Material und Methodik
Teilnehmer*innen und Datenerhebung
Es erfolgte eine Querschnittsuntersuchung in den deutschsprachigen Ländern
Deutschland, Österreich und Schweiz an insgesamt 737 Universitätsklinika und
nichtuniversitären Kliniken aller Versorgungsstufen (Perinatalzentrum Level I
und II, perinataler Schwerpunkt, Geburtsklinik) über eine ISO 27001 und nach
EU-US-Datenschutzschild zertifizierte Online-Plattform (www.surveymonkey.de ).
Die Einladung zur Teilnahme erfolgte in einem Befragungszeitraum von April bis
August 2023 per E-Mail an die Abteilungsleitungen mit der Bitte um Weiterleitung
an das geburtshilfliche Gesundheitspersonal (klinisch tätige Hebammen und
Ärzt*innen aller Ausbildungsstufen). Eine direkte Kontaktaufnahme der
Teilnehmer*innen war aus Datenschutzgründen nicht möglich. Die Studie erfolgte
in Übereinstimmung mit der Deklaration von Helsinki mit Genehmigung der
Ethikkommission der Universität Ulm (Antragsnummer 15/23).
Es wurden pseudonymisierte demographische Daten sowie Häufigkeiten peripartaler
und persönlicher Traumata erfasst. Bei Angabe eines peripartalen und/oder
persönlichen Traumas (Mehrfachnennung möglich) wurde um die Beantwortung der
Fragebögen zu posttraumatischen Belastungssymptomen (Impact of Event Scale –
Revised, IES-R) [30 ] und zu
posttraumatischem Wachstum (Posttraumatic Growth Inventory -SF, PGI-SF) [24 ]
[31 ]
[32 ] gebeten. Zusätzlich wurden alle
Teilnehmer*innen zu möglichen Burnout-Symptomen (Copenhagen Burnout Inventory,
CBI) [33 ] befragt (siehe Supplement
Messinstrumente). Zudem wurden Informationen zur erfahrenen Unterstützung nach
potenziellen Trauma-Erlebnissen sowie zu möglichen Konsequenzen von
Trauma-Erlebnissen auf Arbeitszeit und Arbeitsplatz erhoben.
Statistische Analyse
Die Angaben zur beschreibenden Statistik erfolgten anhand von absoluten und
relativen Häufigkeiten für kategoriale Variablen und anhand von Mittelwert,
Standardabweichung und Bereich für die metrischen Fragebogenscores.
Unterschiede zwischen Gruppen bzgl. der erhobenen kategorialen demographischen
(Altersgruppe, Geschlecht, Beziehungsstatus, Kinder) und berufsbezogenen
(Berufsgruppe, Versorgungsstufe, Arbeitszeit) Parameter wurden mit dem
Chi-Quadrat-Test analysiert; im Fall von 2×2 Kontingenztafeln mit erwarteten
Zellhäufigkeiten<5 wurde stattdessen der exakte Test nach Fisher verwendet.
Korrelationen zwischen den metrischen Gesamtscores oder Einzelscores der
verschiedenen Subkategorien der drei Fragebögen wurden mit dem
Rangkorrelationstest nach Spearman untersucht; der Korrelationskoeffizient
rs ist hierbei ein Maß für die Effektstärke.
Die statistischen Analysen wurden mit dem Programmpaket IBM SPSS Statistics for
Windows, Version 28 (IBM Corp., Armonk, New York) durchgeführt. Alle
präsentierten p-Werte sind zweiseitig und als Signifikanzniveau wurde
durchgehend α=0,05 verwendet; es erfolgte in dieser explorativen Studie keine
Adjustierung des Signifikanzniveaus für multiples Testen.
Ergebnisse
Kollektiv
702 Datensätze wurden für die Auswertung demographischer Angaben, Häufigkeiten
von peripartalen/persönlichen Traumata und deren Assoziationen zu Alter,
Berufsgruppen und Versorgungsstufen, sowie der Unterstützung und Konsequenzen
nach geburtshilflichen Traumata am Arbeitsplatz ausgewertet. Von 702
Teilnehmer*innen gaben zwei kein peripartales oder persönliches Trauma an. Diese
Datensätze wurden ausgeschlossen, sodass alle Analysen auf 700 Fälle basieren.
Für die Auswertung des IES-R und des PGI-SF konnten n=528 und für den CBI n=542
vollständige Datensätze analysiert werden.
