Menschen in einem Erregungszustand sind oft in ihren Gedanken oder in ihrer Unruhe verhaftet.© K. Oborny/Thieme
Agitiertes Verhalten ist gekennzeichnet durch ausgeprägte motorische Unruhe. Sie drückt sich in motorischer Aktivität wie Umherlaufen, Herumnesteln, oder aggressiven Handlungen aus.
Physische Ursachen können beispielsweise sein: nicht erkannte oder schlecht behandelte Schmerzen, Infektionen, Nebenwirkungen von Medikamenten oder auch unbehandelte Hör- oder Sehprobleme. Psychische Ursachen können Angst und Stress sein, Depression, Wahnvorstellungen und Halluzinationen oder auch traumatische Erinnerungen. Neben medizinisch-pflegerischen Interventionen können Ergotherapeut*innen über psychosoziale Interventionen und Umweltanpassungen positiv wirken.
Auslöser erkennen
Während eines Erregungszustandes lassen sich zunächst drei Richtungen abklären, um herauszufinden, was regulierend helfen kann:
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Welcher Auslöser im Außen könnte die Erregung verstärken?
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Wie können wir co-regulierend wirken?
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Wie können wir die Person grundsätzlich in ihren Ressourcen stärken, um das innere Gleichgewicht wiederherzustellen?
Um Auslöser im Außen zu erkennen, lohnt es sich, die Räumlichkeit hinsichtlich Stressauslösern zu überprüfen: Gibt es eine Lärmquelle? Braucht jemand ein Nachtlicht? Ist es zu heiß/kalt? Gibt es tagsüber zu viele Reize, die ein Mensch nicht verarbeiten kann und die er dann in der Agitiertheit ausdrückt? Oder gibt es vielleicht sogar zu wenige Reize – ist die Person so depriviert, dass sie anfängt, in ihre Innenwelt abzurutschen, und das Gleichgewicht zwischen innen und außen nicht mehr halten kann?
Diese Fragen lassen sich gut im interprofessionellen Team besprechen, weil meist jedes Teammitglied andere Ideen oder Dinge ausprobiert hat. Möglicherweise hat ein Kollege herausgefunden, dass es der Person guttut, wenn das Nachtlicht brennt, wenn man sie in einen stillen Raum bringt, ein Lied singt oder ihr eine Kuscheldecke anbietet. Diese Erfahrungen lassen sich im Team teilen und auf einer professionellen Ebene verankern, um eine Person grundsätzlich stabilisieren und unterstützen zu können.
Kontakt aufnehmen
Um Menschen im Moment zu stabilisieren, spielt die Kontaktaufnahme eine wesentliche Rolle. Denn wenn sich jemand schon auf einem hohen Stresslevel befindet, dann sind wir womöglich der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Die Folge können herausfordernde, aggressive Verhaltensweisen sein, weil der Mensch nicht mehr viel Pufferzone in sich hat. Daher sollten wir achtsam sein, wie wir in Kontakt treten, und eben nicht zu schnell in die Welt des anderen hineinstürzen. Denn wer sich erschrickt und vielleicht impulsiv reagiert, wird häufig als aggressiv bezeichnet. Dann hat die Person jedoch nur versucht, sich zu schützen und zu zeigen, dass ihr etwas zu viel war.
Wer sich in einem solchen Ausnahmezustand befindet, kann selten seine Sinne gut koordinieren, also Akustisches mit Visuellem in Einklang bringen. In einer gesunden Kontaktaufnahme gehen wir auf eine Person zu und sprechen sie an; die Person wendet sich uns zu und damit können wir interagieren. Jemand in einer agitierten Verfassung wird das in der Regel nicht mehr mitbringen. Er wird irgendwo in seiner Innenwelt oder in seiner Unruhe sein. Ich empfehle hier, die eigene Stimme zu nutzen, um sich „einzufädeln“.
