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Psychosen sind für viele Angehörige der Gesundheitsberufe aus unterschiedlichen Gründen herausfordernd. Zum einen ranken sich bis heute verschiedene Theorien um ihre Entstehung. Zum anderen ist das Verhalten der Betroffenen, das mitunter durch Gewalt und Suizidalität geprägt sein kann, für psychiatrische Fachkräfte kräftezehrend. Psychosen sind in der Klinik häufig mit Verunsicherung, Unberechenbarkeit und einer schlechten Prognose assoziiert. Zudem können sie innerhalb unterschiedlicher psychiatrischer Störungsbilder auftreten wie schweren depressiven Episoden, Alkoholentzugsdelirien oder Intoxikationen.
Was sind Psychosen?
Psychosen können sich in vielen Symptomen äußern, die meist mit verändertem Denken, Fühlen und Wahrnehmen verbunden sind, sodass der Betroffene sein inneres Erleben und die äußere Welt nur schwer unterscheiden kann [1], [2]. Sie gelten als die mitunter schwerwiegendsten psychischen Störungen und treten innerhalb verschiedener Erkrankungen auf. Symptome, die eine Psychose kennzeichnen, sind zum Beispiel Wahnvorstellungen, Halluzinationen und Denkstörungen. Da in der Fachwelt bis heute diverse Unklarheiten und unterschiedliche Erklärungsansätze zur Entstehung von Psychosen vorliegen, unterscheidet man in primäre und sekundäre Psychosen.
Primäre und sekundäre Psychosen
Primäre und sekundäre Psychosen
Eine primäre Psychose tritt ohne erkennbare Ursachen auf. Ihre häufigste Form ist die Schizophrenie [2]. Auch innerhalb schwerer depressiver Episoden können psychotische Symptome vorkommen.
Sekundäre Psychosen lassen sich auf eine direkte oder indirekte Beeinflussung des Hirnstoffwechsels zurückführen [2]. Psychotische Symptome treten hier infolge von Erkrankungen auf, zum Beispiel schwere Entzündungen im zentralen Nervensystem, Epilepsien, Schädel-Hirn-Traumata, Hirntumore oder schwerwiegende Stoffwechselstörungen. Weitere Ursachen können Nebenwirkungen bestimmter Medikamente (z. B. Glukokortikoide) und die Intoxikation mit psychotropen Substanzen, beispielsweise Alkohol, Cannabis und LSD, sein [2].
In der Praxis
Ein 14-jähriger Junge ist in der kinder- und jugendpsychiatrischen Abteilung schon mehrmals vorstellig geworden. Er konsumiert regelmäßig Cannabis. Seinen ersten Joint hat er mit elf Jahren geraucht. Er wächst in behüteten Verhältnissen auf. Seine Eltern sind sehr bemüht, ihrem Sohn die notwendige Hilfe und Fürsorge zu geben. Eine ambulante psychotherapeutische Anbindung und der regelmäßige Besuch bei der Drogenberatung haben allerdings bisher keinen langfristigen Erfolg in der dauerhaften Cannabisentwöhnung gebracht. Der Junge wird immer wieder rückfällig.
Der Grund seiner erneuten Einweisung hat jedoch eine neue Qualität: Er hört Stimmen, die ihn bereits mehrere Male dazu aufgefordert haben, sich umzubringen. Er wirkt zunehmend abwesend und ist aktuell nicht in der Lage, die Schule zu besuchen oder sportlichen Aktivitäten in seiner Freizeit nachzugehen. Im Aufnahmegespräch berichten die Eltern, dass ihr Sohn in den letzten Wochen exzessiv Computer gespielt und das Zimmer kaum verlassen habe. Der Junge wirkt im Gespräch zerfahren und teilnahmslos. Auf der Station zeigt er sich ähnlich zurückhaltend und isoliert sich von Gruppe und Personal. Am ersten Abend wirkt er plötzlich ängstlich und verwirrt. Der hinzugerufene Therapeut berichtet nach einem Kriseninterventionsgespräch, dass der Junge angegeben habe, in einer Welt von Untoten zu leben. Auch er selbst sei ein Untoter.
