Einleitung
Der Fachkräftemangel auf Intensivstationen ist eine zunehmende Herausforderung für das Gesundheitswesen in Deutschland [1]. Neben bekannten Faktoren, wie beispielsweise dem demografischen Wandel und der Ausbildungslücke, hat die steigende Zahl schwer erkrankter Patient*innen, insbesondere während der COVID-19-Pandemie, die Nachfrage nach hochqualifiziertem medizinischen Personal intensiviert [2].
Hierbei zeichnet eine im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung entstandene Studie aus dem Jahr 2022 ein genaueres Bild der Personalsituation im Bereich der Pflegenden auf Intensivstationen: Für rund 21 000 belegte Intensivbetten standen 2020 ca. 28 000 Vollkräfte zur Verfügung [3]. Legt man die DIVI-Empfehlungen zur Struktur und Ausstattung von Intensivstationen zugrunde [4], ergibt sich hieraus ein Defizit von ca. 50 000 pflegenden Vollzeitkräften. Obwohl die ebenfalls defizitäre Besetzung anderer Berufsgruppen, z. B. Ärzt*innen und Physiotherapeut*innen, weithin bekannt ist, existieren diesbezüglich bislang keine objektiven Daten aus dem deutschsprachigen Raum.
Neben der Personalbesetzung und qualifizierten Ausbildung ist die Einarbeitung ein entscheidender Aspekt, um den hohen fachlichen und ethischen Anforderungen in der Betreuung kritisch Erkrankter gerecht zu werden. In einer Studie der Jungen DIVI beantworteten berufsgruppenübergreifend 554 junge Fachkräfte einen Fragebogen zu Art und Umfang der Einarbeitung und der generellen Arbeitszufriedenheit auf der Intensivstation. Hier zeigte sich, dass die mediane Einarbeitungszeit bei Pflegefachpersonen bei 30 Tagen, bei Ärzt*innen bei 7 Tagen lag. Lediglich ⅓ der Pflegefachpersonen stimmte der Aussage zu, ausreichend durch die Einarbeitung auf die intensivmedizinische Tätigkeit vorbereitet worden zu sein. Ähnliches zeigte sich im ärztlichen Bereich, in dem sich nur 17 % der Teilnehmenden nach der Einarbeitung ausreichend auf ihren Einsatz vorbereitet fühlten [5]. Andere Erhebungen bestätigen, dass die gegenwärtige intensivmedizinische Einarbeitung verbesserungswürdig ist [6].
Zu bedenken ist zudem, dass der aktuell existente Fachkräftemangel und die unzureichende Einarbeitung auf Intensivstationen eng verknüpft sind [7]. Bereits heute führt das Fehlen qualifizierten Personals auf Intensivstationen dazu, dass sich Mitarbeitende überlastet fühlen und hierdurch ein weiterer Personalverlust droht. Gleichzeitig führt die bestehende Personalknappheit zu einer weiteren Reduktion der Einarbeitungszeit. Mögliche Konsequenzen hiervon sind Unsicherheit und Stress bei den neuen Mitarbeitenden, was Prädiktoren für erhöhte arbeitsassoziierte Beanspruchung, psychische Leiden und Fehler sind. Dieser Teufelskreis muss dringend durchbrochen werden, um gravierende Folgen für Personal und Patient*innen zu vermeiden. Neben zahlreichen weiteren Maßnahmen zur Mitarbeitenden-Gewinnung und -bindung kann eine strukturierte, qualitative und umfassende Einarbeitung dazu beitragen, junge Fachkräfte langfristig für die Intensivmedizin zu begeistern, um die zuvor skizzierte Lücke zwischen Personalbedarf und -angebot zu reduzieren. In den DIVI-Empfehlungen zur Struktur und Ausstattung von Intensivstationen aus dem Jahr 2022 wird eine Einarbeitungszeit von mindestens 3 Monaten für ärztliches und pflegerisches Personal empfohlen [4]. Entsprechende Ausbildungscurricula wurden bisher nicht erstellt.
