Schlüsselwörter
Primäre Ciliäre Dyskinesie - Physiotherapie - Sekretretention - Sekretmanagement - muko-obstruktive Atemwegserkrankung
Keywords
Primary ciliary dyskinesia - physical therapy - secretion retention - secretion management - muco-obstructive lung disease
Bei der Primären Ciliären Dyskinesie (PCD) handelt es sich um eine seltene angeborene Multisystemerkrankung, die durch eine Dysfunktion motiler Zilien charakterisiert ist. Wenn zusätzlich ein Situs inversus vorliegt, wird von einem Kartagener Syndrom gesprochen [1]. Es handelt sich um eine genetisch und dementsprechend auch klinisch heterogene Erkrankung, die im Zusammenhang mit Mutationen in mittlerweile mehr als 50 Genen steht und die sich an mehreren Organsystemen manifestieren kann. Eine umfassende Übersicht zu Klinik, Diagnostik und Therapie der PCD gibt der aktuelle deutschsprachige Artikel von Raidt und Kollegen [2]. Im Vordergrund steht eine mukoobstruktive Atemwegssymptomatik, da es durch die Dysfunktion der multiplen motilen Zilien des Atemwegsepithels zu einer verminderten mukoziliären Reinigung kommt. Diese umfasst Symptome der oberen Atemwege wie Rhinitis, Rhinorrhö, Nasenpolypen und/oder Sinusitis [3]. Im Gegensatz zur oberen Atemwegssymptomatik bei Mukoviszidose geht diese bei Betroffenen mit PCD häufig mit (rezidivierender oder chronischer) Otitis media (mit und ohne Paukenergüssen), Schallleitungsschwerhörigkeit und der Einlage von Paukenröhrchen (in der Vorgeschichte) einher [3]
[4]
[5]. Die Symptomatik der unteren Atemwege äußert sich u.a. durch Husten, Sekretretention, rezidivierende Infektionen und Bronchiektasen [3]. In verschiedenen Studien konnte gezeigt werden, dass in Kohorten, die Patientinnen und Patienten mit Bronchiektasen (unklarer Genese) beinhalten, häufig eine PCD zugrunde liegt [6]
[7]
[8]. Beim Neugeborenen kommt es häufig zu einem neonatalen Atemnotsyndrom [3]. Die PCD ist eine seltene Erkrankung mit einer geschätzten globalen Prävalenz von 1:7500 [9]. Aufgrund des klinisch variablen Erscheinungsbilds sowie der komplexen Diagnosestellung wird die PCD oft spät oder gar nicht diagnostiziert [10].
Der vorliegende Artikel gibt eine Übersicht über die physiotherapeutischen Behandlungsmöglichkeiten. Es gibt nahezu keine evidenzbasierten Therapieempfehlungen [11]
[12]
[13]. Das physiotherapeutische Management der PCD ist daher angelehnt an die Behandlung anderer Atemwegserkrankungen und beruht auf der Meinung von Expertinnen und Experten [12]. Dieser Artikel beinhaltet eine Zusammenfassung der vorhandenen Literatur und der Erfahrungen der Autorinnen und des Autors. Zusätzlich werden in diesem Artikel die Rahmenbedingungen für die physiotherapeutische Behandlung der PCD dargestellt.
Physiotherapeutische Versorgung
Physiotherapeutische Versorgung
Patientinnen und Patienten mit PCD sollten von einem multiprofessionellen Team versorgt
werden [11]
[14]
[15]. Zu diesem Team gehören u.a. Physiotherapeutinnen und -therapeuten [14]
[15]. In einigen pädiatrischen Behandlungszentren in Europa, Israel und der Türkei wurde
erhoben, wie Patientinnen und Patienten mit PCD bisher physiotherapeutisch versorgt wurden.
