Hintergrund
Die Erkrankung Endometriose ist gekennzeichnet durch endometriumähnliche Gewebeansammlungen außerhalb der Gebärmutterhöhle, die chronische Entzündungsprozesse verursachen und von zyklischen und azyklischen Schmerzen und anderen Symptomen begleitet werden. Man schätzt, dass 10–15% aller per Geschlecht als weiblich definierten Personen, also in Deutschland jährlich rund 40000 Menschen, im reproduktiven Alter an Endometriose erkranken [1]
[2]. Die Relevanz dieser Erkrankung ergibt sich aus ihrem oft sehr frühen Auftreten und dem daraus resultierenden langen Leidensweg während der reproduktiven und produktiven Lebensphase der Betroffenen. Damit einher gehen hohe individuelle und soziale Belastungen, insbesondere durch Fehlzeiten und Leistungsminderung. Darüber hinaus entstehen Endometriosebetroffenen aufgrund ihrer Erkrankung erhebliche Kosten.
Der primäre medizinische Behandlungsweg ist die primäre medikamentöse oder je nach Befund auch operative Behandlung mittels Laparoskopie. Im weiteren Verlauf werden beispielsweise die Gabe von GnRH-Analoga, Hormonpräparaten auf Basis von Dienogest und/oder Analgetika eingesetzt. Dabei unterscheiden sich die Kosten und möglicherweise behandlungswürdige Nebenwirkungen zwischen den einzelnen Medikamenten teilweise erheblich. Zudem ist das Wiederauftreten der Endometriosesymptome sowie die Entstehung weiterer Herde nach erfolgter Operation sowie dem Absetzen der medizinischen Therapien nicht ausgeschlossen, sodass auch mit nicht unerheblichen Folgekosten durch Fehlzeiten und Leistungsminderungen zu rechnen ist. Neben der medikamentösen Therapie ist die multimodale Schmerztherapie in Form von psychischen und physiotherapeutischen Behandlungen ein integraler Bestandteil der Versorgung von Betroffenen.
Insgesamt ist die Erkrankung Endometriose mit beträchtlichen Kosten für das Gesundheitssystem, die Gesellschaft und zusätzlich auch für die betroffenen Privatpersonen selbst sowie deren Angehörige verbunden. Gerade die im Rahmen dieser Studie erstmalig direkt ermittelten selbstberichteten Kosten wurden in bisherigen Betrachtungen jedoch nur geschätzt.
Die direkten Kosten der Erkrankung setzen sich unter anderem aus der ambulanten und stationären operativen Versorgung der Betroffenen sowie der medikamentösen, ggf. multimodalen und auch komplementären Behandlung zusammen. Hinzu kommen Kosten für Kinderwunschbehandlungen. Darüber hinaus entstehen indirekte Kosten durch Endometriose. Nicht nur die Behandlung, sondern ebenfalls eine mögliche Nichtbehandlung der Erkrankung, durch lange Latenzzeiten bis zur erstmaligen Diagnosestellung, fallen in diesen Bereich. Die hier entstehenden Kosten setzen sich z. B. aus Arbeitsunfähigkeitszeiten oder Kosten für Erwerbsunfähigkeiten zusammen. Zudem fallen hier auch Kosten durch zusätzliche Kinderbetreuung oder Unterstützung im Alltag an, die in den meisten Fällen von den Betroffenen allein getragen werden. Hinzu kommen darüber hinaus indirekte Kosten durch die ggf. nicht erreichten beruflichen Perspektiven bei krankheitsbedingt reduzierter Möglichkeit, das eigene Potenzial diesbezüglich
komplett entfalten zu können. Diese Kosten konnten in der vorliegenden Arbeit nicht erhoben werden, da die theoretisch erreichbare monetär lukrativere berufliche Stellung nicht immer sicher identifizierbar und noch schlechter zu beziffern war.