Fachkräfte, die auf Intensivstationen tätig werden, weisen ein unterschiedliches Hintergrundwissen, divergente Vorerfahrungen und Motivationslagen auf. Während viele ärztliche Weiterbildungsordnungen verpflichtende Intensivrotationen vorsehen, existieren beispielsweise in den Ausbildungen der therapeutischen Gesundheitsfachberufe keine bis wenige intensivmedizinische Inhalte. In den Pflegefachberufen besteht insbesondere in Anbetracht der novellierten Ausbildung zum Pflegefachmann/zur Pflegefachfrau und den föderal heterogen organisierten Fachweiterbildungen eine besondere Herausforderung. Demnach empfiehlt die DIVI in den Ende 2023 publizierten „Interprofessionellen Handlungsfeldern in der Intensivmedizin“ eine klare und einheitliche Definition von kompetenzangepassten Handlungsfeldern. Gemäß Kernaussage 3 dieses Papiers ist für deren Anwendbarkeit auch eine strukturierte Einarbeitung erforderlich [8].
Ziel dieses Positionspapiers ist es, klare Empfehlungen für die Einarbeitung auf deutschen Intensivstationen zu formulieren. Diese sollen dazu beitragen, die Arbeitsbedingungen für Fachkräfte zu optimieren, langfristig die Attraktivität der intensivmedizinischen Tätigkeit zu steigern und somit hochqualifizierte Mitarbeitende dauerhaft in der Intensivmedizin zu halten. Nachhaltige Einarbeitungskonzepte tragen außerdem dazu bei, eine hochwertige Versorgung, sowohl von erwachsenen als auch von pädiatrischen Patient*innen, langfristig sicherzustellen.
Neben allgemeinen Empfehlungen, welche für die intensivmedizinischen Berufsgruppen Ärzt*innen, Pflegefachpersonen, Logopäd*innen, Ergo-, Atmungs- und Physiotherapeut*innen sowie Psycholog*innen Gültigkeit besitzen, wurden berufsgruppenspezifische Inhalte eingebracht und im Rahmen des Anhangs exemplarisch ausgeführt.
Methodik
Basis des Positionspapiers ist eine umfassende, systematische Literaturrecherche. Diese wurde im Juni 2023 in PubMed durchgeführt (DJ, LK). Unter der Einschränkung auf deutsch- oder englischsprachige Ergebnisse wurde nach Arbeiten gesucht, die im Titel oder Abstract ([tiab]) Schlagworte mit Einarbeitungsbezug sowie zusätzlich (Suchoperator „AND“) einen intensivmedizinischen Fokus aufwiesen. Im Suchstring der beiden Bereiche wurden alternativ verschiedene Suchbegriffe genutzt, die in [Tab. 1] aufgelistet sind.
Tab. 1
Suchbegriffe für systematische Literaturrecherche.
Bereiche
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Deutsche Suchbegriffe
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Englische Suchbegriffe
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Einarbeitung
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Einarbeitung, Berufsstart, Anfänger, Nachwuchs, Praxisanleitung, Praxisanleiter, Training, Curriculum
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Beginner, Training, junior professionals, young professional, teaching, mentoring, onboarding, curriculum
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Intensivstation
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Intensivstation, Intensivmedizin, ITS, IMC, Intensivpflege, kritisch Kranke
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ICU, intensive care, intensive care unit, critical care, critical care unit, intensive care medicine, intensive care nursing
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Die Suche ergab 120 potenziell relevante Publikationen. Hiervon wurden nach Lektüre der Abstracts 14 Manuskripte als bedeutsam erachtet und im Volltext analysiert. Auch Verweise und Literaturreferenzen dieser wissenschaftlichen Arbeiten wurden gesichtet und hieraus 10 weitere Publikationen identifiziert.
Die Autor*innengruppe, bestehend aus Mitwirkenden der Jungen DIVI, erarbeitete in 3 Online-Konferenzen eine Dokumentenstruktur und gewichtete gemeinsam die zur Verfügung stehende Evidenz. Es wurden 4 Expert*innen-Arbeitsgruppen (unter der Leitung von DJ, AS, MD, ABe, PF) gebildet und ein Textentwurf für die verschiedenen Abschnitte sowie die Anhänge erstellt. In 2 gemeinsamen Redaktionskonferenzen am 24.09.2023 und 12.12.2023 wurde ein Empfehlungsentwurf konsentiert. Dieser wurde vom DIVI-Präsidium ergänzt und in der vorliegenden Version am 31.05.2024 angenommen.
