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DOI: 10.1055/a-2427-0303
Gleichstellung in der Interventionellen Radiologie in Deutschland – wie zukunftsorientiert sind wir?
Article in several languages: English | deutsch- Zusammenfassung
- Einleitung
- Material und Methoden
- Ergebnisse
- Schlussfolgerung
- Diskussion
- Klinische Relevanz
- References
Zusammenfassung
Ziel
In diesem Artikel werden die Ergebnisse einer deutschlandweiten Umfrage vorgestellt, die sich mit dem Status Quo der Gleichstellung und Familienfreundlichkeit innerhalb der Interventionellen Radiologie (IR) mit Fokus auf den klinischen Berufseinstieg und die Karriereentwicklung beschäftigt.
Material und Methoden
Alle Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Interventionelle Radiologie und minimal-invasive Therapie (DeGIR) wurden zwischen November 2021 und Februar 2022 zu einer Online-Umfrage eingeladen. Die Umfrage bestand aus 39 Fragen zu demografischen Angaben, Familienstand und Erfahrungen mit dem Einstieg und der Förderung in der IR, Familienfreundlichkeit und Gleichstellung. Es erfolgte eine deskriptive Auswertung der Antworten.
Ergebnisse
197 Antwortbögen von weiblichen (n=76; 39%) und männlichen (n=121; 61%) Interventionsradiologen aus verschiedenen Ausbildungs- und Berufsphasen wurden analysiert. Mehr männliche Oberärzte (OÄ) (76%) und Chefärzte (CÄ) (55%) lebten mit Kindern im Vergleich zu weiblichen OÄ (58%) und CÄ (23%). Jedoch waren weniger Männer (4%) als Frauen (41%) primär verantwortlich für die Kinderbetreuung. Mehr weibliche (55%) als männliche (6%) OÄ waren in Teilzeit tätig. Frauen bewerteten den Einstieg in die IR schwieriger als Männer. 55% der Frauen fühlten sich aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt (Männer: 6%); Grund sind die Annahmen, dass Frauen „weniger leisten als Männer“ (46%) und „aufgrund Familienverpflichtungen ausfallen“ (35%) sowie, dass „Männer bevorzugt gefördert werden“ (19%). 54% glaubten, dass es für Frauen schwieriger ist, Beruf und Familie zu vereinen. Gründe hierfür sind „Familienverpflichtungen“ sowie „mangelnde flexible Arbeitszeitmodelle und Kinderbetreuung“. Primärverantwortliche Eltern verbrachten weniger als 50% der Arbeitszeit mit klinischen Interventionen. Väter unter 45 Lebensjahren nahmen häufiger Elternzeit als Väter älter als 45 Jahre (52% vs. 17%). Ähnlich viele Männer (51%) und Frauen (55%) planten zukünftige Teilzeitarbeit.
Schlussfolgerung
Es gibt geschlechtsspezifische Unterschiede in der deutschen IR. Um eine nachhaltige Nachwuchsförderung sicherzustellen, sollten Maßnahmen wie die Normalisierung flexibler Arbeitszeitmodelle eingeleitet werden, um gleiche Bedingungen für Frauen und Männer und auch Mütter und Väter zu schaffen, und so sich verändernde (Familien-)Strukturen angemessen zu berücksichtigen.
Kernaussagen
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Es gibt geschlechterspezifische Unterschiede im Berufseinstieg/der Karriereentwicklung in der deutschen Interventionsradiologie.
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Um Nachwuchs sicherzustellen, müssen sich die Bedingungen ändern.
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Sich verändernde Familienstrukturen müssen angemessen berücksichtigt werden.