Wenn ich den Raum eines Menschen in diesem Zustand betrete, dann spreche ich leise vor mich hin - ohne Informationen oder Fragen. Es geht hier nur darum, einen akustischen Faden anzubieten. Damit kann jemand registrieren, dass sich eine andere Person nähert und allmählich lauter wird. Ich achte darauf, nicht plötzlich aufzutauchen, und auch darauf, meine Stimmlage an mein Gegenüber anzupassen. Privat machen wir das automatisch - wenn z. B. meine Freundin aufgeregt ist, entgegne ich mit einer ähnlichen Stimme: „Ja, erzähl, was los ist. Ich höre dir zu!“ Wenn dieselbe Freundin mir etwas Trauriges erzählt, dann spreche ich nicht mit einer fröhlichen Stimme. Indem ich ebenfalls leise spreche, gebe ich ihr das Gefühl, ernst- und wahrgenommen zu werden. Dieser intuitive Umgang mit der Stimme geht uns im Beruflichen häufig verloren. Da hat man schnell einen professionellen Stimmklang, ist freundlich, klar und artikuliert. Dabei verschenken wir die Chance, das Gegenüber auch emotional zu erreichen.
Kontext finden
Nach der akustischen Kontaktaufnahme bemühe ich mich um den Blick des Menschen im Erregungszustand. Dabei spreche ich ihn nie von hinten oder von der Seite an, sondern suche immer den Weg in sein Blickfeld. Sobald sich die Blicke treffen, sage ich: „Hallo, jetzt bin ich da.“ Dann schaue ich, ob mein Gegeünber in der Lage ist, meinen Blick zu erwidern und zu halten. Wenn das nicht möglich ist, habe ich erfahren, dass die Person gerade damit überfordert ist.
Wenn jemand sehr gereizt ist, bin ich vorsichtig mit Berührungen. Diese setze ich erst ein, nachdem mich die Person wahrgenommen und eine Kontaktreaktion gegeben hat: ein Blick, ein Nicken oder zumindest ein Gewahrwerden. Daraufhin lasse ich die Person selbst entscheiden, ob sie meine Hände nimmt, wenn ich sie ihr reiche. Sofortiges Anfassen kann den Stresspegel immens verstärken. Alles, was an der Haut passiert, kann entweder angenehm sein oder auch wie eine Ohrfeige wirken. Sobald wir den Kontakt aufgebaut haben, besteht ein sicherer Kontext für das Miteinander.
Ein älterer Herr mit fortgeschrittener Tumorerkrankung und Verdacht auf Alzheimer-Demenz war in einem massiv agitierten Zustand, der sich medikamentös nicht beeinflussen ließ. Eines Tages traf ich ihn im Rollstuhl, er war unruhig und wollte ständig aufstehen. Ich unterstützte ihn beim Aufstehen und Hinsetzen, Aufstehen und Hinsetzen. Es ging mir darum, seinem inneren Impuls eine sinnvolle Gestaltung zu geben.
Irgendwann wollte er loslaufen, dies war ihm aber nicht möglich. Also ließ ich ihn in seinem Rollstuhl sich selbst fortbewegen, indem er mit den Füßen lief und mit den Händen am Handlauf zog. Mein Ziel war, ihn dadurch seine körperliche Spannung ausagieren zu lassen.
Auf dem Weg über den Flur gab es viele Dinge zu entdecken, zum Beispiel einen riesigen Bergkristall. Den hielt ich ihm hin, damit er ihn berühren konnte. Ich begleitete dies mit den Worten: „Der ist spitz und schwer, hier gibt es Kanten.“ Als seine Aufmerksamkeit wegwanderte, legte ich den Kristall beiseite und wir bewegten uns weiter. Wir kamen zu einer Gitarre, begegneten Menschen und Pflanzen. Was auch immer passierte, ich lenkte seinen Fokus darauf und nutzte alle Sinne, um ihn durch das Sehen, Hören, Spüren oder Riechen in diesem Moment zu verankern. Ich wollte seiner inneren Unruhe damit entgegenwirken.
Nach einer halben Stunde intensiven Arbeitens konnte ich ihn in sein Zimmer begleiten, wo er sich auf das Bett legte. Als ich dann noch ein leises Lied für ihn sang, schlief er ein. Er war angekommen: im Moment.
Geschwindigkeit drosseln
Als Nächstes achte ich auf die Geschwindigkeit: Biete ich zu viel, zu schnell und zu viel Unterschiedliches an, begebe ich mich selbst in den Stress bzw. steigere den Stresspegel. Das heißt, ich benötige eine gewisse Ruhe. In diesen Fällen nutze ich auch bewusst meine Gestik, da jemand in der Agitiertheit kognitiv nicht sicher erreichbar ist.