Ein weiteres Beispiel: Eine 17-Jährige wird zum ersten Mal in der akutpsychiatrischen Abteilung einer Kinder- und Jugendpsychiatrie aufgenommen. Polizeibeamte haben sie in die Klinik gebracht, weil sie sich an einem öffentlichen Platz körperlich und verbal sehr aggressiv gegenüber anderen Menschen gezeigt hatte. Nachdem sie mit dem Messer auf eine Passantin losgegangen ist, fixierten sie die hinzugerufenen Beamten körperlich. Sie war nicht absprachefähig und konnte auf die Fragen der Polizei keine klaren Angaben zu ihrer eigenen Person oder den Umständen des Vorfalls machen. Angekommen in der Psychiatrie verhält sich das Mädchen zwar ruhig, ist aber nach wie vor nicht in der Lage, ein zielgerichtetes Gespräch aufrechtzuerhalten. Nach einigen Tagen kann ermittelt werden, dass sie seit zwei Jahren auf der Straße lebt. Sie kommt aus einem zerrütteten Elternhaus. Mutter und Vater sind beide schwer alkoholkrank und zeigen kein Interesse am Wohlergehen und Verbleib ihres Kindes.
Das Mädchen lebt in einer Gruppe zusammen mit anderen Jugendlichen und jungen Erwachsenen, deren Lebensinhalt darin besteht, Geld und Lebensmittel zu erbetteln. Sie trinkt viel Alkohol, nimmt aber keine weiteren Drogen. Der Aufenthalt in der Kinder- und Jugendpsychiatrie scheint ihr zunächst gutzutun. Sie genießt den strukturierten Tagesablauf und die soziale Zuwendung durch Mitpatient*innen und das Personal. Aggressives Verhalten zeigt sie bisher nicht. Ihre Gesprächsinhalte sind allerdings meist skurril. Eines Abends erzählt sie dem Pflegepersonal, dass sie von Jesus schwanger sei und die Geburt ihres Kindes bald bevorstehe. Kurze Zeit später wiederholt sie das bereits Erwähnte. Dabei stellt sie sich auf den Stationsflur, uriniert unter sich und behauptet, ihre Fruchtblase sei geplatzt.
Positivsymptome
Symptomatisch ähneln sich primäre und sekundäre Psychosen, allerdings gibt es auch Unterschiede. Grob unterscheidet man drei Symptomkomplexe: Positivsymptome, Negativsymptome und kognitive Symptome.
Unter die Positivsymptomatik fallen Wahn und Halluzinationen. Wahn beinhaltet nicht nur eine veränderte Wahrnehmung, sondern vor allem eine veränderte Interpretation der Realität. Die Betroffenen halten an dieser Fehlbeurteilung fest, obwohl sie eindeutig im Widerspruch zur Realität und der Beurteilung durch andere Personen steht [3]. Wahn kann man nach Jaspers in Wahnwahrnehmungen, die zu den Denkstörungen gezählt werden, und Wahneinfälle unterscheiden.
Wahnwahrnehmungen sind Fehlinterpretationen realer Wahrnehmungen, die etwas mit dem Betroffenen selbst zu tun haben [3]. Dazu zählen Interpretationen, sich beispielsweise verfolgt zu fühlen, wenn man Satelliten, schwarze Transporter oder vorbeilaufende Menschen wahrnimmt, die Blickkontakt suchen. Diese normalerweise banalen Dinge führen beim Betroffenen zu einem klassischen paranoiden Verfolgungswahn.
Wahneinfälle wiederum haben keinen Bezug zur Realität, hierbei handelt es sich um akut neuaufgetretene Vorstellungen und Überzeugungen [3], beispielsweise auserwählt oder von höheren Mächten aufgesucht worden zu sein. Halten diese Wahnvorstellungen oder Wahnideen über einen längeren Zeitraum an und sind stabil, bezeichnet man sie als Wahngedanken [4]. Außerdem gibt es den nihilistischen Wahn: Hier ist der Betroffene davon überzeugt, nicht mehr zu leben. Geist und Körper befinden sich in der Wahrnehmung des Betroffenen auf unterschiedlichen Ebenen. Er glaubt, sein Körper zersetze sich und er weile unter den Toten, während sich sein Geist in einer anderen Realität befindet [5].