Empfehlungen
Die Einarbeitung soll einen zeitlichen Umfang von mindestens 3 Monaten umfassen.
Die notwendige Dauer der Einarbeitung ist individuell unterschiedlich und maßgeblich abhängig von den bereits bestehenden Erfahrungen der Einzuarbeitenden [9]. Von mindestens 3 Monaten Einarbeitungszeit sollte hierbei ausgegangen werden, wenn Einzuarbeitende grundsätzlich über Basiskenntnisse im Umgang mit kritisch erkrankten Patient*innen verfügen. Ärztinnen und Ärzte, die bisher in ihrer Weiterbildung diesbezüglich weniger Handlungskompetenz erworben haben und Absolvent*innen der generalistischen Pflegeausbildung benötigen unter Umständen längere Einarbeitungszeiträume. Intensivmedizinische Inhalte sind in den Ausbildungen der therapeutischen Gesundheitsfachberufe kaum vertreten, sodass insbesondere Berufsanfänger*innen häufig zu Beginn der Einarbeitung keine ausreichenden Grundkenntnisse aufweisen. Dies muss entsprechend auch zu einer zeitlichen Anpassung der Einarbeitung führen. Die Empfehlung impliziert, dass einzuarbeitende Fachkräfte nicht in die Bemessung der Personalausstattung einfließen dürfen [4]
[10]. Grundsätzlich ist hierzu anzumerken, dass eine gesetzliche Regelung zur spezifischen und auskömmlichen Finanzierung der ärztlichen Weiterbildung und zur Berücksichtigung einer suffizienten Supervision Lernender in der Personalbemessung dringend erforderlich ist (siehe hierzu auch das im November 2023 veröffentlichte Positionspapier des Bündnisses Junger Ärztinnen und Ärzte zur ärztlichen Weiterbildung [11]).
Die Einarbeitung soll gemäß einem klinikinternen Einarbeitungskonzept strukturiert durchgeführt und individuell auf die Einzuarbeitenden angepasst werden.
Konzepte strukturieren den Kompetenzerwerb in der Einarbeitung und tragen zu einer besseren Mitarbeitenden-Bindung, Zufriedenheit und Sicherung der medizinischen Qualität bei. Hierbei ist jedoch, analog zum zeitlichen Umfang der Einarbeitung, auch inhaltlich eine Anpassung in Bezug auf die Vorerfahrungen der Einzuarbeitenden sinnvoll [12].
Der inhaltliche Umfang und Ablauf der Einarbeitung sollen anhand des verschriftlichten Einarbeitungskonzeptes transparent nachvollzogen werden können. Zusätzlich zu medizinischen oder pflegerischen Fachinhalten soll insbesondere auf die logistischen, infrastrukturellen oder konzeptionellen Spezifika der jeweiligen Kliniken eingegangen werden (siehe hierzu die exemplarischen allgemeinen und berufsgruppenspezifischen Kompetenz-Checklisten im Anhang – als mögliche Grundlage für klinikspezifische Konzepte). Die Umsetzung des Einarbeitungskonzeptes muss hohe Priorität haben. Wir empfehlen, das Konzept deutlich vor dem Beginn der Einarbeitung zur Verfügung zu stellen; spätestens muss es jedoch zum Beginn der Einarbeitung vorliegen.
Die Einarbeitung soll durch eine fest zugewiesene, geeignete Fachkraft inhaltlich und strukturell begleitet werden.
Eine fundierte und effiziente Einarbeitung basiert auf einer fachlich wie didaktisch kompetenten einarbeitenden Person aus dem Stammpersonal (nachfolgend als Mentor*in bezeichnet). Untersuchungen ergaben, dass Mentor*innen nicht nur über fundiertes Fachwissen verfügen sollten, sondern eine supportive, motivierende Persönlichkeit und im persönlichen Umgang Geduld, Ausdauer und organisatorische Qualitäten aufweisen sollten [13]
[14]. Eine feste Zuordnung der Mentorin oder des Mentors zu den neuen Kolleg*innen verbessert sowohl die fachlich-theoretische wie die praktische Kompetenz und bietet Kontinuität während der Einarbeitung. Sie trägt aber auch zu einer bedarfsgerechten Vermittlung strukturell-administrativen Detailwissens bei, welches für eine eigenständige Arbeit in der Intensivmedizin unerlässlich ist [15]. Mentorship-Programme sind zusätzlich geeignet, die Zufriedenheit und psychologische Sicherheit der Einzuarbeitenden zu fördern und die Fluktuation von Mitarbeitenden zu reduzieren [16]. Wir empfehlen, dass der Mentorin/dem Mentor ausreichend zeitliche Ressourcen für die Betreuung der neuen Kolleginnen zur Verfügung gestellt werden. Eine Freistellung für diese wichtige Aufgabe ist anzustreben.