[Tabelle 1 ] zeigt die
demographischen Daten. Am häufigsten war die Altersgruppe zwischen 30–39 Jahren
(32,6%) und Teilnehmer*innen mit der Angabe weiblich (88,6%) vertreten.
63,1% der Befragten waren verheiratet oder in einer Beziehung und 56,7% gaben
Kinder an. Die Verteilung des geburtshilflichen Gesundheitspersonals war mit 51%
Hebammen und 49% ärztliches Personal ausgeglichen. Die Arbeitszeit lag bei den
meisten Befragten über 75% (67,3%). Die meisten Teilnehmer*innen arbeiteten in
Geburtskliniken (38,9%) oder Perinatalzentren Level I (43,3%).
Tab. 1 Studienkollektiv (N=700
Teilnehmer*innen).
Häufigkeit, n
%
Alter
<30
158
22,6
30–39
228
32,6
40–49
137
19,6
50–59
133
19,0
≥60
44
6,3
Geschlecht
Weiblich
620
88,6
Männlich
79
11,3
Divers
1
0,1
Beziehungsstatus
Single
191
27,3
Verheiratet/Beziehung
442
63,1
Geschieden – aktuell Single
22
3,1
Geschieden – neuer Partner
40
5,7
Verwitwet – aktuell Single
2
0,3
Verwitwet – neuer Partner
3
0,4
Kinder
Ja
397
56,7
Nein
303
43,3
Berufsgruppe
Hebamme im Kreißsaal
357
51,0
Assistenarzt/ärztin
129
18,4
Facharzt/ärztin
37
5,3
Funktionsoberarzt/ärztin
8
1,1
Oberarzt/ärztin
130
18,6
Chefarzt/ärztin
39
5,6
Versorgungsstufe
Geburtsklinik
272
38,9
Perinataler Schwerpunkt
61
8,7
Perinatalzentrum Level II
63
9,0
Perinatalzentrum Level I
304
43,3
Arbeitszeit
<25%
13
1,9
25% – 50%
83
11,9
51% – 75%
133
19,0
76% – 100%
471
67,3
Erlebte peripartale und persönliche Traumata, Unterstützung und
Konsequenzen
N=692 (98,9%) von 700 Teilnehmer*innen erlebten mindestens eines der abgefragten
peripartalen und persönlichen Traumata ([Tab. 2 ]). Schwerwiegende fetale Komplikationen (87,0%), intrauteriner
Fruchttod (IUFT) (83,0%) sowie schwere fetale Asphyxie mit Verlegung oder Tod
(82,7%) wurden am häufigsten genannt. N=658 (94,0%) von 700 Teilnehmer*innen
gaben an, mindestens ein persönliches Trauma erfahren zu haben. Eine
unzulängliche Betreuung während der Geburt durch Arbeitsüberlastung (81,0%) und
unzulängliche Kommunikation im Team (72,4%) wurden am häufigsten ausgewählt.
Allerdings wurden auch persönlich gerichtete Gewalt/Aggression durch das Team
oder Patientin/Angehörige (46,9%) und Schuldzuweisung/Kritik nach unerwartet
vermeidbarem Ereignis (43,3%) jeweils von fast der Hälfte der Befragten
angegeben. Auf die Frage nach erhaltener Unterstützung wurde am häufigsten eine
Unterstützung durch Kolleg*innen (61,3%) oder Partner*innen (47,0%) angegeben;
nur 4,0% der Befragten gab an, überhaupt keine Unterstützung bekommen zu haben.
Bei der Frage nach möglichen Konsequenzen aus dem Erleben eines peripartalen
und/oder persönlichen Traumas wurden am häufigsten ein Verlassen des
Arbeitsplatzes (8,0%) und eine Reduktion der Arbeitszeit (7,9%) genannt.
Tab. 2 Häufigkeit und Art peripartaler und persönlicher
Traumata, erhaltener Unterstützung und erfolgter Konsequenzen
(jeweils Mehrfachnennungen möglich, N=700
Teilnehmer*innen).