Die Rolle der Endometriose als gesellschaftliche und gesundheitsökonomische Belastung wurde ebenfalls von der Politik mit der Bereitstellung von Forschungsgeldern herausgestellt. Um einen aktuellen Überblick über die Kosten zu bekommen, die den Betroffenen im Raum eines Kalenderjahres persönlich entstehen, wurden die genannten Kostenpunkte im Rahmen einer aktuellen Umfrage unter Endometriosepatient*innen abgefragt. Diese Studie befasst sich mit allen durch die Betroffenen selbst finanzierten Kosten. Zusätzliche Kosten, die durch die Krankenversicherung, Rentenversicherung oder andere soziale Sicherungssysteme gedeckt werden, wurden in dieser Studie nicht erhoben.
Ergebnisse
Insgesamt konnten 250 Teilnehmende für die Studie eingeschlossen werden, welche die Einschlusskriterien erfüllten. Davon waren 94% (n = 235) gesetzlich und 6% (n = 15) privat versichert (siehe [Tab. 1]). Von den ursprünglich 266 dokumentierten Antworten wurden 16 Fälle nicht eingeschlossen: 12 wurden ausgeschlossen, weil keine Antworten abgegeben wurden, 2 weitere wurden nicht berücksichtigt, weil durch den Beamtenstatus keine genaue Zuordnung in private oder gesetzliche Krankenversicherung erfolgen konnte, und 2 Antworten konnten nicht gewertet werden, weil die Teilnehmenden aus Österreich bzw. der Schweiz stammten.
Tab. 1
Übersicht der selbstberichteten Kosten (Summe).
Parameter
|
Total
|
GKV
|
PKV
|
|
n
|
MW
|
SD
|
n
|
MW
|
SD
|
n
|
MW
|
SD
|
direkte Kosten (Gesamt) [€]
|
250
|
2059,55
|
3664,30
|
235
|
2073,3
|
3670,2
|
15
|
1844,2
|
3689,15
|
indirekte Kosten (Gesamt) [€]
|
250
|
2174,25
|
5959,22
|
235
|
2302,31
|
6124,42
|
15
|
168,07
|
310,51
|
selbstberichtete Kosten (Gesamt) [€]
|
250
|
4233,81
|
8240,31
|
235
|
4375,61
|
8425,98
|
15
|
2012,27
|
3924,94
|
Soziodemografische Daten
Das durchschnittliche Alter der eingeschlossenen Studienteilnehmenden lag bei 32,84 (SD: 6,55). Das maximale Alter lag bei 53 Jahren. Die jüngste Teilnehmerin war 21 Jahre alt. Die Studienteilnehmenden ordneten sich ausschließlich dem weiblichen Geschlecht zu.
86,4% (n = 216) der Studienteilnehmer*innen gingen zum Zeitpunkt der Befragung einer Erwerbstätigkeit nach, 8,4% (n = 21) waren Schüler*innen oder Studierende und nur 5,2% (n = 13) der Teilnehmenden waren zum Zeitpunkt der Befragung arbeitssuchend.
Das jährliche Nettohaushaltseinkommen variierte. 53 Teilnehmer*innen verfügten über ein Nettohaushaltseinkommen von unter 20000 €. Der Großteil (n = 101) lag bei einem Nettohaushaltseinkommen zwischen 20000 und 40000 €. In der Einkommensgruppe zwischen 40000 und 60000 € lagen 56 Personen, 18 lagen im Bereich zwischen 60000 und 80000 €. Lediglich 12 Personen ordneten sich der Einkommensgruppe von 80000 bis 100000 € zu. Zehn Studienteilnehmende verfügten über ein Nettohaushaltseinkommen von über 100000 €. Im Mittel lag der Wert des angegebenen Nettohaushaltseinkommens leicht über der 40000-€-Marke.
Des Weiteren wurde der aktuelle Familienstand abgefragt. 48 Teilnehmende waren ledig, 22 waren zwar in einer festen Partnerschaft, lebten jedoch getrennt, 177 lebten in einer festen Partnerschaft zusammen, 2 waren geschieden und 1 Studienteilnehmerin verwitwet.
45 der Studienteilnehmenden waren Mütter, mit 1 (n = 22), 2 (n = 17), 3 oder mehr Kindern (n = 6) (MW: 1,87; SD: 1,83).
