CC BY-NC-ND 4.0 · Geburtshilfe Frauenheilkd
DOI: 10.1055/a-2489-4730
GebFra Science
Original Article

Versorgung von Frauen mit gynäkologischen Krebserkrankungen in der Spezialisierten Ambulanten Palliativversorgung (SAPV)

Article in several languages: English | deutsch
1   Institut für Allgemeinmedizin und ambulante Gesundheitsversorgung (IAMAG), Universität Witten/Herdecke, Witten, Germany (Ringgold ID: RIN12263)
,
Marie-Therese Schmitz
2   Institut für Medizinische Biometrie, Informatik und Epidemiologie (IMBIE), Universität Bonn, Bonn, Germany (Ringgold ID: RIN9374)
,
Ulrike Nitz
3   Westdeutsche Studiengruppe (WSG), Mönchengladbach, Germany
,
Katharina Ladermann
1   Institut für Allgemeinmedizin und ambulante Gesundheitsversorgung (IAMAG), Universität Witten/Herdecke, Witten, Germany (Ringgold ID: RIN12263)
,
Ulrich Grabenhorst
4   Verbund der SAPV-Teams in Nordrhein e.V., Viersen, Germany
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Hintergrund

Eine würdevolle letzte Lebensphase im häuslichen Umfeld ist der Wunsch vieler Menschen mit einer Krebserkrankung im Endstadium. Über die palliative Situation von Patientinnen mit gynäkologischen Tumoren im häuslichen Umfeld gibt es bisher keine Untersuchungen mit großen Datensätzen.

Material und Methoden

Daten von 5487 Patientinnen, die zwischen 2017 und 2021 in der Spezialisierten Ambulanten Palliativversorgung (SAPV) mit einer gynäkoonkologischen Grunderkrankung behandelt wurden, gingen in die Analyse ein.

Ergebnis

Die Analyse ergab, dass 88,8% der Patientinnen im häuslichen Umfeld verstarben und die Symptomlast während der Behandlung stabil blieb oder leicht abnahm. Die Dauer in aktiver SAPV betrug im Median 23 Tage. Faktoren wie Alter, Komorbiditäten und Symptomlast zu Beginn der Behandlung beeinflussten die Überlebenszeit der Patientinnen. Das Umfeld bestehend aus SAPV-Team und Angehörigen zeigte sich mit der Versorgung größtenteils sehr zufrieden.

Schlussfolgerung

Die Studie liefert wichtige Erkenntnisse zur palliativen Versorgung von Patientinnen mit gynäkologischen Tumoren und unterstreicht die Bedeutung der SAPV für eine würdevolle Betreuung am Lebensende.


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Hintergrund

Die meisten gynäkologischen Krebserkrankungen sind Gegenstand der Früherkennung, sodass sich hier die Heilungsraten in den letzten Jahrzehnten deutlich verbessert haben. Allerdings stellt die Versorgung terminal erkrankter Patientinnen, insbesondere mit ausgedehntem Tumorgeschehen im kleinen Becken, weiterhin eine große Herausforderung dar, sodass eine palliative (Mit-)Betreuung notwendig wird. Die Mehrheit der Menschen in Deutschland wünscht sich, diese letzte Lebensphase in ihrem häuslichen Umfeld zu gestalten [1]. Dieses „häusliche Umfeld“ kann die eigene Wohnung, aber auch den aktuellen Wohnort (z. B. Pflegeheim) beinhalten und grenzt sich vom Sterbeort „Krankenhaus“ ab.

Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) schätzt, dass bis zu 90% aller Verstorbenen pro Jahr einen palliativen Versorgungsbedarf haben, der durch nicht spezialisierte Versorgung abgedeckt wird. Bei ungefähr jeder 10. Person wird aufgrund einer besonders aufwendigen Versorgungssituation ein Bedarf für „Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung“ (SAPV) erwartet [2].

In bisherigen Analysen zur Versorgungssituation von Patientinnen in der SAPV wurde primär zwischen malignen und nicht malignen Erkrankungen unterschieden [3] [4] [5] [6]. Auf Basis eines großen multizentrischen Datensatzes aus der SAPV wird nun die gezielte Analyse einzelner Krankheitsentitäten möglich.