Häufigkeit der Nennung (mindestens einmal erlebt/erfolgt)
%
Peripartales Trauma
Unerwarteter intrauteriner Fruchttod (IUFT)
581
83,0
Schwerwiegende fetale Komplikation
609
87,0
Schwerwiegende maternale Komplikation
473
67,6
Schwere fetale Asphyxie mit Verlegung oder Tod
579
82,7
Verlegung des Kindes aufgrund vermeidbarer Komplikationen
398
56,9
Persönliches Trauma
Unzulängliche Betreuung während der Geburt durch
Arbeitsüberlastung
567
81,0
Persönlich gerichtete Gewalt/Aggression durch Team oder
Patientin/Angehörige
328
46,9
Unzulängliche Kommunikation im Team
507
72,4
Schuldzuweisung/Kritik nach unerwartet vermeidbarem
Ereignis
303
43,3
Unterstützung
Vorgesetzte
174
24,9
Kolleg*innen
429
61,3
Partner*innen
329
47,0
Freund*innen
214
30,6
Professionell
62
8,9
Keine
28
4,0
Konsequenzen am Arbeitsplatz
Arbeitszeit reduziert
55
7,9
Arbeitsplatz innerhalb der Klinik gewechselt
12
1,7
Bewerbung ambulante Versorgung
6
0,9
Verlassen des Arbeitsplatzes
56
8,0
Assoziationen zwischen erlebten peripartalen und persönlichen Traumata und
Altersgruppe, Berufsgruppe, und Versorgungsstufe
Peripartales Trauma
Teilnehmer*innen mit mindestens einem erlebten peripartalen Trauma
unterschieden sich nicht signifikant von Teilnehmer*innen ohne erlebtes
peripartales Trauma hinsichtlich Altersgruppe (p=0,474), Berufsgruppe
(p=0,448) und Versorgungsstufe (p=0,447). Signifikante Unterschiede zwischen
Altersgruppen bzgl. einzelner erlebter peripartaler Traumata gab es bei
schwerwiegenden fetalen Komplikationen (p=0,013), schwerwiegenden maternalen
Komplikationen (p=0,008) und schwerer fetaler Asphyxie mit Verlegung oder
Tod (p=0,002), welche alle am häufigsten in der Altersgruppe≥60 Jahre
genannt wurden. Signifikante Unterschiede zwischen Berufsgruppen zeigten
sich für einen IUFT (p=0,003), schwerwiegende maternale Komplikationen
(p<0,001), schwere fetale Asphyxien mit Verlegung oder Tod (p<0,001),
sowie Verlegung des Kindes wegen vermeidbarer peripartaler Komplikationen
(p=0,048), wobei diese peripartalen Traumata meist am häufigsten vom
leitenden ärztlichen Personal (Oberarzt/-ärztin und Chefarzt/-ärztin)
angegeben wurden. Signifikante Unterschiede in den Häufigkeiten peripartaler
Traumata wurden in Bezug auf die Versorgungsstufe festgestellt, insbesondere
bei schweren fetalen und mütterlichen Komplikationen (beide p<0,001)
sowie bei Verlegung des Kindes aufgrund vermeidbarer peripartaler
Komplikationen (p=0,013). Diese wurden in der Regel häufiger von
Geburtshelfer*innen in Perinatalzentren berichtet.
Persönliches Trauma
Teilnehmer*innen mit mindestens einem erlebten persönlichen Trauma
unterschieden sich nicht signifikant von Teilnehmer*innen ohne erlebtes
persönliches Trauma in Altersgruppe (p=0,061), Berufsgruppe (p=0,106) und
Versorgungsstufe (p=0,138). Signifikante Unterschiede zwischen Altersgruppen
bzgl. einzelner erlebter persönlicher Traumata zeigten sich bei
unzulänglicher Betreuung während der Geburt durch Arbeitsbelastung
(p<0,001) und unzulänglicher Kommunikation im Team (p<0,001), welche
mit jeweils über 75% am häufigsten von geburtshilflichem Personal unter 40
Jahren angegeben wurde. Eine unzulängliche Betreuung während der Geburt
durch Arbeitsbelastung unterschied sich auch signifikant zwischen den
Berufsgruppen (p<0,001) und wurde mit 89,9% von Hebammen am häufigsten
genannt. Signifikante Unterschiede erlebter persönlicher Traumata in
Abhängigkeit der Versorgungsstufe ergaben sich für unzulängliche Betreuung
während der Geburt durch Arbeitsbelastung (p<0,001) und unzulänglicher
Kommunikation im Team (p<0,001), welche beide am häufigsten von
Gesundheitspersonal aus Perinatalzentren genannt wurden ([Tab. 1 ] des Supplements mit
absoluten und relativen Häufigkeiten von peripartalen und persönlichen
Traumata für jede Kategorie).