Bei 78% der Betroffenen wurden Therapien zur Reinigung der Atemwege und bei 28% körperliches
Training in die Versorgung miteinbezogen [16]. In einer Empfehlung wurden die Unterstützung der Sekretclearance durch Maßnahmen zur
Sekretmobilisation sowie die Verbesserung der Atemregulation und körperlichen Fitness als
physiotherapeutische Ziele aufgezählt [11]. Dabei handelt es sich um relevante Ziele, um den Gesundheitszustand der Patientinnen
und Patienten mit PCD zu erhalten oder zu verbessern. In einer Querschnittsstudie aus der
Schweiz wurden anhand eines Fragebogens u.a. die körperliche Aktivität und die angewandten
atemphysiotherapeutischen Techniken bei Patientinnen und Patienten mit PCD untersucht. Eine
professionelle physiotherapeutische Behandlung erhielten 75% der minderjährigen, aber nur 30%
der erwachsenen Teilnehmenden [15]. Dieses Versorgungsdefizit, v.a. bei Erwachsenen, dürfte auch auf Deutschland und die
meisten anderen Länder Europas zutreffen [17]. Bei der Querschnittsuntersuchung führten die eingeschlossenen Patientinnen und
Patienten eine Reinigung der oberen und unteren Atemwege mithilfe einer Kochsalzinhalation
durch [15]. Die Inhalation stellt im Therapieprozess einen wichtigen Bestandteil zur Sekretolyse
dar. Mittels einer Cross-over-Studie wurde die Inhalation von isotoner und hypertoner
Kochsalzlösung bei Patientinnen und Patienten mit PCD untersucht. In der Interventionsgruppe
konnte beim Inhalieren von hypertoner Kochsalzlösung eine Reduktion von Thoraxschmerzen und
respiratorischen Symptomen erreicht werden [16]. Die Inhalation im Handlungsfeld der Atemphysiotherapie bedarf einer medizinischen
Verordnung des zu inhalierenden Medizinprodukts, einer Auswahl des dafür geeigneten Verneblers
und einer eingehenden Schulung, die eine effektive Deposition, durch tiefe Einatmung mit
anschließender Pause vor der Ausatmung, optimieren kann. Physiotherapeutinnen und -therapeuten
können bei der Auswahl des geeigneten Geräts und der Anwendungsschulung fachlich unterstützen
(s. Zusatzmaterial). Zudem kann durch die Inhalation für die oberen Atemwege eine effektivere
Reinigung erreicht werden. Bei der Querschnittsuntersuchung wurden für die Reinigung der
oberen Atemwege zusätzlich Naseputzen und Nasenduschen angegeben [15]. Nasenduschen stellen eine gute Möglichkeit zur Reinigung der oberen Atemwege dar. Bei
Kindern ab 3 Jahren kann die Anwendung einer elektrischen Nasendusche erfahrungsgemäß
erleichternd sein.
Hinsichtlich der unteren Atemwege wurden weitere Techniken wie z.B. die autogene Drainage
oder die Ausatmung gegen einen positiven Widerstand (Positive Expiratory Pressure, PEP)
benannt [15]. Als Atemhilfsmittel wurde anamnestisch am häufigsten der Flutter verwendet [15]. In einer deskriptiven Studie wurden die angewandten Interventionsmöglichkeiten bei
PCD untersucht. Die Patientinnen und Patienten gaben an, Techniken zur Reinigung der Atemwege
wie die autogene Drainage oder oszillierende PEP oder PEP-Masken sowie manuelle Techniken
anzuwenden [18]. In einer Querschnittsstudie gaben außerdem mehr als die Hälfte der Teilnehmenden an,
körperlich aktiv zu sein. Sport bzw. körperliche Aktivität und eine professionelle
Atemphysiotherapie sind wichtige Säulen der Behandlung bei PCD [15].
Erste Interventionsstudien dienten zur Untersuchung physiotherapeutischer Techniken bei PCD [19]
[20].
