Schlüsselwörter
Thrombozytopenie - Schwangerschaft - Autoimmunthrombozytopenie - Gestationsthrombozytopenie
Einleitung
Thrombozytopenien sind häufige hämatologische Störungen, die durch eine verminderte
Anzahl von Thrombozyten im peripheren Blut gekennzeichnet sind. Erworbene und chronische
Thrombozytopenien sind in der Geburtshilfe von großer Bedeutung. Thrombozytenabfälle
von 15 bis 20% sind in unkomplizierten Schwangerschaften normal, sie fallen kontinuierlich
ab beginnend im 1. Trimenon, liegen aber im normalen Bereich zwischen 150 bis 450 G/l.
Bei Geminischwangerschaften sind die Thrombozytenzahlen niedriger als bei Einlingsschwangerschaften
[1]. Milde Verläufe (100 bis 149 G/l) sind in der Regel eine Gestationsthrombozytopenie
und erfordern keine weitere Evaluation. Die genaue Ursache der Gestationsthrombozytopenie
ist nicht vollständig bekannt. Es wird eine Kombination von Faktoren einschließlich
erhöhte Plazentadurchblutung, erhöhte Thrombozytenzerstörung und verminderte Thrombozytenbildung
angenommen.
Bei einer Thrombozytenzahl < 100 G/l sollte eine differenzialdiagnostische Abklärung
erfolgen. Es gibt andere Formen der Thrombozytopenie, die während der Schwangerschaft
auftreten können oder aktiviert werden können und besonders beachtet werden müssen.
Die Symptome können mild bis schwer sein und variieren je nach Schweregrad der Erkrankung:
häufig sind Petechien, Nasenbluten, Zahnfleischbluten und Blutungen nach der Geburt.
Selten kann eine Thrombozytopenie in der Schwangerschaft zu lebensbedrohlichen Blutungen
führen. Entscheidend sind deshalb eine rechtzeitige Diagnose und adäquate Behandlung,
um mögliche Komplikationen zu verhindern. In dieser Empfehlung werden Diagnostik,
Differenzialdiagnosen und mögliche Konsequenzen verschiedener thrombozytopenischer
Zustände während der Schwangerschaft dargestellt.
Methoden
Die Empfehlungen basieren auf aktuellen internationalen Empfehlungen [2]
[3] und einer Literaturrecherche bei PubMed mit den Suchbegriffen „thrombozytopenia“
und „pregnancy“ unter Einschluss in deutscher oder englischer Sprache publizierter
Artikel bis zum Jahr 4/2024. Berücksichtigt wurden primär Artikel, die innerhalb der
letzten 10 Jahre erschienen sind.
Thrombozytopenie
Definition
Thrombozytenzahl < 150 G/l
Epidemiologie
Eine Thrombozytopenie < 150 G/l besteht im 3. Trimenon bei 7–12% der Schwangeren [4]. Nur in 1% liegen die Thrombozyten < 100 G/l. Eine Thrombozytopenie mit 100–150 G/l
ist mit großer Wahrscheinlichkeit gestationsbedingt und bedarf keiner Abklärung.
Ätiologie
In unkomplizierten Einlingsschwangerschaften sinken die Thrombozytenwerte während
der gesamten Schwangerschaft und steigen nach der Geburt des Kindes wieder an. Im
1. Trimenon sind die Thrombozytenwerte bereits signifikant niedriger als bei nichtschwangeren
Frauen [1].
Je nach Ätiologie bestehen eine unterschiedliche Blutungsgefährdung von Mutter und
Kind, schwere mütterliche Komplikationen und dementsprechend unterschiedliche Therapien.
Das Risiko für eine schwere maternale Blutung durch eine Thrombozytopenie steigt nur
bei Thrombozytenwerten zwischen 10 und 20 G/l erheblich an. Bei Thrombozytenzahlen
zwischen 20 bis 100 G/l können starke Blutungen bei invasiven Eingriffen auftreten,
aber nicht spontan.
Diagnostik
Abgeklärt werden sollte jede Thrombozytopenie,
-
sobald die Thrombozytenwerte unter 100 G/l liegen
-
die bereits vor der Schwangerschaft bestand bzw. seit der Kindheit bekannt ist
-
die sich im 1. oder 2. Trimenon manifestiert
-
mit Blutungsneigung in der Eigen- und/oder Familienanamnese.
Die diagnostische Abklärung der vielfältigen Ursachen von Thrombozytopenien – möglichst
in der Frühschwangerschaft – ist wegweisend für das geburtshilfliche Management und
die Auswirkungen auf das Neugeborene.