Assoziationen zwischen erhaltener Unterstützung sowie beruflicher
Konsequenzen nach peripartalen und persönlichen Traumata mit demographischen und
beruflichen Faktoren
Unterstützung
Die Altersgruppen unterschieden sich signifikant bzgl. der erfahrenen
Unterstützung nach erlebten Traumata durch Partner (p=0,019) und Freunde
(p<0,001), welche am häufigsten von den jüngsten Altersklassen genannt
wurden. Signifikante Unterschiede zwischen den Altersgruppen gab es auch bei
der erfahrenen Unterstützung durch Kolleg*innen (p=0,034), die mit jeweils
über 65% am häufigsten von der jüngsten und ältesten Altersklasse angegeben
wurde. Die Berufsgruppen unterschieden sich signifikant bzgl. der
Unterstützung durch Partner (p=0,029) und bzgl. der Unterstützung durch
Freunde (p=0,006); beides wurde mit 62,5% am häufigsten von
Funktionsoberärzten*innen angegeben. Funktionsoberärzt*innen waren jedoch
auch die Berufsgruppe mit dem höchsten Anteil an Personen, die keine
Unterstützung erhielten (12,5%). Signifikante Unterschiede zwischen
männlichen und weiblichen Teilnehmer*innen gab es nur hinsichtlich der
Unterstützung durch Freunde, welche signifikant häufiger von Frauen
angegeben wurde (32,7% vs. 13,9%; p<0,001). Insgesamt gaben Männer
signifikant häufiger als Frauen an, keine Unterstützung nach einem erlebten
Trauma erhalten zu haben (10,1% vs. 3,1%; p=0,007). Signifikante
Assoziationen zwischen Beziehungsstatus und erhaltener Unterstützung gab es
bzgl. der Unterstützung durch Partner (p<0,001), welche am häufigsten von
Verheirateten und Personen in einer neuen Partnerschaft genannt wurde, und
bzgl. der Unterstützung durch Freunde (p<0,001), welche am häufigsten von
Singles und verwitweten Personen genannt wurde ([Tab. 2 ] Supplement mit
absoluten und relativen Häufigkeiten erhaltener Unterstützung nach erlebten
peripartalen und persönlichen Traumata für jede Kategorie).
Berufliche Konsequenzen
Die einzigen signifikanten Unterschiede zwischen Altersklassen gab es
hinsichtlich der Konsequenz Verlassen des Arbeitsplatzes bzw. Kündigung
(p=0,021), welche von älteren Teilnehmer*innen seltener angegeben wurde.
Teilnehmer*innen ohne Kinder haben signifikant häufiger ihre Arbeitszeit
reduziert (11,2% vs. 5,3%; p=0,004) und auch signifikant häufiger mindestens
eine Konsequenz gezogen (19,1% vs. 13,6%; p=0,048) als Teilnehmer*innen mit
Kindern. Signifikante Unterschiede bei den beruflichen Konsequenzen wurden
auch zwischen Teilnehmer*innen mit verschiedenen Arbeitszeiten festgestellt.
Diejenigen mit einer Arbeitszeit von weniger als 25% gaben häufiger an, ihre
Arbeitszeit nach einem Trauma verkürzt zu haben, während sie seltener
angaben, den Arbeitsplatz verlassen oder gekündigt zu haben, im Vergleich zu
Teilnehmer*innen mit höherer Arbeitszeit ([Tab. 3 ] Supplement mit
absoluten und relative Häufigkeiten der verschiedenen Formen der nach einem
geburtshilflichen Trauma erfolgten Konsequenzen bzgl. Arbeitsplatz und/oder
Arbeitszeit für jede Kategorie).
Tab. 3 Ergebnisse der Fragebogenauswertungen für
Impact of Event Scale – Revised (IES-R), Posttraumatic Growth
Inventory -Short Form (PGI-SF) und Copenhagen Burnout Inventory
(CBI).
