Einleitung
Der 28. Dezember 1895 kann als das offizielle Geburtsdatum der Radiologie angesehen
werden, da an diesem Tag das Buch mit dem Titel „Über eine neue Art von Strahlen“
von Wilhelm Conrad Röntgen veröffentlicht wurde. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich
die Wissenschaft rasant, gleichzeitig entwickelte sich das Militärwesen. Die europäischen
Armeen führten Feuerwaffen in ihre Bewaffnung ein. Militärchirurgen erkannten die
Nützlichkeit der Verwendung einer „neuen Art von Strahlung“ zur Diagnose dieser Verletzungen
und veröffentlichten im März 1896 einen Artikel über die Verwendung der Röntgenmethode
zur Erkennung von Schussverletzungen. Die Jahre 1897–1898 gelten als die Geburtsjahre
der militärischen Radiologie während des territorialen und kolonialen Konflikts zwischen
dem Russischen und dem Britischen Empire [1]. Seitdem sind 123 Jahre vergangen. Die Radiologie ist seither ein integraler Bestandteil
der Militärmedizin und spielt eine wichtige Rolle nicht nur in der Diagnose, sondern
auch im Heilungsprozess.
Die Struktur und Schwere von Kriegsverletzungen sind variabel und hängen von der Art
der Bewaffnung und dem Grad der militärtechnischen Systeme ab. Moderne Armeen verfügen
über Ausrüstung mit hoher kinetischer Energie und vielfältigen Wirkungen, was wiederum
zum Anstieg des Anteils kombinierter Verletzungen führt – beispielsweise führen Minenexplosionen
zu einer Kombination aus mechanischen und thermischen Verletzungen [2]
[3]
[4].
Eine Besonderheit der Kriegsverletzungen im Zuge der russischen Invasion in die Ukraine
ist der hohe Anteil multipler und kombinierter Verletzungen. Diese Besonderheit erschwert
den Behandlungs- und Evakuierungsprozess der Verwundeten erheblich, erhöht den Bedarf
an komplexer chirurgischer Hilfe in relativ kurzer Zeit und erhöht den Prozentsatz
der Fehler sowohl in Behandlungs- als auch in organisatorischen Prozessen [2]
[3]
[5]
[6]
[7]
[8]
[9]. Die Zeiträume für die Bereitstellung medizinischer Hilfe beeinflussen die Ergebnisse
der Behandlung erheblich. Die Zusammenarbeit zwischen Radiologie und klinischer Medizin
ermöglicht ein besseres Verständnis pathologischer Prozesse und verkürzt die Zeiträume
für die Bereitstellung medizinischer Hilfe.
Militärmedizinische Radiologie ist ein spezifischer Zweig der Radiologie, der Kenntnisse
über den Mechanismus von Verletzungen und Muster hochenergetischer Verletzungen erfordert
und derzeit aktiv in Zeiten der russischen Invasion in die Ukraine seit 2014 bis
heute entwickelt wird.
Die Phasen der medizinischen Versorgung in Kriegszeiten
Die medizinische Versorgung in Kriegszeiten erfolgt in der Ukraine gemäß den Grundlagen
des ukrainischen Gesundheitsrechts in einem 4-stufigen System:
Erste Stufe der medizinischen Versorgung (0,5–15 km hinter der Konfliktlinie, innerhalb der ersten
10–60 Minuten): Diese Stufe umfasst die präklinische und akute Erstversorgung. In
diesem Stadium erfolgten Selbsthilfe und die Unterstützung durch Sanitäter und Allgemeinmediziner
in mobilen Einheiten. Die Versorgung erfolgt in medizinischen Fahrzeugen. Ultraschall
und digitale Röntgenaufnahmen werden auf dieser Ebene verwendet.
Zweite Stufe der medizinischen Versorgung (25–60 km hinter der Konfliktlinie, in 60 Minuten):
Auf dieser Ebene wird spezialisierte medizinische Versorgung angeboten. Sie findet
in Stabilisierungspunkten und/oder mobilen Krankenhäusern statt. Die Zeit spielt eine
entscheidende Rolle für die Erhaltung von Gliedmaßen und das Leben der Verletzten.