Kosten
Die gesamten beschriebenen Kosten sind der Übersichtlichkeit halber in den [Tab. 1], [Tab. 2], [Tab. 3] dargestellt. Darüber hinaus befinden sich detaillierte Tabellen zu den einzelnen Kostenblöcken im Onlineanhang (Tab. S1–S9). Die angegebenen Mittelwerte werden, sofern nicht anders angegeben, auf Basis der Patientinnen berechnet, die für die jeweilige Kostenkategorie Angaben gemacht haben.
Tab. 2
Übersicht der selbstberichteten direkten Kosten.
Parameter
|
Total
|
GKV
|
PKV
|
n
|
MW
|
SD
|
n
|
MW
|
SD
|
n
|
MW
|
SD
|
nichtmedikamentöse Therapie
|
ambulante ärztl. Versorgung [€]
|
42
|
262,50
|
524,18
|
40
|
199,13
|
302,54
|
2
|
1530,00
|
2078,89
|
stationäre ärztl. Versorgung [€] STATION
|
104
|
245,78
|
996,22
|
101
|
137,14
|
192,76
|
3
|
3903,33
|
5347,06
|
Schmerztherapie (amb./stat.) [€]
|
21
|
198,57
|
272,93
|
21
|
198,57
|
272,93
|
0
|
–
|
–
|
Kinderwunsch [€]
|
35
|
4227,14
|
5697,91
|
33
|
4446,97
|
5797,69
|
2
|
600,00
|
565,69
|
medikamentöse Therapie
|
hormonelle Therapie [€]
|
114
|
134,55
|
172,89
|
107
|
130,17
|
169,82
|
7
|
201,43
|
218,97
|
verschreibungspflichtige Medikamente [€]
|
147
|
99,80
|
148,45
|
140
|
100,43
|
151,56
|
7
|
87,14
|
62,64
|
Privatrezepte für Medikamente [€]
|
109
|
240,28
|
374,77
|
103
|
249,18
|
383,68
|
6
|
87,50
|
31,58
|
Hilfsmittel
|
medizinische Geräte [€]
|
125
|
119,18
|
111,90
|
119
|
121,07
|
114,03
|
6
|
81,67
|
43,55
|
Bücher und Fachvorträge [€]
|
111
|
78,27
|
83,18
|
103
|
79,54
|
85,79
|
8
|
61,88
|
34,01
|
Heilmittel und Ergänzende Therapie
|
Physiotherapie [€]
|
84
|
201,96
|
249,28
|
80
|
192,31
|
228,59
|
4
|
395,00
|
539,54
|
Ergotherapie [€]
|
5
|
222,00
|
274,44
|
5
|
222,00
|
274,44
|
0
|
–
|
–
|
Osteopathie [€]
|
107
|
362,57
|
324,13
|
103
|
367,43
|
328,83
|
4
|
237,50
|
118,43
|
Entspannungsverfahren [€]
|
50
|
260,40
|
218,94
|
47
|
266,60
|
223,03
|
3
|
163,33
|
123,42
|
Psychologische Verfahren [€]
|
13
|
361,15
|
573,43
|
13
|
361,15
|
573,43
|
0
|
–
|
–
|
TCM [€]
|
28
|
1699,29
|
4872,46
|
26
|
1799,23
|
5048,91
|
2
|
400,00
|
282,84
|
Homöopathie [€]
|
29
|
283,45
|
258,99
|
29
|
283,45
|
258,99
|
0
|
–
|
–
|
sonstige Therapien [€]
|
30
|
353,67
|
556,31
|
29
|
363,28
|
563,61
|
1
|
75,00
|
–
|
Ernährungstherapie
|
Ernährungsberatung [€]
|
13
|
226,92
|
209,26
|
13
|
226,92
|
209,26
|
0
|
–
|
–
|
Nahrungsergänzungsmittel [€]
|
157
|
293,46
|
321,43
|
149
|
300,42
|
327,06
|
8
|
163,75
|
143,32
|
weitere Ernährungsausgaben [€]
|
127
|
376,24
|
333,07
|
119
|
379,79
|
330,79
|
8
|
323,50
|
385,70
|
nicht medizinische direkte Kosten
|
Fahrtkosten [€]
|
191
|
222,63
|
289,51
|
178
|
230,90
|
297,39
|
13
|
109,38
|
87,30
|
Summe direkte Kosten (Gesamt) [€]
|
250
|
2059,55
|
3664,30
|
235
|
2073,30
|
3670,20
|
15
|
1844,20
|
3689,15
|
Tab. 3
Übersicht der selbstberichteten indirekten Kosten.