Meine Hände visualisieren, was ich sage. Und ich dekodiere die Mimik (ERGOPRAXIS 11-12/24, S. 38): Gibt es eine kleine Veränderung? Oft geht eine Erleichterung durch den Körper der Betroffenen, sie nicken und es löst sich etwas in der Mimik oder Körperspannung. Auf diese Feinheiten achte ich genau, weil sie mir zeigen, in welche Richtung ich weitergehen kann. Braucht jemand z. B. noch mehr Spannungsausdruck, ermögliche ich der Person, Anspannung konstruktiv zu äußern. Dann schiebt sie vielleicht etwas, drückt meine Hände oder trommelt auf etwas. Wenn ich merke, dass die Spannung nachlässt, unterstütze ich die Entspannung.
Ressourcen stärken und Balance wiederfinden
Ressourcen stärken und Balance wiederfinden
Therapeutisch ist es genauso wichtig, die stressfreien Momente einer Person zu analysieren bzw. die Situationen zu erkennen, in denen sie nicht agitiert ist: Was sind ihre Stärken und wie lassen sich diese zu einem Stärkenerlebnis ausbauen? Was kann sie, wo fühlt sie sich gut, wo ist sie stolz, wo verspürt sie Freude?
Ich erinnere mich an einen Patienten mit einer starken nächtlichen Agitiertheit und Verwirrtheit. Tagsüber war er trotz Demenz klar. Nach der interprofessionellen Fallbesprechung überlegte ich, wie wir an seinen Ressourcen arbeiten könnten. Irgendwann sprach ich mit ihm über sein Berufsleben – allerdings nicht nur faktisch, sondern wir erlebten es emotional nach. Zum Beispiel, wie großartig es war, als er diese Baustelle leitete, wie ihm alle vertraut haben und was für ein schönes Gefühl es war, dass ihn der Chef angehört hat. Auch wenn der Patient die Menschen vergessen hatte, konnten wir die positiven Gefühle wieder aufblühen lassen. Als er mich eine Woche später wiedersah, sagte er: „Wo waren Sie? Ich habe auf Sie gewartet.“ Er hatte also diesen emotional positiven Moment mit meiner Person assoziiert. Zusätzlich wurde er schmerztherapeutisch behandelt, und die nächtliche Unruhe ließ nach. Interprofessionell kamen wir damit auf einen guten Weg.
Ergotherapeut*innen haben über die Gespräche hinaus tolle Möglichkeiten, über das Tun mit den Menschen in Verbindung zu kommen. Dabei denke ich an einen anderen Patienten, der früher Steinmetz war und seinen Beruf geliebt hat. Ich brachte ihm Materialien mit, die er formen konnte. Dies konnte er zwar nicht mehr gezielt tun, er arbeitete aber mit dem Material, welches Erinnerungen und Kompetenzerlebnisse in ihm weckte.
Berührung kann positiv wie negativ wirken. Optimalerweise entscheidet die Person selbst,ob sie die angebotenen Hände nimmt.© K. Oborny/Thieme
Stabilität bieten
Wenn ich Menschen in einer Panikattacke antreffe, sie dabei heftig atmen, viel oder durcheinander reden bzw. unruhig sind, dann gehe ich automatisch in die Stabilisierung. Diese suche ich zuerst körperlich in mir. Ich bin für diese Person in dieser Situation nicht hilfreich, wenn ich selbst in die Panik gehe und unklar in meinen Handlungen bin. Ich suche Stabilität in mir, spüre meinen Körper, stehe fest, atme gut und bewege mich langsam. Das verinnerlicht man nicht von heute auf morgen. Zu wissen, wie ich in solchen Situationen vorgehe, um Emotionen zu regulieren, hilft mir sehr.
Ich habe schon viele Menschen in einer Panikattacke begleitet. Dabei habe ich die Erfahrung gemacht, dass das Halten der Hände, das In-die-Augen-Sehen machtvoll genug ist, um diese abzupuffern. Zum Beispiel mit den Worten: „Hier sind meine Hände, halten Sie sie mit aller Kraft fest, und ich halte Sie auch fest.“ Oder: „Jetzt gerade sind wir still, wir sprechen nachher darüber.“
Wenn mein Gegenüber dann in einem entspannten Zustand ist, können wir uns mit Inhalten beschäftigen. Im aufgeregten Zustand bringt das nichts. Diese Klarheit hilft mir, dass eins nach dem anderen kommt. Auch diesen Gedanken finde ich hilfreich: Ich mache das hier nicht allein. Die Patientin, der Patient wirkt immer mit.