Die einarbeitenden Personen sollen mit den Einzuarbeitenden Vor-, Antritts-, Zwischen- und Abschlussgespräche führen.
Um die gegenseitige Erwartungshaltung vor Beginn der Einarbeitung abzugleichen, eventuelle Vorerfahrungen berücksichtigen und mögliche Anpassungen des Einarbeitungsablaufes vorab planen zu können, empfehlen wir die Durchführung eines Vorgesprächs. Am ersten Arbeitstag soll ein Antrittsgespräch erfolgen, welches auch die Vorstellung bei Leitungspersonal und Akteuren klassischer Schnittstellen sicherstellt. Wir empfehlen, zusätzlich mindestens ein vorab geplantes und terminiertes Zwischengespräch durchzuführen, um noch während des Einarbeitungsprozesses strukturiertes Feedback zu geben und/oder zu erhalten und die Möglichkeit zur Fokussierung und Anpassung der weiteren Einarbeitung zu gewährleisten. Hierbei soll die individuelle Belastungssituation durch die intensivmedizinische Tätigkeit explizit eruiert werden. Das Abschlussgespräch bildet das Ende der Einarbeitung und soll dazu dienen, beiderseitig festzustellen, ob sowohl fachlich als auch organisatorisch, administrativ und persönlich eine eigenständige Tätigkeit vertretbar erscheint. Es kann zusätzlich dafür genutzt werden, mittelfristige Perspektiven der beruflichen Entwicklung aufzuzeigen. In diesem Kontext sei auch darauf hingewiesen, dass mit dem Ende der Einarbeitung weitere regelmäßige Perspektivgespräche erfolgen sollten, die zum gegenseitigen Feedback und der Erarbeitung von Zielen und Weiterentwicklungsoptionen genutzt werden sollten. Die Gespräche sollten in Absprache terminiert und in einem ruhigen, störungsarmen Umfeld mit ausreichenden Zeitressourcen sowie in einer vertrauensvollen Gesprächsatmosphäre durchgeführt werden.
Im Rahmen der Einarbeitung soll eine Vermittlung und Vertiefung intensivmedizinischen Basiswissens erfolgen. Ergänzend sollen ethische sowie rechtliche Aspekte thematisiert werden.
Die theoretischen Vorkenntnisse der neuen Mitarbeiter*innen in der Intensivmedizin divergieren. Demnach ist eine individuell angepasste Ergänzung und Unterstützung beim Erwerb aller zur praktischen Tätigkeit notwendigen theoretischen Hintergründe empfehlenswert (siehe hierzu auch die exemplarischen berufsgruppenspezifischen Kompetenz-Checklisten im Anhang). Beispielsweise durch die Generalisierung der pflegerischen Ausbildung und die stark variierenden Weiterbildungsschwerpunkte und -rotationszeitpunkte in der fachärztlichen Weiterbildung muss davon ausgegangen werden, dass im Einzelfall zum Start der intensivmedizinischen Tätigkeit wichtiges Basiswissen noch ergänzt werden muss. Gleiches gilt für die jungen Fachkräfte der therapeutischen Gesundheitsfachberufe. Da eine solide theoretische Grundlage entscheidende Voraussetzung für eine hochqualitative Patient*innen-Versorgung ist, müssen im Vor- und Antrittsgespräch Bedarfe identifiziert und gemeinsam Maßnahmen und Lehrmittel abgestimmt werden, die eine zeitnahe Ergänzung des bestehenden theoretischen Wissens gewährleisten. Am Beispiel der pädiatrischen Intensivmedizin konnten die praktische Umsetzbarkeit eines strukturierten theoretischen Einarbeitungscurriculums mit Kurzvorträgen und die Vorteile für den individuellen Wissenszuwachs gezeigt werden [17].
