CC BY-NC-ND 4.0 · Dtsch Med Wochenschr 2024; 149(16): e67-e75
DOI: 10.1055/a-2335-6340
Originalarbeit

Der Einfluss gesetzlicher Dokumentationsanforderungen auf die ärztliche Praxis am Beispiel eines regionalen Schwerpunktkrankenhauses: eine Bestandsaufnahme

Impact of legal documentation requirements on physician practice using a regional specialty hospital as an example: an inventory
Guido Schröder
1   Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsmedizin Rostock, Rostock
,
Luisa Pawliczek
2   Universität Rostock, Medizinische Fakultät, Rostock
,
Änne Glass*
3   Institut für Biostatistik und Informatik in Medizin und Alternsforschung
,
Hans-Christof Schober*
4   OrthoCoast, Praxis für Orthopädie und Osteologie, Wolgast
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Hintergrund Ärztinnen und Ärzte kritisieren die Arbeitsbedingungen in deutschen Krankenhäusern. Sie beklagen insbesondere lange Arbeitszeiten, eine unzureichende Entlohnung für ihre Arbeit, mangelnde Fort- und Weiterbildung sowie einen zunehmenden Zeitaufwand für Verwaltungsaufgaben. Da es sich bei diesen Kritikpunkten um überwiegend subjektive Wahrnehmungen handelt, wurden in dieser Studie die Arbeitsabläufe von Ärztinnen und Ärzten in einem regionalen deutschen Schwerpunktkrankenhaus feinskalig dokumentiert, die zugehörigen Arbeitszeiten gemessen und anschließend statistisch ausgewertet.

Methoden Neun Ärztinnen und Ärzte aus den Fachrichtungen Innere Medizin, Chirurgie und Anästhesie/Intensivmedizin wurden während ihrer Schichten in einem städtischen deutschen Krankenhaus insgesamt 216 Stunden lang beobachtet. Alle von den Ärztinnen und Ärzten durchgeführten Arbeitsschritte wurden mit einem Beobachtungsprotokoll aufgezeichnet.

Ergebnisse Die tägliche Dokumentationszeit aller Fachgruppen betrug im Durchschnitt mit 93,1 ± 23,4 Minuten 19,4 % der ärztlichen Zeit, wobei für Internistinnen und Internisten mit 120,2 ± 15,0 der größte Zeitaufwand (25 %) anfällt. Die Computernutzung während eines achtstündigen Arbeitstages lag im Durchschnitt bei 123,5 ± 44,4 Minuten, wobei Chirurginnen und Chirurgen mit 71,5 ± 16,6 die kürzesten PC-Zeiten haben. Die direkte patientenbezogene Arbeitszeit (ohne OP-Zeit) lag mit 33,8 ± 22,7 Minuten (7 %) deutlich unter der täglichen Dokumentationszeit (93,1 Minuten), war jedoch unter Einbeziehung chirurgischer Operationstätigkeiten mit 80,7 ± 62,9 Minuten vergleichbar mit dem Dokumentationsaufwand.

Diskussion Im Rahmen der vorliegenden Studie wurde in einem Pilotansatz zum ersten Mal der Arbeitsablauf von Ärztinnen und Ärzten unterschiedlicher Fachrichtungen in einem deutschen Krankenhaus in Echtzeit untersucht. Erkannt wurde ein Missverhältnis zwischen administrativen und patientennahen Tätigkeiten im stationären Sektor. Gesetzliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen beeinflussen die medizinische Versorgung ferner negativ. Es ist notwendig, Lösungsstrategien zu entwickeln, um die ärztlichen Ressourcen effektiv zu nutzen und eine hohe Versorgungsqualität sicherzustellen.


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Abstract

Background Doctors in German hospitals are critical of their working conditions. They complain about long working hours, inadequate remuneration for their work, poor training and development opportunities, and increasing time spent on administrative tasks. As these points of criticism are largely based on subjective perception, in the present study we documented in detail the workflows of physicians in a major regional hospital, determined the time taken for the workflows, and performed a statistical evaluation of the data.

Methods Nine doctors from the specialties of internal medicine, surgery, and anesthesia/intensive care medicine were observed during their shifts for a total period of 216 hours at an urban hospital in Germany. All of the tasks performed by the doctors were recorded in an observation protocol.

Results The time spent daily on documentation by doctors of all specialties was on average 93.1 ± 23.4 minutes, accounting for 19.4 % of a doctor’s working hours. The specialists who spent the longest period of time on documentation were internists (120.2 ± 15.0 minutes; 25 %). During an eight-hour working day, computers were used on average for 123.5 ± 44.4 minutes; surgeons spent the shortest period of time on computers (71.5 ± 16.6 minutes). The direct patient-related work time (excluding the time spent on operations) was considerably lower (33.8 + 22.7 minutes; 7 %) than the time spent daily on documentation, increased to 80.7 ± 62.9 minutes when the time expended on actual surgical tasks was taken into account, and was then similar to the time spent on documentation (93.1 minutes).

Discussion This pilot study was the first to determine, in real time, the work processes of doctors from different specialties at a German hospital. We noted a disparity between administrative and patient-related tasks in the in-patient setting. Legal and economic requirements exert a negative impact on medical care. We need to develop strategies for effective utilization of medical resources and for ensuring a high standard of medical care.


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Einleitung

Die sorgfältige Dokumentation nimmt im medizinischen Bereich eine zentrale Rolle ein. In Deutschland sind Ärztinnen und Ärzte gesetzlich dazu verpflichtet, ihre Tätigkeiten zu dokumentieren, um die Transparenz des Behandlungsprozesses sicherzustellen und die Nachvollziehbarkeit des ärztlichen Handelns zu gewährleisten [1]. Dieses Erfordernis ergibt sich aus der (Muster-)Berufsordnung der Ärzte (MBO-Ä § 10) [2] sowie dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB § 630 f.) [3].