Ich mache also ein Angebot, registriere die Reaktion und dekodiere. Sehe ich, dass mein Handeln Stress auslöst, verändere ich etwas und biete anderes an. Hilft das neue Angebot, bleibe ich dabei, warte darauf, dass es Wirkung zeigt, und vertiefe es dann. Ich weiß vorher nicht, wo wir landen, aber, dass wir den Weg zu zweit gehen.
Zusammenarbeit mit Menschen mit Behinderung
Zusammenarbeit mit Menschen mit Behinderung
Bei einem Menschen mit geistiger Behinderung, der schaukelt oder läuft, frage ich zuerst, ob das ein gewohntes Verhalten oder etwas Neues ist. Anschließend geht es darum, potenzielle Auslöser zu finden. Wenn ich erkenne, dass dieser Mensch unter bestimmten Bedingungen, zum Beispiel im Gruppensetting, in diese Zustände geht, dann muss im interprofessionellen Team diskutiert werden, ob das überhaupt das Richtige für ihn ist oder ob er eher Einzelräume braucht. Halten wir jemanden in Bedingungen, die Stress auslösen, dann können wir lange therapeutisch arbeiten - es führt zu nichts.
Menschen im Autismus-Spektrum erleben diese Zustände auch, ausgelöst durch kleine Aufregungen im Alltag. Manche gehen in eine selbstverletzende Verhaltensweise. Darauf müssen wir situativ reagieren. Ein solcher Ausbruch kündigt sich im körperlichen Ausdruck an: Die Muskeln spannen sich an, die Augen werden größer, jemand richtet sich auf. Wir sollten so früh wie möglich intervenieren, um zu schauen, was unterstützt. Hilft Co– Regulation über die Affektabstimmung oder nicht, kenne ich die Ressourcen der Person, die ihr schnell helfen, sich zu regulieren?
Podcast
Dr. phil. Astrid Steinmetz war im Podcast Performance Skills zu Gast. In Folge 72 spricht sie über Kommunikation bei Demenz.
Wege finden
Ich hatte einen Patienten, für den das Stück Schokolade in Stressmomenten genau das war, was ihn runterfuhr. Hier sollten wir die therapeutische Bescheidenheit besitzen, das Stück Schokolade für den Moment zu nutzen, und zusehen, wie selig lächelnd der Mensch dann dasitzt, nachdem sich der Stress aufgelöst hat. Die nonverbale Synchronisation kann helfen, einen Menschen zu erreichen, der sehr weit weg zu sein scheint. Wir können dies auf der modalen Ebene tun, also in dieselbe körperliche Bewegung der Person gehen, mit ihr zum Beispiel umherlaufen oder gemeinsame Schaukelbewegungen machen. Auf der inter- oder kreuzmodalen Ebene verknüpfe ich die Bewegung beispielsweise mit meiner Stimme, ich spreche dann zum Gehen rhythmisch, sage einen Reim auf, klatsche oder singe ein Lied.
Je schwieriger ein Mensch aufgrund eines Erregungszustandes zu erreichen ist, desto mehr Intensität braucht ein Angebot, um überhaupt wahrgenommen zu werden, zum Innehalten einzuladen und um etwas anderes passieren lassen zu können.
Bei selbstverletzendem Verhalten kann ich dafür sorgen, dass jemand auf einen Gegenstand einschlagen kann. Dabei beobachte ich, ob meine Idee, den Affektausdruck zu bahnen, für die Person förderlich ist. Meiner Erfahrung nach hilft die Angleichung an denselben Spannungszustand oftmals, um nachlassen zu können. Aber es kann auch Ausnahmen geben, in denen das Gegenteil passiert. Dann habe ich jedoch erfahren, dass die Person damit nicht zurechtkommt.
Agitiertes Verhalten erfordert einen gemeinsamen Suchprozess, um Auslöser zu erkennen und passende Interventionen zu finden. Nach vorsichtigem Kontaktaufbau und genauer Beobachtung stellt sich heraus, ob die therapeutische Intervention den Affektausdruck fördert oder die Stabilisierung direkt unterstützt – stets in Zusammenarbeit zwischen Patient*in und Therapeut*in bzw. zwischen Therapeut*in und dem Team.
Dr. Astrid Steinmetz