Parameter
|
Total
|
GKV
|
PKV
|
n
|
MW
|
SD
|
n
|
MW
|
SD
|
n
|
MW
|
SD
|
Einkommensverluste
|
Arbeitsunfähigkeit [€]
|
49
|
3019,03
|
5278,53
|
48
|
3063,18
|
5325,24
|
1
|
900,00
|
–
|
Arbeitsreduzierung [€]
|
43
|
4090,47
|
6027,74
|
43
|
4090,47
|
6027,74
|
0
|
–
|
–
|
Erwerbsminderung [€]
|
7
|
6885,71
|
8824,10
|
7
|
6885,71
|
8824,10
|
0
|
–
|
–
|
Kündigung oder Arbeitslosigkeit [€]
|
16
|
6231,58
|
11062,62
|
16
|
6231,58
|
11062,62
|
0
|
–
|
–
|
sonstige indirekte Kosten
|
Alltagsunterstützung [€]
|
15
|
1207,27
|
1181,51
|
14
|
1293,43
|
1176,19
|
1
|
1,00
|
–
|
Pflegekosten [€]
|
3
|
80,00
|
10,00
|
3
|
80,00
|
10,00
|
0
|
–
|
–
|
Kosten durch Folgeerkrankungen [€]
|
105
|
433,10
|
877,50
|
100
|
440,46
|
896,74
|
5
|
286,00
|
298,71
|
weitere Kosten [€]
|
19
|
421,58
|
381,67
|
16
|
488,75
|
379,51
|
3
|
63,33
|
47,26
|
Summe indirekte Kosten (Gesamt) [€]
|
250
|
2174,25
|
5959,22
|
235
|
2302,31
|
6124,42
|
15
|
168,07
|
310,51
|
Zu einem Großteil lagen die selbstberichteten Kosten der Betroffenen im stationären ärztlichen Setting (n = 104) und nur mit einer Häufigkeit von n = 42 im ambulanten ärztlichen Setting vor. Die durchschnittlichen, jährlich selbstgetragenen, nicht durch die Krankenversicherung abgedeckten Kosten im ambulanten ärztlichen Setting pro Kopf lagen bei 263,50 € (SD: 524,18 €), im stationären Setting entstanden im gleichen Zeitraum pro Person Kosten von 245,78 € (SD: 996,22 €). 41,2% (n = 103) der Studienteilnehmenden sind keine eigenen Kosten in diesen Bereichen entstanden.
Die jährlichen Pro-Kopf-Kosten für eine Schmerztherapie (ambulant und stationär) lagen im Schnitt bei 198,57 € (n = 21; SD: 272,93 €). In 14% der (n = 35) Fälle traten Kosten für Kinderwunschbehandlungen auf, die nicht durch die Krankenversicherung abgedeckt waren. Diese lagen im Mittel bei 4227,14 € pro Jahr (SD: 5697,91 €).
Hormonelle Therapien fielen in 45,6% (n = 114) der Fälle an. Im Schnitt umfasste der Anteil der selbst finanzierten Kosten in den vergangenen 12 Monaten 134,54 € (SD: 172,89 €) pro Person. 59,2% der Studienteilnehmenden (n = 148) hatten selbst finanzierte Kosten für andere verschreibungspflichtige Medikamente zu tragen. Diese lagen im Mittel bei 99,80 € (SD: 148,45 €) pro Jahr. 43,6% (n = 110) der Personen hatten, unabhängig von ihrer Krankenkassenzugehörigkeit, Kosten für Privatrezepte nicht verschreibungspflichtiger Medikamente, für die keine Rückvergütung durch die Krankenkasse erfolgt ist, im durchschnittlichen Umfang von 240,28 € (SD: 374,77 €). Demgegenüber hatten 15,2% (n = 38) der Studienteilnehmenden keine Kosten im Bereich der Medikamente.