Dritte und vierte Stufe der medizinischen Versorgung (200 km und mehr hinter der Konfliktlinie, 12–24 Stunden):
Diese Ebenen umfassen tertiäre, hochspezialisierte medizinische Versorgung in stationären
Militärkrankenhäusern und spezialisierten Einrichtungen. Die Versorgung erfolgt innerhalb
von 12–24 Stunden. Rehabilitation und Palliativversorgung sind Systeme von Behandlungsmaßnahmen,
die darauf abzielen, durch Verletzungen beeinträchtigte oder verlorene Funktionen
wiederherzustellen, um optimale Bedingungen für die Rückkehr zum normalen Leben, zur
Arbeit und zum Militärdienst zu schaffen.
Methoden der Bildgebung
Sonografie
Die Sonografie ist das am häufigsten verwendete radiologische Verfahren bei der Versorgung
eines einzelnen Verletzten auf allen Ebenen der Versorgung [2] ([Abb. 1]). Die Hauptaufgabe der Ultraschalluntersuchung auf den ersten beiden Versorgungsebenen
besteht in der Sortierung der Diagnosen lebensbedrohlicher Zustände ([Abb. 2]). Die Verwendung von schnellen Konzeptprotokollen wie FAST (eFAST) und Point-of-care-Ultraschall
(POCUS) hat sich als effektiv erwiesen, um stumpfe Bauch- und Brustverletzungen zu
bewerten und klare Antworten auf spezifische diagnostische Anfragen zu liefern. Der
Hauptvorteil dieser schnellen Konzeptprotokolle besteht darin, dass keine Radiologen
benötigt werden, da diese Protokolle nicht nur von Ärzten, sondern auch von Rettungssanitätern
einfach durchgeführt werden können.
Abb. 1 Tragbares Ultraschallgerät.
Abb. 2 Herz-Ultraschall: Kugelverletzung der Herzspitze (Pfeil) а. Herz-Ultraschall: Hämato-Perikard (Pfeil) b.
Neben diagnostischen Aufgaben wird unter Ultraschallkontrolle sowohl während der Evakuierung
als auch in mobilen Krankenhäusern/Feldstützpunkten eine periphere Regionalanästhesie
durchgeführt Die Verwendung des FAST-Protokolls hat die Dauer der präoperativen Diagnostik
verkürzt, die Qualität und Effizienz der medizinischen Einteilung verbessert und die
Anzahl diagnostischer Fehler reduziert [1]
[10].
Röntgen
Mobile Röntgengeräte ([Abb. 3]) sind in Feldstützpunkten und mobilen Krankenhäusern vorhanden, in denen mittelschwer
und schwer Verletzte zur Stabilisierung akut lebensbedrohlicher Zustände gebracht,
danach zur weiteren Versorgung eingeteilt und in entsprechend ausgestattete Zentren
überwiesen werden. Die aufgenommenen Röntgenbilder werden direkt auf dem Bildschirm
des Röntgengeräts vom medizinischen Team des mobilen Krankenhauses/Feldstützpunkts
ausgewertet.
Abb. 3 Mobiles Röntgengerät im Feldstützpunkt in 15 km Entfernung von der Frontlinie.
Röntgenaufnahmen des Thorax werden durchgeführt, um Pneumothorax und Hämatothorax
auszuschließen ([Abb. 4]), für deren Beseitigung sofortige Versorgung mittels Drainagen erforderlich sind
[10]. Ebenso dienen sie der Erkennung von Geschossfragmenten in der Brust und der Bewertung
ihres Abstands zu den Hauptgefäßen und zum Herzen ([Abb. 4]).
Abb. 4 a.p. Ebene Röntgenthorax: Metallfragment im Mediastinum, linksseitiger Hämatopneumothorax.
Die Aufnahme des Beckens und der Extremitäten dienen dazu, Frakturen zu beurteilen
([Abb. 5]), Fremdkörper und deren Lage zu erkennen ([Abb. 6]) sowie die Triage von Amputationsverletzungen ([Abb. 7]) vorzunehmen [11]
[12].
Abb. 5
a Röntgen Schulter links y-View: Mehrfragmentfraktur des linken Humerus. b Röntgen Becken a.p.: Fraktur der beiden Schambeinäste links, multiple metallische
Fragmente im Genitalbereich.
Abb. 6
a Lateralaufnahme des rechten Ellenbogengelenks: Trümmerfraktur des Radius, Kugel im
Weichteil der Ellenbeuge. b Entfernung der Kugel. c Entfernung der Kugel. d Entfernung der Kugel.
Abb. 7 Röntgen Fuß bds. seitlich: traumatische Amputation mit kurzem Mittelfußstrumpf.