Die Verteilung zwischen den Geschlechtern ist bei einer Psychose in etwa gleich. Im Laufe des Lebens erkrankt circa ein Prozent aller Menschen an einer Psychose, unabhängig von der Ethnie und dem kulturellen Hintergrund.
Halluzinationen können jeglichen Sinneskanal betreffen und somit optischer, akustischer, olfaktorischer sowie gustatorischer oder taktiler Natur sein. Sie lassen sich gut voneinander unterscheiden. Grundsätzlich sind Halluzinationen Sinnestäuschungen, die nur durch den Betroffenen selbst wahrnehmbar sind. Davon zu unterscheiden sind Illusionen, die lediglich die Verkennung realer Sinneswahrnehmungen sind, ähnlich dem Erblicken einer Fata Morgana [3].
Halluzinationen treten nicht nur im Rahmen von psychotischem Erleben auf. Besonders neurologisch erkrankte Menschen – nach Schlaganfällen, Epilepsien oder innerhalb von Migräneanfällen – erleben Farbspiele, nicht vorhandene Töne oder Geschmacks- und Geruchsveränderungen, können diese jedoch häufig im Vergleich zu Menschen mit einer Schizophrenie von sich abgrenzen [4]. Zurückzuführen sind diese Sinnestäuschungen auf überaktive Hirnregionen im Bereich der Sinnesmodalität, im Bereich der Assoziationen im präfrontalen Kortex sowie in den Hirnbereichen, die für das Gedächtnis zuständig sind. Dabei spielen neuronale Botenstoffe, unabhängig von einer organischen oder psychischen Ursache, eine wesentliche Rolle: Dopamin, Noradrenalin, Serotonin und Acetylcholin, die alle Regionen des präfrontalen Kortex, sowie Teile des limbischen Systems, also dem Ort der primären Gefühlsreaktionen, beeinflussen sowie sich gegenseitig beeinflussen, scheinen dabei in ein Ungleichgewicht geraten zu sein [6]. Hat der Betroffene einen Überschuss oder Mangel an einem dieser Botenstoffe, wirkt sich dies mitunter massiv auf die anderen Neurotransmittersysteme aus.
Negativsymptome und kognitive Symptome
Negativsymptome und kognitive Symptome
Neben den Positivsymptomen treten sogenannte Negativsymptome auf. Diese beschreiben einen Komplex aus Phänomenen, die vor allem einen reduzierten Affekt beinhalten. Sie sind den Symptomen einer Depression recht ähnlich. Dazu zählen Antriebsarmut, sozialer Rückzug und eine Verflachung der Stimmung bis hin zur Gleichgültigkeit oder zum subjektiven Empfinden, keinen Zugriff auf seine Emotionen zu haben [1].
Kognitive Symptome, die bereits lange vor dem Ausbruch einer Psychose auftreten können, sogenannte Prodromalsymptome, sind unter anderem Denkstörungen. Diese zeichnen sich durch Zerfahrenheit, Zusammenhanglosigkeit und Gedankeneinschübe aus, von denen der Betroffene sich nicht abgrenzen kann. Im Gespräch kann man diesen Personen mitunter schlecht bis gar nicht folgen.
ABB. Der regelmäßige Konsum von Cannabis erhöht das Risiko für eine Psychose signifikant.
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Die Symptomausrichtungen sind in den Fallbeispielen gut abgebildet. Der 14-jährige Junge aus dem ersten Beispiel zeigt eher Rückzug, wenig Agitation und affektive Regungen, was für eine ausgeprägte Negativsymptomatik spricht. Gleichzeitig hat er einen nihilistischen Wahn. In seinem Fall bestehen also sowohl Positiv- als auch Negativsymptome. Das 17-jährige Mädchen wiederum hat eine deutlichere Ausprägung in Bezug auf die positive Symptomseite. Sie befindet sich in einem religiösen Wahnerleben und fiel durch aggressives Verhalten auf.