Gemeinsame klinische Symptome und laborchemische Befunde bereiten differenzialdiagnostische
Probleme, sodass ein interdisziplinäres Vorgehen (Geburtshelfer, Labormediziner, Hämatologe)
erforderlich ist.
Anamnese
-
Eigen- und Familienanamnese mit exzessiver Blutung, Hämatomen, Schwangerschaftskomplikationen
-
bekannte Erkrankungen wie thrombotische mikroangiopathische Syndrome (TMA), systemischer
Lupus erythematodes (SLE) oder andere Autoimmunerkrankungen sowie Lebererkrankungen
-
Thrombozytopenie in vorherigen Schwangerschaften: Zeitpunkt des Thrombozytenabfalls
(welches Trimenon, welche Dynamik); die Ausprägung der Thrombozytopenie, die klinische
Manifestation und das Gestationsalter sind dabei bedeutsam.
-
Medikamentenanamnese, z. B. neue Dauermedikamente in den letzten 3 Wochen oder sporadische
Einnahme von Medikamenten
-
Ernährungsgewohnheiten
-
Hinweise auf Hämatome, Petechien
-
Infektionszeichen (Fieber, Schüttelfrost)
-
bisheriger Schwangerschaftsverlauf inklusive Vorhandensein oder Fehlen von Komplikationen
Labor
-
Parallele Zählung im EDTA- und Zitratblut wegen potenziell falsch niedriger Ergebnisse
zum Ausschluss einer Pseudothrombozytopenie im EDTA-Blut (< 1%)
-
Optische Beurteilung eines Blutausstrichs bei Erstdiagnostik
Bei Thrombozyten < 100 G/l sollte eine differenzialdiagnostische Abklärung (z. B.
eine hämatologische Vorstellung zur Abklärung einer Immunthrombozytopenie) empfohlen
werden.
Es sollte bei Thrombozytenwerten < 100 G/l zum Ausschluss einer Pseudothrombozytopenie
im EDTA-Blut (< 1%) eine parallele Zählung im EDTA- und Zitratblut erfolgen.
Bei einer Thrombozytopenie soll ab dem 2. Trimenon ein HELLP-Syndrom ausgeschlossen
werden.
Bei einer bekannten Thrombozytopenie sollte vor der Entbindung eine Thrombozytenkontrolle
erfolgen.
Gestationsthrombozytopenie
Gestationsthrombozytopenie
Definition
Eine Gestationsthrombozytopenie ist ein physiologischer Zustand, der weder Bewertung
noch Therapie bedarf. Sie ist die häufigste Ursache in der Schwangerschaft und die
mutmaßlichste Diagnose bei Thrombozytenwerten zwischen 100 und 149 G/l, wenn keine
anderen Blutungssymptome vorliegen [5].
Für eine Gestationsthrombozytopenie sind charakteristisch
-
in 99% milder Verlauf (> 100 G/l)
-
keine starke Blutung oder Hämatome
-
keine Auffälligkeiten im Blutausstrich
-
keine fetale oder neonatale Thrombozytopenie
Epidemiologie
-
5–10% aller Schwangeren sind betroffen
-
mit 75% häufigste Ursache der Thrombozytopenie in graviditate
-
In 75% liegen die Thrombozyten zwischen 130–150 G/l, in 1% unter 100 G/l.
-
Auftreten in der Regel im 3. Trimenon
Ätiologie
Schwangerschaftsinduzierte Hämodilution und erhöhter Thrombozytenumsatz sind die Ursachen
für eine Gestationsthrombozytopenie (Thrombozytensequestrierung und Verbrauch in der
Plazenta [6].
Diagnostik
-
Bestimmung Thrombozyten in EDTA- und Zitrat-Blut
-
Ausschluss HELLP-Syndrom
-
Verlaufskontrolle nach Bedarf
-
Fallen die Thrombozytenzahlen unter 100 G/l, ist eine hämostaseologische Abklärung
angeraten.
-
Thrombozytenkontrollen je nach Befund alle 2–4 Wochen, um weiteren Abfall zu erfassen.
Therapie/Management
Prognose
-
Asymptomatisch, ohne erhöhtes Blutungsrisiko für Mutter und Kind
-
Abfall Thrombozyten bis zu 31% im Vergleich zum physiologischen Abfall bei gesunden
Schwangeren bis 18% [7]
-
Normalisierung der Thrombozyten bei der Mutter innerhalb von 6 Wochen post partum,
meist innerhalb der 1. Woche [7]
-
Die Thrombozyten sind beim Neugeboren normal.