Wir empfehlen die Implementierung eines wiederkehrenden, einarbeitungsbegleitenden, theoretischen Fortbildungsformates. Erfahrene Lehrende können von der fundierten Beschäftigung mit einem relevanten Thema für die eigene (Fach-)Weiterbildung zusätzlich profitieren. Rechtliche und ethische Fragestellungen der Intensivmedizin (beispielsweise in Bezug auf die gemeinsame Therapieziel-Findung, Ermittlung des Patient*innen-Willens, Begleitung bei der Therapieziel-Änderung) sollen theoretisch erläutert und in geschütztem Rahmen diskutiert werden.
Grundsätzlich besteht eine Eigenverantwortung von neuen Mitarbeitenden, eigene Defizite selbstständig und engagiert auszugleichen sowie arbeitgeberseitige Fort- und Weiterbildungsangebote motiviert zu nutzen. Einzuarbeitende wünschen sich insbesondere die Darstellung von konkreten Lernzielen und die Unterstützung durch Mentor*innen bei der Auswahl geeigneter Literatur bzw. Lehrformate [5]. Aufgrund der zunehmenden Vielfalt multimedialer Ausbildungsangebote empfehlen wir eine Steuerung beziehungsweise Strukturierung der Wissensvermittlung. Idealerweise stellt die Klinik oder Station eine aktuelle Sammlung geeigneter Lehrformate zur Verfügung. Je nach Lerntyp können hier Lehrbücher, Inhalte der „free open access medical education“ (FOAMed), Videos, Podcasts oder interaktive Übungen eingesetzt werden. Je nach Wissensstand und Fortschritt der Einarbeitung empfiehlt es sich, das Basiswissen im weiteren Verlauf durch konkrete Tipps und Hinweise zu ergänzenden Quellen anzureichern, um eine evidenzbasierte Tätigkeit sicherzustellen.
Im Rahmen der Einarbeitung sollen die für die eigenständige Tätigkeit erforderlichen praktischen Kompetenzen erworben werden.
Während der Einarbeitung soll ein Fokus auf die praktische Durchführung von Tätigkeiten gelegt werden, die notwendig sind, um kritisch kranke Patient*innen eigenständig zu betreuen (siehe hierzu auch die exemplarischen berufsgruppenspezifischen Kompetenz-Checklisten im Anhang). Inwiefern Maßnahmen bereits während der Einarbeitung durch die einzuarbeitende Person durchgeführt werden können, hängt von den persönlichen Charakteristika der/des Einzuarbeitenden sowie des Mentors bzw. der Mentorin, der Maßnahme selbst und dem situativen klinischen Kontext ab [18]. Die permanente und kontinuierliche Professionalisierung der verschiedenen Berufsgruppen auf Intensivstationen führt dazu, dass basierend auf entsprechenden Weiterbildungen spezialisierte Kompetenzen existieren, die berücksichtigt werden sollten. Die DIVI hat zur Definition und den Inhalten interprofessioneller Handlungsfelder im Jahr 2023 eine Empfehlung abgegeben, auf die an dieser Stelle verwiesen wird [8]. Die Wichtigkeit der Einarbeitung – beispielsweise in klinikinterne Standards – wird hierbei als Grundlage für die erfolgreiche interprofessionelle Zusammenarbeit betont. Zur Einschätzung, wie sicher Teilschritte oder ganze Prozeduren beherrscht werden, sollte eine strukturierte Kompetenzbeschreibung genutzt werden, wie beispielsweise die 6-stufige Hierarchie nach Berberat et al. [19]. Es ist zwischen dem/der Einzuarbeitenden und dem Mentor/der Mentorin regelmäßig zu kommunizieren, welches Eigenständigkeitsniveau bei der jeweiligen Handlungskompetenz erreicht ist. Um gefährlichen Überforderungsgefühlen vorzubeugen, muss ein Mentor oder eine Mentorin während der Einarbeitungszeit bei allen durchgeführten Handlungen unmittelbar verfügbar sein.
Die Einarbeitung soll konkrete Arbeits- und Verantwortungsbereiche sowie organisatorische Abläufe vermitteln.