Weitere selbst zu zahlende Kosten fielen bei 50% (n = 125) der Personen für spezielle medizinische Geräte in Höhe von 119,18 € (SD: 111,90 €) an. Für Bücher oder Fachvorträge wurden im Schnitt 78,27 € (SD: 83,18 €, n = 111) ausgegeben. Die Antworten zur Frage nach den Kosten von digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) blieben unklar. Es war nicht eindeutig, ob die Teilnehmenden erstattungsfähige DiGA oder allgemeine Health Apps meinten, weshalb diese Daten nicht in die Analyse einbezogen wurden.
Im Schnitt wurden 1,7 weitere ergänzende Therapien innerhalb eines Jahres in Anspruch genommen und selbst gezahlt. Darunter von 33,6% (n = 84) der Personen Physiotherapie (201,96 €, SD: 249,28 €), Ergotherapie (n = 5, 222,00 €, SD: 274,44 €), Osteopathie (n = 107, 362,57 €, SD: 324,13 €), Entspannungsverfahren (n = 50, 260,40 €, SD: 218,94 €), psychotherapeutische Verfahren (n = 13, 361,15 €, SD: 573,43 €), traditionelle chinesische Medizin (n = 28, 1699,29 €, SD: 4872,46 €), Homöopathie (n = 29, 283,45 €, SD: 258,99 €) und sonstige Therapien (n = 30, 353,67 €, SD: 556,31 €). Im Schnitt ergeben sich über die komplette Studienpopulation 522,66 € (SD: 1856,32 €) selbst getragene Kosten für weitere Therapieverfahren exklusive ernährungsbezogener Leistungen.
Im Bereich Ernährung wurden innerhalb eines Jahres von 5,2% der Studienteilnehmenden eine Ernährungsberatung in Anspruch genommen und im Schnitt dafür 226,92 € (SD: 209,26 €) selbst gezahlt. Für Nahrungsergänzungsmittel wurden durchschnittlich 293,45 € (SD: 321,43 €), pro Person pro Jahr, von 62,8% (n = 157) der Personen ausgegeben. Auch weitere Kosten für eine angepasste Ernährungsweise fielen in 50,8% (n = 127) der Fälle an. Diese umfassten innerhalb von 12 Monaten im Schnitt 376,18 € (SD: 333,07 €). So wurden in der gesamten Studienpopulation im Jahr pro Person durchschnittlich 387,19 € selbst für ernährungsbezogene Leistungen ausgegeben (SD: 492,75 €).
Selbst getragene Fahrtkosten im Zusammenhang mit der Endometriosebehandlung fielen innerhalb eines Jahres bei 76,4% (n = 192) der Studienteilnehmenden an und umfassten ungefähr 222,63 € (SD: 289,51 €).
Zusammengenommen ergaben sich, ausgehend von der gesamten Studienpopulation, durchschnittlich 2059,55 € (SD: 3664,30 €) direkt zurechenbaren Selbstkosten pro Jahr pro Person.
19,6% (n = 49) der Studienteilnehmenden berichteten von Einkommensverlusten aufgrund von Arbeitsunfähigkeit. Im Mittel lagen diese Einkommensverluste bei 3019,03 € in den vergangenen 12 Monaten, mit einer Standardabweichung von 5278,53 €. Die jährlichen Kosten für krankheitsbedingte Arbeitszeitreduzierungen lagen bei 17,2% (n = 43) der Studienteilnehmenden im Schnitt bei 4090,47 € (SD: 6027,74 €). Sieben der Studienteilnehmenden (2,8%) befanden sich in der Erwerbsminderung und 16 Personen (6,4%) wurde gekündigt oder sie befanden sich in der Arbeitslosigkeit. Die durch die Teilnehmenden geschätzten Kosten durch die Kündigungen oder Arbeitslosigkeit lag pro Person im Schnitt bei 6231,58 € in den vergangenen 12 Monaten (SD: 8824,10 €). Nimmt man die Summe aller selbstberichteten Einkommensverluste zusammen, liegen diese im Schnitt bei 1886,91 € pro Jahr und Person (SD: 5580,63 €) über die gesamte Studienpopulation.