Zitierweise
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Dewald CL, Blum SF, Becker LS etal. Exploring gender roles in German interventional radiology – how progressive are we? Fortschr Röntgenstr 2024; DOI 10.1055/a-2427-0303
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Einleitung
Die Interventionelle Radiologie (IR) hat sich zu einem integralen Bestandteil der modernen Gesundheitsversorgung entwickelt. Aufgrund der kontinuierlichen Weiterentwicklung innovativer Technologien und der steigenden Anzahl von Anwendungsbereichen ist auch von einem zukünftigen Wachstum der IR auszugehen. Um mit diesen Entwicklungen Schritt zu halten, sollte es von höchster Priorität sein, Nachwuchstalente zu fördern und den Zugang zur Ausbildung und Ausübung der IR zu erleichtern. Besonderes Augenmerk sollte dabei auf die Förderung der Geschlechtergleichstellung in der IR gelegt werden, insbesondere da es Hinweise dafür gibt, dass Diversität in der Belegschaft von Gesundheitssystemen sowohl die Qualität der Patientenversorgung als auch die finanziellen Ergebnisse erhöhen kann [1]. Im Wintersemester 2022/2023 lag der Frauenanteil unter den Medizinstudierenden in Deutschland bei über 64% [2]. In der Radiologie lag der Frauenanteil 2022 bei lediglich 37% [3]. In der IR, die als männerdominiertes Arbeitsumfeld gilt [4], ist der Frauenanteil nochmals geringer – so sind aktuell nur 17% der Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für interventionelle Radiologie (DeGIR) weiblich.
Dabei steigt die Nachfrage nach Interventionsradiolog*innen [5], dies macht eine vorausschauende Personalplanung unter Ausschöpfung aller Ressourcen unerlässlich. Hierbei reicht es nicht aus, Studierende und junge Ärzt*innen für die IR als klinisches Fach zu sensibilisieren, solange die Rahmenbedingungen nicht an die Bedürfnisse des Talentpools angepasst werden. In einer Umfrage der Cardiovascular and Interventional Radiological Society of Europe (CIRSE) zur Gleichstellung in der IR wurden von den Befragten neben den Bedenken hinsichtlich der Strahlenbelastung auch die „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ sowie die „Auswirkungen von Schwangerschaft und Elternzeit auf die Ausbildung“ als Hauptanliegen genannt [4].
Diese Anliegen betreffen jedoch nicht nur den weiblichen Nachwuchs, sondern machen die IR auch für familienorientierte Männer unattraktiv. Die IR muss also nicht nur den Anforderungen der Frauen, sondern auch denen der Männer gerecht werden.
Zu verstehen, inwiefern bspw. der Berufseinstieg und die Karriereentwicklung zwischen den Geschlechtern differieren und wo mögliche Defizite in der Nachwuchsentwicklung und Familienfreundlichkeit bestehen, kann dabei helfen, personelle Engpässe langfristig zu überwinden. Hierzu haben die Autor*innen einen Fragebogen entwickelt, der den „Status quo“ der klinischen Arbeit in der IR in Deutschland feststellen soll.
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Material und Methoden
Die Genehmigung (10640_BO_K_2022) der Ethikkommission der Medizinischen Hochschule Hannover wurde eingeholt.
Zwischen 11/2021 und 02/2022 wurden alle Mitglieder der DeGIR (n=1636) eingeladen, an einer anonymen und freiwilligen Online-Umfrage zur Situation der Interventionsradiolog*innen in Deutschland teilzunehmen. Der Fragebogen wurde von der DeGIR Lenkungsgruppe „Nachwuchsförderung und Frauen in der Interventionellen Radiologie“ erarbeitet.
Je nach Profil der Befragten enthielt der Fragebogen bis zu 74 Fragen. Diese Auswertung umfasst den Anteil des Fragebogens, der sich mit der klinischen Arbeit in der IR befasst und insgesamt bis zu 39 Fragen beinhaltet (Appendix A). Die Antworten umschließen demografische Daten, Aussagen zu Familienfreundlichkeit, Arbeitszeitmodellen, Gleichstellung in der IR sowie dem Einstieg und der Förderung sowie der Zufriedenheit der Befragten. Fragen zur akademischen Laufbahn und zu Forschungsaktivitäten in der IR wurden bereits in einer separaten Studie ausgewertet [6].
Statistische Analysen und Subgruppenanalysen wurden mit IBM SPSS Statistics (v25.0, IBM Corp., United States) durchgeführt. Es wurden deskriptive Statistiken mit entsprechenden Prozentsätzen verwendet. Wenn anwendbar, wurden Mittelwert und Standardabweichungen angegeben. Fragen mit Mehrfachantwortmöglichkeiten wurden entsprechend ihrer Häufigkeit kategorisiert. Bei Freitextfragen wurden die Antworten in Kategorien eingeteilt.
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Ergebnisse
Insgesamt wurden 267 Fragebögen beantwortet (Rücklaufquote 16,4 %), 200 hiervon wurden vollständig ausgefüllt. Zur Anonymitätswahrung wurden Befragte mit der Geschlechtsangabe divers (n=3) von der Statistik ausgeschlossen. 197 Datensätze wurden in die Analyse eingeschlossen.