Die Dokumentation empfinden die Betroffenen oft als Belastung, da sie einen erheblichen Teil ihrer täglichen Arbeitszeit in Anspruch nimmt. Das entstehende Missverhältnis zwischen administrativen Aufgaben und direkter Patientenversorgung beeinträchtigt die Arbeitszufriedenheit der Ärztinnen und Ärzte zunehmend [4] [5]. Einerseits haben der gestiegene Informationsanspruch von Patientinnen und Patienten sowie Krankenkassen [6] [7] bzw. veränderte Arbeitsbedingungen wie die Teilzeitarbeit und gesetzliche Arbeitszeitbeschränkungen zum Anstieg der Dokumentationsanforderungen geführt, um den erhöhten Kommunikationsbedarf zwischen den verschiedenen Behandelnden zu decken [4]. Andererseits haben die zunehmende Digitalisierung und der verstärkte Einsatz moderner Kommunikationstechnologien die Arbeitsstruktur der Ärztinnen und Ärzte in den letzten Jahren stark verändert, was zu einer erleichterten Datenverfügbarkeit und einem verbesserten Austausch untereinander führte. Der Austausch mit den Patientinnen und Patienten blieb oftmals gering, mit deren Unzufriedenheit als Resultat [8] [9] [10]. Für eine empathische Beziehung zwischen Behandelnden und Behandelten gilt ein zeitlich angemessener ärztlicher Patientenkontakt als unerlässlich [11]. Wie viel Zeit dafür absolut benötigt wird, ist bisher allerdings unbekannt [12].

Obwohl der Anteil der computerbasierten Arbeitszeit von Ärztinnen und Ärzten in einigen US-amerikanischen Studien [8] [9] [10] untersucht wurde, gibt es bisher kaum aktuelle Daten für Deutschland. Um die Auswirkungen der Dokumentationsanforderungen auf die Arbeitszeit sowie den Patientenkontakt von hiesigen Ärztinnen und Ärzten zu erfassen, wurden für die vorliegende Studie folgende Forschungsfragen konzipiert:

  1. Wie viel Arbeitszeit entfällt auf die Dokumentationstätigkeit?

  2. Wie hoch ist der Anteil der Computerarbeit im Tagesverlauf?

  3. Wie viel Arbeitszeit bleibt Ärztinnen und Ärzten im direkten Umgang mit den zu behandelnden Patientinnen und Patienten?

  4. Beeinflusst das Geschlecht, das Alter, die berufliche Position, die Berufserfahrung oder die Fachrichtung die Arbeitszeitverteilung?


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Material und Methoden

Arbeitszeitanalyse

Die Studie zur Arbeitszeitanalyse wurde in einem regionalen Schwerpunktkrankenhaus im Zeitraum von November 2018 bis Mai 2019 durchgeführt und umfasste die Fachbereiche Innere Medizin, Chirurgie sowie Anästhesie/Intensivmedizin. Die Hospitationen erfolgten dabei auf internistischen und chirurgischen peripheren Stationen sowie auf der Intensivstation. Die Daten wurden von einer einzelnen, externen, geschulten Person erhoben, um eine homogene Vorgehensweise sicherzustellen und Informationsverluste zu verringern. Jeweils drei Ärztinnen und Ärzte pro Fachbereich wurden für je drei reguläre achtstündige Arbeitstage hospitiert. Überstunden und außerhalb der regulären Arbeitszeit liegende Dienste wurden in der vorliegenden Untersuchung nicht berücksichtigt. Die Hospitationen wurden an Tagen mit einander ähnlichem Arbeitsaufkommen vorgenommen, um eine hohe Vergleichbarkeit zu gewährleisten. Zur Zeitbudgetermittlung kam es an den Wochentagen Dienstag bis Donnerstag, da an diesen erfahrungsgemäß eine relativ konstante Aufnahme von Patientinnen und Patienten zu erwarten ist [13]. Es wurden alle Tätigkeiten dokumentiert, die innerhalb von Fünf-Minuten-Intervallen durchgeführt wurden. Die dreitägige Hospitation sollte dazu dienen, dass sich die Ärztinnen und Ärzte an die Beobachtungsituation gewöhnen, um den Hawthorne-Effekt [14] zu minimieren. Dieser umfasst eine Verhaltensänderung bei Menschen infolge einer Studienteilnahme.

Für die Arbeitszeitanalyse wurde vorab ein Beobachtungsprotokoll entwickelt, welches tabellarisch verschiedene Tätigkeitskategorien enthielt. In einem Beobachtungsintervall von fünf Minuten wurde jede Tätigkeit angekreuzt, welche in diesem Zeitraum von den hospitierten Ärztinnen und Ärzten durchgeführt wurde. Somit konnte die zeitliche Parallelität von Aktivitäten berücksichtigt werden. Die Festlegung des Zeitintervalls orientierte sich an Gershuny [15], welcher eine Beobachtungseinheit zwischen zwei und 15 Minuten empfiehlt. Im Hinblick auf die erforderliche Genauigkeit und praktische Umsetzung erschien ein Fünf-Minuten-Takt optimal.

Die Zeitwertfeststellung für die Tätigkeitskategorien erfolgte zeilenabhängig. Da jede Zeile des Protokolls ein Fünf-Minuten-Intervall darstellte, ergab sich die Wertigkeit je nach Anzahl der gesetzten Kreuze. Durch das anschließend spaltenweise Addieren der einzelnen Zeitwerte wurde der Tätigkeitsumfang ermittelt. Aus den erfassten Zeiten der drei Hospitationstage wurde pro Arzt und Ärztin für jede Tätigkeit das arithmetische Mittel errechnet. Diese Mittelung ist in Zeiterhebungsstudien zur Beschreibung des Zeitbudgets unerlässlich [16]. Unter Berücksichtigung der jeweiligen Fragestellung wurden einzelne Kategorien schließlich zu größeren zusammengefasst und die ermittelten Zeiten für vergleichende Gruppenbetrachtungen verwendet. Die Gesamtdokumentationszeit ergab sich aus den Zeiten für Arztbriefe und anderweitiger Dokumentation (PC, Akte, sonstige). Die Patientenzeit umfasste die Dauer für Patientengespräche, Aufklärungen sowie Untersuchungen am Patienten. Bei den Chirurgen wurde zusätzlich die Operationszeit mit eingerechnet. Aus der Summe der Zeiten für ArztbriefPC, Dokumentation am Computer und allgemeiner PC-Arbeit ergab sich die Gesamtarbeitszeit am Computer. Das Hauptziel unserer Studie bestand in einer ersten datengestützten Analyse ärztlicher Arbeitszeiten, die als Bestandsaufnahme dient und eine objektive Annäherung an das Forschungsgebiet ermöglicht. Das Design dieser Pilotstudie wurde deshalb bewusst als explorativ mit einer begrenzten Teilnehmeranzahl konzipiert, ohne vorab Hypothesen festzulegen.