Ergebnisse Fragebögen
N (%)
Antwortbereich
Mittelwert±Standardabweichung
IES-R
528 (100,0)
Gesamtscore
0–96
33,25±20,79
Intrusion
0–35
12,10±7,97
Vermeidung
0–40
10,45±7,93
Hyperarousal
0–35
10,70±7,85
Verdacht auf PTBS
33 (6,3)
PGI-SF
528 (100,0)
Gesamtscore
0–50
19,15±10,57
Beziehung zu Anderen
0–10
4,34±2,82
Neue Möglichkeiten
0–10
2,75±2,81
Persönliche Stärke
0–10
5,73±2,97
Spirituelle Änderung
0–10
1,71±2,65
Wertschätzung des Lebens
0–10
4,62±3,28
Gesamtscore>10
401 (75,9)
CBI
542 (100,0)
Gesamtes Burnout Level
21–95
53,29±13,27
niedrigstes
4 (0,7)
niedriges
179 (33,0)
moderates
319 (58,9)
hohes
40 (7,4)
Persönliches Burnout Level
6–30
18,53±4,47
niedrigstes
4 (0,7)
niedriges
101 (18,6)
moderates
333 (61,4)
hohes
104 (19,2)
Arbeitsbezogenes Burnout Level
8–35
20,42±5,38
niedrigstes
2 (0,4)
niedriges
169 (31,2)
moderates
297 (54,8)
hohes
74 (13,7)
Klienten-bezogenes Burnout Level
6–30
14,34±4,91
niedrigstes
37 (6,8)
niedriges
254 (46,9)
moderates
215 (39,7)
hohes
36 (6,6)
IES-R
Für die Auswertung des IES-R konnten 528 vollständige Datensätze mit einem
Gesamtscore Mittelwert (M)= 33,25±20,79 (Bereich 0–96) verwendet werden
([Tab. 3 ]). Nach Auswertung
der Subskalen des Gesamtkollektives (N=528) war die Intrusion
(M= 12,10±7,97) am stärksten ausgeprägt, gefolgt von Hyperarousal
(M= 10,70±7,85) und Vermeidung (M= 10,45±7,93). Nach
Anwendung der diagnostischen Formel ergab sich in 33 Fällen (6,3% der
Teilnehmer*innen mit einem kompletten IES-R Datensatz; 4,7% aller
Teilnehmer*innen) ein diagnostischer Gesamtscore für den Verdacht auf eine PTBS.
Hier war die Subskala Hyperarousal (M= 26,70±4,42) am stärksten
ausgeprägt.
Von diesen 33 Fällen mit PTBS waren 29 Teilnehmer*innen (87,9%) Frauen, 12
Teilnehmer*innen (36,4%) zwischen 40–49 Jahre, und 19 (57,6%) verheiratet. 18
(54,4%) der 33 Teilnehmer*innen mit PTBS gaben Kinder an, 21 (63,6%) kamen aus
der Berufsgruppe der Hebammen, und 19 Teilnehmer*innen (57,6%) arbeiten in einer
Geburtsklinik. Teilnehmer*innen mit PTBS unterschieden sich nicht signifikant
von Teilnehmer*innen ohne PTBS hinsichtlich Altersklasse (p=0,061), Geschlecht
(p=1,000), Beziehungsstatus (p=0,901), Kinder (p=0, 928), Berufsgruppe (p=0,535)
und Versorgungsstufe (p=0,061).
Teilnehmer*innen mit PTBS erhielten jedoch signifikant seltener Unterstützung
durch Kolleg*innen (63,6% vs. 82,4%; p=0,007) und gaben häufiger an, überhaupt
keine Unterstützung erhalten zu haben (15,2% vs. 4,6%; p=0,024) als
Teilnehmer*innen ohne PTBS. Außerdem gaben Teilnehmer*innen mit PTBS signifikant
häufiger an, auf ein erlebtes geburtshilfliches Trauma mit Verlassen des
Arbeitsplatzes/Kündigung reagiert zu haben (36,4% vs. 8,9%; p<0,001) bzw.
mindestens eine Konsequenz am Arbeitsplatz gezogen zu haben (48,5% vs. 19,4%;
p<0,001) als Teilnehmer*innen ohne PTBS.
PGI-SF
Für die Auswertung eines posttraumatischen Wachstums konnten 528 vollständige
Datensätze ausgewertet werden ([Tab.
3 ]). Der Mittelwert des Gesamtscores betrug 19,15±10,57 (Bereich
0–50). Die höchsten Werte wurden in den Subskalen Persönliche Stärke
(M=5,73±2,97) und Wertschätzung des Lebens (M=4,62±3,28) erreicht ([Tab. 3 ]). In 401 Datensätzen (75,9%
der Teilnehmer*innen mit einem kompletten PGI-SF Datensatz; 57,3% aller
Teilnehmer*innen) zeigte sich ein Wert über dem Cut off von 10 und damit ein
posttraumatisches Wachstum nach erlebtem Trauma.