Die Antworten zu den unterschiedlichen Themenbereichen werden im Folgenden aufgeschlüsselt nach Geschlecht in Übersichtstabellen dargestellt. Subgruppenanalysen sind in den entsprechenden Abbildungen visualisiert.
Demografische Verteilungen ([Tab. 1])
39% der Befragten sind Frauen (n=76), 61% Männer (n=121). In beiden untersuchten Geschlechtergruppen ist die Mehrheit unter 45 Jahre alt. Die meisten Befragten arbeiten an einem Universitätskrankenhaus (47%) oder an einem akademischen Lehrkrankenhaus (45%).
Etwas mehr weibliche als männliche Befragte sind alleinlebend (20% vs. 10%). Während die Befragten an Lehr- und anderen Krankenhäusern nur zu 6% alleinlebend sind, leben 23% der Befragten an Universitätskliniken nicht in einer Partnerschaft ([Abb. 1] a).


Die Mehrheit der Befragten übt eine oberärztliche Position (OÄ) aus (45%), 28% sind Ärzt*innen in Weiterbildung (ÄiW), Fachärzt*innen (FÄ) oder Funktionsoberärzt*innen (fOÄ), und 27% sind Chefärzt*innen (CÄ). Im Vergleich zu den männlichen CÄ sind die weiblichen CÄ im Durchschnitt jünger ([Abb. 1] b).
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Familienfreundlichkeit ([Tab. 2])
Von den Befragten leben 53% in Haushalten mit Kindern, wobei dieser Anteil bei Frauen (41%) geringer ist als bei Männern (61%) ([Tab. 2]). Besonders in den Gruppen der OÄ und CÄ zeigt sich ein geschlechtsspezifischer Unterschied: Ein geringerer Anteil der weiblichen OÄ (58%) und insbesondere weiblichen CÄ (23%) lebt mit Kindern im Haushalt im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen (OÄ: 76% und CÄ: 55%) ([Abb. 1] c).
Auch in Bezug auf die Kinderbetreuung zeigt sich ein Unterschied: Nur 4% der Männer geben an, primär für die Kinderbetreuung verantwortlich zu sein, im Gegensatz zu 41% der Frauen. Dennoch gibt ein Großteil der Befragten an, in einem familienfreundlichen Unternehmen mit ausreichender Möglichkeit zur Kinderbetreuung zu arbeiten. Die am häufigsten genannten Gründe für ein familienfreundliches Arbeitsumfeld sind die Möglichkeit flexibler Arbeitszeitmodelle (Männer: 55%, Frauen: 38%) und die Unterstützung seitens des Kollegiums (Männer: 25%, Frauen: 53%). Als Hauptgrund für ein nicht familienfreundliches Arbeitsumfeld wird die Kombination aus hoher Arbeitsbelastung und unflexiblen Arbeitszeiten genannt (70% aller Antworten).
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Arbeitszeitmodelle ([Tab. 3])
Die Mehrheit der Befragten ist vollzeitbeschäftigt (86%) ([Tab. 3]). Bei den männlichen OÄ arbeiten 94% in Vollzeit und nur 6% in Teilzeit, während bei den weiblichen OÄ 45% in Vollzeit und 55% in Teilzeit tätig sind ([Abb. 1] d).
Männliche als auch weibliche Befragte haben zu gleichen Anteilen bereits Elternzeit in Anspruch genommen (36%). Bei den männlichen Befragten zeigt sich ein Trend: Männer unter 45 Jahren haben mit 52% deutlich häufiger Elternzeit in Anspruch genommen als Männer über 45 Jahren (17%) ([Abb. 1] e). Der Großteil der Männer (60%) hat keine Veränderung durch die Inanspruchnahme von Elternzeit festgestellt. Im Gegensatz dazu geben die weiblichen Befragten mehrheitlich an, dass sich die Elternzeit negativ auf ihr berufliches Ansehen ausgewirkt hat (54%).
Sowohl Männer mit Kindern als auch kinderlose Männer planen zu 22% bzw. 19%, in Zukunft in Teilzeit zu arbeiten ([Abb. 1] f). Die befragten Männer sind im Vergleich zu den Frauen etwas bedenkenfreier bezüglich Teilzeitarbeit, die Frauen sorgen sich tendenziell mehr um eine Verschlechterung ihrer Ausbildung (38%) und der Karriereaussichten (33%). Männer zeigen demgegenüber größere Bedenken hinsichtlich des Verdienstausfalls (16%; Frauen: 7%).