-
Bei Z. n. Gestationsthrombozytopenie ist das Wiederholungsrisiko 14-fach höher in
einer Folgeschwangerschaft [6].
Bei Gestationsthrombozytopenie besteht keine Gefährdung von Mutter und Kind. Es ist
keine spezifische Therapie notwendig und kein spezieller Geburtsmodus.
Immunthrombozytopenie
Definition
Eine primäre Immunthrombozytopenie (ITP) ist eine isolierte Thrombozytopenie < 100 G/l
ohne klinisch apparente Begleiterkrankungen oder Ursachen und kann auch sekundär bei
Autoimmunkrankheiten vorliegen [8]. Die ITP kann in allen Trimestern auftreten, aber auch post partum.
Epidemiologie
-
1–3/10000 Schwangerschaften [3]
-
10× höher als in der Allgemeinbevölkerung
-
1–4% aller Thrombozytopenien in graviditate
-
⅔ der Fälle sind aufgrund der typischen Blutungsanamnese vor der Schwangerschaft bekannt.
Ätiologie
Bildung spezifischer Antikörper gegen verschiedene Glykoproteinkomplexe der Thrombozytenmembran
mit konsekutiver Sequestrierung zirkulierender Thrombozyten, insbesondere in der Milz.
Die erhöhte Inzidenz der Diagnose von ITP in der Schwangerschaft gegenüber der Allgemeinbevölkerung
beruht vermutlich auf vermehrter Bestimmung eines Blutbildes in der Schwangerschaft,
Abklärung bei Gestationsthrombozytopenie und mehr Autoimmunerkrankungen bei Frauen
als bei Männern [9].
Diagnostik
Richtungsweisend sind Thrombozyten < 100 G/l im 1. Trimenon mit weiterem Abfall (selten
Anstieg) der Zahlen im Schwangerschaftsverlauf.
-
Nachweis von Antikörpern gegen Glykoproteinkomplexe der Thrombozytenmembran
-
Fehlender Antikörpernachweis schließt jedoch die Diagnose ITP nicht aus.
-
alle 4 Wochen Thrombozytenkontrollen im 1. und 2. Trimenon, dann alle 2 Wochen bis
zur Geburt [3]
Klinik
Maternaler Verlauf
-
Meist asymptomatisch oder unkomplizierter Verlauf
-
selten klinisch apparente Blutungskomplikationen: Bei 20–30 G/l besteht ein erhöhtes
Blutungsrisiko.
-
Ein geringfügiger Abfall der Thrombozytenzahlen erfolgt analog zu unkomplizierten
Schwangerschaften und ist kein Ausdruck der Schwere der ITP.
Fetale/neonatale Komplikationen
-
Die Autoantikörper können diaplazentar in den kindlichen Kreislauf gelangen und dort
einen vermehrten Thrombozytenabbau verursachen.
-
Durch die Thrombozytopenie bedingte Blutungskomplikationen beim Fetus oder Neugeborenen
sind sehr selten (0,014, 95%-KI: 0,008–0,025 für intrazerebrale Blutung; 0,122 [0,095–0,157]
Thrombozytopenie beim Neugeborenen < 50 G/l). Es gibt keine verlässlichen Prädiktoren
für schwere neonatale Thrombozytopenie und keine enge Korrelation zwischen maternalen
und neonatalen Thrombozytenzahlen bei ITP [10]
[11].
-
Das Risiko einer Thrombozytopenie < 50 G/l bei Kindern von Müttern mit ITP wird auf
10–15 % geschätzt [12].
-
Risikofaktoren für eine neonatale Thrombozytopenie sind ein Z. n. neonataler Thrombozytopenie
mit schwerer Thrombozytopenie (< 50 G/l) zum gleichen Schwangerschaftsalter und maternale
Thrombozytopenie < 100 G/l zum Zeitpunkt der Geburt, Z. n. Splenektomie.
-
Die neonatalen Thrombozyten können nach der Geburt noch weiter sinken, typischer Nadir
ist zwischen Tag 2–5 post partum [4], deshalb sind tägliche Kontrollen sinnvoll.
-
Differenzialdiagnose: Beim Fetus/Neugeborenen muss an die seltene in der Schwangerschaft
erworbene schwere fetale/neonatale Alloimmun-Thrombozytopenie (FNAIT) gedacht werden
[13]
Therapie
Die Therapie der ITP richtet sich nach den Erfordernissen im Schwangerschaftsverlauf,
insbesondere bei Blutungen gelten Kortikosteroide und intravenöse Immunglobuline als
Mittel der ersten Wahl [14]
[15]. Es gibt keine Evidenz dafür, dass eine ITP-Therapie der Mutter die fetalen Thrombozyten
erhöht. Die meisten Patientinnen benötigen keine Therapie [16]. Häufig wird empfohlen, antepartal das Ansprechen der Thrombozytenzahlen auf 20–30 mg
Prednisolon per os für 3 Tage zu prüfen, wenn die Thrombozytenzahlen auf < 50 G/l
gefallen sind.