CBI
Für die Auswertung des CBI konnten 542 vollständige Datensätze genutzt werden
([Tab. 3 ]). Werte≥50 bis<75
gelten als moderater Burnout und Werte≥75 bis 100 als starker Burnout, während
Werte<50 als kein Burnout klassifiziert werden. Insgesamt hatten 359
Teilnehmer*innen (66,2% der Teilnehmer*innen mit einem kompletten CBI Datensatz;
51,3% aller Teilnehmer*innen) einen Gesamtscore von≥50 bis 100. Hiervon hatten
40 Teilnehmer*innen (7,4% der Teilnehmer*innen mit einem kompletten CBI
Datensatz; 5,7% aller Teilnehmer*innen) einen Score≥75. In den Subkategorien
persönlicher Burnout, arbeitsbezogener Burnout und Klienten-bezogener Burnout
hatten 80,6%, 68,5% und 46,3% der Teilnehmer*innen mit einem kompletten CBI
Datensatz einen Score≥50 und 19,2%, 13,7% und 6,6% einen Score≥75 ([Abb. 1 ]).
Abb. 1 Burnout-Levels (<50 niedrigstes/niedriges Level,≥50
bis<75 moderates Level,≥75 bis≤100 hohes Level) gemessen am
Gesamtscore und den Einzelscores des CBI (Copenhagen Burnout
Inventory).
[Abb. 1 ]: Burnout-Levels (<50
niedrigstes/niedriges Level,≥50 bis<75 moderates Level,≥75 bis≤100 hohes
Level) gemessen am Gesamtscore und den Einzelscores des CBI (Copenhagen Burnout
Inventory)
Teilnehmer*innen mit einem CBI Gesamtscore≥75 bis 100 unterschieden sich nicht
signifikant von Teilnehmer*innen mit einem CBI Gesamtscore<75 hinsichtlich
Altersgruppe (p=0,318), Geschlecht (p=0,605), Beziehungsstatus (p=0,325), Kinder
(p=0,085), Berufsgruppen (p=0,428) und Versorgungsstufe (p=0,648).
Teilnehmer*innen mit einem CBI Gesamtscore≥75 bis 100 erhielten signifikant
seltener Unterstützung durch Vorgesetzte (12,5% vs. 33,7%; p=0,006) oder
Kolleg*innen (57,5% vs. 80,9%; p<0,001) und gaben häufiger an, überhaupt
keine Unterstützung erhalten zu haben (17,5% vs. 4,2%; p=0,003) als
Teilnehmer*innen mit einem CBI Gesamtscore<75. Teilnehmer*innen mit einem CBI
Gesamtscore≥75 bis 100 gaben auch signifikant häufiger an, auf erlebte
geburtshilfliche Traumata mit Verlassen des Arbeitsplatzes/Kündigung reagiert zu
haben (40,0% vs. 8,0%; p<0,001) bzw. mindestens eine der möglichen
Konsequenzen am Arbeitsplatz gezogen zu haben (55,0% vs. 17,9%; p<0,001) als
Teilnehmer*innen mit einem CBI Gesamtscore<75.
Korrelationsanalyse der Fragebögen
Die Korrelationsanalyse der Gesamtscores der drei verwendeten Fragebögen ergab
eine signifikante und starke Korrelation zwischen IES-R und CBI
(rs =0,499; p<0,001) und eine signifikante und moderate Korrelation
zwischen IES-R und PGI-SF (rs =0,151; p<0,001), während PGI-SF und
CBI nicht signifikant korreliert waren (rs =0,045; p=0,307). Für alle
drei verwendeten Fragebögen zeigten sich auch signifikante Korrelation der
Scores der einzelnen Subskalen untereinander (IES-R, n=528, drei Subskalen, alle
rs >0,60, alle p<0,001; CBI, n=542, drei Subskalen, alle
rs >0,59, alle p<0,001; PGI-SF, n=528, fünf Subskalen, alle
rs >0,29, alle p<0,001).
Diskussion
Die vorliegende Arbeit belegt, dass Geburtshelfer*innen und Hebammen in ihrem
Berufsleben emotionale Herausforderungen mit Auswirkungen auf ihre psychosoziale
Gesundheit erleben. Hierfür wurde bislang kein standardisiertes Befragungsinstrument
konzipiert und die Umfrage orientierte sich bei den abgefragten Ereignissen an
bereits verwendeten Ereignis-Listen [11 ]
[16 ]
[34 ]. Mit Ausnahme von 2 Teilnehmer*innen
gaben alle Befragten dieser Studie (N=700) mindestens ein peripartales und/oder
persönliches Trauma an. Somit kann keine Prävalenz abgeleitet werden, da nur
Personen mit einem Traumaerlebnis teilgenommen haben.
Internationale Arbeiten zur Prävalenz traumatischer Geburtserlebnisse variieren mit
Angaben von 12,5% [28 ] bis 85% [13 ]. Eine Untersuchung mit 249 Hebammen,
die auch zwischen peripartalen und persönlichen Traumata unterscheidet, beschreibt
Prävalenzen von 85,4% und 41,6% [35 ].