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Gleichstellung in der IR ([Tab. 4])
55% der befragten Frauen geben an, sich in ihrer beruflichen Laufbahn aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt gefühlt zu haben ([Tab. 4]). Frauen, die sich benachteiligt gefühlt haben, gaben folgende Annahmen als mögliche Gründe an: „Frauen leisten weniger als Männer“ (46%), „Frauen fallen aufgrund ihrer Familienverpflichtungen aus“ (35%) und „das andere Geschlecht [Männer] wurde bevorzugt gefördert“ (19%). Mit steigendem Ausbildungsgrad nimmt der Anteil derjenigen Befragten, die sich benachteiligt sehen, ab. So geben 69% ÄiW/FÄ/fÖA, 50% der OÄ und 39% der CÄ an, sich benachteiligt zu fühlen. Weibliche Befragte ohne Kinder fühlten sich häufiger benachteiligt als Befragte mit Kindern ([Abb. 2]).


Bei den männlichen Befragten gaben 6% an, sich aufgrund „bevorzugter Förderung des anderen Geschlechts [Frauen]“, benachteiligt gefühlt zu haben. Insgesamt geben 54% aller Befragten an, dass es für Frauen schwieriger ist, Beruf und Familie zu vereinbaren (weibliche Befragte: 63%, männliche Befragte: 48%). Insbesondere Frauen unter 45 Jahren (71%) und Frauen mit Kindern (72%) teilen diese Ansicht. Überraschenderweise schließen sich weniger weibliche CÄ als männliche CÄ dieser Meinung an (39% vs. 50%) ([Abb. 3]).


Als Hauptgrund für die erschwerte Vereinbarkeit geben die Befragten an, dass die meiste Care-Arbeit nach wie vor von Frauen geleistet wird. Als zweithäufigster Grund werden strukturelle Probleme aufgrund mangelnder Kinderbetreuungsmöglichkeiten oder flexibler Arbeitszeitmodelle genannt, gefolgt von Diskriminierung durch Vorgesetzte.
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Einstieg in IR und Förderung ([Tab. 5])
Die männlichen Befragten bewerten den Einstieg in die klinische Arbeit der IR auf einer Skala von 1–10 (leicht bis schwer) mit im Mittel 3,6 (Standardabweichung σ 2,4), während weibliche Befragte den Einstieg mit 5 (σ 2,7) als schwieriger empfanden.
Weiblichen ÄiW/FÄ/fOÄ fiel der Einstieg schwerer als ihrer männlichen Vergleichsgruppe (5,7 (σ 1,7) vs. 3,7 (σ 1,7)). Frauen über 45 Jahren empfanden den Einstieg als schwieriger (7 (σ 4,4)) verglichen mit den unter 45-Jährigen (4,7 (σ 2,4)). Bei den männlichen Befragten zeigt sich ein gegenläufiger Trend, bei dem die unter 45-Jährigen den Einstieg mit 4,3 (σ 2,4) und die über 45-Jährigen mit 2,8 (σ 2,1) bewerten ([Abb. 4]).


Die Frage, wie viel der Arbeitszeit mit klinischen Interventionen verbracht werde, wird von 53% der weiblichen Befragten mit „weniger als 25%“ beantwortet. Unter den männlichen Befragten ist die häufigste Antwort 25–50% (36%). Es geben nahezu alle männlichen und weiblichen Befragten mit primärer Verantwortung für die Kinderbetreuung an, unter 50% der Arbeitszeit mit klinischen Interventionen zu verbringen ([Abb. 5]).


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Zufriedenheit mit Karriere ([Tab. 6])
Der Großteil der Befragten ist mit der bisherigen Karriere zufrieden oder eher zufrieden ([Abb. 6]). Allerdings geben unter den weiblichen ÄiW/FÄ/fOÄ nur 13% an zufrieden zu sein, während die Zufriedenheit bei den männlichen ÄiW/FÄ/fOÄ mit 55% deutlich höher ist.


Als Karriereziel wird das „Erreichen einer Leitungsposition“ von beiden Geschlechtern am häufigsten genannt.
Der größte Optimierungsbedarf wird sowohl von weiblichen als auch männlichen Befragten in den Bereichen „Vereinbarkeit mit Arbeitszeitmodellen“ und „Arbeitszeiten“ gesehen.