Computertomografie (CT)
Unter den Bedingungen eines hybriden Krieges, das heißt eines Krieges der kombinierte
Verletzungen verursacht, spielen nicht-invasive Bildgebungsmethoden eine wichtige
Rolle. Bei der Diagnose von Schussverletzungen ermöglicht es insbesondere die Computertomografie,
Art und Umfang solcher Verletzungen sowie die Topografie postoperativer Zustände zu
bewerten [13]
[14]
[15]
[16]
[17]. Das CT wird ab der zweiten Stufe medizinischer Versorgung und aufwärts die zweithäufigste
Behandlung.
Es bietet viele Vorteile aufgrund seiner Geschwindigkeit, Nichtinvasivität, hoher
Empfindlichkeit für die Unterscheidung von Luft, Flüssigkeit und Blut sowie hoher
topografischer Genauigkeit bei der Identifizierung von Verletzungen, Fremdkörpern,
der Beurteilung des Verletzungsgrades und der Verlaufsbahn von Verletzungskanälen.
Das CT ermöglicht die Erkennung von über 50% zusätzlicher Verletzungen im Vergleich
zu anderen bildgebenden Methoden und reiner körperlicher Untersuchung [18].
Das Hauptziel der Bildgebung bei Verletzten ist die rechtzeitige Erkennung lebensbedrohlicher
Verletzungen, die sofortige chirurgische Behandlung erfordern, Vorhersage der Migration
von Fremdkörpern ([Abb. 8]) und die Diagnose von Verletzungskomplikationen.
Abb. 8
a CT Schädel coronal: Frakturen des Orbitabodens links, Dislokation der lateralen Orbitawand
sowie des linken Bulbus oculi und Prolaps des Fettgewebes in die Kieferhöhle. b CT Schädel coronal: zahlreiche kleine Knochensplitter im Weichteil der linken Orbita.
c CT Schädel transversal: fokale Enzephalomalazie der linken Hemisphäre als Folge einer
erlittenen hämorrhagischen Kontusion.
Zuerst werden die primär Verletzten von Kopf bis Becken und manchmal einschließlich
der Extremitäten gescannt, da die Vorhersage des Weges einer Kugel oder eines Splitters
unter Bedingungen kombinierter Verletzungen eine äußerst komplexe Aufgabe ist [2]
[12]. Verletzungskanäle durchdringen verschiedene Körperteile und können folglich eine
thorakoabdominale, abdominopelvine oder thorakokardiale Lage haben und jedes Organ
betreffen [17].
Kugeln und Splitter können sich teilweise wie ein Embolus im Verlauf der Gefäße bewegen.
Hierauf zielt die Durchführung einer Angiografie ab, was besonders wichtig ist bei
Patienten mit Splitterverletzungen ohne Ausgangsöffnung [10]
[15]
[19].
Post-mortale CTs werden als „Goldstandard“ für die retrospektive Beurteilung von Diagnose
und Behandlung bei Schussverletzungen in Abwesenheit der Möglichkeit zur Durchführung
einer Obduktion angesehen [18].
Magnetresonanztomografie (MRT)
Die Magnetresonanztomografie wird als Visualisierungsmethode für die langfristigen
Folgen erlittener Kriegsverletzungen in den dritten und vierten Phasen der medizinischen
Versorgung sowie während der Rehabilitation eingesetzt. Die Anwendung des MRTs ist
oft eingeschränkt durch Metallfragmente im Körper des Verletzten. Nach Entfernung
der Fragmente ist die Durchführung eines MRT sicher ([Abb. 9]) und ermöglicht die Bewertung sowohl von Weichteilveränderungen als auch von ossärer
Läsionen.
Abb. 9
a MRT der BWS eines Patienten mit unterer Paraparese: Zustand nach Operation aufgrund
einer Schussverletzung im Brustbereich der Wirbelsäule, posttraumatische Myelomalazie
des Rückenmarks. b MRT der BWS eines Patienten mit unterer Paraparese: Metallartefakt durch einen kleinen
Fremdkörper (Pfeil).
Kopf
In modernen bewaffneten Konflikten verteilen sich Verluste mit neurochirurgischem
Profil zu 50% auf Schädigungen der Weichteile des Kopfes, zu 28% auf penetrierende
Schädelverletzungen und zu 17% auf nicht penetrierende Verletzungen. Der Anteil der
Minen- und Sprengstoffverletzungen nimmt zu und erreicht 70% der Kampfverletzungen.
Kombinierte Verletzungen treten bei etwa 30% und multiple Verletzungen bei 7% der
Betroffenen auf [20]
[21].