Im Sinne einer ganzheitlichen Einarbeitung empfehlen wir, arbeitsorganisatorische Verhältnisse – wie beispielsweise Dienstplan- und Urlaubsgestaltung, Über- und Unterstellungsverhältnisse sowie den Zugang zu Räumlichkeiten und Arbeitskleidung – bereits vor Tätigkeitsbeginn zu kommunizieren. Zusätzlich zur Einweisung in die Räumlichkeiten sowie Standorte des erforderlichen (Notfall-)Equipments ist es entscheidend, in klinik- und stationsspezifische Abläufe und Strukturen einzuarbeiten. Im Sinne einer transparenten und vertrauensvollen interprofessionellen Zusammenarbeit sollte explizit festgelegt werden, welche Tätigkeiten auf der jeweiligen Station an jeweils andere Berufsgruppen delegierbar oder substituierbar sind. Das Krankenhaus-Informationssystem, weitere relevante Software sowie die intensivstationsspezifische Dokumentation müssen am Ende der Einarbeitung eigenständig beherrscht werden. Es muss vor einer eigenständigen Nutzung sichergestellt werden, dass die erforderlichen Einweisungen gemäß dem Medizinproduktegesetz in Verbindung mit der Medizinprodukte-Betreiber-Verordnung erfolgt und dokumentiert sind. Spezifische Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften (auch in Bezug auf Strahlenschutz und den Umgang mit gefährlichen Medikamenten und Substanzen) müssen vorab erläutert und gemäß den gesetzlichen Bestimmungen testiert werden, um Gefährdungen der neuen Mitarbeitenden vorzubeugen. Wir empfehlen, Einzuarbeitende mit den genutzten Maßnahmen zur Steigerung der Patient*innen-Sicherheit, wie beispielsweise standardisierten Spritzenetiketten (gemäß DIVI-Empfehlung), Double-Check-Verfahren oder Checklisten, vertraut zu machen. Die Aspekte der Fehlerkultur und die klinikinternen Reportingsysteme für kritische Vorkommnisse (Critical Incident Reporting System, CIRS) sollen frühzeitig erläutert werden. Darüber hinaus wird für alle Teammitglieder die Förderung der Aus-, Fort- und Weiterbildung (z. B. Besuch von Kongressen und Fortbildungskursen) empfohlen.
Bereits während der Einarbeitung soll die interprofessionelle Zusammenarbeit aktiv gestärkt werden, etwa durch interprofessionelle Simulations- und Notfalltrainings sowie Hospitationen.
Wir empfehlen regelmäßige interprofessionelle und interdisziplinäre Simulationstrainings von Notfallsituationen sowie Skilltrainings, nicht nur während der Einarbeitungsphase, da diese dazu beitragen, dass sicheres Handeln in herausfordernden Situationen gewährleistet werden kann [20]
[21]. Kommunikation, Handlungsabläufe und Verantwortlichkeiten sollten in einem realistischen Umfeld im Team geübt werden. Dies kann im Rahmen etablierter Kursformate (z. B. [Pediatric] Advanced Life Support, (P)ALS; Advanced [Cardiovascular] Life Support, A(C)LS) erfolgen, sollte aber auch im Setting der eigenen Intensivstation durchgeführt werden.
Im Rahmen der Einarbeitung empfiehlt es sich, die enge interprofessionelle Zusammenarbeit in der täglichen Patient*innen-Behandlung auch aus anderen Perspektiven zu erleben. Dies stärkt aus unserer Sicht das bilaterale Verständnis für die Tätigkeit und ist somit einem wertschätzenden, respektvollen interprofessionellen Austausch zuträglich. Um dies zu erreichen, empfehlen wir Hospitationen – beispielsweise von ärztlichen Einzuarbeitenden bei pflegerischen Kolleg*innen und umgekehrt. Gleiches gilt auch für alle anderen Berufsgruppen, die regelhaft im intensivmedizinischen Kontext aktiv sind.
Bereits während der Einarbeitung sollen Angebote zur Förderung der psychischen Gesundheit etabliert werden.