In der vorliegenden Arbeit konzentrieren wir uns auf Patientinnen mit gynäkologischen Tumoren und die Analyse und Beschreibung der Symptomlast, sowie anderer klinisch relevanter Faktoren.

Unser Ziel ist es, das Wissen über die Bedarfe schwerstkranker gynäkologischer Palliativpatientinnen zu vergrößern. Wir hoffen, dass dieses Wissen geeignet ist, die betreuenden Gynäkolog*innen, Onkolog*innen, Hausärzt*innen und SAPV-Ärzt*innen dabei zu unterstützen, die Lebensqualität und die Selbstbestimmung schwerstkranker Menschen zu fördern und zu verbessern und ihnen einen würdevollen letzten Lebensabschnitt in ihrer vertrauten häuslichen Umgebung unter Einbeziehung nahestehender Menschen zu ermöglichen.


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Material und Methoden

Die Daten von 22 SAPV-Anbietern, die im KV-Verwaltungsbereich Nordrhein in den Jahren 2017 bis 2021 tätig waren, wurden anonymisiert extrahiert (initial im Jahr 2017 14 Anbieter, im Verlauf 22). Jeder Anbieter ist für ein festgelegtes geografisches Gebiet zugelassen. Kumulativ decken diese 22 Anbieter nach eigenen Hochrechnungen circa 5,7 Millionen (60,0%) der 9,5 Millionen Einwohner im KV-Verwaltungsbereich Nordrhein ab [7].

Datenquellen und Ethik

Die Patientinnendaten wurden von den SAPV-Anbietern im Rahmen der standardmäßigen Falldokumentation erfasst. Die Datenextraktion wurde vom Verbund der SAPV-Teams Nordrhein e. V. (VSTN) koordiniert. Alle quantifizierbaren Patientinneninformationen der elektronischen Akte wurden in anonymisierter Form extrahiert. Die Zusammenführung der Daten sowie das Datenqualitätsmanagement wurde von StatConsult, einem Softwareentwickler und Vertragsinstitut für Aufgaben in der klinischen Forschung, Entwicklung und Versorgungsforschung, durchgeführt. Die Anforderungen der aktuellen Fassung der Deklaration von Helsinki wurden beachtet. Das Forschungsvorhaben wurde der Ethikkommission der Universität Witten/Herdecke vorgelegt, es wurden keine Beanstandungen ausgesprochen (Antrag Nr. 48/2023).


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Teilnehmende und Falldefinitionen

Der Datensatz umfasst alle Patientinnen, deren Behandlung zwischen 2017 und 2021 begonnen hat. Eine geringe Anzahl von Menschen nicht weiblichen Geschlechts (1,3%, vorwiegend männliches Geschlecht) wurden nicht in die Analyse aufgenommen.

In den meisten Fällen verläuft die SAPV kontinuierlich und ohne Pause zwischen Behandlungsbeginn und Sterbezeitpunkt der Patientin. Aus unterschiedlichen Gründen kann es im Verlauf allerdings auch zu Pausen oder zur Beendigung der SAPV kommen, zum Beispiel bei Krankenhausaufenthalt, Verlegung in ein Hospiz oder Verminderung der Symptombelastung durch die intensivierte Betreuung. Etwa ein Fünftel der Patienten in unserem Datensatz wies eine oder mehrere Pausen auf. Um diese Patienten in die Analyse einbeziehen zu können, wurde entschieden, Fälle zusammenzufassen, bei denen die Behandlungspausen nicht länger als 13 Tage dauerten. Dies wurde klinisch damit begründet, dass kurze Lücken häufig aus Krankenhausaufenthalten für spezialisierte Verfahren wie palliative Chemotherapie oder Erythrozytentransfusion resultieren und daher durch administrative Anforderungen verursacht wurden und nicht, weil die Patientinnen keine Indikation mehr für eine spezialisierte ambulante Palliativversorgung hatten. Der Cut-off von 13 Tagen wurde aufgrund von Expertenmeinungen gewählt, zudem war die Entscheidung auch statistisch gestützt, da bei einem Cut-off von 13 Tagen circa 90% der Fälle mit Behandlungspausen im Datensatz verbleiben konnten.