Weitere abgefragte Kosten waren die Kosten der Alltagsunterstützung (n = 15, 1207,27 €, SD: 1181,51 €), Pflegekosten (n = 3, 80,00 €, SD: 10,00 €) sowie Kosten durch Folgeerkrankungen (n = 105, 433,11 €, SD: 877,50 €) und weitere Kosten (n = 19, 421,58 €, SD: 381,67 €). Alle Ergebnisse beziehen sich ebenfalls auf 1 Jahr und 1 betroffene Person.
Somit ergeben sich für die indirekten Kosten im Mittel 2174,25 € (SD: 5959,22 €) über die gesamte Studienpopulation pro Person pro Jahr.
Es wurde zudem abgefragt, ob benötigte Leistungen aufgrund fehlender Mittel nicht in Anspruch genommen wurden, und die Aussage dazu auf einer Skala von 1 bis 5 von nicht zutreffend bis zutreffend bewertet. Das Ergebnis lag bei 3,1 mit einer Standardabweichung von 1,35.
In 6 Fällen (2,4%) wurden im vergangenen Jahr keine Leistungen durch die Krankenkasse übernommen, demgegenüber stehen 35,6% (n = 89) der Versicherten, bei denen keine Leistungen abgelehnt wurden.
Im Detail wurden bei der Stichprobe der 250 Patient*innen der Onlineumfrage 12,8% der Physiotherapien abgelehnt, 9,6% der Kinderwunschbehandlungen, 19,2% der Entspannungsverfahren, 11,2% der Verschreibungen für medizinisches Cannabis, 26,8% der für hormonelle Therapie, 6% der digitalen Gesundheitsanwendungen, 7,6% der Rehabilitationsmaßnahmen oder Anschlussheilbehandlungen sowie 11,2% der Ernährungsberatungen. In Bezug auf medizinische Geräte wurden 7,2% der Verschreibungen abgelehnt, 6% der Schmerztherapien, 7,2% der Sonografien, 10,8% der modernen therapeutischen Verfahren und 34,4% der alternativmedizinischen Verschreibungen. Endometriose-OPs wurden in keinem Fall abgelehnt.
Die sich aus der Umfrage ergebenden Selbstkosten von Endometriosepatient*innen in einem Kalenderjahr umfassen alle Positionen zusammenfassend im Durchschnitt 4233,81 € mit einer Standardabweichung von 8240,31 € (n = 250).
Diskussion
Methodik
Das Risiko einer Erhebung mittels eines Onlinetools ist, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass ebenfalls Personen aus anderen Ländern oder ohne gesicherte Endometriosediagnose teilnehmen können. Zudem schließt die digitale Erhebung mit Rekrutierung über die sozialen Medien Menschen ohne Internetzugang oder Zugang zu den sozialen Medien aus, was ebenfalls zu einer Verzerrung der Studienpopulation geführt haben könnte. Auch könnte der kurze Rekrutierungszeitraum während der Sommerferien in beinahe allen Bundesländern zu einem weiteren Selektionsbias geführt haben. Das Fragenformat ließ nachträglich auch keine trennscharfe Unterscheidung der abgefragten Kosten zu. So sind gesundheitsökonomisch die Kosten einer Schmerztherapie Teil des ambulanten oder stationären Settings. In welchen Bereich die selbstberichteten Kosten der Schmerztherapie zuordenbar sind, kann jedoch aus dem Antwortformat nicht geschlossen werden, sodass die insgesamt entstandenen Kosten um den Betrag der
Schmerztherapie verzerrt sein könnten. Die Abfrage nach den selbstberichteten Kosten von DiGA war zu unspezifisch, da unklar blieb, ob sich die Antworten auf erstattungsfähige DiGA oder allgemeine Health Apps bezogen. Ebenfalls birgt die Befragung das Risiko, dass Betroffene die Kosten aufgrund eines fehlenden Einblicks in die Kostenstrukturen des Gesundheitssystems, insbesondere bei der gesetzlichen Krankenversicherung, bei der die Abrechnung primär mit der jeweiligen Krankenkasse erfolgt, über- oder unterschätzen.