In einer Cross-over-Studie wurden die posturale Drainage, Perkussionen und Vibrationen mit
dem Einsatz der hochfrequenten Vibrationsweste bei Patientinnen und Patienten mit PCD
verglichen. Beide Interventionsmöglichkeiten waren effektiv und erzielten eine signifikante
Verbesserung der Lungenfunktion. Die posturale Drainage, Perkussionen und Vibrationen führten
zu einer Verbesserung der relativen Einsekundenkapazität (FEV1) von 73 zu 79%
(p=0,001), der forcierten Vitalkapazität (FVC) von 77 zu 82% (p=0,002) und des
exspiratorischen Spitzenflusses (PEF) von 74 zu 83% (p=0,001). Nach den Behandlungseinheiten
mit der hochfrequenten Vibrationsweste stieg die FEV1 von 71 auf 77% (p=0,001), die
FVC von 75 auf 80% (p=0,002) und der PEF von 71 auf 78% (p=0,002). Es bestanden keine
signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Interventionsgruppen. Die Teilnehmenden
bewerteten die hochfrequente Vibrationsweste jedoch als komfortabler. Eine dauerhafte
individuelle Therapie bei PCD ist erforderlich. Die Vibrationsweste stellt demnach eine
Behandlungsmöglichkeit bei niedriger Adhärenz dar [20]. Obwohl sich die Vibrationsweste in dieser Studie als komfortabler herausstellte, gibt
es auch Patientinnen und Patienten, die den starken Anpressdruck der Weste als unangenehm
empfinden. Das aktive Selbstmanagement der Patientinnen und Patienten in der
physiotherapeutischen Behandlung hat hinsichtlich der Förderung der Eigenaktivität einen
großen Stellenwert und ist mit der passiven Anwendung der Weste weniger gegeben. In einer
weiteren Cross-over-Studie wurden die posturale Drainage, Vibrationen und Perkussionen sowie
die Verwendung des Positive-Expiratory-Pressure(PEP)-Geräts Acapella bei Patientinnen und
Patienten mit PCD untersucht [19]. Nach beiden Interventionszeiträumen konnte eine Verbesserung der Lungenfunktion
erreicht werden. Die Therapie mit dem Acapella führte zu statistisch signifikanten
Verbesserungen, u.a. in einem Anstieg der FEV1 von 75 auf 78% (p=0,018). Der
maximale exspiratorische Fluss (MEF25–75) stieg von 63 auf 67% (p=0,016) und der
PEF stieg von 69 auf 74% (p=0,020). Bei der Therapie mittels der posturalen Drainage,
Vibrationen und Perkussionen zeigte sich nur eine signifikante Verbesserung der FVC. Die
Teilnehmenden empfanden das Acapella als komfortabler. Dies könnte die Adhärenz der
Patientinnen und Patienten mit PCD fördern sowie einen positiven Einfluss auf das
Langzeitoutcome haben [19]. Allgemein gilt es festzuhalten, dass die Anwendung von PEP-Geräten zur Stabilisation
der Atemwege beiträgt sowie zur Sekretmobilisation dient. Es wird davon ausgegangen, dass der
Oszillationsindex relevant ist. Bei oszillierenden PEP-Geräten mit einem höheren
Oszillationsindex liegen eine höhere Flussamplitude und -frequenz vor. Es wird vermutet, dass
dies zu einer effektiveren Sekretmobilisation führt [21]. Es gibt vielfältige (oszillierende) PEP-Geräte mit diversen Funktionen. Dies sollte
bei der Verordnung eines Atemhilfsmittels beachtet werden [22]. Der Einsatz von Atemhilfsmitteln bei atemphysiotherapeutischen Techniken mit und ohne
Oszillation kann die mukoziliäre Reinigung effektiv unterstützen. Eine individuelle Testung
und fachliche Beratung mit Schulung des Geräts ist zu empfehlen. Berücksichtigt werden sollten
die individuellen Präferenzen der Patientinnen und Patienten sowie Alter, Ziel und
Praktikabilität.
Es gilt festzuhalten, dass bisherige Interventionsstudien aus der Türkei stammen [19]
[20]. Wohingegen die Querschnittsuntersuchung in der Schweiz [15] und die deskriptive Studie in Italien [18] entstanden sind. Infolgedessen ist erkenntlich, dass länderspezifische Unterschiede
bei der Behandlung der PCD vorliegen. In Deutschland werden z.B. seltener Perkussionen
ausgeführt. Dahingegen stellen diese einen Bestandteil der atemphysiotherapeutischen
Versorgung in der Türkei dar [20]. In einem Erfahrungsbericht wurde berichtet, dass von der Verwendung von Perkussionen
abgesehen wird, da diese nicht an den Atemrhythmus der Patientinnen und Patienten anpassbar
sind und zu einem unproduktiven Hustenreiz führen können [23]. Sowohl in der Schweiz als auch in Italien wird u.a. die autogene Drainage als
Maßnahme zur Sekretmobilisation angegeben. Mithilfe der Interventionsstudien [19]
[20] konnte eine Verbesserung einzelner Lungenfunktionswerte erzielt werden. Die Maßnahmen
aus der Schweiz und Italien wurden bisher noch nicht im Rahmen von Interventionsstudien bei
Patientinnen und Patienten mit PCD untersucht. Nichtsdestotrotz können durch die
Atemphysiotherapie positive Auswirkungen erzielt werden.