Schädel- und Hirnverletzungen werden je nach Art der Gewebeschädigung in geschlossen
und offen unterteilt. Bei geschlossenen Schädel-Hirn-Verletzungen gibt es nur Hautverletzungen,
und die Weichteile des Kopfes sowie die Schädelaponeurose bleiben erhalten. Eine Schädel-Hirn-Verletzung
gilt als offen, wenn die Integrität sowohl der Haut als auch der Aponeurose verletzt
ist. Diese Kategorie umfasst auch Schädelbasisfrakturen [22]
[23].
Offene Schädel- und Hirnverletzungen werden in durchdringende und nicht durchdringende
unterschieden. Offene, nicht penetrierende Verletzungen sind gekennzeichnet durch
die Integrität der Dura mater, was den Schutz des Subarachnoidalraums und des Hirngewebes
vor möglichen Infektionen ermöglicht.
Bei offenen, penetrierenden Schädelverletzungen wird die Dura mater in der Regel beschädigt,
was häufig zu Infektionen führt. Daher ist es für die weitere Planung der chirurgischen
Eingriffe und die Prognose möglicher Komplikationen wichtig, dass der Radiologe die
Art der Schädel-Hirn-Verletzung klar erkennt.
Schädelbrüche werden als lineare, konkurrierende, fragmentierte, lochartige und zersplitterte
Frakturen unterschieden. Die Lokalisierung des Schädelbruchs und sein Verhältnis zur
Schädelbasis und zum Schädeldeckel werden berücksichtigt. Eine Fraktur der Schädelbasis
wird als offene penetrierende Schädelverletzung angesehen, da er normalerweise mit
einem Bruch der Dura mater einhergeht.
Eine wichtige Aufgabe des Radiologen bei der Beschreibung von Kopfverletzungen besteht
darin, die genaue Lokalisation von Knochenfragmenten ([Abb. 10]
a, e), das Vorhandensein von Fremdkörpern und ihre Beziehung zu den Hauptblutgefäßen zu
bestimmen, was eine wichtige Rolle bei der weiteren Planung des Umfangs chirurgischer
Eingriffe spielt und häufig die Prognose für den Patienten bestimmt.
Abb. 10
a CT Schädel transversal: Darstellung einer mehrfragmentären Fraktur des rechten Oberkiefers
zwei Monate nach dem Trauma. b/c MRT Kopf transversal: Diffuse axonale Schädigung Grad 1 nach Adams in der SWI. d Transverse CT scan of the skull: Chronic right frontal epidural hematoma. e CT Schädel transversal: Frakturen des Os frontale rechts sowie mehrere Fremdkörper
im subkutanen Weichteil.
Schussverletzungen des Kopfes umfassen die oben beschriebenen Verletzungselemente,
haben jedoch ihre Besonderheiten. Sie werden in durch pfeilartige Elemente verursachte
und durch Splitter oder Kugeln verursachte Verletzungen unterteilt. Je nach Art des
Verletzungskanals werden einfache, blinde, durchgängige und streifende Verletzungen
unterschieden. Die Lokalisierung der Hirnverletzung beinhaltet Verletzungen der Stirn,
der Schläfen, des Scheitels, des Hinterkopfes und parabasale Verletzungen.
Bei Kopfverletzungen ist es wichtig, Gehirnkontusion, diffuse axonale Schädigungen,
intrazerebrale und intrakranielle Hämatome sowie Hirnkompression zu erkennen.
Gehirnkontusion ist durch makroskopische Schädigungen des Gehirngewebes gekennzeichnet
und zeigt sich deutlich in CT ([Abb. 10]d) und MRT. Im CT zeigen sich Schwellung sowie Hämorrhagien des Hirngewebes, die
in der Regel mit Brüchen der Schädeldecke oder der Schädelbasis einhergehen, sowie
erhebliche subarachnoidale Blutungen.
Diffuse axonale Schädigungen des Gehirns sind eine separate Form der Schädel-Hirn-Traumata
(SHT), die zu den schweren SHT gehören. In CT und MRT stellen sie sich durch Parenchymschwellung,
Kompression der Ventrikel und subarachnoidale Räume sowie kleine fokale Blutungen
in der weißen Substanz ([Abb. 10]
b, c), dem Balken, den subkortikalen Hirnstrukturen und den Hirnstammstrukturen dar.