In einem systematischen Review werden Prävalenzen traumatischer Geburtserlebnisse
von 45% bis zu 96,6% angegeben [36 ] und
demonstriert die Relevanz und die hohe Betroffenheit.
Die vorliegende Arbeit differenziert zwischen peripartalen und persönlichen Traumata.
Die häufigsten peripartalen Traumen sind fetale Komplikationen und ein IUFT. Diese
Traumata sind besonders relevante Auslöser für Stressrektionen, insbesondere bei
fehlender Ausbildung des Personals zur Trauerbegleitung oder Nachbearbeitung [37 ]
[38 ]
[39 ]
[40 ]. Aus den Ergebnissen der Auswertung
lässt sich rückschließen, je länger die Berufserfahrung und je höher die
Versorgungsstufe eines Perinatalzentrums, umso häufiger erleben Geburtshelfer*innen
eines dieser peripartalen Traumata in ihrem beruflichen Alltag. Zu den persönlichen
Traumata gehören eine unzulänglich wahrgenommene Betreuung bei zu hoher
Arbeitsbelastung (81%) und eine unzulängliche Kommunikation (72,4%). Vor allem die
jüngere Altersgruppe<40 Jahre und Hebammen (89,9%) erlebte dies als belastend. In
anderen Arbeiten wurde eine unzulängliche Kommunikation von 49,9% [16 ] und 19,8% [41 ] der befragten Hebammen als belastend
empfunden. Eine effektive und interdisziplinäre Kommunikation spielt jedoch eine
Schlüsselrolle für die Zufriedenheit aber auch die Sicherheit in der Betreuung
werdender Mütter. Nicht ausgesprochene Folgen einer unzulänglichen Kommunikation
können sich negativ auf die Qualität in der Betreuung und auf die
Patientensicherheit auswirken und folglich auch zu einer Beeinträchtigung des
psychosozialen Wohlbefindens des Gesundheitspersonals führen [42 ]. Die Konsequenzen peripartaler
unerwünschter Ereignisse sind weitreichend – das Gesundheitspersonal muss sich mit
möglichen medizinrechtlichen Folgen eines Vorfalls auseinandersetzen und kann selbst
zum second victim werden [43 ].
In diesem Kontext ist besonders in Zentren mit einer hohen Versorgungsstufe und
Arbeitsdichte ein gezieltes interdisziplinäres Teamtraining für die Bewältigung von
emotionalen Herausforderungen und der Verbesserung der Patientinnensicherheit
bedeutend [42 ]. Ein durchaus offen
kommuniziertes Thema von werdenden Müttern sind Gewalterfahrungen im Kreißsaal [44 ]
[45 ]. Auch das Gesundheitspersonal kann
von Gewalterfahrungen betroffen sein [46 ]
[47 ] wie auch die
vorliegenden Ergebnisse zeigen. Fast die Hälfte aller Teilnehmer*innen (46,9%) gab
das Erleben von persönlich gerichteter Gewalt/Aggression durch das Team oder die
Patientin/Angehörige an. In andere Arbeiten berichten dies 33% des
Gesundheitspersonals [34 ] und bis zu
86% der Hebammen und Geburtshelfer*innen geben verbale Gewalt und 47% körperliche
Gewalterfahrungen an [47 ]. Gerade
Hebammen und jüngeres Personal fühlen sich davon betroffen und nicht vorbereitet.
Dies kann in Folge zum vorzeitigen Ausscheiden aus dem Hebammenberuf führen. Eine
hohe Transparenz, ein niederschwelliges Adressieren der erlebten Gewalterfahrungen
und eine Unterstützung durch Vorgesetzte können dem entgegenwirken [48 ].