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Ethikkommission

Die teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte willigten nach ausführlicher Aufklärung über den Untersuchungszweck schriftlich in die Verwertung ihrer pseudoanonymisierten Daten ein. Alle angewandten Methoden entsprechen den ethischen Standards der Deklaration von Helsinki. Die Durchführung der Studie wurde von der zuständigen regionalen Ethikkommission für medizinische Forschung geprüft und genehmigt (Nr. A2019–0075).


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Statistik

Die erfassten Arbeitszeiten sind deskriptiv in Minuten mit Mittelwert ± Standardabweichung (MW ± SD) sowie der Stichprobengröße n angegeben. Tägliche Zeitanteile (%) beziehen sich auf 480 Minuten. Die Pilotstudie ist mit insgesamt N = 9 hospitierten Ärztinnen und Ärzten als Bestandsaufnahme angelegt und wird für diesen Datensatz deskriptiv berichtet. Alle erhobenen Daten wurden mit dem Statistikpaket IBM® SPSS® (Version 29.0) analysiert.


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Ergebnisse

In der nachfolgenden quantitativen Ergebnisdarstellung werden die ermittelten Zeiten für Dokumentation, Computertätigkeit und direkten Kontakt zu Patientinnen sowie Patienten während eines achtstündigen Arbeitstages wiedergegeben. Neun Ärztinnen und Ärzte eines Schwerpunktkrankenhauses nahmen an der dreitägigen Hospitation teil, wobei die Fachrichtungen Innere Medizin, Allgemeinchirurgie sowie Anästhesie und Intensivmedizin gleichmäßig vertreten waren. Die Geschlechterverteilung war mit fünf Ärztinnen und vier Ärzten annähernd ausgeglichen. Die Berufserfahrung der Teilnehmenden lag zwischen drei und 25 Jahren, im Durchschnitt bei elf Jahren. Etwa 56 % der Partizipierenden waren fachärztlich tätig.

Dokumentation

Ein Überblick der ermittelten Zeiten für die Dokumentation ist in [Tab. 1] dargestellt. Die Gesamtdokumentationszeit wurde mit 93,1 ± 23,4 Minuten als Summe der Zeitaufwände für die Arztbrieferstellung, die papierbasierte und elektronische Aktendokumentation sowie andere interne Dokumentationen ermittelt und umfasst 19,4 % der täglichen ärztlichen Arbeitszeit. Auf die Dokumentation am Computer entfiel der größte Anteil der Gesamtdokumentation mit 35,7 %, die papierbasierte Aktendokumentation entsprach hingegen 21,4 %. Für anderweitige Dokumentation, z. B. die Erstellung von Übergabeprotokollen, wurden durchschnittlich 10,5 % der Zeitspanne aufgewendet. Die Arztbrieferstellung (32,4 %) benötigte im Durchschnitt 30,2 ± 5,0 Minuten, wobei in dieser Zeitspanne zu 67,2 % computerbasiert gearbeitet wurde. Mit 11,6 % machten das Ausdrucken und das Signieren den geringsten Zeitanteil aus, gefolgt vom Diktieren mit 21,2 %. Um den Einfluss unterschiedlicher Formen der Dokumentation auf den zeitlichen Umfang zu untersuchen, wurde nur die Gesamtdokumentationszeit berücksichtigt.

Tab. 1

Tägliche Dokumentationszeiten.

Dokumentationsform

Aufgewendete Zeit (min)

MW ± SD

Prozentualer Anteil

Gesamtdokumentation

93,1 ± 23,4

(19,4 % der Arbeitszeit)

100 %

Dokumentation PC

33,2 ± 19,0

35,7 %

Dokumentation Papierakte

19,9 ± 16,8

21,4 %

Dokumentation sonstige

9,8 ± 6,1

10,5 %

Arztbrief gesamt

30,2 ± 5,0

32,4 % (100 %)

  • Arztbrief PC

  • 20,3 ± 7,8

  • 67,2 %

  • Arztbrief diktiert

  • 6,4 ± 8,1

  • 21,2 %

  • Arztbrief Papier

  • 3,5 ± 1,3

  • 11,6 %

Die Zeiten sind als Mittelwert ± Standardabweichung (MW± SD) dargestellt; min, Minuten

[Tab. 2] zeigt ärztliche Zeiten ohne Patientenkontakt (Gesamtdokumentationszeit und Zeit am PC) sowie deren Einflussfaktoren:

Tab. 2

Ärztliche Zeit ohne Patientenkontakt in Abhängigkeit von Geschlecht, Alter, Position, Berufserfahrung und Fachrichtung.

Faktor

Faktorkategorien

Tägliche Dokumentationszeit gesamt (min)

MW ± SD

93,1 ± 23,4 min

19,4 % der Az

Tägliche Zeit am PC

(min)

MW ± SD

123,5 ± 44,4 min

25,7 % der Az

Geschlecht

Männlich (n = 4)

Weiblich (n = 5)

97,6 ± 31,9

89,5 ± 17,2

142,6 ± 45,0

108,2 ± 42,0

Alter

< 40 Jahre (n = 5)

≥ 40 Jahre (n = 4)

94,6 ± 17,6

91,3 ± 32,2

100,9 ± 42,0

151,6 ± 136,2

Position

Assistenzarzt/Assistenzärztin (n = 4)

Facharzt/Fachärztin (n = 5)

97,2 ± 19,2

89,8 ± 28,1

103,9 ± 47,9

139,1 ± 39,1

Berufserfahrung

< 7 Jahre (n = 3)

7 bis 14 Jahre (n = 4)

> 14 Jahre (n = 2)

90,7 ± 17,4

91,7 ± 17,4

99,5 ± 52,6

90,2 ± 48,2

126,2 ± 25,1

167,9 ± 23,9

Fachrichtung

Innere Medizin (n = 3)

Chirurgie (n = 3)

Anästhesie/Intensivmedizin (n = 3)

120,2 ± 15,0

83,0 ± 9,8

76,1 ± 13,6

163,1 ± 31,0

71,5 ± 16,6

135,8 ± 0,9

Zeiten sind als Mittelwert ± Standardabweichung (MW± SD) dargestellt; min, Minuten; Az Arbeitszeit; im Gruppenvergleich auffallend lange Zeiten sind fett hervorgehoben.


