In Deutschland erkranken jedes Jahr rund 500 000 Menschen neu an Krebs [1]. Darüber hinaus leben Menschen mit einer onkologischen Erkrankung aufgrund der allgemein gestiegenen Lebenserwartung und der Entwicklung wirksamerer Krebstherapien länger [2]. Veränderungen der kognitiven Funktion im Zusammenhang mit einer Krebsdiagnose und/oder deren Behandlung treten bei 17 % bis zu 75 % der Erkrankten unterschiedlich stark auf [3]. Sie manifestieren sich häufig in Form von Konzentrationsstörungen, Gedächtnisproblemen und verlangsamter Informationsverarbeitung [4]. Neuropsychologische Testungen können diese krebsassoziierten, kognitiven Dysfunktionen oft nicht abbilden [5]–[7]. Der FACT-Cog3 erfasst die individuellen und oft sensibleren Alltagserfahrungen besser als gängige Testbatterien [8]. Dadurch bietet er eine valide und reliable Grundlage, um diese im Kontext der Ergotherapie zu dokumentieren und klientenzentrierte Interventionen abzuleiten. Ergotherapeut*innen kommen somit dem wachsenden Unterstützungsbedarf in der Nachsorge von Betroffenen mit psychosozialen Langzeitfolgen adäquat nach.
Kognitive Beeinträchtigungen erfassen
Kognitive Beeinträchtigungen erfassen
Der FACT-Cog3 evaluiert die subjektiv wahrgenommenen kognitiven Beeinträchtigungen und Fähigkeiten von krebserkrankten Menschen. Er bewertet die Auswirkungen der Erkrankung und deren Behandlung auf verschiedene Teilbereiche wie Konzentration, Gedächtnis, Multitasking und Wortfindung. Der Test richtet sich an Erwachsene ab 18 Jahren, die onkologisch erkrankt sind oder eine entsprechende Therapie abgeschlossen haben. Forschende sowie Praktizierende setzen ihn ein und auch Ergotherapeut*innen nutzen ihn im Rahmen ihrer Behandlung. Er dient nicht nur der initialen Diagnostik, sondern auch dazu, den Verlauf zu beobachten und die Therapie zu evaluieren. Mit dem Assessment überprüfen Therapeut*innen, wie sich kognitive Beeinträchtigungen im Laufe der Therapie verändern. Der Fragebogen hilft dabei, gemeinsam mit den Betroffenen realistische Therapieziele zu formulieren.
Die dritte Version des vollstandardisierten Fragebogens umfasst insgesamt 37 Items, die in vier Subskalen unterteilt sind ([TAB.]). Die Items sind positiv (z. B.: Ich bin fähig gewesen, mich zu konzentrieren) oder negativ (z. B.: Ich bin in ein Zimmer gegangen und habe dann vergessen, was ich dort holen oder tun wollte) formuliert. Diese Struktur ermöglicht es Therapeut*innen, die kognitiven Funktionen differenziert zu bewerten. Die Werte der Beeinträchtigungsskala sowie der Skala, die Anmerkungen von Dritten abbildet, reichen dabei von 0 (nie) bis 4 (mehrmals täglich). Sowohl bei der Fähigkeitsskala als auch bei der Lebensqualitätsskala rangieren die Werte von 0 (überhaupt nicht) bis 4 (sehr).
TAB. Auszug aus den Skalen
Beeinträchtigungsskala
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Skala Anmerkungen von Dritten
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Fähigkeitsskala
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Lebensqualitätsskala
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Mein Denken ist langsam gewesen.
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Andere Leute haben mir gesagt, dass ich scheinbar Probleme habe, mir Informationen zu merken.
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Mein Gedächtnis ist so gut wie schon immer.
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Diese Probleme haben meine Lebensqualität beeinträchtigt.
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Beim Auswerten des FACT-Cog3 summiert man die Punktwerte der einzelnen Subskalen. Alle negativ formulierten Items werden dabei umgekehrt ausgewertet. Ein höherer Skalenwert deutet auf eine bessere Leistung und Lebensqualität hin. Die manuelle Auswertungsvorlage vereinfacht diesen Prozess.
Anwendung des Fragebogens
Anwendung des Fragebogens
Der FACT-Cog3 ist als Selbstbewertungsinstrument konzipiert, das ca. 10–15 Minuten dauert ([ABB.]). Betroffene können den Fragebogen sowohl in Papierform als auch digital ausfüllen. In der Therapie können Ergotherapeut*innen das Assessment auch als Interview mit den Klient*innen durchführen. Jede der 37 Fragen wird auf einer 5-stufigen Likert-Skala bewertet, wobei die Betroffenen angeben, in welchem Ausmaß sie in den letzten 7 Tagen kognitive Beeinträchtigungen erlebt haben.