Zahlen und Fakten
Beim Betrachten der Zahlen zeigt sich, warum bereits im Kindes- und Jugendalter ein besonderer Fokus auf die psychiatrische Versorgung gelegt werden muss.
Die Verteilung zwischen den Geschlechtern ist in etwa gleich. Allerdings erkranken junge Männer erstmals bereits in der frühen Adoleszenz, also zwischen dem 18. und 23. Lebensjahr, junge Frauen meist erst zwischen dem 23. und 28. Lebensjahr [7]. Die bereits angedeuteten Prodromalsymptome lassen sich mit geschultem Auge jedoch schon deutlich früher erkennen.
Im Laufe des Lebens erkrankt circa ein Prozent aller Menschen an einer Psychose, unabhängig von der Ethnie und dem kulturellen Hintergrund. Während Kinder eine zehnprozentige Wahrscheinlichkeit haben, wenn ein Elternteil betroffen ist, erhöht sich diese Wahrscheinlichkeit auf 30 Prozent, wenn beide Elternteile erkrankt sind oder waren. Bei Verwandten zweiten Grades, wie Onkel und Tanten, sind immerhin zwei Prozent betroffen. Bei Zwillingsgeschwistern liegt die Wahrscheinlichkeit sogar bei 50 Prozent, wenn einer der beiden erkrankt [7].
Störungsbilder und Psychosen
Störungsbilder und Psychosen
Neben den Symptomen von Psychosen ist es wichtig zu wissen, im Rahmen welcher Störungsbilder Psychosen auftreten und wie sie sich voneinander unterscheiden. Bei den primären Psychosen lassen sich verschiedene Störungsbilder identifizieren, die von psychotischem Erleben begleitet werden [3].
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Schizophrenien: Im psychopathologischen Bereich zeigt sich ein Wahnerleben, das durch Beeinträchtigungserleben gekennzeichnet ist. Das bedeutet, dass der Betroffene sich in seinem Wahn durch etwas oder jemanden beeinträchtigt fühlt. Typischerweise ist es das Gefühl, verfolgt oder beobachtet zu werden. Daneben treten häufig Halluzinationen auf, die akustischer Natur sind. Das können kommentierende, befehlende oder erniedrigende fremde oder bekannte Stimmen sein. Im Affekt sind die Betroffenen häufig unbeweglich, und die geäußerten Gefühlsregungen passen nicht zur Realität. Es kommt zu formalen Denkstörungen, die sich durch Zerfahrenheit und Gedankensperrungen zeigen können.
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Depressionen mit psychotischen Symptomen: Depressive Menschen mit psychotischem Erleben haben häufig Schuld- oder Verarmungswahn, das heißt, sie haben die irrationale Angst, völlig zu verarmen oder am Schicksal anderer Menschen beteiligt zu sein. Auch hier können Halluzinationen als anklagende Stimmen zum Vorschein kommen. Im Affekt treten Ratlosigkeit, depressive Verstimmtheit und Affektverflachung auf. Das formale Denken zeigt sich in der Depression eher als grübelnd und retardiert.
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Manie mit psychotischen Symptomen: Bei bipolaren Störungen oder monopolaren Manien zeigt sich der Wahn in der Regel als Allmachtsfantasie. Erkrankte Menschen haben das Gefühl, alles erreichen zu können, und tragen ihre fantastischen Ideen ziellos an andere Menschen heran. Halluzinationen zeigen sich häufig darin, dass reale Bezüge illusionär verkannt und eigene Fähigkeiten überschätzt werden. Im Affekt sind Betroffene eher instabil, gereizt und geprägt von Dysphorie bis Euphorie. Das formale Denken ist ideenflüchtig. Im Gespräch wirken erkrankte Menschen zerfahren und reden oftmals am Thema vorbei.