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Der zeitliche Dokumentationsaufwand war bei Männern und Frauen vergleichbar hoch

Die Gesamtdokumentationszeit fiel bei den Ärzten mit durchschnittlich 97,6 ± 31,9 Minuten etwas höher aus als bei den Ärztinnen mit durchschnittlich 89,5 ± 17,2 Minuten.


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Das Alter von Ärztinnen und Ärzten spielte für den Dokumentationsumfang keine Rolle

Der Dokumentationsumfang der hospitierten Ärztinnen und Ärzte, die jünger als vierzig Jahre alt waren, lag durchschnittlich bei 94,6 Minuten. Er fiel damit nur geringfügig größer aus als in der Gruppe der älteren Ärztinnen und Ärzte. Diese benötigten durchschnittlich 91,3 Minuten für die Dokumentation ihrer Aufgaben.


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Die berufliche Position hatte keinen Einfluss auf die Dokumentationszeit

Im Hinblick auf die berufliche Position zeigte sich, dass Assistenzärztinnen und -ärzte mit 97,2 Minuten etwas höhere Dokumentationszeiten aufweisen als Kolleginnen und Kollegen mit bereits abgeschlossener Facharztweiterbildung (89,8 Minuten).


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Die Berufserfahrung hatte keinen Einfluss auf die Dokumentationszeit

Bei der Überprüfung der Gesamtdokumentationszeit in Abhängigkeit der Berufserfahrung der hospitierten Ärztinnen und Ärzte wurden für die Gruppen mit geringer und mäßiger Berufserfahrung vergleichbare Werte ermittelt (90,7 vs. 91,7 Minuten). Lediglich Ärztinnen und Ärzte mit einer über 14 Jahre langen Berufstätigkeit wiesen mit 99,5 Minuten durchschnittlich höhere Dokumentationszeiten auf.


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Internistinnen und Internisten weisen den höchsten Dokumentationsaufwand auf

Internistinnen und Internisten leisteten mit durchschnittlich 120,2 ± 15 Minuten einen höheren Dokumentationsumfang als Kolleginnen und Kollegen der Fächer Chirurgie mit 83,0 ± 9,8, und auch der Anästhesie/Intensivmedizin mit 76,1 ± 13,6 Minuten.


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Die Fachrichtung beeinflusst die Arbeitszeit am Computer

Die Gesamtarbeitszeit am Computer ergab sich aus den für die computerbasierte Dokumentation, die Arztbrieferstellung und die allgemeine Computerarbeit ermittelten Werten. Durchschnittlich betrug diese 123,5 Minuten und entsprach damit 25,7 % der täglichen Arbeitszeit. Der größte Anteil entfiel mit 56,7 % auf die dokumentationsfreie Nutzung der elektronischen Ressourcen, z. B. bei der Begutachtung von CT-Bildern oder Laborwerten. Die computerbasierte Dokumentation und Arztbrieferstellung machten mit nur 26,9 % bzw. 16,4 % einen deutlich geringeren Anteil an der ärztlichen PC-Arbeitszeit aus. Vor allem bei den Fachrichtungen Innere Medizin (163,1 ± 31,0 Minuten) und Anästhesie/Intensivmedizin (135,8 ± 0,9) umfassen die Zeitaufwände für computergestützte Tätigkeiten mehr als ein Viertel des Arbeitstages und sind jeweils höher als in der Chirurgie mit 71,5 ± 16,6 Minuten. Dagegen konnte kein Einfluss des Geschlechts-, des Alters, der beruflichen Position und der Berufserfahrung auf die computerbasierte Arbeitszeit der hospitierten Ärztinnen und Ärzte festgestellt werden.


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Arbeitszeit mit direktem Patientenkontakt

Diese Zeiten sind in [Tab. 3] dargestellt. Zur Ermittlung der ärztlichen Arbeitszeit im direkten Patientenkontakt wurden die Zeitaufwände für gemeinsame Gespräche (z. B. Aufklärungsgespräche) und patientenbezogene Untersuchungen (z. B. Blutentnahme, körperliche Untersuchungen) addiert. Bei den Chirurginnen und Chirurgen wurde zusätzlich die Operationstätigkeit einberechnet. Im Ergebnis verbrachten die hospitierten Ärztinnen und Ärzte durchschnittlich 80,7 Minuten im direkten Patientenkontakt. Das entsprach 16,8 % ihres Arbeitstages. Der operationsbedingte Patientenkontakt erreichte mit 58,0 % den größten Anteil. Die Kommunikation sowie die Untersuchung der Patientinnen und Patienten entsprachen jeweils einem Fünftel der patientenbezogenen Arbeitszeit. Um den stationsgebundenen Patientenkontakt fachrichtungsspezifisch beurteilen zu können, wurde zusätzlich die Dauer des Patientenkontakts ohne Berücksichtigung der Operationsdauer ermittelt. Sie betrug durchschnittlich 33,8 Minuten und umfasste damit lediglich 7 % des Arbeitstages. In den nachfolgenden Analysen werden beide Varianten der ermittelten Patientenzeit berücksichtigt; die Ergebnisse werden entsprechend differenziert.

Tab. 3

Ärztliche Zeit am Patienten in Abhängigkeit von Geschlecht, Alter, Position, Berufserfahrung, Fachrichtung und unter Berücksichtigung von Operationszeiten.