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Variablen und statistische Analyse

Ziel der vorliegenden Analyse war eine deskriptive Analyse der Versorgung von Patientinnen mit gynäkologischen Tumoren in der SAPV unter Zuhilfenahme relevanter klinischer Endpunkte:

  • „Patientinnenwunsch“: Versterben im häuslichen Wohnumfeld

  • „Symptomkontrolle“: Verlauf der Symptomlast

  • „Zufriedenheit“: Einschätzung der Versorgungsqualität durch Dritte

Hierzu wurden auf Basis der ICD-10-Diagnosen (Aufnahme- oder Hauptdiagnose) 5 Gruppen gynäkologischer Tumorerkrankungen gebildet: Mamma-Ca, Uterus-Ca, Ovarial-Ca, Vulva-Ca und Vaginal-Ca.

Für die Darstellung des Sterbeortes wurde dieser unterteilt in „häusliches Wohnumfeld“ (Hospiz, Kurzzeitpflege, Senioren- und Pflegeheim, sonstiger Aufenthaltsort sowie zu Hause) versus „stationärer Aufenthalt Krankenhaus“ (Akutkrankenhaus, Palliativstation). Dabei werteten wir auch Orte wie ein Hospiz als häusliches Wohnumfeld, da es sich um einen Wohnort außerhalb des stationären Sektors handelt, an dem SAPV als ärztliche Teilleistung erbracht werden kann. Der Sterbeort wurde als primäres Outcome-Kriterium gewählt, weil Patientinnen die Versorgungform SAPV normalerweise mit diesem Ziel wählen. Daher gehen wir davon aus, dass ein Merkmal guter SAPV sein sollte, dass ein hoher Prozentsatz, aber nicht alle Patientinnen, dieses Ziel auch erreichen. Ein gewisser Prozentsatz an Patientinnen wird aus medizinischen oder persönlichen Gründen im Verlauf den Sterbeortwunsch ändern; dies ist sinnvoll und im Sinne einer individualisierten, lebensqualitätorientierten Versorgung auch wünschenswert.

Unterschiede bezüglich der Symptomlast zu Beginn und Ende der Stichprobe wurden deskriptiv dargestellt, fehlende Werte wurden imputiert, wenn Werte für mehr als 70% aller inkludierten Fälle vorlagen. Die SAPV-Dienste nutzen Likert-Skalen zur (Selbst-)Einschätzung der Symptomlast – wann immer möglich wurden die Patientinnen hierzu befragt; war dies nicht möglich, erfolgte eine Fremderhebung durch eine qualifizierte Fachkraft. Im Rahmen der Homogenisierung der Daten wurden die Zahlenwerte für die Auswertung in die Kategorien kein/leicht/mittel/schwer gruppiert. Unterschiede zwischen der Symptomlast wurden mittels McNemar-Test auf statistische Signifikanz überprüft. Da aufgrund klinischer Erfahrungen die Annahme bestand, dass Patientinnen mit Vulva- oder Vaginalkarzinomen längere Liegezeiten vorweisen und dies häufig mit einer erhöhten Morbiditätslast durch Wunden erklärt wurde, führten wir einen Vergleich der Morbiditätslast zu Beginn der Behandlung in Bezug auf Wunden, stratifiziert nach Vulva-/Vaginalkarzinom ja/nein, durch. Kaplan-Meier-Schätzungen wurden verwendet, um die Zeit in der SAPV bis zum Tod darzustellen, eine Cox-Regressionsanalyse wurde genutzt, um Zusammenhänge zwischen Eigenschaften und Überlebenszeit darzustellen.

Um eine zusätzliche Einschätzung der Versorgungsqualität zu gewährleisten, wurde die Variable „Behandlungszufriedenheit“ miteingeschlossen. Hierzu wurde nach dem Versterben der Patientin bei einem Teil der Teams die Zufriedenheit der Angehörigen bzw. der betreuenden Mitarbeiter*innen befragt (5-Punkte-Skala: sehr gut bis sehr schlecht). Zur Vereinfachung der Auswertung wurden diese Werte gepoolt.