Glukokortikoide oder Immunglobuline (IVIG) sind bei Patientinnen ohne Blutung indiziert,
wenn kurz vor dem Entbindungstermin bei Indikation für vaginale Geburt die Thrombozytenzahl
< 30 G/l fällt oder bei notwendigen invasiven Prozeduren < 50 G/l wie einer geplanten
Sectio ([Tab. 1]). Wenn eine Therapie bei ITP notwendig ist und die Thrombozytenzahl dafür erhöht
werden muss, sollte eine Woche vor dem Termin die Therapie begonnen werden. Bei Werten
von < 20–30 G/l unter der Geburt sollten zusätzlich Thrombozytenkonzentrate transfundiert
werden. Für eine Periduralanästhesie/Spinalanästhesie sollten die Thrombozyten > 80 G/l
liegen.
Tab. 1
Erwarteter Effekt und Zeit bis zur Wirkung.
|
Therapie
|
Initial Response (Tage)
|
Peak Response (Tage)
|
|
IVIG
|
1–3
|
2–7 Tage
|
|
Dexamethason
|
2–14
|
4–28
|
|
Prednison
|
4–14
|
7–28
|
Entbindung
Der Geburtsmodus sollte nach geburtshilflichen Kriterien erfolgen. Hierbei sollte
auch die geburtshilfliche Anamnese sowie die aktuelle Thrombozytenzahl bedacht werden.
Als ausreichend gelten Thrombozytenzahlen > 50 G/l für eine Sectio caesarea sowie
Thrombozytenzahlen > 80 G/l vor Anlegen einer PDA oder SPA.
Obwohl das Risiko schwerer fetaler Blutungskomplikationen gering ist, sollten operativ
vaginale Entbindungen (Forceps, Vakuumextraktion), die Anlage einer Skalpelektrode
sowie eine Fetalblutanalyse möglichst vermieden werden. Da die fetalen Thrombozytenzahlen
nicht mit den maternalen korrelieren, lässt sich kein Cut-off für maternale Thrombozyten
benennen, ab dem von obigen Maßnahmen abgeraten wird.
Wichtig ist, beim Neugeborenen unmittelbar nach der Geburt die Thrombozytenzahl aus
dem Nabelschnurblut zu bestimmen.
Betreuung der Mutter in der Folgeschwangerschaft
Eine ITP hat ein Risiko, sich in einer nächsten Schwangerschaft zu wiederholen (Guilett
2023). Regelmäßige Blutbildkontrollen in einer Folgeschwangerschaft sind ratsam, eine
prophylaktische Therapie nicht.
Bei der Immunthrombozytopenie besteht durch diaplazentaren Übertritt der mütterlichen
Antikörper beim Neonaten die Gefahr einer Thrombozytopenie.
Es konnte kein Zusammenhang zwischen der Anzahl der Schwangerschaften und der Schwere
der klinischen Symptomatik gefunden werden.
Vor der geplanten vaginalen Geburt sollte die Thrombozytenzahl > 30 G/l liegen, bei
geplanter Sectio > 50 G/l, für die Spinalanästhesie > 80 G/l. Bei Unterschreiten sollte
eine medikamentöse Anhebung der Thrombozyten 7 Tage vor Eingriff erfolgen.
Bei Immunthrombozytopenie < 50 G/l sollte erwogen werden, auf eine vaginal operative
Entbindung und Fetalblutanalyse oder Anlage einer Skalpelektrode zu verzichten.
Eine Bestimmung der Thrombozyten beim Neonaten sollte erfolgen bei
-
maternaler Immunthrombozytopenie,
-
wenn unklar ist, ob eine Gestationsthrombozytopenie oder Immunthrombozytopenie vorliegt,
-
neonataler Thrombozytopenie in einer vorausgegangenen Schwangerschaft.
Thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (TTP)
Thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (TTP)
Definition
Die TTP ist eine seltene Krankheit, 5/1 Million Menschen. Die Erkrankung tritt am
häufigsten im Alter von 30 bis 40 Jahren auf. Frauen sind häufiger betroffen als Männer.