Faktor

Faktorkategorien

Tägliche Zeit am Patienten (min)

inkl. Operationszeit

MW ± SD

80,7 ± 62,9 min

16,8 % der Az

Tägliche Zeit am Patienten (min)

exkl. Operationszeit

MW ± SD

33,8 ± 22,7 min

7,0 % der Az

Geschlecht

Männlich (n = 4)

Weiblich (n = 5)

67,4 ± 53,9

91,3 ± 73,6

38,6 ± 24,9

30,0 ± 22,9

Alter

< 40 Jahre (n = 5)

≥ 40 Jahre (n = 4)

122,3 ± 53,7

28,7 ± 14,7

38,0 ± 28,6

28,7 ± 28,7

Position

Assistenzarzt/Assistenzärztin (n = 4)

Facharzt/Fachärztin (n = 5)

117,8 ± 60,9

51,0 ± 51,5

41,2 ± 32,0

28,0 ± 12,9

Berufserfahrung

< 7 Jahre (n = 3)

7 bis 14 Jahre (n = 4)

> 14 Jahre (n = 2)

134,4 ± 62,5

65,6 ± 53,4

30,3 ± 25,3

32,2 ± 32,6

36,8 ± 20,8

30,3 ± 25,3

Fachrichtung

Innere Medizin (n = 3)

Chirurgie (n = 3)

Anästhesie/Intensivmedizin (n = 3)

61,6 ± 11,6

158,3 ± 30,1

22,2 ± 8,5

61,6 ± 11,6

17,8 ± 10,5

22,2 ± 8,5

Zeiten sind als Mittelwert ± Standardabweichung (MW± SD) dargestellt; min, Minuten; Az Arbeitszeit; im Gruppenvergleich auffallend lange Zeiten sind fett hervorgehoben.


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Die Fachrichtung bestimmt die Dauer des Patientenkontakts

Die Chirurgen verbrachten etwa 29 % (140,5 / 480 Minuten) ihrer täglichen Zeit im OP. Damit fiel die patientenbezogene Arbeitszeit bei Berücksichtigung operativer Tätigkeiten bei den Chirurginnen und Chirurgen mit 158,3 ± 30,1 Minuten (etwa 33 % pro Tag) deutlich höher aus als bei den Anästhesisten/Intensivmedizinern mit 22,2 ± 8,5 Minuten, und den Internisten mit 61,6 ± 11,6 Minuten, was sich aus den chirurgischen OP-Zeiten erklärt ([Tab. 3]). Bei Bestimmung der Patientenzeit ohne Operationstätigkeit wiesen Internistinnen und Internisten mit 12,8 % des Arbeitstages den stärksten Patientenkontakt auf. Sie waren mit 61,6 ± 11,6 Minuten deutlich länger beim Patienten als Chirurgen mit 17,8 ± 10,5 und Anästhesisten/Intensivmediziner mit 22,2 ± 8,5 Minuten. Anästhesistinnen und Anästhesisten verbrachten durchschnittlich 4,6 % ihrer Arbeitszeit direkt an der Patientin bzw. am Patienten, die Chirurginnen und Chirurgen 3,7 %.


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Jüngere Ärztinnen und Ärzte verbrachten mehr Zeit an der Patientin bzw. am Patienten

Unter Berücksichtigung der OP-Zeiten verbrachten jüngere Kollegen mit 122,3 ± 53,7 mehr Zeit an der Patientin bzw. dem Patienten als ältere mit 28,7 ± 14,7 Minuten. Die Zeit war in der Gruppe der Unter-40-Jährigen im Mittel 93,6 Minuten länger. Das entspricht mehr als dem Vierfachen. Wurde die patientenbezogene Arbeitszeit ohne Anrechnung eventueller OP-Zeiten betrachtet, verringerte sich diese bei den jüngeren Ärztinnen und Ärzten um 69 % auf 38,0 ± 28,6 Minuten, die Werte der Kolleginnen und Kollegen über 40 Jahren blieben hingegen unverändert.


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Ärztinnen und Ärzte verbrachten vergleichbar viel Zeit an der Patientin bzw. am Patienten

Bei Betrachtung des Zeitaufwands für den stationsbezogenen Patientenkontakt ohne Einfluss der Operationstätigkeit waren die Zeiten mit 30,0 ± 22,9 versus 38,6 ± 24,9 auf gleichem Niveau. Jedoch unter Berücksichtigung chirurgischer Operationszeiten verbrachten Ärztinnen mit 91,3 ± 73,6 Minuten mehr Zeit im direkten Umgang mit den Patientinnen und Patienten als ihre männlichen Kollegen mit 67,4 ± 53,9 Minuten.


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Assistenzärztinnen und -ärzte verbrachten mehr Zeit an der Patientin bzw. am Patienten

Die Studie zeigt, dass Assistenzärztinnen und -ärzte mit 117,8 ± 60,9 Minuten mehr Arbeitszeit an der Patientin bzw. am Patienten verbrachten als Kolleginnen und Kollegen mit bereits abgeschlossener Weiterbildung (51,0 ± 51,5). Bei Berücksichtigung der Operationszeit erreichte erstere Gruppe das 3,5-Fache der Zeit, die für Fachärztinnen und Fachärzten ermittelt wurde. Ohne Berücksichtigung von operativen Tätigkeiten fiel der positionsbedingte Unterschied der patientenbezogenen Arbeitszeit deutlich geringer aus.


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Mit steigender Berufserfahrung sank die Zeit mit unmittelbarem Patientenkontakt

Bei der Analyse der Patientenzeit inklusive OPs nahm diese mit zunehmenden Tätigkeitsjahren ab. Während in der Gruppe mit geringer Berufserfahrung im Mittel 134,4 ± 62,5 Minuten als Aufwand für patientenbezogene Tätigkeiten ermittelt wurden, betrug dieser bei Ärztinnen und Ärzten mit mittlerer Berufserfahrung lediglich die Hälfte.