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Resultat

Kategorisierung der Stichprobe und Sterbeort

In der Gesamtkohorte von 48882 SAPV-Patient*innen lag eine gynäkologische Tumordiagnose bei 5478 (11,2%) vor. Einige Patientinnen waren von mehr als einer dieser Diagnosen betroffen, sodass beide Tumorentitäten in der Auswertung berücksichtigt wurden. Die Häufigkeitsverteilung der gynäkologischen Tumoren findet sich in [Tab. 1].

Tab. 1 Verteilung der Tumorhäufigkeit nach Lokalisation.

Tumorlokalisation

Häufigkeit n (%)

Mamma

3638 (66,4%)

Ovar

964 (17,6%)

Uterus

779 (14,2%)

Vulva

233 (4,3%)

Vagina

41 (0,7%)

Der Altersmedian lag bei 76 Jahren (Q1–Q3: 64–84 Jahre | min/max: 25–103 Jahre | Alter < 40 Jahre: n = 109/2%). In [Tab. 2] sind Verweildauer, Aufnahme- und Sterbeort sowie weitere Patienteneigenschaften aufgeführt. Die mediane Zeit in der SAPV betrug 23 Tage, und 88,8% der Verstorbenen konnten im gewählten häuslichen Umfeld versterben ([Tab. 2]). Die mediane Anzahl an Komorbiditäten in der gynäkologischen Kohorte lag bei 10 (Q1–Q3: 4–12, min–max: 2–18). Der altersadaptierte Charlson-Komorbiditäts-Index (CCI) lag bei 9,8 (Q1–Q3: 8–12, min–max: 2–14).

Tab. 2 Verweildauer, Wohn- und Sterbeort und andere Patienteneigenschaften.

Variable

gyn. Tumoren (n = 5478)

MW = Mittelwert; SAPV = Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung; SD = Standarddeviation

Alter (bei Beginn aktive SAPV)

  • MW, SD

73,2

13,9

  • Median, Q1–Q3

76,0

64,0–84,0

  • min, max

25,0

103,0

Tage (in aktiver SAPV)

  • MW, SD

53,1

89,2

  • Median, Q1–Q3

24,0

7,0–60,0

  • min, max

0,0

1286,0

Patientenverfügung (n, %)

  • ja

2630

48,0

  • nein

2848

52,0

Angehörige/Vertrauensperson (n, %)

  • ja

5153

94,1

  • nein

325

5,9

Vollmacht (n, %)

  • ja

2923

53,4

  • nein

2555

46,6

Pflegegrad (bei Aufnahme aktive SAPV) (n, %)

  • kein Pflegegrad vorhanden

784

14,3

  • keine Angabe zum Pflegegrad

621

11,3

  • Pflegegrad 1

106

1,9

  • Pflegegrad 2

1024

18,7

  • Pflegegrad 3

1582

28,9

  • Pflegegrad 4

1034

18,9

  • Pflegegrad 5

327

6,0

verstorben (n, %)

  • nein

1027

18,7

  • ja

4451

81,3

Sterbeort (n, %)

  • zu Hause

2147

53,2

  • Hospiz, stationäres

670

16,6

  • Krankenhaus

271

6,7

  • Kurzzeitpflege

24

0,6

  • Palliativstation

177

4,4

  • Senioren und Pflegeheim

738

18,3

  • sonstiger Aufenthaltsort

7

0,2

  • fehlend (inkl. Personen, die nicht verstorben sind)

1444

Eine weitere Tumorerkrankung als Nebendiagnose lag bei 121 Patient*innen (2,2%) vor. Die Selbstversorgungsfähigkeit der Patientinnen war zum Ende der SAPV schlechter als zu Beginn ([Tab. 3]).

Tab. 3 Karnofsky-Index bei Aufnahme in die SAPV und kurz vor dem Versterben.