Psychotrope Substanzen
Suchterkrankungen gehen häufig mit Schizophrenien und psychotischem Erleben einher. Im Fallbeispiel des 14-jährigen Jungen kann man davon ausgehen, dass die Psychose und der Cannabiskonsum in engem Zusammenhang stehen.
Besonders psychotrope Substanzen wie Kokain oder andere Stimulanzien können bei zu hoher Dosierung Verfolgungswahn oder Dermatozoenwahn (die Überzeugung, Insekten würden auf oder unter der Haut leben) auslösen [8]. Beim Absetzen der Substanzen sollten die Symptome nach etwa acht bis zehn Wochen zurückgebildet sein. In diesem Fall lässt sich die Diagnose der drogeninduzierten Psychose recht eindeutig vergeben [8].
In Bezug auf Cannabis ist sich die Fachwelt bisher uneinig, ob es eine Psychose verursachen oder triggern kann. Cannabis gilt unter Jugendlichen als gängige Alternative zum Alkohol. Das Problem liegt in dem hohen Gehalt an Tetrahydrocannabinol (THC), welches das Cannabis auf dem Schwarzmarkt in Teilen enthält. THC kann sich ungünstig auf das noch im Reifungsprozess befindliche Gehirn von Jugendlichen auswirken. Etwa ein Viertel aller Männer zwischen 18 und 25 Jahren konsumiert in regelmäßigen Abständen Cannabis. Bekannt ist, dass dieser Konsum das Risiko signifikant erhöht, eine Psychose zu bekommen – insbesondere bei Jugendlichen, die ab dem 14. bis zum 24. Lebensjahr regelmäßig Cannabis konsumieren. In dieser Altersgruppe treten innerhalb von 3,5 Jahren bei 30 Prozent erstmals psychotische Symptome auf [9].
Der kausale Mechanismus hinter der cannabisinduzierten Psychose ist nicht abschließend geklärt. Als psychotrope Substanz beeinflusst Cannabis, insbesondere THC, jedoch das Neurotransmittersystem, also den Hirnstoffwechsel und die damit verbundenen Hirnleistungen [9]. Ein anderer Erklärungsansatz betrachtet Cannabis als einen Katalysator, der die ohnehin vorhandene Veranlagung für Psychosen und Schizophrenien beschleunigt [9].
Erbliche Veranlagung, (epi-)genetische Komponenten und biologische Faktoren ergeben eine individuelle Disposition.
Vulnerabilitäts-Stress-Modell
Vulnerabilitäts-Stress-Modell
Unabhängig davon, ob psychotrope Substanzen konsumiert werden oder nicht, geht das Vulnerabilitäts-Stress-Modell davon aus, dass beim Menschen unterschiedliche Veranlagungen vorliegen, durch die eine Psychose entstehen kann. Erbliche Veranlagung, genetische und epigenetische Komponenten sowie biologische Faktoren wie Alter und Geschlecht ergeben eine individuelle Disposition eines Menschen, im Laufe seines Lebens psychisch zu erkranken. Kommen äußere Umweltfaktoren hinzu, die belastende Eigenschaften mit sich bringen, wie der Umzug in eine andere Stadt, ein Lebensabschnittswechsel (Ausbildung, Abnabelung von Bezugspersonen), Verluste oder Traumatisierungen, so kann aufgrund der Disposition die Krankheit ausbrechen.
Medikamente
Ist die differenzialdiagnostische Phase abgeschlossen, wird im klinischen Alltag recht häufig auf eine initiale oder dauerhafte medikamentöse Therapie mit Antipsychotika zurückgegriffen. Insbesondere atypische Neuroleptika wie Risperidon kommen hier zum Einsatz [3]. Durch die Blockade von Dopaminrezeptoren ist es möglich, das psychotische Erleben einzudämmen. Viele Betroffene fühlen sich jedoch nicht immer wohl mit der medikamentösen Therapie und berichten von Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Appetitsteigerung und Gewichtzunahme. Auch Libidoverlust oder das Ausbleiben der Menstruation kann infolge des Gebrauchs von Neuroleptika auftreten. Das wirkt sich negativ auf die Compliance Betroffener aus.