Die Zeiten ohne Operationstätigkeit fielen hingegen in allen Gruppen mit etwa einer halben Stunde pro Tag am Patienten ähnlich aus.


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Diskussion

Die vorliegende Zeiterhebungsstudie wurde darauf ausgerichtet, die Arbeitszeitverteilung von Ärztinnen und Ärzten im stationären Sektor zu untersuchen, da in Deutschland zu dieser Thematik bisher nur wenig Forschung existiert [12] [17] [18] [19]. Mittels mehrfacher Hospitation von Ärztinnen und Ärzten in den Fachbereichen Innere Medizin, Chirurgie sowie Anästhesie/Intensivmedizin wurden die Zeitaufwände für ärztliche Dokumentation, Computerarbeit und Patientenkontakt während eines achtstündigen Arbeitstages erfasst.

Dokumentation

Die Gesamtdokumentationszeit betrug fachrichtungsübergreifend durchschnittlich 93,1 Minuten (19,4 % der Arbeitszeit), wobei ihr größter Anteil computerbasiert geleistet wurde. Die elektronische Aktendokumentation machte mit 35,6 % die umfangreichste Komponente aus, dicht gefolgt von der Arztbrieferstellung mit 32,4 % – letztere wurde überwiegend (67,4 %) am PC vorgenommen. Das Dokumentieren in Papierform erfolgte in einem Fünftel der ermittelten Zeit. Lediglich 10,6 % der Arbeitszeit wurden für andere Dokumentationen benötigt, z. B. für die Erstellung von Übergabeprotokollen. Die höchste Gesamtdokumentationszeit wurde mit 120,2 Minuten (25 % der Arbeitszeit) bei den Internistinnen und Internisten festgestellt. Wesentlich geringer fiel die durchschnittliche dokumentationsbezogene Arbeitszeit bei den Chirurginnen und Chirurgen mit 82,9 Minuten (17 % der Arbeitszeit) sowie den Anästhesistinnen und Anästhesisten mit 76,1 Minuten (16 % der Arbeitszeit) aus.

Müller und Blum [20] untersuchten 2003 den Dokumentationsaufwand chirurgisch und internistisch tätiger Klinikärztinnen sowie -ärzte. Im Vergleich zu den vorliegenden Daten fielen die Zeiten in ihrer Untersuchung deutlich höher aus. Die Gesamtdokumentationszeit betrug in der genannten Quelle in der Inneren Medizin 194,9 Minuten (41 % der Arbeitszeit) und in der Chirurgie 161,9 Minuten (34 % der Arbeitszeit). Während diese Daten auf Schätzungswerten aus einer Fragebogenerhebung basieren, erfolgte für die vorliegenden Arbeit eine Echtzeitanalyse mittels einer Beobachtung. Befragungen gelten im Hinblick auf Zeiterhebungen als ungenau und sind zusätzlich aufgrund des Phänomens der sozialen Erwünschtheit anfällig für Verzerrungen. Häufig wird bei diesen die simultane Ausführung mehrerer Tätigkeiten nicht berücksichtigt, woraus Überschätzungen der benötigten Zeit resultieren [21] [22]. Als weiterer Grund für abweichende Dokumentationszeiten ist die fehlende Aktualität der Studie von Müller und Blum [20] denkbar. Infolge der zunehmenden Digitalisierung sowie des Einsatzes von Codierenden und Schreibkräften könnten Ärztinnen und Ärzte ferner bei der Dokumentation entlastet worden sein. Der prozentuale Unterschied des dokumentationsbezogenen Arbeitszeitanteils zwischen Innerer Medizin und Chirurgie war trotz der anderen Unterschiede bei beiden Erhebungen annähernd gleich (7–8 %). Die höchste Dokumentationsdauer wurde wie in der Studie von Müller und Blum [20] auch vorliegend bei den Internistinnen und Internisten festgestellt. Daraus kann die Hypothese abgeleitet werden, dass von den untersuchten Fachrichtungen in der Inneren Medizin der höchste Dokumentationsaufwand anfällt. Die Differenz zwischen der Gesamtdokumentationsdauer in der Inneren Medizin und der in den anderen Fachrichtungen war in der vorliegenden Untersuchung beträchtlich. Ein Einfluss von Geschlecht, Alter, Position oder Berufserfahrung konnte nicht nachgewiesen werden.


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Computerarbeitszeit

Die Computerarbeitszeit betrug durchschnittlich 123,5 Minuten und entsprach damit 25,7 % der täglichen Arbeitszeit. Ihr Großteil (56,7 %) entfiel auf die dokumentationsfreie Nutzung des Computers, z. B. bei der Begutachtung von Laborwerten oder radiologischen Bildern. Die computerbasierte Dokumentation (26,9 %) und die Arztbrieferstellung (16,5 %) entsprachen einem erheblich geringeren Anteil der ärztlichen Bildschirmarbeitszeit. Die hospitierten Ärztinnen und Ärzte der Inneren Medizin sowie der Anästhesie verbrachten täglich mehr als zwei Stunden ihres Arbeitstages vor dem Computer, die Chirurginnen und Chirurgen lediglich 71,5 Minuten. Die insbesondere im Vergleich zu Internistinnen und Internisten deutlich geringere Computernutzung in letzterer Gruppe könnte aus der Verwendung der klassischen Papierakte und der Operationstätigkeit resultiert sein. Da in der chirurgischen Abteilung noch kein elektronisches Patientendatenmanagementsystem genutzt wurde, sind die Bildschirmarbeitszeiten der einzelnen Fachbereiche allerdings nur bedingt vergleichbar. Mit zunehmender Digitalisierung im Gesundheitssystem muss auch in operativen Fachbereichen mit einer erhöhten ärztlichen Computerarbeitszeit gerechnet werden. In einer US-amerikanischen Studie wurde 2012 an zwei Kliniken in Baltimore die Arbeitszeitverteilung internistisch tätiger Ärztinnen und Ärzte untersucht, wobei 40 % von ihr auf Computertätigkeiten entfielen [23]. Ähnliche zeitliche Dimensionen wurden in der vorliegenden Zeiterhebungsstudie ermittelt. Internistinnen und Internisten verbrachten mit durchschnittlich 163,1 Minuten 34 % ihres Arbeitstages vor dem PC. In der Literatur sind nur wenige Daten zur Computernutzung stationär tätiger Ärztinnen und Ärzte auffindbar, wobei die meisten aus dem US-amerikanischen Raum stammen. In den existierenden Erhebungen liegt der Anteil der Computernutzung an der Arbeitszeit durchschnittlich zwischen 40 und 51 % [24] [25] [26]. Die Abweichung zu den vorliegenden Ergebnissen kann infolge des höheren Digitalisierungsgrades des Gesundheitswesens der USA erklärt werden [27]. Etwaige Abhängigkeiten der ermittelten Computerarbeitszeit von Geschlecht, Alter, Position und Berufserfahrung konnten in dieser Studie nicht detektiert werden.