Die Hirnkompression äußert sich durch qualitative Bewusstseinsstörungen, vegetative
Störungen, Amnesie, epileptische Anfälle sowie durch das Auftreten und Fortschreiten
fokaler neurologischer Defizite. Eine Hirnkompression wird verursacht durch die Entwicklung
einer intrakraniellen Blutung, die zur Einklemmung von Hirnstrukturen , das Verschieben
von Knochenfragmenten in die Schädelhöhle, die Entwicklung eines akuten Hydrozephalus,
eines Pneumozephalus oder das schnelle Fortschreiten eines sekundären Hirnödems führt.
Zur Diagnose von intrakraniellen Hämatomen ist die CT die wichtigste Methode der Visualisierung.
Thorax
Die Häufigkeit von Verletzungen der Organe in der Brusthöhle beträgt anteilig etwa
7–12% der Kriegschirurgie [16]. Die Schwere dieser Verletzungen resultiert aus der Kombination von Lungenverletzungen,
Gefäßschäden ([Abb. 11]), sowie Verletzungen des Perikards, Herzens und des Ösophagus [24]. Thoraxverletzungen können in zwei Arten unterteilt werden: penetrierend und stumpf.
Es gibt auch sogenannte „Bereichsverletzungen“, die sowohl stumpf als auch penetrierend
sein können. Penetrierende Verletzungen entstehen durch direkte Einwirkung eines verletzenden
Agens (Kugel, Splitter, Panzerungselement usw.), das die Integrität von Geweben verletzt.
Bei stumpfen Verletzungen besteht die Besonderheit darin, dass Organschäden auftreten,
ohne dass dies an der Oberfläche erkennbar wäre [14]. Die überwiegende Mehrheit der kriegsbedingten Thoraxverletzungen sind Schussverletzungen
durch Splitter (bis zu 72%) [24]. Die Besonderheit eines Wundkanals sowie seine Form und Größe hängen von der kinetischen
Energie und den physikalischen Eigenschaften des verletzenden Agens ab. Bei Durchschüssen
kommt es in der Regel zu stärkeren Blutungen nach außen. Der Wundkanal wird im CT
durch eine Parenchymlücke bestimmt ([Abb. 12]), die von einer Zone der Parenchymschädigung der Lunge umgeben ist und Blut, Luftblasen,
Fragmente beschädigter Gewebe und Fremdkörper enthält. Eine Lungenkontusion, die sowohl
bei penetrierenden als auch bei stumpfen Verletzungen auftritt, zeigt sich typischerweise
auf einem CT-Bild als unscharfe Bereiche mit erhöhter Dichte im Lungengewebe, die
auf Blutungen, Ödeme oder Entzündungen hinweisen können.
Abb. 11
a Projektil (Pfeil) im Mediastinum (intraoperative Bilder). b Projektil (Pfeil) im Mediastinum (intraoperative Bilder).
Abb. 12
a Thorax-CT coronal: Projektil im Mediastinum links lateral des Aortenbogens. Gut abgrenzbarer
Projektilkanal in der linken Lunge. b Thorax-CT transversal: Projektil im Mediastinum links lateral des Aortenbogens.
Sprengfragmentverletzungen können zu Lungenrupturen mit Blutungen, beidseitigen Lungenkontusionen,
Schäden am Knochengerüst und den Weichteilen der Brustwand führen [2]. Bei durchdringenden Brustverletzungen können Gefäßverletzungen mit massiven Blutungen
in den Pleuraspalt und die Bildung eines Spannungspneumothorax eine der Hauptursachen
für Todesfälle sein. Durchschussverletzungen des Mediastinums werden nur in 1–3% aller
Fälle diagnostiziert, da 97–99% an aller Verletzten mit einem solchen Trauma sofort
versterben [16].
Abdomen und Becken
Abdomen- und Beckenverletzungen gehören zu den schwersten modernen Kriegsverletzungen
und stellen aufgrund der hybriden Kriegsführung eine Herausforderung bei der Auswahl
angemessener chirurgischer Taktiken und effektiver Methoden der medizinischen Bildgebung
dar [13]
[25]
[26]
[27]. Geschlossene Abdominalverletzungen (GAV) in Verbindung mit Schussverletzungen machen
etwa 20% der Gesamtzahl der medizinischen Verluste aus.
Schussverletzungen des Abdomens und des Beckens sind die komplexesten Bereiche der
Militärradiologie [10]
[11] und Militärchirurgie [26].