Karnofsky-Index

gesamt (n = 5478)

SAPV = Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung

zu Beginn der SAPV (n, % in Bezug auf vorhandene Werte)

  • 10

181

5,0

  • 20

416

11,6

  • 30

745

20,7

  • 40

1017

28,2

  • 50

748

20,8

  • 60

315

8,8

  • 70

128

3,6

  • 80

34

0,9

  • 90

15

0,4

  • 100

1

0,0

  • fehlend (n, % in Bezug auf alle Fälle)

1878

34,3

zum Ende der SAPV (n, % in Bezug auf vorhandene Werte)

  • 10

316

8,5

  • 20

513

13,8

  • 30

779

21,0

  • 40

992

26,7

  • 50

689

18,5

  • 60

276

7,4

  • 70

110

3,0

  • 80

31

0,8

  • 90

10

0,3

  • 100

1

0,0

  • fehlend (n, % in Bezug auf alle Fälle)

1761

32,1


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Symptomlast

Wichtige palliativmedizinische Symptomkomplexe wie Appetitmangel, Erbrechen, Luftnot, Schwäche und Schmerzen sind in den Grafiken 1–5 jeweils zu Beginn und am Ende der Behandlung dargestellt. Dabei nehmen typische Beschwerden des Sterbeprozesses (Appetitlosigkeit und Schwäche) zum Ende der Behandlung zu, während medikamentös beeinflussbare Beschwerden (Schmerzen, Erbrechen, Luftnot) abnehmen (bezogen auf mittlere/starke Schmerzen). Diese Unterschiede waren bei allen Symptomen außer Erbrechen statistisch signifikant (Luftnot, Schwäche und Schmerzen [p < 0,001]; Appetitmangel [p = 0,003], siehe auch [Abb. 1]). Patientinnen mit Vulva- oder Vaginalkarzinomen litten besonders häufig unter mittel bis stark ausgeprägten Wunden (59,1%) und somit auch deutlich häufiger als solche mit anderen gynäkologischen Tumoren (22,6%). Dieser Unterschied war statistisch hoch signifikant (p < 0,001) ([Abb. 1]).

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Abb. 1 Appetitmangel, Erbrechen, Luftnot, Schwäche und Schmerzen an Beginn und Ende der Versorgung.

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Überlebenszeit

Eine Kaplan-Meier-Kurve wurde zur Darstellung der Überlebenszeit genutzt und ist in [Abb. 2] abgebildet.

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Abb. 2 Kaplan-Meier-Kurve der Überlebenszeit in der Spezialisierten Ambulanten Palliativversorgung.

Die mediane Überlebenszeit stellte sich nach Tumorlokalisation unterschiedlich dar:

  • Mamma: 30 mit 95%-KI (28–32)

  • Uterus: 26 mit 95%-KI (23–30)

  • Ovar: 30 mit 95%-KI (26–33)

  • Vulva: 40 mit 95%-KI (36–53)

  • Vagina: 36 mit 95%-KI (18–65)


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Einflussfaktoren auf die Überlebenszeit

Einflussfaktoren auf die Überlebenszeit werden über die aHR („adjusted Hazard Ratio“ = „Sterberisiko“) angegeben. Die aHR eignet sich, um Unterschiede in der Sterbewahrscheinlichkeit zwischen Gruppen zu beschreiben. War beispielsweise der Karnofsky-Score bei Aufnahme 30 oder geringer, so war der HR dieser Gruppe 1,62 im Vergleich zu der Gruppe, deren Karnofsky-Score über 30 lag und das Sterberisiko somit um den Faktor 1,62 (oder 62%) erhöht. Bei kontinuierlichen Variablen wie dem CCI erhöht sich das Sterberisiko pro Punkt um den Faktor 1,01, also um 1% [8]. Eine Übersicht über die untersuchten Eigenschaften findet sich in [Tab. 4].

Tab. 4 Einflussfaktoren auf die Überlebenszeit (Cox-Regression).

Prädiktoren

aHR

Konfidenzintervall

p

CCI = Charlson Comorbidity Index

Alter (in Jahren)

1,00

1,00–1,01

< 0,001

CCI

1,01

1,00–1,02

0,076

anderer Tumor als Nebendiagnose: ja

1,19

0,97–1,46

0,093

Karnofsky ist kleiner 30

1,62

1,52–1,73

< 0,001

Appetitmangel zu Beginn mittel oder stark

1,39

1,29–1,49

< 0,001

Erbrechen zu Beginn mittel oder stark

1,20

1,08–1,33

0,001

Schwäche zu Beginn mittel oder stark

1,27

1,14–1,40

< 0,001

Luftnot zu Beginn mittel oder stark

1,15

1,08–1,23

< 0,001

Schmerzen zu Beginn mittel oder stark

1,05

0,99–1,11

0,122

Observationen

5478

R2 Nagelkerke

0,100


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Zufriedenheit der Angehörigen mit der Behandlung