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Arbeitszeit mit direktem Patientenkontakt

Die patientenbezogene Arbeitszeit verbrachten die hospitierten Ärztinnen und Ärzte im direkten Patienten-kontakt, z. B. im persönlichen Gespräch oder bei körperlichen Untersuchungen. Zusätzlich wurde bei den Chirurginnen und Chirurgen die Operationstätigkeit einkalkuliert. Da jedoch nur ein Drittel der Teilnehmenden chirurgisch tätig war, wurde dadurch eine Überschätzung der fachrichtungsübergreifenden Patientenzeit befürchtet. Aus diesem Grund wurde zusätzlich die Patientenzeit ohne Berücksichtigung der Operationsdauer ermittelt. Im Folgenden werden beide Varianten diskutiert. Bei Beachtung der Operationstätigkeit verbrachten die Ärztinnen und Ärzte durchschnittlich 80,7 Minuten (16,8 % der Arbeitszeit) im direkten Umgang mit den Patientinnen und Patienten. Von dieser Zeitspanne entfiel der größte Anteil (58,0 %) auf operationsbasierten Patientenkontakt. Die Kommunikation sowie die Untersuchung an der Patientin bzw. am Patienten betrugen lediglich je ein Fünftel der ermittelten Gesamtzeit. Die Patientenzeit ohne Berücksichtigung der OP-Tätigkeit fiel mit 33,8 Minuten deutlich geringer aus. Sie umfasste damit lediglich 7 % des ärztlichen Arbeitstages und bestand zu ungefähr gleichen Anteilen aus Patientengesprächen und Untersuchungen. Fachrichtungsspezifisch konnte der größte patientenbezogene Arbeitszeitanteil wie auch in der Studie von Rosta und Aasland [28] bei den Chirurginnen und Chirurgen nachgewiesen werden. Durchschnittlich verbrachten diese 158,3 Minuten (33 % der Arbeitszeit) in der Patientenversorgung. Bei den Internistinnen und Internisten fiel dieser Anteil mit 61,6 Minuten (12,8 % der Arbeitszeit) deutlich geringer aus. Die niedrigste patientenbezogene Arbeitszeit wurde mit 22,2 Minuten (4,6 % der Arbeitszeit) bei den Anästhesistinnen und Anästhesisten festgestellt. Der Unterschied zwischen der Anästhesie und den beiden anderen Fachrichtungen ist deutlich. Er resultiert möglicherweise aus dem höheren ärztlichen Betreuungsverhältnis auf der Intensivstation im Vergleich zu peripheren Stationen.

Wurde die Operationstätigkeit nicht berücksichtigt, reduzierte sich die Patientenzeit lediglich bei den Chirurginnen und Chirurgen- und zwar auf durchschnittlich 17,8 Minuten (3,7 % der Arbeitszeit), und ist dann vergleichbar mit Patientenzeiten der Anästhesisten/Intensivmediziner. Beide Fachgruppen sind deutlich weniger Zeit am Patienten als Internisten. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass der patientenbezogene Arbeitszeitanteil sehr stark von der Fachrichtung beeinflusst wird. Eine Beurteilung dieser Werte und ihr Vergleich mit Literaturangaben sollten deshalb nach Möglichkeit immer fachrichtungsspezifisch erfolgen.

Ein weiterer Unterschied zeigte sich bei altersabhängiger Betrachtung unter Berücksichtigung der Operationstätigkeit. Ärztinnen und Ärzte, die weniger als 40 Jahre alt waren, verbrachten mit durchschnittlich 122,3 Minuten viermal so viel Zeit an der Patientin bzw. am Patienten wie Kolleginnen und Kollegen. Da alle teilnehmenden Chirurginnen und Chirurgen zur jüngeren Altersgruppe zählten, gilt die Darstellung infolge ihres hohen patientenbezogenen Arbeitszeitanteils als verzerrt. Die Altersabhängigkeit wurde im zweiten Schritt ohne Einkalkulierung der Operationszeiten überprüft. Bei den jüngeren Ärztinnen und Ärzten verringerte sich die patientenbezogene Arbeitszeit auf 38,0 Minuten. Der Wert der älteren Kolleginnen und Kollegen blieb mit 28,7 Minuten vergleichbar.