Belastendende Ereignisse wie persönliche Gewalterfahrungen können die Grundlage für
eine PTBS bilden [16 ]
[49 ]. Nach Anwendung der diagnostischen
Formel des IES-R zeigten 33 Befragte (6,3% der Teilnehmer*innen mit ausgefülltem
IES-R, davon 63,6% Hebammen) Anzeichen einer PTBS. Dies liegt eher im niedrigen
Bereich und ist vergleichbar mit den Ergebnissen der Studie von Wahlberg et al., die
über eine PTBS Rate von 7% bei Gynäkolog*innen und 5% bei Hebammen berichtet [12 ]. Insgesamt variieren die Angaben zum
Vorliegen einer PTBS bei geburtshilflichem Personal in der Literatur jedoch stark
von 3,1% bis zu 46% [11 ]
[16 ]
[34 ]. Die Inkonsistenz ist möglicherweise
auf verschiedene Methoden zur Erfassung von PTBS zurückzuführen. Begünstigt kann die
Entwicklung einer PTBS auch durch mangelnde Unterstützung nach einem belastenden
Ereignis werden und folglich zu Arbeitsplatzwechsel oder Kündigungen führen [12 ]
[28 ]
[50 ]. In unserer Studie berichteten
Teilnehmer*innen mit PTBS öfter über mangelnde Unterstützung nach geburtshilflichen
Traumata und häufigere Kündigungen oder andere Konsequenzen am Arbeitsplatz als
solche ohne PTBS.
Neben einer akuten Stressreaktion, ausgelöst durch ein belastendes Ereignis, können
chronische Stressoren zu emotionaler Ermüdung und in Folge zu einem Burnout führen
[17 ]. 66,2% der per CBI Befragten
wiesen einen moderaten bis hohen Burnout auf, mit dem höchsten Level im persönlichen
Burnout, gefolgt vom arbeitsbezogenen und Klienten-bezogenen Burnout. Andere Studien
sowie eine Meta-Analyse mit 14 Studien zeigen ähnliche Ergebnisse mit einem
moderaten bis hohen persönlichen Burnout bei 50% der Hebammen, einem
arbeitsbezogenen Burnout bei 40% der Hebammen und einem Klienten-bezogenen Burnout
bei 10% der Hebammen [18 ]
[51 ]
[52 ]. In unserer Kohorte gab es auch
starke Korrelationen zwischen den Einzelscores für persönlichen, arbeitsbezogenen
und Klienten-bezogenen Burnout sowie zwischen den Gesamtscores von IES-R und CBI.
Anders als in anderen Arbeiten [9 ]
[19 ] wurden keine signifikanten
Unterschiede zwischen Teilnehmer*innen mit und ohne Burnout in Bezug auf
Altersgruppe, Geschlecht oder Berufsgruppe festgestellt. Ein hoher Burnout mit
nachfolgenden beruflichen Konsequenzen trat signifikant häufiger bei Personen auf,
die keine Unterstützung erhalten hatten.
Es lässt sich jedoch auch bei Gesundheitspersonal beobachten, dass die Betreuung
traumatischer Geburten oder das Erleben persönlicher Traumata positive
Bewältigungsstrategien fördern kann [25 ]
[32 ]. Häufig können
hierdurch das Selbstbild und das berufliche Selbstverständnis gestärkt oder auch
mentale Notfallpläne für den Fall eines erneuten Auftretens entwickelt werden [53 ], was zum Gefühl führen kann, die
eigene Arbeit zukünftig besser machen bzw. zukünftige Traumata besser bewältigen zu
können [54 ]
[55 ]. Durch das Potenzial des
persönlichen Wachstums können positive Ressourcen aktiviert werden, um PTBS, Burnout
oder das Verlassen des Arbeitsplatzes als letzte Konsequenz zu verhindern [25 ]. In unserer Studie zeigte sich ein
posttraumatisches Wachstum bei 75,9% der Befragten, wobei die stärkste Ausprägung in
den Subskalen persönliche Stärke und Wertschätzung des Lebens beobachtet wurde.
Limitationen der Studie sind das Fehlen einer Kontrollgruppe, da Personen ohne
Traumaerfahrung oder zur Vermeidung einer Retraumatisierung nicht teilgenommen
haben. Die Umfrage wurde online durchgeführt und ersetzt kein klinisches Interview.
Zudem begrenzen Querschnittsstudien die Kausalitätserklärung, da sie nur
Korrelationen zu einem Zeitpunkt zeigen, ohne Ursache-Wirkungs-Beziehungen
feststellen zu können. Psychiatrische Vorerkrankungen wurden nicht miterfasst,
welche die Ergebnisse beeinflussen könnten. Diese Studie ist bislang aber die erste,
die das geburtshilfliche Gesundheitspersonal im deutschsprachigen Raum zu erlebten
beruflichen Traumata befragt und deren Zusammenhänge mit demografischen, beruflichen
Faktoren sowie mit dem Auftreten von PTBS, Burnout, der erfahrenen Unterstützung,
beruflichen Konsequenzen und posttraumatischem Wachstum untersucht, und bietet somit
eine wichtige Grundlage für zukünftige Forschungen zu diesem bedeutenden Thema.