Mitarbeitende auf Intensivstationen haben ein deutlich erhöhtes Risiko für das Auftreten arbeitsplatzassoziierter psychischer Erkrankungen [22]
[23]. Um diesen vorzubeugen und sie frühzeitig zu adressieren, sollten klinikinterne Strukturen etabliert werden, die dabei helfen, die psychische Gesundheit zu erhalten. Es empfiehlt sich, bereits im Rahmen der Einarbeitung neuen Fachkräften diese Strukturen zu präsentieren und sie mit den involvierten Personen bekannt zu machen, um potenzielle Kontakthemmnisse zu reduzieren und ein niederschwelliges Angebot bei potenziell belastenden Erlebnissen zu schaffen sowie präventive Maßnahmen proaktiv zu vermitteln. Arbeitspsychologische Konzepte wie „Moral Distress“ oder „Compassion Fatigue“ sollten proaktiv in der Einarbeitung erklärt werden. Die Reflektion der eigenen, sich ggf. wandelnden Rolle sollte ebenfalls thematisiert werden. Um Fachkräfte zu schützen und nachhaltig an die Arbeit mit kritisch Erkrankten heranzuführen, sollten bereits während der Einarbeitung Strukturen zur Förderung der psychischen Gesundheit geschaffen werden. Zudem sollten Ansprechpartner*innen und Unterstützungsmöglichkeiten im Falle akuter Belastungssituationen geschaffen, erläutert und leicht zugänglich angeboten werden.
Die Qualität der Einarbeitung soll in standardisierter Form kontinuierlich evaluiert und die Einarbeitungskonzepte und -prozesse sollen – basierend auf den Ergebnissen – angepasst werden.
Einarbeitung als Teil der Mitarbeitenden-Qualifizierung ist eine entscheidende Maßnahme zur Qualitätssicherung in der Versorgung. Demnach empfehlen wir, eine kontinuierliche Evaluation der Einarbeitung zu etablieren und zudem regelmäßig Erkenntnisse aktueller Evidenz einfließen zu lassen. Dies dient nicht nur zur Sicherstellung einer optimalen fachlichen Einarbeitung, sondern auch zur stetigen didaktischen und methodischen Weiterentwicklung bestehender Einarbeitungskonzepte und -curricula. Außerdem sollten sich Änderungen an stationsspezifischen Abläufen oder räumlichen und strukturellen Gegebenheiten zügig widerspiegeln, um Unklarheiten zu vermeiden und resultierende potenzielle Gefahrenquellen zu eliminieren.
Die Gewährleistung eines guten Ankommens in der Intensivmedizin ist ein komplexer Leitungsprozess, der sowohl für eine hochqualitative und sichere Patient*innen-Versorgung als auch für die Verbesserung der Mitarbeitenden-Bindung und -sicherheit entscheidend ist [24]. Wir empfehlen daher, die kontinuierliche Reevaluation und Verbesserung der stationsspezifischen Einarbeitung auf Leitungsebene mit hoher Priorität vorzunehmen.
Fazit und Zusammenfassung
Die vorliegenden Empfehlungen wurden auf der Basis einer strukturierten Literaturrecherche erarbeitet. Da eine breite Evidenzbasis zu Struktur und Inhalten intensivmedizinischer Einarbeitung bisher weitgehend fehlt und der Einfluss auf mitarbeiter*innenbezogene und patient*innenzentrierte Outcomes häufig nicht erfasst wurde, basieren Teile dieses Papiers auf Konsens der Beteiligten. Unsere Empfehlungen bilden einen fundierten Rahmen für die individuelle Ausgestaltung der Einarbeitung neuer Mitarbeitender und sind auf Intensivstationen unterschiedlicher Größe, Struktur und Fachrichtung übertragbar. Bei der Anwendbarkeit wurde primär das deutsche Gesundheitssystem fokussiert, sodass in anderen Ländern aufgrund der teilweise stark divergierenden Bildungswege nur eine limitierte Übertragungsfähigkeit gewährleistet werden kann.
Die Einarbeitung von Fachkräften auf Intensivstationen ist ein Schlüsselprozess, der sowohl die Personalausstattung als auch die hochqualitative Versorgung kritisch kranker Patient*innen in der Zukunft langfristig sichert. Es erscheint daher geboten, die Einarbeitung anhand der obenstehenden Empfehlungen zu strukturieren, auszugestalten und zu begleiten.