Im Rahmen des Qualitätsmanagements wurde nach Beendigung der SAPV die Zufriedenheit der Angehörigen bzw. der betreuenden Mitarbeiter*innen mit der Betreuung erfragt. Zufriedenheitsdaten (Angehörige und Mitarbeiter*innen kombiniert) lagen bei 71,9% der beendeten Fälle vor. Die Zufriedenheit war insgesamt sehr hoch – 97,9% der Befragten bewerteten ihre Erfahrung als gut oder sehr gut (sehr gut: 75,9%, gut: 22,0%, mittel: 1,7%, schlecht: 0,3%).


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Diskussion

Zusammenfassung

Die vorliegende Untersuchung charakterisiert erstmals eine große Kohorte von gynäkologischen SAPV-Patientinnen in Deutschland und umfasst 22 SAPV-Versorgungsgebiete im KV-Bezirk Nordrhein.

Bezüglich der Hauptziele der SAPV – ein Versterben im häuslichen Umfeld sowie eine Kontrolle/Stabilisierung quälender Symptome am Lebensende – zeigen sich sehr gute Ergebnisse: 88,9% verstarben im häuslichen Umfeld (definiert als „Wohnort“ inklusive Pflegeheim und anderer ambulanter Wohnorte), die Symptomlast bleibt im Verlauf der Behandlung trotz des Sterbeprozesses stabil und nimmt sogar in ihrer Schwere leicht ab. Zudem bezeichnen 97,9% der Befragten ihre Erfahrung mit dem Verlauf der SAPV als „sehr gut“ oder „gut“.

Die in dieser Studie untersuchte Kohorte entspricht bezüglich Alter und Sterbeort anderen onkologischen Vergleichskohorten aus der SAPV [9] [10] [11].


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Sterbeort

Unsere Daten zeigen einen hohen Anteil an Patientinnen mit gynäkologischen Tumoren, die den mit der SAPV zu Beginn verbundenen Wunsch erreichen und nicht im Krankenhaus sterben (88,9%). Dieser Anteil liegt deutlich höher als in der Gesamtbevölkerung, hier starben im Jahr 2017 nur 27% im häuslichen Wohnumfeld, der Anteil hat allerdings seit 2001 kontinuierlich zugenommen (2001: 21%; 2011: 23%) [12] [13]. In der Kohorte sterben 12,1% im Krankenhaus oder auf der Palliativstation. Dieser Umstand ist grundsätzlich kein Zeichen für ein Versagen des Angebotes der SAPV, sondern spiegelt die Bedeutung wider, die der Krankenhaussektor für die Versorgung schwerer Fälle in der Palliativmedizin hat. Angesichts der besonderen Herausforderungen des Sterbeprozesses kann sich der Sterbeortwunsch der Patientinnen im Verlauf ändern, etwa wenn ein besonderer medizinischer Bedarf entsteht, der ambulant nicht ausreichend adressiert werden kann. Zukünftige Forschung sollte die Frage klären, aus welchen Gründen sich der Sterbeortwunsch ändert.

Auffällig ist, dass der Sterbeort „Pflegeheim“ in diesem Datensatz mit 18,3% im Vergleich zu einer allgemein – onkologischen SAPV Kohorte überrepräsentiert ist [11]. Aus klinischer Sicht vermuten wir, dass sich dieser Unterschied durch das weibliche Geschlecht erklären lässt. Die häusliche Pflege wird häufig durch Ehepartner koordiniert und unterstützt – aufgrund der niedrigeren Lebenserwartung und der mutmaßlich schlechteren Pflegeleistung von Männern in der betroffenen Generation könnten Frauen daher öfter gezwungen sein, die Unterbringung in einem Pflegeheim zu nutzen, da eine häusliche Versorgung durch den Partner nicht möglich ist. Dieser Zusammenhang sollte Gegenstand weiterer Analysen sein.