Beim Auftreten von Psychosen innerhalb schwerer depressiver oder manischer Episoden werden auch andere Präparate in Kombination mit atypischen Neuroleptika eingesetzt. In diesen Fällen müssen Neben- und unerwünschte Wirkungen beobachtet werden. In diesem Zusammenhang ist das Serotonin-Syndrom zu erwähnen, das sich durch Veränderungen der psychischen Verfassung, Ruhelosigkeit, rasche unwillkürliche Muskelzuckungen, gesteigerte Reflexbereitschaft, Schwitzen, Schüttelfrost und Tremor äußern kann [10].
Authentisch und komplementär begegnen
Authentisch und komplementär begegnen
Im klinischen Umgang empfiehlt es sich, sich den Betroffenen mit Fingerspitzengefühl zuzuwenden. Sowohl Nähe als auch Distanz können krisenhafte Zustände beim erkrankten Menschen erzeugen. Dieses Dilemma versetzt den Erkrankten in sein psychotisches Erleben. Im Umgang mit Betroffenen ist es deshalb empfehlenswert, Jugendlichen wie dem 14-jährigen Jungen oder dem 17-jährigen Mädchen aus den Fallbeispielen authentisch und komplementär zu begegnen [3]. Das bedeutet im Konkreten, die wahnhaften Ideen beider weder zu bedienen noch zu negieren. Es gilt Ansatzpunkte im Affekt und Verhalten zu identifizieren, die es dem pflegerischen und therapeutischen Personal ermöglichen, eine vertrauensvolle und empathische Basis herzustellen.
Die Überzeugungen des 14-jährigen Jungen und des 17-jährigen Mädchens sollten nicht infrage gestellt werden. Ihre Wahrnehmungen sind in beiden Fällen erlebte Realität. Gleichzeit gilt es den Wahn nicht durch Bestätigung zu verstärken. Komplementär ist der Umgang dann, wenn man dem Jungen und dem Mädchen aus den Fallbeispielen in einem Zustand der Übererregtheit mit Ruhe und Gelassenheit begegnet. Sind sie laut, ist man eher leise und entspannt. Die Aussagen sollten nicht durch Fremdinformationen infrage gestellt werden. Auch eine wertfreie Haltung ist unumgänglich, um die fragile Beziehung zum Betroffenen nicht zu gefährden. Eine überlegene oder belehrende Haltung kann sich mitunter destruktiv auf die Compliance und Therapie des Betroffenen auswirken [3].
ABB. Eine medikamentöse Therapie mit Antipsychotika kann Betroffenen helfen.
Quelle: © K. Oborny/Thieme
Eltern integrieren
Gerade im kinder- und jugendpsychiatrischen Bereich empfiehlt es sich, auch die Eltern in den Behandlungsprozess zu integrieren. Sind sie über das Störungsbild und die therapeutischen Ansätze aufgeklärt, erleichtert das den Umgang und die Vorbereitung auf ein Leben nach der akutpsychiatrischen Behandlung. So kann es bei dem 14-jährigen Jungen von Vorteil sein, einen sensiblen Umgang mit seiner Schulsituation und dem Freundeskreis zu finden. Auch eine Rückkehr zu sportlichen Aktivitäten ist hier zu empfehlen.
Das 17-jährige Mädchen wiederum benötigt ein stabiles soziales Umfeld, das ihr Struktur und eine Perspektive vermittelt. Eine Wohngruppe mit Gleichaltrigen und Alkoholabstinenz sind hier wichtige Stellschrauben, die die beschriebenen Anforderungen durchaus fördern können. In beiden Fällen empfiehlt sich eine zunächst engmaschige ambulante therapeutische Anbindung und Psychoedukation, um Rückfällen oder Unsicherheiten professionell begegnen zu können.
Steffen Dißmann