Physiotherapieinhalte und -maßnahmen
Physiotherapieinhalte und -maßnahmen
Die Inhalte und Maßnahmen der Physiotherapie bei PCD sind für Patientinnen und Patienten individuell und sollten die Förderung der Partizipation und Aktivität im Alltag berücksichtigen. Als Basistherapie lassen sich außerdem die autogene Drainage, therapeutische Körperstellungen und die Förderung der kardiopulmonalen Ausdauerfähigkeit als regelmäßig empfohlene Maßnahmen bei Patientinnen und Patienten mit PCD festhalten.
Folglich sind Überschneidungen und Unterschiede hinsichtlich der physiotherapeutischen Techniken aus der Literatur und den Erfahrungen erkenntlich. Die Inhalation [16], die autogene Drainage [15]
[18] sowie die körperliche Fitness [15] wurden bereits in der Literatur erwähnt und stellen wichtige Interventionen in der Behandlung der PCD dar.
Reinigung durch Husten
Patientinnen und Patienten mit PCD haben i.d.R. eine gute Hustenclearance. Die
Funktionsstörung der Zilien bedingt eine abnormale mukoziliäre Clearance bei der PCD [10]. Das Erlernen von Hustentechniken zur Reinigung der Atemwege ist erfolgversprechend.
Das Sensibilisieren für den „richtigen Zeitpunkt“ des Hustens, die Wahrnehmung für die
Lokalisation des Sekretes und das möglichst kurze und effektive Abhusten sollen einen
quälenden und ineffektiven Husten verhindern. Der „richtige Zeitpunkt“ besteht, wenn das
Sekret von den kleinen in die großen Atemwege mobilisiert wurde. Dieser kann akustisch und
palpatorisch von den Patientinnen und Patienten und Physiotherapeutinnen und -therapeuten
erkannt werden, sodass dann effektiv abgehustet werden kann. Das Bewusstsein für die
Wichtigkeit des Hustens sollte den Patientinnen und Patienten vermittelt werden, da das
Vermeiden von Husten zu einer verstärkten Sekretretention führt und somit einen Nährboden für
eine weitere Keimbesiedelung darstellen kann.
Weitere Therapiemaßnahmen
Weitere Therapiemaßnahmen
Die klinische Symptomatik steht bei der Auswahl der Therapieinhalte im Vordergrund. Im
Folgenden handelt es sich um eine Auflistung von Therapieinhalten in Anlehnung an die
Empfehlungen zur Atemphysiotherapie der Deutschen Atemwegsliga [24] und aus eigener Erfahrung der Autorinnen und des Autors. Es wird keinerlei Anspruch
auf Vollständigkeit erhoben ([Tab. 1], [Tab. 2] und [Tab. 3]).
Therapieinhalte sind:
-
Reinigen der Atemwege durch die Mobilisation des Sputums,
-
Erhalten und Steigern der körperlichen Leistungsfähigkeit,
-
Fördern der Atemregulation,
-
Geräteschulung zur Inhalation und Anwendung von Atemhilfsmitteln,
-
Mobilisation der thoraxumgebenden Gewebe,
-
Unterstützen der sensomotorischen Entwicklung bei Kindern,
-
Beraten und Anleiten.
Die folgenden Tabellen geben einen Überblick über mögliche Therapieziele und die daraus resultierenden Inhalte und Maßnahmen. Die Darstellung bezieht sich auf das „Neue Denkmodell“ von Antje Hüter-Becker [25]. Es ermöglicht eine ganzheitliche Sichtweise, in der die Patientin bzw. der Patient mit Symptomen und ihrer/seiner Lebensumwelt betrachtet wird. Es handelt sich um ein Theoriemodell zur Erklärung, Strukturierung und Ordnung von physiotherapeutischem Wissen und Handeln. Es verfolgt für Patientinnen und Patienten das Ziel der optimalen Gestaltung der Partizipation und die größtmögliche Selbstständigkeit am gesellschaftlichen Leben. Die Wirkorte der Therapie werden als System definiert und weisen darauf hin, dass die Betrachtung der Patientinnen und Patienten immer ein ganzheitlicher Ansatz zugrunde liegt und nicht nur die Funktion als solche beinhaltet [25].
Die hier dargestellten Wirkorte sind modifiziert und bündeln die in den folgenden Tabellen dargestellten Ziele, Inhalte und Maßnahmen der Physiotherapie bei PCD nach ihren Wirkorten.