Schussverletzungen des Abdomens sind in 33% der Fälle penetrierend, beziehungsweise
in 67% der Fälle nicht penetrierend. Unter den Verletzungen des Abdomens dominieren
Schussverletzungen durch Splitter und Explosionen mit 62%, während auf Beckenverletzungen
nur 1% entfallen [25, 17].
Je nach Art der Gewebeschäden und Organverletzungen im Abdomen und Becken werden nicht
penetrierende und penetrierende Verletzungen sowie GAV unterschieden ([Abb. 13]). Beckenfrakturen treten recht häufig auf und erfordern eine detaillierte Beschreibung
der Verschiebung von Knochenfragmenten ([Abb. 14]) und die Bestimmung ihrer Topografie in Bezug auf große Gefäße und Nervenbündel.
Abb. 13
a CT Abdomen transversal: Penetrierende Verletzung der Bauchhöhle mit metalldichtem
Splitter im linken Psoasmuskel (Pfeil). b CT Abdomen transversal: Penetrierende Verletzung der Bauchhöhle mit Splitter im Dickdarm
(Pfeil).
Abb. 14
a/b CT Becken transversal: Mehrfragmentäre dislozierte Beckenfrakturen a und des linken Femurs.
Thorakoabdominale Verletzungen sind eine der komplexesten kombinierten Verletzungen,
die durch eine gleichzeitige Verletzung des Brustkorbs und des Abdomens mit Schädigung
des Zwerchfells bedingt sind.
Extremitäten
Traumata der Gliedmaßen gehören zu den häufigsten chirurgischen Verlusten in Kriegen
und militärischen Konflikten und machen etwa 54–70% der Gesamtverluste aus. In den
meisten Fällen sind sie Teil eines Polytraumas. Knochenverletzungen der Gliedmaßen
werden in einem Drittel der Fälle von schweren Weichteilverletzungen begleitet. Schienbeinfrakturen
machen 42,1% aus und werden zumeist durch Schussverletzungen verursacht. Oberschenkelfrakturen
treten zu 23,8% auf, Oberarmfrakturen zu 22,3%, Unterarmfrakturen zu 11,8%. In der
Regel handelt es sich um Schaftfrakturen, intraartikuläre Frakturen werden bei 17,1%
der Betroffenen diagnostiziert. Von den 76,4% der Schussverletzungen, die durch moderne
Waffen verursacht werden, sind 35,1% Trümmerfrakturen und 41,3% Splitterfrakturen.
Primäre Knochenverletzungen bei Verletzten machen 7,1% aus, wobei 79,3% der Röhrenknochenverletzungen
Defekte von 3 cm oder mehr aufweisen [12].
Bei Traumata der Gliedmaßen ist es für Radiologinnen und Radiologen wichtig, Verletzungen
der Weichteile, Knochen und Gelenke zu charakterisieren. Abhängig von der Anzahl und
Lokalisation der Verletzungen sollten isolierte, multiple und kombinierte Verletzungen
identifiziert werden. Die Beschreibung einer Schussverletzung sollte nach Möglichkeit
die Art des Projektils (Kugel, Splitter, Minenexplosionsgeschoss usw.), unbedingt
die Art der Verletzung (Durchschuss, Steckschuss, Streifschuss), die Art eines Bruchs (vollständig, unvollständig) ([Abb. 15]) und die Größe von Knochendefekten ([Abb. 16]), den Charakter einer Bruchlinie (quer, schräg usw.) und die Lokalisation und Begleitverletzungen
der Weichteile, Hauptgefäße und Nerven, Gelenke und deren Strukturen sowie die Lokalisation
von Verletzungen bei multiplen, kombinierten und komplexen Verletzungen widerspiegeln.
Komplikationen sollten ebenfalls erfasst werden.
Abb. 15 CT Unterschenkel coronal 8 a und transversal b: mehrfragmentäre Fraktur der Tibia mit Fixatuer externe a. Weichteilschaden am Unterschenkel b.
Abb. 16
a/b MRT des Kniegelenks coronal: Zustand nach Entfernung eines Metallsplitters. Knochendefekt
des distalen Femurs.
Militärradiologie ist ein spezieller Bereich der Radiologie, bei dem von Radiologinnen
und Radiologen ein Verständnis der Besonderheiten der Pathogenese militärischer Verletzungen
und spezifischer radiologischer Zeichen verlangt wird. Radiologinnen und Radiologen
spielen eine wichtige Rolle im medizinischen Team, da sie die Schwere anatomischer
Veränderungen bestimmen, potenzielle Risikofaktoren identifizieren und mögliche Komplikationen
prognostizieren.