Zudem kann es durch das allgemein eher offen gehaltene Fragenformat zu Verzerrungen in den Antworten gekommen sein.
So kann nicht ausgeschlossen werden, dass die angegebenen Einkommensverluste ebenfalls beglichene oder nicht durch Krankenkassen und Rentenversicherungen beglichene Einkommensverluste umfassen. Ebenso können beispielsweise die Alltagsunterstützungen neben den vorgegebenen Beispielen von Haushaltshilfen und Kinderbetreuung auch andere Bereiche umfassen, die von Betroffenen subjektiv dieser Kategorie zugeordnet wurden.
Auch moderne nicht von den Krankenkassen erstatte Verfahren umfassten im Beispiel nur magnetresonanztomografiegesteuerte fokussierte Ultraschalltherapie, was seitens der Ausfüllenden einen Interpretationsspielraum zum Ausfüllen zulässt.
Da es sich hierbei um eine Ersterhebung von Patient*innendaten handelt, sollten weitere klarer definierte Fragenformate die Daten in folgenden Publikationen validieren.
Zudem wurde nicht tiefergehend untersucht, ob die abgelehnten Leistungen seitens der behandelnden Ärzteschaft als medizinisch sinnvoll erachtet wurden oder ob diese ebenfalls den Sinn der aufgeführten Behandlung in Frage gestellt haben. Dies könnte Gegenstand weiterer Betroffenenbefragungen sein.
Des Weiteren sollte erwähnt werden, dass die Autor*innen ebenfalls Angestellte oder bezahlte Berater*innen der Endo Health GmbH sind. Ein Interessenkonflikt kann objektiv also nicht ausgeschlossen werden, obgleich die Einhaltung der guten wissenschaftlichen Praxis zu jedem Zeitpunkt gewahrt wurde.
Studienpopulation
Die Studienpopulation entspricht in vielen Punkten der durchschnittlichen deutschen, als weiblich definierten Bevölkerung. Die Studienteilnehmenden wiesen gegenüber der weiblichen Bevölkerung eine leicht geringere Arbeitslosenquote auf (5,2% im Vergleich zu 5,8%) [3]. Auch hinsichtlich des durchschnittlichen Nettohaushalteinkommens von 43932 € [4] unterschied sich die Studienpopulation nur leicht. Der Mittelwert der Gruppen lag bei 2,46, was einem durchschnittlichen Nettohaushaltseinkommen von 49200 € entspricht (1: < 20000 €, 2: 20000–40000 €, 3: 40000–60000 €, 4: 60000–80000 €, 5: 80000–100000 €, 6: > 100000 €). Vergleicht man die Studienpopulation bezüglich des Alters mit vorangegangenen Endometriose-Kostenstudien wie der EndoCost-Studie [3], muss herausgestellt werden, dass die Studienpopulation der hier
dargestellten Studie mit 32,80 (SD: 6,554) fast 3 Jahre jünger ist als die Studienpopulation der EndoCost-Studie (MW: 36,80 Jahre, SD: 6,8). Dieser Altersunterschied kann Folge des Rekrutierungsverfahrens über die sozialen Medien sein.
Kosten
Stellt man die ermittelten Kosten in den Zusammenhang mit anderen bereits berichteten Kosten von Endometriosebetroffenen, die im Gesundheitssystem und gesamtwirtschaftlich anfallen (vgl. [5]), kann man von hohen Kosten bezüglich der Krankheit Endometriose für das Gesundheitssystem, die Gesamtwirtschaft und darüber hinaus die Betroffenen direkt ausgehen. Die von Brandes aufgezeigten Studien wurden nach dem Bottom-up-Ansatz aus der Perspektive des Gesundheitssystems erhoben. Gegenüber den im Rahmen dieser Studie von Patient*innen selbstberichteten Kosten wurden in diesen Studien mit dem Bottom-up-Ansatz primär Leistungsinanspruchnahmen abgefragt, die dann mit vorhandenen Kostendatensätzen multipliziert die Pro-Kopf-Kosten pro Jahr ergaben. Dieser Ansatz hat den Vorteil, dass Betroffene die ihnen entstandenen Kosten nicht über- oder unterschätzen können, da sie beispielsweise nicht über die Kosten des Gesundheitssystems
informiert sein müssen. So kann ein Informationsbias bezüglich der entstandenen Kosten ausgeschlossen werden, auch wenn bei beiden retrospektiven Erhebungsmethoden ein Erinnerungsbias nicht ausgeschlossen werden kann.