-
Respiratorisches System ([Tab. 1])
-
Sensomotorisches System ([Tab. 2])
-
Sozialemotionales System (Aktivität und Teilhabe) ([Tab. 3])
Tab. 1 Respiratorisches System – Therapieziele und daraus resultierende Inhalte und Maßnahmen. * Ausatemverlängernde Pustespiele mit (körpereigenen) Stenosen, z.B. Ausatmen in den Handtunnel, die Lippenbremse oder mit der Verwendung von Einmalspielzeug zum einmaligen Gebrauch (Wattepusten durch Strohhalme; Hauchen an Spiegel; optische Darstellung des Ausatmens durch das Malen von Sonnenstrahlen, die die Länge der Ausatmung zeigen).
Therapieziel
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Therapieinhalt
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Maßnahmen
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Ökonomisieren des Atmens durch Sekretclearance in den oberen und unteren Atemwegen
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Inhalation für obere und untere Atemwege mit geeignetem Gerät
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Ökonomisieren des Atmens durch Sekretclearance in den oberen und unteren Atemwegen
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Sekretmobilisation und -elimination
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Anbahnen, Anleiten und Unterstützen der autogenen Drainage
-
Einsatz von Atemhilfsmitteln
-
Erarbeiten der therapeutischen Körperstellungen
-
Erlernen von Hustentechniken
-
mit und ohne Atemhilfsmittel
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aktive Pustespiele (unter Berücksichtigung hygienischer Aspekte)*
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Erhalten und Verbessern der Ventilation und Perfusion der Lunge
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Positionswechsel
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atemvertiefende Maßnahmen wie z.B. Dehnungen und Vibrationen, Schüttelungen der Extremitäten in unterschiedlichen Ausgangsstellungen
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Erarbeiten der therapeutischen Körperstellungen
|
Erhalten der Thoraxmobilität
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Mobilisieren thoraxumgebender Strukturen
|
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Verwenden von Atemhilfsmitteln
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Stabilisation der Atemwege und Sekretmobilisation
|
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Tab. 2 Sensomotorisches System – Therapieziele und daraus resultierende Inhalte und Maßnahmen.
Therapieziel
|
Therapieinhalt
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Maßnahmen
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Fördern der sensomotorischen Entwicklung bei Säuglingen und Kindern
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Positionsanbahnung in Richtung Vertikalisierung und Wahrnehmung schulen
|
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Erhalten und Verbessern der körperlichen Fitness
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Training motorischer Grundeigenschaften (mit und ohne Gerät) und Erhalten und Verbessern der kardiopulmonalen Belastbarkeit
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Fördern von
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Kraft
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Ausdauer
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Mobilität
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Koordination
-
Gleichgewicht
-
Tiefensensibilität
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Tab. 3 Sozialemotionales System – Therapieziele und daraus resultierende Inhalte und Maßnahmen.
Therapieziel
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Therapieinhalt
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Maßnahmen
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Lebensqualität erhalten
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Alltag erleichtern
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Reihenfolge der Therapieinhalte festlegen
-
Therapie und Therapiepausen ermöglichen
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spielerische Therapieaspekte erläutern
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Vermitteln von Bewegungsfreude
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Therapie in den Alltag einfließen lassen
-
Therapievariationen anbieten
-
Geräteschulung
-
Elternanleitung
-
Behandlungspläne erstellen
-
Selbstmanagement stärken
-
Adhärenz und Motivation fördern
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Physiotherapie während des stationären Aufenthalts
Physiotherapie während des stationären Aufenthalts
Während eines stationären Aufenthalts, z.B. aufgrund einer Exazerbation, ist eine tägliche Physiotherapie zu empfehlen [14]. Die Behandlungsinhalte richten sich nach dem aktuellen atemphysiotherapeutischen Befund, der klinischen Symptomatik und den medizinischen Erhebungen (Anamnese, Diagnose, ärztliche Untersuchung). Ein intensives Sekretmanagement mit gezielter Inhalation und Physiotherapie kann in der Akutphase den Atem ökonomisieren und Patientinnen und Patienten zu mehr Aktivität und Teilhabe im Alltag verhelfen.
Physiotherapie im ambulanten Setting in der Klinikambulanz
Physiotherapie im ambulanten Setting in der Klinikambulanz
Eine regelmäßige Vorstellung zur Evaluation des respiratorischen Managements durch Physio- oder Atmungstherapeutinnen bzw. -therapeuten im Zusammenhang mit der regelmäßigen ärztlichen Kontrolluntersuchung wird in einigen spezialisierten Ambulanzen angeboten. Die Voraussetzung einer effizienten und individuellen Therapie ist ein gezielter Befund, der in regelmäßigen Abständen evaluiert werden sollte. Dieser kann u.a. einen Belastungstest beinhalten, um die körperliche Leistungsfähigkeit der Patientinnen und Patienten einschätzen zu können. Erfahrungsgemäß eignen sich der 6-Minuten-Gehtest (6-MGT) sowie der Stair-Climb-Test (SC-Test) zur Evaluation der körperlichen Leistungsfähigkeit [11]. Ergänzend besteht die Möglichkeit der Durchführung einer Spiroergometrie durch die behandelnde Ärztin bzw. den behandelnden Arzt.