ABB. Betroffene können den Fragebogen in Papierform oder digital ausfüllen. Für Ergotherapeut*innen eignet sich das Assessment auch als Leitfaden für ein Interview mit den Klient*innen.
Reliables, zuverlässiges Instrument
Reliables, zuverlässiges Instrument
Der FACT-Cog3 ist Teil der Fragebogensammlung Functional Assessment of Chronic Illness Therapy (FACIT). Diese umfasst eine Vielzahl von Instrumenten, um die Perspektive von Betroffenen auf ihre Krankheit, Behandlung oder ihren Zustand zu erfassen. Menschen mit Krebserkrankungen und Klinikexpert*innen entwickelten alle Bögen unter direkter Mitwirkung, und Muttersprachler*innen testeten sie auf ihre Verständlichkeit hin [9].
Die FACIT-Gruppe bietet das Assessment inkl. Auswertungsbogen auf Englisch auf ihrer Website unter www.facit.org/measures/fact-cog direkt und kostenlos zum Download an. Nutzer*innen müssen sich registrieren, um den Fragebogen in anderen Sprachen zu verwenden. Nach der Registrierung erhalten sie dann eine Lizenz mit Zugang zur deutschen Version, zum Auswertungsbogen und zu den Interpretationshilfen, die z. B. über den Umgang mit fehlenden Werten aufklären. Die Lizenz ist für den klinischen Kontext kostenfrei.
Der FACT-Cog3 ist das am häufigsten verwendete Instrument, um kognitive Beschwerden bei Krebs zu bewerten [10]. Umfangreiche Forschungsarbeiten haben den FACT-Cog3 weiter optimiert, indem sie auf früheren Versionen aufbauten. Aktuell ist das Assessment in 29 Sprachen erhältlich und wurde in verschiedenen kulturellen Kontexten validiert [9]. Zahlreiche Studien haben die psychometrischen Eigenschaften überprüft und als gut belegt eingestuft, was den FACT-Cog3 zu einem reliablen Instrument macht, das korrekte und konsistente Ergebnisse liefert [9]–[16].
Für eine evidenzbasierte Praxis
Für eine evidenzbasierte Praxis
Der FACT-Cog3 wird angewendet, um insbesondere die subjektiv wahrgenommenen kognitiven Beeinträchtigungen von Menschen zu identifizieren, die an Krebs erkrankt sind. Ergotherapeut*innen bietet er eine solide Basis, um erlebte kognitive Defizite zu bewerten. Zudem stellt er eine fundierte Grundlage für die Therapieplanung und -evaluierung dar. Seine Stärken liegen darin, dass er einfach und schnell handhabbar ist, durchgeführt und ausgewertet werden kann. Auch die große Akzeptanz bei Betroffenen, seine breite interprofessionelle Anwendbarkeit sowie hohe Reliabilität und Validität sind von Vorteil.
Allerdings gibt es auch einige Schwächen. Individuelle Wahrnehmung, Stimmung, soziale Erwünschtheit oder andere Faktoren können die Ergebnisse beeinflussen, da der Fragebogen auf subjektiven Selbstauskünften basiert. Darüber hinaus weisen Studienergebnisse überwiegend auf keine bzw. nur geringe Korrelationen zwischen klinischen Untersuchungswerten und subjektivem Empfinden hin. Stattdessen korrelieren sie stark mit psychischem Stress und damit verbundenen stärkeren Ausprägungen in den Bereichen Fatigue, Depression und Ängsten [6], [7]. Der FACT-Cog3 dient lediglich als Screeninginstrument und kann keine Diagnose stellen. Beim Interpretieren der Ergebnisse sollte berücksichtigt werden, dass der Fragebogen nicht spezifisch für den deutschen Kontext validiert ist.
Insgesamt stellt der Fragebogen in der diagnostischen und therapeutischen Arbeit in verschiedenen Bereichen der Gesundheitsversorgung ein hilfreiches Werkzeug dar. Er ermöglicht eine evidenzbasierte Praxis und trägt dazu bei, die Versorgungsqualität weiterzuentwickeln. Durch das frühzeitige Erkennen und Behandeln kognitiver Störungen können langfristige negative Folgen minimiert und die Lebensqualität kann verbessert werden.Fanny Görmar