Bei Coombs-negativer hämolytischer Anämie und Thrombozytopenie ohne erklärbare Ursache
kann es sich um eine thrombotisch-thrombozytopenische Purpura handeln, die durch eine
stark reduzierte ADAMTS13-Aktivität verursacht wird [17].
Es gibt 2 Formen:
-
kongenitale thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (= hereditäre Form, Upshaw-Schulman-Syndrom)
durch Mutation des ADAMTS13-Gens
-
erworbene Autoimmun-TTP durch inaktivierende Auto-AK gegen ADAMTS13
Ätiologie
Die TTP wird durch eine Störung der Zinkprotease ADAMTS13 bedingt. Die Protease spaltet
den Von-Willebrand-Faktor (vWF), der für die Quervernetzung und das Anhaften der Blutplättchen
an beschädigten Gefäßwänden verantwortlich ist. Ab einer Verminderung der ADAMTS13-Aktivität
unter 10% bilden sich Thromben in den kleinsten Gefäßen des Körpers. Es kommt zu einer
generalisierten Plättchenaggregation mit Thrombosierung der Mikrostrombahn, Ischämie
der nachgeschalteten Gewebe und konsekutivem Endorganversagen. Ebenso werden die Erythrozyten
durch die Gefäßverschlüsse mechanisch geschädigt und zerfallen im Sinn einer Hämolyse.
Die Schwangerschaft kann ein Trigger für eine akute kongenitale oder eine erworbene
Form sein, bedingt durch den schwangerschaftsinduzierten Anstieg des Von-Willebrand-Faktors
(vWF) und der absoluten Zunahme der ungespaltenen, hochmolekularen vWF-Multimere.
Die ADAMTS13-Aktivität sinkt physiologisch in der Schwangerschaft bis zu maximal 50%.
Häufig wird die kongenitale TTP erstmals in der Schwangerschaft apparent. Die erworbene
TTP ist häufiger und wahrscheinlicher bei Patientinnen ohne Familienanamnese für TTP.
Die erworbene TTP tritt mit gleicher Verteilung in allen Trimena auf und auch postpartal.
Diagnostik
Die Diagnose wird gestellt durch die Höhe der Aktivität der ADAMTS13, Aktivität < 10%
bestätigt die Diagnose TTP.
Therapie
Es handelt sich um ein sehr seltenes und akut lebensbedrohliches Krankheitsbild, das
immer die Behandlung in einem entsprechend ausgestatteten Krankenhaus der Maximalversorgung
nötig macht. Sehr zeitnahe Initiierung einer Plasmapherese-Therapie in Abstimmung
mit der Hämatologie, Nephrologie und Transfusionsmedizin, möglichst innerhalb von
4–8 h nach Manifestation der mikroangiopathisch-hämolytischen Anämie und Thrombozytopenie.
Dadurch kann die mütterliche Letalität von 90% auf 10–20% gesenkt werden [18]. Bei TTP ist das Dringlichste die Plasmapherese, welche die Autoantikörper gegen
ADAMTS13 entfernt und das aktive ADAMTS13 im rückgeführten Plasma unterstützt. Bei
Patientinnen mit kongenitaler TTP reichen Plasmainfusionen zur Therapie, weil dies
das ADAMTS13 unterstützt: ab 5–10 SSW erfolgen Plasmainfusionen, mit steigender Frequenz
im 2. und 3. Trimenon, sowie für 6 Wochen post partum. Inzwischen steht ein rekombinantes
ADAMTS13 zur Substitutionstherapie bei hereditärem ADAMTS13-Mangel zur Verfügung.
Erste Fallberichte liegen für erfolgreiche Substitutionen in der Schwangerschaft vor
[19]. Aufgrund eines relativ hohen Molekulargewichtes von 190000 Da ist nicht von einer
ausgeprägten Plazentagängigkeit auszugehen. Im Rahmen von beim Paul-Ehrlich-Institut
registrierten „Compassionate Use Programm (TAK-755)“ ist die Gabe dieses Faktors auch
in Deutschland möglich.
Bei erworbener TTP kann auch die Therapie mit Caplacizumab (Cablivi) erwogen werden.
Die Schwangerschaft kann ein Trigger für eine akute kongenitale oder eine erworbene
Form der TTP (thrombotisch-thrombozytopenische Purpura) sein. Die Diagnose liegt vor
bei einer Aktivität der ADAMTS13 < 10%.
Es handelt sich um ein akut lebensbedrohliches Krankheitsbild, weshalb sehr zeitnah
eine Initiierung einer Plasmapherese-Therapie erfolgen sollte.