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Schlussfolgerung
Unsere Ergebnisse implizieren, dass Frauen und Männer in der deutschen IR unterschiedlichen Bedingungen im Karriereeinstieg und der Karriereentwicklung ausgesetzt sind. Die aktuellen (Arbeits-)Bedingungen in der IR sind allenfalls mäßig auf die Bedürfnisse insb. der jungen Interventionsradiolog*innen, die an der Befragung teilgenommen haben, abgestimmt. Hierbei geht es nicht nur um die Interessen der Frauen – aufgrund der sich wandelnden Familienstrukturen sind auch Männer von den Arbeitsbedingungen beeinträchtigt.
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Diskussion
Frauen sind in der Radiologie und insbesondere in der IR seit jeher unterrepräsentiert [7] [8]. Da es nur eine Frage der Zeit ist, bis die Anzahl der Ärztinnen die der Ärzte übersteigt, ist es von entscheidender Bedeutung für die nachhaltige Entwicklung unseres Fachgebiets, die Notwendigkeit zur Verbesserung der Nachwuchsförderung zu erkennen und Chancengleichheit beim Einstieg und in der Karriereentwicklung zu gewährleisten. In unserer Umfrage haben wir den aktuellen Stand der Gleichstellung und Familienfreundlichkeit in der klinischen Arbeit der IR in Deutschland erfasst.
In der deutschen IR sind bereits positive Trends in der Gleichstellung zu verzeichnen, insbesondere auf der Leitungsebene, wo unter den CÄ eine höhere Präsenz von jüngeren Frauen zu beobachten ist. Diese haben verglichen mit ihren männlichen Kollegen seltener Kinder. Dieses Phänomen fällt auch auf oberärztlicher Ebene auf, obwohl diese theoretisch in die Phase der Familiengründung fällt. Hier sollte diskutiert werden, ob durch die fehlende Sicherheit während einer Schwangerschaft in die IR eingebunden zu sein bzw. nach einer Schwangerschaft/Elternzeit wieder in die IR einsteigen zu können, die Familienplanung aktiv nach hinten verzögert wird.
In früheren Berufsstadien wiederum verlängert sich die Weiterbildungszeit von Frauen durch Mutterschutz und Elternzeit meist stärker als bei Vätern, die oft nur kurze Elternzeiten in Anspruch nehmen [9] [10] [11]. Dies, ebenso wie die Tatsache, dass weiterhin mehr Frauen als Männer über die Elternzeit hinaus für die primäre Kinderbetreuung zuständig sind und häufiger in Teilzeitmodellen arbeiten, trägt dazu bei, dass sich die Elternzeit bei den befragten Müttern mehrheitlich negativ auf ihr berufliches Ansehen ausgewirkt hat.
Nicht nur aufgrund dieser Diskrepanzen teilen die meisten der Befragten die Auffassung, dass es für Frauen schwieriger ist, Beruf und Familie zu vereinbaren. Die 2017 von der CIRSE durchgeführte Umfrage ergab ähnliche Resultate [4]. Im internationalen Vergleich deutet sich hier an, dass Befragte aus Ländern mit fortschrittlicher Gleichstellung wie Dänemark oder strukturierten Ausbildungsprogrammen wie den USA seltener Probleme bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie sahen. Ein strukturiertes Ausbildungsprogramm könnte dazu beitragen, die Chancen für (bewusste oder unbewusste) Benachteiligungen zu verringern. Wird beispielsweise festgelegt, dass bestimmte Eingriffe bis zu einem bestimmten Ausbildungszeitpunkt erlernt sein sollen, bedeutet dies, dass Zugangsmöglichkeiten geschaffen werden müssen, die z.B. auf das gewählte Arbeitszeitmodell der Auszubildenden abgestimmt ist. Überraschenderweise empfanden in unserer Umfrage weibliche CÄ die Vereinbarkeit von Beruf und Familie als weniger herausfordernd. Ob der Grund hierfür ist, dass sie in ihrem Arbeitsumfeld bereits einen Weg zur besseren Vereinbarkeit für sich und ihre angestellten Ärztinnen gefunden haben, oder, dass die befragten CÄ selbst weniger Verpflichtungen durch Kinder haben, lässt sich aus den Daten nicht ableiten.
