Wohlfühl-Rahmen“ zu schaffen, um genau prüfen zu können, welche Grenzen Ihnen und Ihren Therapeut*innen besonders wichtig sind. Die Einhaltung aller Grenzen ist die Voraussetzung für persönliches Wohlbefinden und die psychische und physische Gesundheit.
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Physische Grenzen
Physische Grenzen, auch körperliche Grenzen genannt, sind entscheidend für das persönliche Wohlbefinden und die Integrität einer Person. Sie definieren den Raum um eine Person herum, den sie als persönlich und privat betrachtet. Körperliche Grenzen regeln die Art und Weise, wie Personen körperliche Berührungen und Nähe erleben. Das Eindringen in diesen persönlichen Raum ohne Einwilligung kann als Verletzung dieser Grenzen empfunden werden und zu Unbehagen oder zu Stress führen. Zudem kann das Überschreiten dieser Grenzen als Belästigung oder gar als Bedrohung wahrgenommen werden.
Da das Überschreiten körperlicher Grenzen nach wie vor noch sehr schambehaftet ist, sollte eine vertrauensvolle Atmosphäre geschaffen werden, in der sich Mitarbeitende trauen, über solche Vorkommnisse zu sprechen. Aus meiner Erfahrung nimmt die Anzahl physischer Grenzüberschreitungen gegenüber Therapeut*innen in Praxen und Kliniken leider zu. Umso wichtiger ist es, auch schon präventiv darüber zu sprechen – wie verhalten wir uns in diesem Fall?
Jeder Mensch hat individuelle Grenzen, die es zu respektieren gilt.
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Emotionale Grenzen
Emotionale Grenzen sind wesentlich für die Selbstachtung und Selbstsicherheit einer Person. Sie definieren den Raum, in dem jemand sich sicher fühlt, um die eigenen Gefühle auszudrücken und persönliche Gedanken zu teilen. Das Respektieren dieser Grenzen bedeutet, die Bedürfnisse und Wünsche einer Person zu akzeptieren, wie viel sie bereit ist, von sich selbst preiszugeben. Zudem geht es darum, vertrauensvoll mit dem Gesagten umzugehen.
Emotionale Grenzen sind dynamisch und können sich je nach Situation und Beziehung ändern. Sie beziehen sich zudem auf den Umgang mit Konflikten, das Bedürfnis nach Privatsphäre und die offene Kommunikation über Persönliches. Jede Person hat hierbei andere Präferenzen. Mache Teammitglieder sprechen sehr offen über ihre Bedürfnisse oder ihr Privatleben, für andere Kolleg*innen sind Fragen über das Wochenende bereits eine Grenzüberschreitung. Auch Bewertungen wie „du bist zu empfindlich“ oder „du bist Berufsanfänger*in. Ich zeige dir, wie es richtig geht“ können als Formen emotionaler Grenzüberschreitung wahrgenommen werden. Hierbei gilt es, ein Unterstützungsangebot auszusprechen, statt ungefragt zu helfen.
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Mentale Grenzen
Mentale Grenzen ermöglichen es, persönliche Überzeugungen und Gedanken zu schützen und gleichzeitig die Meinungen anderer zu respektieren. Diese Grenzen fördern die kognitive Autonomie und ermöglichen es einer Person, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen, ohne sich von äußeren Einflüssen beeinflussen zu lassen. Gleichzeitig beinhalten sie den Schutz vor mentaler Manipulation.
Wenn von mentalen Grenzen die Rede ist, geht es auch viel um das Thema „Mental Load“. Dies bezieht sich auf die unsichtbare, aber dennoch belastende Arbeit, die mit der Organisation, Planung und Verwaltung von Aufgaben und Verantwortlichkeiten verbunden ist, sowohl im beruflichen als auch im privaten Leben. Da in therapeutischen Berufen viele weibliche Personen arbeiten, die immer noch größtenteils für die Care-Arbeit zuständig sind, kann die mentale Kapazität unter Umständen etwas reduzierter sein. Mentale Grenzen spielen eine wichtige Rolle bei der Bewältigung dieser Belastung, indem sie helfen, Prioritäten zu setzen und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Beim Thema mentale Grenzen geht es auch um den Umgang mit Meinungsverschiedenheiten, beispielsweise über Therapieansätze oder Ausfallrechnungen.
Wenn Sie keine Grenzen setzen, um Konflikte zu vermeiden, entsteht oft ein Konflikt in Ihnen.
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Zeitliche Grenzen
Zeitliche Grenzen sind entscheidend für die effektive Nutzung von Zeit und Energie einer Person. Sie helfen dabei, Prioritäten zu setzen, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Arbeit und Privatleben zu finden und sich um persönliche Bedürfnisse zu kümmern. Zeitliche Grenzen beinhalten im therapeutischen Kontext beispielsweise, Therapien pünktlich zu beenden. Manchen Klient*innen fällt es aufgrund ausgeprägter Kommunikationsbedürfnisse schwer, sich an diesen zeitlichen Rahmen zu halten. Hierbei ist es wichtig, Strategien zu erarbeiten, um diese zeitlichen Grenzen zu wahren. Gleiches gilt, wenn es um die Einhaltung von Pausen, der Feierabendzeit oder der Urlaubszeit geht. Im Team sollte berücksichtigt werden, dass die Zeiten außerhalb der Arbeitszeit als „Freizeit“ akzeptiert werden.