Dieser Erinnerungsbias bezüglich der entstandenen Kosten und die damit verbundene Über- oder Unterschätzung der eigenen Kosten kann in dieser Studie ein möglicher Grund für die Höhe der selbstgetragenen Kosten gegenüber den Kosten der vorgestellten Studien sein. Hier liegen die selbstberichteten Kosten im Mittel rund 500 € unter den Kosten, die sich im Durchschnitt aus den von Brandes berichteten Kosten von Endometriosebetroffenen (4786,20 €) ergeben (vgl. [5]).
Die Varianz innerhalb der selbstberichteten Ergebnisse spiegelt sich zudem in den teilweise starken Standardabweichungen wider. Auch diese Inkonsistenz der Ergebnisse kann aus einem Informationsbias beziehungsweise Erinnerungsbias der Betroffenen über die entstehenden Kosten im Gesundheitssystem resultieren. Fehlende Informationen darüber, welchem Bereich die entstandenen Kosten zuzuordnen sind, können die Einzelergebnisse weiter verzerren.
Zudem müssen jedoch auch die gestiegenen Kosten im Gesundheitssystem sowie die Inflation seit der Durchführung der Vergleichsstudien berücksichtigt werden. Legt man beispielsweise für die Gesamtkosten die historische Inflation seit den jeweiligen Studien (vgl. [5]) zugrunde, können Kosten von 6245,99 € pro Kopf pro Jahr gegenübergestellt werden.
Die Steigerung der berichteten selbstgetragenen Kosten kann möglicherweise mit einer angestiegenen Aufklärung zu Therapiemethoden und der Krankheit Endometriose im Allgemeinen erklärt werden. Zudem kann angenommen werden, dass das Leistungsspektrum seit den Studien aus 2005–2009 weiter angestiegen ist. Dieser Anstieg, möglicherweise auch von alternativen Behandlungsmethoden, kann zu einem weiteren Anstieg der selbst zu tragenden Kosten der Endometriosebetroffenen führen. Zusätzlich können die erhöhten indirekten Kosten auf ein gesteigertes Bewusstsein der Betroffenen zurückzuführen sein, dass Regelschmerzen nicht mehr als normal gelten sollten und daher „menstruationsfrei“ und der Krankheit angepasste Arbeitsmodalitäten häufiger auftreten.
Da es sich bei Endometriose um ein Thema handelt, das sich in großen Teilen in der per Geschlecht als weiblich definierten Bevölkerung wiederfindet, sollte bei der ökonomischen Betrachtung der Gender Pay Gap miteingeschlossen werden. Der aktuelle Gender Pay Gap liegt bei rund 7%, bezieht man nun neben dem Bruttostundenverdienst weitere Faktoren wie die Anzahl der bezahlten Arbeitsstunden im Monat (Gender Hours Gap) und die Erwerbstätigenquote (Gender Employment Gap) mit ein, kann sogar von einem Geschlechterunterschied von 39% ausgegangen werden [4].
Ausgehend von einer Prävalenz von 10% und einem Bevölkerungsstand von 42866224 Frauen [6] kann angenommen werden, dass mindestens 4286662 Menschen nicht adäquat für ihre Rente vorsorgen können, da sie von AU-Tagen und erkrankungsbedingter Arbeitszeitreduktion oder Arbeitslosigkeit betroffen sind. Hinzu kommen die berichteten Mehrkosten durch die chronische Erkrankung, welche die zusätzliche ökonomische Schieflage zwischen den Endometriosebetroffenen und gesunden gleichaltrigen Menschen gleichen Geschlechts in Deutschland noch verstärkt.