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Symptomlast

Bezüglich der Symptomlast Betroffener zeigen sich positive Effekte: medikamentös gut behandelbare Symptome wie Schmerzen, Luftnot und Übelkeit nehmen zwischen Aufnahme und Versterben sogar leicht ab, obwohl klinisch angesichts des fortschreitenden Sterbeprozesses bei natürlichem Verlauf eher eine Verschlechterung zu erwarten wäre. Dies spricht für eine erfolgreiche multimodale Therapie während der SAPV. Symptome, die direkt mit dem Sterbeprozess assoziiert sind, wie etwa Schwäche, waren vor dem Tod stärker ausgeprägt, ein Umstand, der angesichts des natürlichen Verlaufs des Sterbens zu erwarten ist. Da die Unterschiede in der Symptomlast insgesamt aber eher gering sind, interpretieren wir sie als Zeichen der Systemstabilisierung durch die SAPV, vor allem im Bezug auf quälende Symptome wie Schmerzen, Luftnot und Übelkeit.


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Sterbeort

Bezogen auf die unterschiedlichen gynäkologischen Tumoren fiel in der Kaplan-Meier-Kurve auf, dass die Überlebenszeit in der SAPV über die gynäkologischen Tumorentitäten hinweg variierte, aber insgesamt ähnlich war wie in einer vergleichbaren allgemein-onkologischen SAPV-Kohorte [11]. Angesichts klinisch unterschiedlicher Verläufe und unterschiedlicher Symptomlast gynäkologischer Tumoren erscheint die besonders deutlich verlängerte mittlere Überlebenszeit von Vaginal- (36 Tage) und Vulvakarzinomen (40 Tage) durch die oft hohe Symptomlast (z. B. Wunden) erklärbar, die wahrscheinlich in Folge zu einer „früheren“ Aufnahme in die SAPV führt („Aufnahmebias“). Im Rahmen einer Cox-Regressionsanalyse konnte gezeigt werden, dass Komorbiditäten sowie ein niedriger Karnofsky-Index und eine hohe Symptomlast zu Beginn der Behandlung das Risiko für ein früheres Versterben erhöhen. Dieses Ergebnis passt zu den Ergebnissen anderer Analysen mit onkologischen Kohorten aus diesem Datensatz [10].


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Stärken und Schwächen

Die Stärken dieser Studie umfassen die Größe des Datensatzes und die dadurch mögliche Differenzierung der Symptomlast von Menschen mit gynäkologischen Tumoren in der SAPV in Deutschland. Die multizentrische Erhebung bezog sich auf 22 unterschiedliche Dienstleister (ca. zwei Drittel aller Dienste in Nordrhein zum Zeitpunkt der Erhebung) und kann somit als repräsentativ für die Region Nordrhein bezeichnet werden. Da die SAPV-Verträge in Nordrhein bindende Qualitätsvorgaben für alle Dienste enthalten (Abrechnung, Personalschlüssel und Dokumentation), ist eine Verzerrung durch die fehlenden Dienste eher unwahrscheinlich. Im Vergleich zum bundesdeutschen Durchschnitt sind leichte Verzerrungen in unserem Datensatz bezüglich der Häufigkeit einzelner Erkrankungen jedoch zu erwarten, denn die Inanspruchnahme von SAPV variiert regional und ist in der Region Nordrhein mit 9% aller verstorbenen Versicherten niedriger als im Bundesdurchschnitt von 13,1 – ein Umstand, der häufig durch die gut etablierte AAPV in Nordrhein erklärt wird [2]. Leider kann aus unseren Daten nicht abgelesen werden, wie viele der Patienten trotz Indikation gar keine SAPV erhalten haben und ob sich diesbezüglich eine Verzerrung ergibt. Bezüglich der Verteilung der unterschiedlichen Tumorerkrankungen sind im Vergleich mit dem Krebsregister NRW Ovarial-, Vulva- und Vaginalkarzinome überrepräsentiert [14]:

  • Mamma-Ca n = 3638/66,4% (im Landeskrebsregister NRW: 73,8%)

  • Ovarial-Ca n = 964/17,6% (im Landeskrebsregister NRW: 7,7%)

  • Uterus-Ca n = 779/14,2% (im Landeskrebsregister NRW: 14,3%)

  • Vulva-Ca n = 233/(4,3%) (im Landeskrebsregister NRW: 3,8%)

  • Vaginal-Ca n = 41/(0,7%) (im Landeskrebsregister NRW: 0,4%)

Dieser Umstand könnte ebenfalls durch die klinisch erfahrungsgemäß höhere Symptomlast und Belastung bei diesen Tumorentitäten erklärt werden und wäre analog zu den erwähnten längeren Überlebenszeiten bei Vulva- und Vaginalkarzinomen.