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Soziale Grenzen
Soziale Grenzen sind entscheidend dafür, wie Menschen in sozialen Interaktionen agieren und Beziehungen aufbauen. Sie definieren den Raum, den eine Person in sozialen Situationen beansprucht, und helfen dabei, persönliche Präferenzen, Grenzen und Komfortzonen zu wahren. Dies kann sich auf die Auswahl von sozialen Aktivitäten, den Kommunikationsstil, den persönlichen Raum und die Auswahl von sozialen Kreisen beziehen. Soziale Grenzen spielen eine wichtige Rolle dabei, wie Menschen sich in sozialen Umgebungen fühlen und wie sie sich mit anderen verbinden. Indem Sie die individuellen Bedürfnisse und Vorlieben jedes Einzelnen respektieren, fördern Sie gegenseitiges Verständnis, Respekt und Harmonie in zwischenmenschlichen Beziehungen.
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Übernehmen Sie Eigenverantwortung, indem Sie Ihre Grenzen wahrnehmen und kommunizieren
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Lernen Sie, nein zu sagen, und gestehen Sie dies auch Ihren Mitarbeitenden zu
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Reflektieren Sie sich selbst: Wahren Sie die Grenzen von anderen Personen?
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Üben Sie die Kommunikation Ihrer Bedürfnisse und Grenzen
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Suchen Sie ein ruhiges Gespräch mit der Person, die Ihre Grenzen häufig überschreitet, und formulieren Sie eine klare Bitte
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Prüfen Sie, ob Sie Ihre eigenen Grenzen wahren
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Treffen Sie eine Vereinbarung mit sich selbst, beispielsweise nicht mehr als XY Überstunden pro Woche oder keine Handyzeit nach 20 Uhr
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Selbstfürsorge: Achten Sie auf sich und schaffen Sie wertvolle Rituale
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Überwinden Sie den Gedanken, dass Sie andere im Stich lassen, wenn Sie Ihre Grenzen setzen
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Formulieren Sie Wünsche oder Bitten, wenn Sie Ihre Grenzen kommunizieren
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Bieten Sie Alternativen an, zum Beispiel: „Gerade bin ich sehr ausgelastet, ich kann dir/Ihnen anbieten …“
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Finden Sie Prioritäten: „Was ist jetzt wirklich wichtig?“
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Realistische Einschätzung: „Kann ich genauso, wie ich jetzt arbeite und führe, die nächsten Jahre weitermachen?“
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Spirituelle Grenzen
Spirituelle Grenzen beziehen sich auf die persönlichen Überzeugungen, Werte und Praktiken im Zusammenhang mit dem spirituellen oder religiösen Glauben einer Person. Dabei umfassen sie die persönliche Suche nach Sinn und Transzendenz sowie die Teilnahme an religiösen oder spirituellen Praktiken, die für die individuelle Entwicklung bedeutsam sind.
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So setzen Sie Grenzen richtig
Wichtig ist, dass Grenzen immer gegenseitig akzeptiert und respektiert werden sollten. Das bedeutet, dass die Teammitglieder untereinander ihre Grenzen respektieren und dass Sie als Führungsperson die Grenzen der Teammitglieder wahren. Es heißt auch, dass Sie Ihre eigenen Grenzen kommunizieren und dass die Teammitglieder diese Grenzen berücksichtigen. Nur weil Sie Führungsperson sind, heißt es nicht, dass Sie sich aufopfern müssen und Ihre eigenen Grenzen übergehen sollten.
Gehen Sie als Vorbild voran und pflegen Sie Ihren eigenen „inneren Garten“. Dazu gehört auch der Austausch kaputter Zaunstücke. Denn Grenzen dürfen immer wieder aufgefrischt werden. Letztendlich ist jede Person selbst für diesen „inneren Garten“ verantwortlich und gleichzeitig ist es manchmal hilfreich, sich Unterstützung zu suchen.
Was ich Ihnen gern noch mitgeben möchte: Wenn Sie extra nichts sagen, um keinen Konflikt zu provozieren, beginnt oft ein Konflikt in Ihnen.
Wie Ihr Gegenüber mit der Information über Ihre Grenzen umgeht, darauf haben Sie nur bedingt Einfluss. Eine offene und gesunde Kommunikationskultur über Grenzen ist elementar wichtig für die eigene Gesundheit. Nur weil Sie ein Verhalten aushalten können, heißt es nicht, dass Sie es aushalten müssen.
Lisa Holtmeier
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Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
03. September 2024
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