Tipping et al. [29] verglichen 2010 in einem Review verschiedene Studien zur Arbeitszeitverteilung klinisch tätiger Ärztinnen und Ärzte aus den Jahren 1961 bis 2008. Die ermittelten Werte für den patientenbezogenen Arbeitszeitanteil schwankten in ihren Erhebungen zwischen 8,5 und 41 %. Die große Spannweite ergab sich infolge unterschiedlicher Forschungsansätze und -qualitäten sowie der Erhebung in verschiedenen Klinikstrukturen und Fachbereichen. Zur Arbeitszeitverteilung von Ärztinnen und Ärzten in deutschen Kliniken existieren bisher nur wenige Studien. Im Jahr 2017 erfolgte eine großangelegte Zeiterhebungsstudie im Universitätsklinikum Freiburg, die sich mittels Multimomentaufnahme über sieben Fachbereiche erstreckte. Wolff et al. [12] erkannten, dass Ärztinnen und Ärzte im stationären Setting mehr als die Hälfte ihres Arbeitstages fernab von der Patientin bzw. vom Patienten verbringen. Bei Berücksichtigung von ambulanten und sonstigen Tätigkeiten, beispielsweise Wegzeiten oder Lehre, betrug der durchschnittliche Arbeitszeitanteil für die direkte stationäre Patientenversorgung 24,4 % und der für Dokumentationstätigkeiten 17,5 %. Ein Vergleich dieser Werte mit den vorliegenden Daten erscheint schwierig, da in der Freiburger Studie die Fachbereiche Allgemeinchirurgie, Innere Medizin und Anästhesie nicht berücksichtigt wurden. In den meisten Abteilungen fiel der Patientenkontakt im Gegensatz zur vorliegenden Zeiterhebungsstudie zeitaufwändiger aus als die Dokumentation. Die Abweichungen zwischen der genannten und der vorliegenden Studie ergaben sich möglicherweise durch unterschiedliche Erhebungsmethoden (zufällige Tätigkeitsabfrage vs. permanente Beobachtung), anderen Tätigkeitsbereich-Definitionen sowie verschiedenen Studienpopulationen.

Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse, dass die Dokumentation und computergestützte Tätigkeiten einen bedeutenden Anteil an der ärztlichen Tätigkeit ausmachen. Geschlecht, Alter, berufliche Position und Berufserfahrung nehmen nur einen geringen Einfluss auf die diesbezügliche Zeitverteilung. Jedoch variieren die Zeitspannen, die im direkten Patientenkontakt bzw. mit der Dokumentation verbracht werden, je nach Fachrichtung.


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Limitationen

Als wesentliche Einschränkung muss hervorgehoben werden, dass die vorliegende Pilotstudie als Bestandsaufnahme auf einer geringen Zahl beteiligter Ärztinnen und Ärzte eines städtischen Klinikums basiert. Infolge der permanenten Tätigkeitsabfrage der mehrtägigen Echtzeitbeobachtung ergab sich ein vergleichsweise hoher Aufwand bei der Datenerhebung sowie eine erschwerte Probandengewinnung. Die Resultate des erhobenen Datensatzes werden deshalb rein deskriptiv berichtet und lassen sich nicht verallgemeinern. Es ist weitere Forschung erforderlich, um definitive Schlussfolgerungen abzuleiten. Trotzdem wurden wertvolle Einblicke darüber gewonnen, in welchem Verhältnis die tägliche Arbeitszeit klinisch tätiger Ärztinnen und Ärzte in Zeit für den Patientenkontakt, für die Dokumentation sowie für Computerarbeitszeit aufgeteilt ist.


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Ausblick

Aufgrund des Mangels an Ärztinnen und Ärzten sowie der Notwendigkeit einer effektiven Nutzung des vorhandenen ärztlichen Potenzials gewinnen Arbeitszeitanalysen aktuell an Bedeutung. In zukünftigen Studien sollten Kliniken unterschiedlicher Versorgungsstufen und andere Bundesländer, Fachrichtungen sowie eine größere Anzahl von Teilnehmenden einbezogen werden. Für die Datenerhebung wird trotz des erhöhten Kosten- und Zeitaufwandes die permanente Tätigkeitsabfrage während einer Hospitation empfohlen. Sie bietet im Vergleich zu Multimomentaufnahmen und Befragungen eine genauere Zeitanalyse. Im Sinne der Umsetzbarkeit hat sich ein Beobachtungsintervall von fünf Minuten als geeignet erwiesen. Die Entlastung von bürokratischen Aufgaben, die seit Jahren von Ärztinnen und Ärzten gefordert wird [30], scheint dringend notwendig. Vorschläge zur Verbesserung, beispielsweise die Digitalisierung und die Unterstützung durch medizinische Dokumentationsassistentinnen und -assistenten, sollten in weitere Forschung hinsichtlich ihrer Effizienz und Effektivität sowie des personellen und finanziellen Aufwands geprüft werden. Die sinkende Attraktivität der ärztlichen Kliniktätigkeit für die Generation Y ist ebenfalls für weitere Studien relevant. Die Generation umfasst nach den meisten Auslegungen Menschen, die zwischen den Jahren 1980 und 1995 geboren wurden sowie für ihre Eigenschaften wie technologische Affinität, individualistische Einstellungen und eine Work-Life-Balance-Orientierung bekannt sind [31].

Es gilt, die verbleibenden ärztlichen Ressourcen gemäß dem ursprünglichen Berufsbild sinnvoll einzusetzen und ein übermäßiges Ungleichgewicht zwischen administrativen Aufgaben sowie direkter Patientenversorgung zu vermeiden. Dadurch könnte ein wegweisender Beitrag zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Krankenhausärztinnen und -ärzten geleistet sowie letztendlich auch die Patientenversorgung positiv beeinflusst werden. Mit dem Fortschreiten der Digitalisierung im Gesundheitssystem und der zunehmenden Nutzung elektronischer Ressourcen ist zu erwarten, dass die computerbasierte Arbeitszeit der Ärztinnen und Ärzte weiter steigen wird.

Kernaussagen
  1. Die teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte verbrachten etwa 19,4 % ihrer Arbeitszeit mit der Dokumentation und nur 16,8 % im direkten Patientenkontakt (inkl. OP).

  2. Internistinnen und Internisten hatten mit 120 min deutlich mehr Dokumentationsaufwand als Anästhesisten/Intensivmediziner (76 min) und Chirurgen (83 min).

  3. Etwa 25,7 % der Arbeitszeit der Ärztinnen und Ärzte entfielen auf computergestützte Tätigkeiten, wobei der genaue Anteil von der Fachrichtung beeinflusst wird.

  4. Die Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung pflegten mehr Patientenkontakt als Kolleginnen und Kollegen mit bereits abgeschlossener Facharztweiterbildung.


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

* Beide Autoren teilen sich die Letzt-Autorenschaft.



Korrespondenzadresse

Dr. med. Dr. rer. hum. Guido Schröder
Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie
Universitätsmedizin Rostock
Schillingallee 35
18057 Rostock
Deutschland   

Publication History

Article published online:
08 July 2024

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