Bei kongenitaler TTP sollen ab 5–10 SSW Plasmainfusionen erfolgen zur Zufuhr von ADAMTS13,
mit steigender Frequenz im 2. und 3. Trimenon, sowie für 6 Wochen post partum.
Schwangerschaftsspezifische Differenzialdiagnosen, die mit Thrombozytopenie einhergehen
Schwangerschaftsspezifische Differenzialdiagnosen, die mit Thrombozytopenie einhergehen
HELLP-Syndrom
Definition
Typische in der Schwangerschaft auftretende Laborkonstellation aus Hämolyse, erhöhte
Transaminasen und Thrombozyten < 100 G/l. HELLP steht für Haemolysis, Elevated Liver enzymes, Low Platelets. Eine schwerwiegende Schwangerschaftserkrankung, geht häufig, aber nicht
obligat mit Hypertonie, Präeklampsie einher ([Tab. 2]).
Tab. 2
Differenzialdiagnose zu Gestations- und Immunthrombozytopenie in der Schwangerschaft.
|
Parameter
|
Präeklampsie
2.–3. Trim.
|
HELLP
3. Trim.
|
TTP
1.–3. Trim.
|
aHUS
3. Trim.
pp
|
akute SS-Fettleber
3. Trim.
|
Antiphospholipidsyndrom
3. Trim.
|
system. Lupus erythematodes
1.–3. Trim.
|
|
aHUS = atypisches hämolytisch-urämisches Syndrom; TTP = thrombotisch-thrombozytopenische
Purpura
|
|
Hypertonie
|
+++
|
+++
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+
|
++
|
+
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+/−
|
++
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|
Proteinurie
|
+++
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+++
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+/−
|
+++
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+/−
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+/−
|
+++
|
|
Oberbauchschmerz
|
+/−
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+++
|
+/−
|
+/−
|
++
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+/−
|
+/−
|
|
Neurologie
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+
|
+
|
++
|
+/−
|
+
|
+
|
+
|
|
Thrombozytopenie
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+
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+++
|
+++
|
+++
|
+
|
+
|
+
|
|
Hämolyse
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+/−
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+++
|
+++
|
+++
|
+
|
+/−
|
+
|
|
Nierenfunktionseinschränkung
|
+/−
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+
|
+
|
+++
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++
|
+/−
|
++
|
|
ATP/AST >
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+
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+++
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+/−
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+/−
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+++
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+/−
|
+
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DIC
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+/−
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+
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+/−
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+/−
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+++
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+/−
|
+/−
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|
Vorgehen
|
Antihypertensiva
|
rasche Entbindung
|
Plasmaaustausch
|
Plasmaaustausch/Ecuzulimab
|
supportiv, rasche Entb.
|
ASS, NMH
|
Hydrochloroquin,Cortison, Immunsuppressiva
|
Epidemiologie
Präeklampsie (2–3%) und HELLP (0,5–0,9%) machen zusammen 15–22% aller Thrombozytopenien
in der Schwangerschaft aus [20]. 93 % ereignen sich ≥ 30 SSW und 75% ≥ 35 SSW, können sich jedoch auch erst im Wochenbett
manifestieren (bis zu 30%). Bei nur 7% fällt die Thrombozytenzahl < 100 G/l, bei 3%
< 60 G/l (Perez 2021).
Ätiologie der Thrombozytopenie
Die Thrombozytopenie wird bedingt durch zytokinvermittelte Endotheldysfunktionen mit
systemischer Gerinnungsaktivierung und intravasalem Verbrauch von Gerinnungsfaktoren
und Thrombozyten. Der Nadir wird 23–29 h nach Diagnose erreicht. Es besteht keine
Thrombozytopenie des Fetus.
Differenzialdiagnose
Differenzialdiagnostisch ist die Abgrenzung von der thrombotisch-thrombozytopenischen
Purpura (TTP) und der Complement-mediated thrombotischen Mikroangiopathie (TMA) oder
dem atypischen hämolytisch-urämischen Syndrom (= aHUS) bedeutend. Das ist besonders
zwischen 25–30 SSW wichtig, wenn Symptome einer neurologischen Ischämie prominent
sind oder wenn die Symptome nach der Geburt sich nicht prompt bessern. Bei TTP und
aHUS finden sich eine mikroangiopathische hämolytische Anämie und eine Thrombozytopenie.
Die Reduktion der ADAMTS13-Aktivität ist richtungsweisend für TTP.