Mehr als die Hälfte aller weiblichen Befragten hat sich im Laufe ihrer Karriere bereits durch ihr Geschlecht benachteiligt gefühlt. Diese Antwortrate übersteigt die von der CIRSE erhobenen Daten, hier gaben knapp die Hälfte der Befragte ÄiW an, sich benachteiligt oder diskriminiert zu fühlen [4]. Die Anzahl der Befragten, die sich durch ihr Geschlecht benachteiligt gefühlt haben, nimmt mit steigendem Ausbildungsrang und demensprechend steigendem Alter ab.
Eine ähnliche Tendenz zeigt sich bei der Analyse der Zufriedenheit mit der bisherigen Karriere: Junge Interventionalistinnen (ÄiW/FÄ/fOÄ) sind deutlich unzufriedener. Darüber hinaus empfinden die jungen Interventionalistinnen den Einstieg in die IR herausfordernder als ihre männlichen Kollegen. Dies deckt sich mit den Ergebnissen einer 2020 durchgeführten deutschlandweiten Umfrage zu den Arbeits- und Ausbildungsbedingungen von ÄiW und jungen Radiologen in der IR, hier zeigten sich die weiblichen Befragten tendenziell unzufriedener mit der Ausbildung [12].
Dies könnte mit Unterschieden im Lernverhalten zusammenhängen. Reder et al. untersuchten geschlechterspezifische Unterschiede hinsichtlich der Selbsteinschätzung und wahrgenommenen Arbeitsbelastung bei der Durchführung simulierter endovaskulärer Kathetermanöver. Hier zeigte sich, dass die weiblichen Teilnehmer mehr Zeit benötigten und früher um Hilfe baten als die männlichen Teilnehmer, jedoch ihre erbrachte Leistung im Vergleich deutlich besser objektiv einschätzen konnten [13]. Ebenso ist denkbar, dass der Einstieg in die IR für junge Interventionsradiologinnen erschwert ist, da die Stigmatisierung wegen ihres Alters und der damit verbundenen Möglichkeit einer Schwangerschaft stärker ist, als es allgemein angenommen wird. Die Möglichkeit bzw. das Risiko einer Schwangerschaft wurde u.a. auch von Sieren et al. als eine potenzielle Hürde in der IR-Ausbildung von weiblichen ÄiW identifiziert [12]. Dies könnte erklären, warum mehr kinderlose weibliche Befragte sich aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt fühlten als weibliche Befragte mit Kindern.
Bislang sind weiterhin mehr Frauen für die primäre Kinderbetreuung zuständig und in Teilzeitarbeit als Männer. Bei der Suche nach Lösungen sollte jedoch vermieden werden, männliche oder weibliche Geschlechterrollen zu stereotypisieren. Eine große Metaanalyse sozialwissenschaftlicher Studien hat ergeben, dass entgegen der weit verbreiteten Annahme die Konflikte zwischen Beruf und Familie bei Männern und Frauen eher ähnlich als unterschiedlich sind [14]. Unter Umständen befürchten Männer bislang, (ebenfalls) stigmatisiert zu werden, wenn sie Leistungen wie Elternzeit in Anspruch nehmen oder sich offen über ihre Konflikte zwischen Beruf und Familie äußern. Soweit anhand der erhobenen Daten ablesbar, zeigt sich ein Generationswandel bei den männlichen Interventionsradiologen. Bei gleichbleibender Wichtigkeit der klinischen Karriere wünscht sich die jüngere Generation ebenfalls eine verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Dies zeigt sich beispielsweise an dem Positivtrend zur Einforderung von Elternzeit unter den jüngeren (< 45 LJ) Befragten und der Planung von Teilzeitarbeit. Ebenfalls fällt auf, dass den jüngeren (< 45 LJ) Männern der Einstieg in die IR schwerer fällt als der älteren Generation.
Es muss also ein Paradigmenwechsel in der deutschen IR stattfinden, nicht nur um durch Gleichstellung den weiblichen Nachwuchs zu sichern, sondern auch um die Bedürfnisse der jungen und nachfolgenden Generation an Männern zu berücksichtigen und die IR weiterhin attraktiv zu halten.