Die Dokumentationsqualität der Daten ist wechselnd. Einerseits handelt es sich um klinische Routinedaten, die teilweise unter Zeitdruck und in Notfallsituationen von unterschiedlichen Diensten erfasst werden. Ein Beispiel hierfür ist die Erfassung der Symptomlast – die Einschätzung erfolgt wann immer möglich durch die Patientin, was aber bei zunehmender Verschlechterung des Allgemeinzustandes zum Ende der Behandlung oft nicht mehr möglich ist, sodass ohne weitere Markierung zur Fremdeinschätzung übergegangen wird. Andererseits sind die Ausstattung mit digitalen Endgeräten zur Point-of-Care-Datenerhebung, Qualitätsmanagementinstrumente und die Personaldecke bei SAPV-Dienstleistern oft besser als in der restlichen ambulanten Versorgung ausgebildet, weshalb der Datensatz zwar unter den bekannten Limitationen von klinischen Daten leidet, aber wahrscheinlich im Vergleich zu anderen Routinedaten eine höhere Qualität aufweist.


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Zusammenfassung

SAPV ist bezogen auf die erklärten Ziele erfolgreich – ein Großteil der Patientinnen schafft es, wie gewünscht, zu Hause zu versterben, palliativmedizinische Symptomkomplexe werden erfolgreich kontrolliert und Angehörige und Behandler*innen zeigen eine hohe bis sehr hohe Zufriedenheit mit der Versorgung.


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Danksagung

Wir danken dem Verbund der SAPV-Teams in Nordrhein e.V. und allen beteiligten SAPV-Diensten für die Bereitstellung der Daten: SAPV Team NoPain Frechen, Gesundheitsnetzwerk Leverkusen, HomeCare Viersen, SAPV Wesel rechtsrheinisch, SAPV Wuppertal, SAPV Oberberg, SAPV Krefeld, SAPV Team Solingen, HomeCare Aachen, Palliative Care Team Düsseldorf, Palliative Care Duisburg, Palliativteam SAPV Rhein-Erft, SAPV Niederrhein UG, Palliativteam SAPV Köln Rheinisch-Bergischer Kreis, Palliativteam SAPV Köln linksrheinisch, Palliativteam SAPV Köln, Palliativnetzwerk Niederrhein, Palliativteam Oberhausen, Palliativnetzwerk Rhein-Maas. Diese Arbeit entstand in Zusammenhang mit der Doktorarbeit von Fr. Katharina Ladermann.


Correspondence

Priv. Doz. Dr. med. Johannes Maximilian Just
Institut für Allgemeinmedizin und ambulante Gesundheitsversorgung (IAMAG), Universität Witten/Herdecke
Alfred-Herrhausen Str. 55
58455 Witten
Germany   

Publication History

Received: 23 September 2024

Accepted after revision: 22 November 2024

Article published online:
23 January 2025

© 2025. The Author(s). This is an open access article published by Thieme under the terms of the Creative Commons Attribution-NonDerivative-NonCommercial-License, permitting copying and reproduction so long as the original work is given appropriate credit. Contents may not be used for commercial purposes, or adapted, remixed, transformed or built upon. (https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/).

Georg Thieme Verlag KG
Oswald-Hesse-Straße 50, 70469 Stuttgart, Germany


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Fig. 1 Lack of appetite, vomiting, difficulty breathing, weakness, and pain at the start and at the end of care.
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Fig. 2 Kaplan-Meier curve of the survival time in specialized ambulatory palliative care.
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Abb. 1 Appetitmangel, Erbrechen, Luftnot, Schwäche und Schmerzen an Beginn und Ende der Versorgung.
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Abb. 2 Kaplan-Meier-Kurve der Überlebenszeit in der Spezialisierten Ambulanten Palliativversorgung.