Klinik
Oberbauchschmerzen, Hypertonie, Proteinurie, Cephalgien, Transaminasenanstieg, meist
unauffällige Gerinnung, Persistenz der Symptome > 72 h nach der Geburt
Prognose
Der Schweregrad der Thrombozytopenie korreliert mit der mütterlichen Morbidität und
der perinatalen Mortalität.
Therapie
Ab ≥ 34 + 0 SSW rasche Entbindung bei schwerem Verlauf [20].
Ein HELLP-Syndrom ist neben der Gestationsthrombozytopenie die häufigste Ursache einer
Thrombozytopenie in der Schwangerschaft. Bei einer Thrombozytopenie soll daher ein
HELLP-Syndrom als wichtigste Differenzialdiagnose ausgeschlossen werden und die Bestimmung
eines HELLP-Labors (Blutbild, Haptoglobin, Transaminasen und Eiweiß-Kreatinin-Ratio
bzw. 24-h-Protein-Sammelurin) erfolgen.
Thrombotische Mikroangiopathie (TMA) – aHUS
Definition
Unter einer thrombotischen Mikroangiopathie (TMA) versteht man eine Bildung von Thromben
in den Endverzweigungen von Blutgefäßen (Arteriolen, Venolen) mit begleitender Endothelschädigung
([Tab. 2]). Die TMA führt zu einer Ischämie mit schwerwiegenden Organdysfunktionen und kann
akut lebensbedrohlich sein.
Ätiologie
Complement-mediated thrombotische Mikroangiopathie (CM-TMA) oder atypisches hämolytisches
Syndrom (= aHUS) sind durch eine erhöhte Aktivierung von Komplement an Endothelzellen
bedingt. Dabei können Mikrothromben in Endverzweigungen des gesamten Gefäßsystems
entstehen. Dabei sind die Nieren besonders häufig betroffen. Schwangerschaftskomplikationen
können eine TMA, in Abwesenheit von genetischen oder erworbenen Komplementveränderungen,
triggern.
Beim Diarrhö-negativen (atypischen) hämolytisch-urämischen Syndrom handelt es sich
um eine unkontrollierte Aktivierung des Komplementsystems, welches während der Schwangerschaft
oder post partum, insbesondere nach Sectio, auftreten kann. Das höchste Erkrankungsrisiko
besteht postpartal und kann bis zu 10 Wochen nach der Geburt auftreten. Es handelt
sich um eine Ausschlussdiagnose, wobei das Komplement nicht wegweisend ist. Bei Patientinnen
mit hereditärer CM-TMA kommt es entweder in der Schwangerschaft oder post partum zur
Erstmanifestation. Dabei können die Symptome ähnlich wie bei HELLP-Syndrom oder TTP
sein. Die Differenzialdiagnose ist eine Herausforderung, da während der normalen Schwangerschaft
der Komplementfaktor C3a bis zu 10-fach erhöht sein kann (bei Präeklampsie oder HELLP
sogar bis zu 20-fach). Hämolytische Anämie, Thrombozytopenie und Anstieg des Serumkreatinins
sind die diagnostischen Hinweiszeichen für TMA.
Angeborene Komplementveränderungen mit CFH-, CFHR1-, C3- oder CF1-Mutationen sind
die hauptsächlichsten genetischen Veränderungen in Assoziation mit aHUS (66%). Genetisch
determinierte Dysregulation des Komplementsystems wie Mutationen in CFH oder Anti-CFH-Antikörpern
sind mit einer schlechteren renalen Prognose verbunden, wohingegen MVP- und C3-(Komplementfaktor
3-)Mutationen (insbesondere bei Kindern) einen günstigeren Verlauf haben. MCPC = CD46,
DAF = CD55 + CD59, DAF = CD55 + CD59 sind komplementregulierende Faktoren, die vor
übermäßiger Komplementaktivierung schützen. Post partum kann es zu einer vorübergehenden
Imbalance kommen.
Klinik
Primär steht die Einschränkung der Nierenfunktion (Oligurie, Anurie) im Vordergrund,
welche vom akuten Nierenversagen mit ggf. Dialysepflicht bis hin zum terminalen Nierenversagen
bei 76% betroffener Patientinnen reichen kann. Solche Nierenschäden sind bei Präeklampsie/HELLP
und TTP selten und Stuhlproben sind typischerweise Shiga-Toxin-negativ (Shigellen).
Bei Patientinnen mit CM-TMA kann es zur vermeintlichen Fehldiagnose HELLP-Syndrom
kommen; sie fallen erst dann klinisch auf, wenn sich die Nierenfunktion verschlechtert
oder nach der Entbindung nicht verbessert.