Aus unseren Ergebnissen lässt sich ableiten, dass flexible Arbeitszeitmodelle die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben erleichtern. Der Wunsch nach beruflicher Flexibilität erscheint in der IR insbesondere aufgrund der Bereitschaftsdienstverpflichtungen und unregelmäßigen Arbeitszeiten allerdings noch fern einer Umsetzung. Es liegt in der Verantwortung von (Personal-)Verantwortlichen und Fachgesellschaften, aktiv nach Lösungen zu suchen. Beispielsweise sollte es zu bewerkstelligen sein, dass auch Teilzeitkräfte und Primärverantwortliche mehr klinische Interventionen durchführen als die in unserer Umfrage häufig angegebenen < 25%. Zudem sollten die Lehrbedingungen auf die Bedürfnisse der Auszubildenden abgestimmt werden, z.B. durch die Wahrnehmung der geschlechterspezifischen Unterschiede im Lernverhalten. Ein weiterer Ansatz wäre, entgegen der häufig etablierten Praxis, ÄiW schon in einem frühen Abschnitt ihrer Weiterbildung an die IR heranzuführen, um so Talente zu erkennen und zu binden.
Zur Anpassung der Rahmenbedingungen gehört auch eine flächendeckende Bildung bezüglich der Strahlenexposition in der Schwangerschaft. Aktuell arbeitet die DeGIR-Lenkungsgruppe „Nachwuchsförderung und Frauen in der Interventionellen Radiologie“ an der Ausfertigung eines Positionspapiers zum Intervenieren in der Schwangerschaft. Von der Lenkungsgruppe wird gefordert, Schwangere nicht aktiv aus der IR auszuschließen, sondern ihnen neben der Möglichkeit des klinischen Arbeitens auch Optionen für wissenschaftliche Arbeiten zu eröffnen. Nur so kann einer Stigmatisierung der Schwangerschaft und der „Ausfälle wegen Schwangerschaft“- die keineswegs mit Arbeitsunfähigkeit verwechselt werden sollten – entgegengewirkt werden.
Ein systematisches Umdenken und eine Adaption der Rahmenbedingungen sind entscheidend, um den Bedürfnissen der nächsten IR-Generation gerecht zu werden und Gleichstellung zu fördern. Fehlen langfristige Maßnahmen, könnte dies die deutsche IR nachhaltig beeinträchtigen.
Die Ergebnisse sollten unter Berücksichtigung folgender Limitationen interpretiert werden: Die Auswertung einer freiwilligen Umfrage kann einer möglichen Verzerrung unterliegen. Einige Teile des Fragebogens beziehen sich auf persönliche Erfahrungen und Empfindungen, die nicht standardisiert validiert werden können und daher einer gewissen Subjektivität ausgesetzt sind. Die Umfrage wurde nur unter Mitgliedern der DeGIR durchgeführt. Die Repräsentativität der Studienpopulation kann nicht validiert werden, da wesentliche demografische Daten (z.B. der Standort) und andere Merkmale zur Wahrung der Anonymität der Befragten nicht erfasst wurden. Aufgrund der detaillierten Untersuchung von Subgruppen sind in einzelne Analysen nur wenige Antworten eingeflossen. Ein entsprechendes Bias sollte berücksichtigt werden. Die hohe Antwortrate weiblicher Interventionsradiologinnen ist zur Beantwortung unserer Hypothesen maßgeblich, spiegelt aber nicht die realistische Geschlechterverteilung in der deutschen IR wider.
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Klinische Relevanz
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Die Interventionsradiologie wird weiter wachsen, daher müssen Nachwuchstalente gefördert und der Zugang zur IR erleichtert werden.
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Die Kenntnis geschlechterspezifischer Unterschiede in Berufseinstieg und Karriereentwicklung können helfen, personelle Engpässe langfristig zu überwinden.
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Ein Paradigmenwechsel in der deutschen IR ist erforderlich, um die gesamte nächste Generation von Interventionsradiolog*innen einzubeziehen und die Attraktivität der IR aufrechtzuerhalten.
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Conflict of Interest
The authors declare that they have no conflict of interest.
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Correspondence
Publication History
Received: 06 February 2024
Accepted after revision: 10 August 2024
Article published online:
04 December 2024
© 2024. The Author(s). This is an open access article published by Thieme under the terms of the Creative Commons Attribution-NonDerivative-NonCommercial-License, permitting copying and reproduction so long as the original work is given appropriate credit. Contents may not be used for commercial purposes, or adapted, remixed, transformed or built upon. (https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/).
Georg Thieme Verlag KG
Oswald-Hesse-Straße 50, 70469 Stuttgart, Germany
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