Fetale Komplikationen
Fetale Komplikationen sind beim aHUS selten. Es kann jedoch, im Rahmen von thrombosebedingten
Plazentainfarkten von dezidualen Gefäßen, zum IUFT kommen.
Therapie
Eculizumab: monoklonaler Antikörper ist ein terminaler Komplementinhibitor. Es wird
die unkontrollierte terminale Komplementaktivierung und die daraus resultierende komplementvermittelte
thrombotische Mikroangiopathie blockiert, wodurch es zu einer Abnahme der terminalen
Komplementaktivität kommt.
CM-TMA oder aHUS sind durch eine Aktivierung von Komplement an Endothelzellen bedingt.
Dabei besteht das höchste Erkrankungsrisiko postpartal (bis zu 10 Wochen nach der
Geburt). Richtungsweisend ist insbesondere eine eingeschränkte Nierenfunktion. Die
Standardtherapie sind monoklonale Antikörper, z. B. Eculizumab.
Akute Schwangerschaftsfettleber
Definition
Die akute Schwangerschaftsfettleber (Acute Fatty Liver of Pregnancy, AFLP) ist eine
lebensbedrohliche, nur im 3. Trimenon auftretende Funktionsstörung der Hepatozyten,
die mit einer erheblichen Fetteinlagerung und mit einem hohen Sterblichkeitsrisiko
für Mutter und Kind einhergeht (mütterliche Letalität 10%) ([Tab. 2]). Die Inzidenz liegt bei 1 : 5000–10000 Geburten.
Ätiologie
Eine Störung der β-Oxidation in den Mitochondrien der Hepatozyten führt zu einer Akkumulation
von Lipiden. Der genaue pathophysiologische Mechanismus ist noch unklar. Gesichert
ist, dass fetale Defekte im Enzym Langketten-3-hydroxyacyl-CoA-Dehydrogenase (LCHAD)
zur einer Art Überschwemmung des mütterlichen Organismus mit Fettsäuren bzw. deren
Metaboliten führen.
Klinik
Uncharakteristische Symptome sind Inappetenz, Juckreiz, Übelkeit und Erbrechen mit
akuter Verschlechterung des Allgemeinbefindens innerhalb von Stunden bis wenigen Tagen.
Häufig entwickeln sich eine Hypertonie durch den vasokonstriktiven Effekt von freiem
Bilirubin, ein Ikterus, Cephalgien und eine Enzephalopathie. Dieses klinische Beschwerdebild
kann auf eine akute Schwangerschaftsfettleber hindeuten. Komplikationen können eine
Koagulopathie, Elektrolytstörungen und ein Multiorganversagen, inklusive Leber- und
Nierenversagen, sowie eine akute Pankreatitis sein. Die Mortalität ist für Mutter
(bis 10%) und Kind (bis 20%) hoch.
Swansea-Kriterien zur Diagnostik können hilfreich sein, darin ist Hypoglykämie wegweisend
[21].
Therapie
Supportiv (Volumen- und Glukosezufuhr, Korrektur der Gerinnungsstörung; sofortige
Entbindung)
Gehen Hypertonie und Cephalgien mit Juckreiz, Ikterus und einer akuten Verschlechterung
des Allgemeinzustandes sowie Enzephalopathie einher, sollte eine akute Schwangerschaftsfettleber
ursächlich in Erwägung gezogen werden. Es soll die sofortige Entbindung erfolgen.
Sekundäre Thrombozytopenien anderer Genese
Sekundäre Thrombozytopenien können bei einem Lupus erythematodes oder Antiphospholipidsyndrom
auftreten [22]
[23] ([Tab. 2]).
Medikamenteninduzierte Thrombopathien
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Die Thrombozytopenie bei ASS entsteht durch einen erhöhten Thrombozyten-Turnover,
es kann zu verstärkter Blutung nach ASS kommen, die Therapie besteht in der Gabe von
Desmopressin.
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Die heparininduzierte Thrombozytopenie (HIT) ist sehr selten in der Schwangerschaft.
In 2% treten Blutungen und 0,11% Thrombozytopenien auf. Zu Blutungskomplikationen
und Gerinnungsstörungen kommt es jedoch nur bei fehlerhafter Dosierung.
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Mit Thrombozytopenie einhergehen kann die Einnahme von Analgetika (Indometacin, Ibuprofen,
Diclofenac), Antibiotika, Diuretika, Antiepileptika/Sedativa und Antazida.
Infektionen
HIV, Zytomegalie-, Röteln- und Parvo-B19-Viren können eine Thrombozytopenie verursachen
und sollten mitbedacht werden.