Die folgende Checkliste erläutert nach eigenen Erfahrungen die Themenschwerpunkte eines physiotherapeutischen Konsils in der pneumologischen Ambulanz:
-
persönliche Daten mit Kontakt,
-
Entbindung von der Schweigepflicht, um mit ambulanten Therapeutinnen und Therapeuten
in Kontakt zu treten,
-
aktuelle klinische Symptomatik,
-
Aktivität im Alltag,
-
Teilhabe im sozialen Umfeld,
-
Therapiealltag mit Inhalation (Technikschulung, Geräteoptimierung, Reihenfolge der
Inhalation, Verordnung empfehlen),
-
Beratung und Anwendung von Atemhilfsmitteln,
-
physiotherapeutische Maßnahmen (Durchführung zu Hause, in der Praxis – beraten und
schulen),
-
Atemtechniken (Sekret mobilisierend, atemerleichternd, atemvertiefend – beraten und
schulen),
-
Dyspnoe-Skala: modifizierte Medical Research Council (mMRC)-Skala oder BORG-Skala zur
Selbsteinschätzung der Atmung und Belastung,
-
6-MGT oder SC-Test zur evaluierten Verlaufskontrolle der Belastbarkeit,
-
Adhärenzsteigerung durch Formulieren eines gemeinsamen Ziels, Motivieren zur Therapie, Bestärken des Selbstmanagements und der individuellen Möglichkeiten.
Physiotherapie im ambulanten Setting in der Praxis
Physiotherapie im ambulanten Setting in der Praxis
Die Diagnose PCD und Kartagener Syndrom sind noch nicht in den Listen für den
langfristigen Heilmittelbedarf (LHB) bzw. besonderen Verordnungsbedarf (BVB) aufgeführt, die
vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) verabschiedet werden. In den Heilmittelrichtlinien
werden die Behandlungen daher auf eine Anzahl von 50 Einheiten (max. 6-mal/Verordnung)
begrenzt [26]. Sollten nach Abschluss der erwähnten Höchstgrenze weitere Therapien nötig sein, darf
die Ärztin bzw. der Arzt weiter verordnen. Um Regressforderungen zu vermeiden, muss eine
Dokumentation erfolgen. Eine Pause ist daher nicht länger notwendig [26]. Um weitere Behandlungen abzusichern, besteht die Möglichkeit, einen Antrag auf einen
LHB zu stellen. Dieser wird mit einer Kopie der Heilmittelverordnung zur Genehmigung an die
zuständige Krankenkasse versendet. Sollte nach 4 Wochen kein abschlägiger Bescheid eingegangen
sein, gilt die Behandlung als genehmigt [27]. I.d.R. erhalten die Versicherten einen Bescheid mit Nennung eines Zeitraums
(mindestens 1 Jahr) für die Genehmigung des LHB. Nach Ablauf dieser Frist muss ein neuer
Antrag gestellt werden, insofern der Heilmittelbedarf weiterbesteht. Diese Genehmigung muss
sowohl der verordnenden Ärztin bzw. dem verordnenden Arzt als auch der behandelnden
Physiotherapeutin bzw. dem behandelnden Physiotherapeuten in Kopie übergeben werden [27]. Die Verordnung sollte in Anlehnung an die vergleichbare Schwere der Erkrankung auf
„KG-Muko“ ausgestellt werden [26]. Der Heilmittelkatalog sieht eine verpflichtende Regelbehandlungszeit von 60 Minuten
für eine „KG-Muko-Behandlung“ vor. Das Heilmittel ist nicht mehr ausschließlich den
Patientinnen und Patienten mit Mukoviszidose vorbehalten.
Zukünftig ist es wünschenswert, dass die Diagnosen PCD und Kartagener Syndrom wie z.B. die Mukoviszidose in die Diagnoseliste des LHB aufgenommen werden, um eine bestmögliche physiotherapeutische Versorgung der Patientinnen und Patienten zu gewährleisten.
Die Spezialisierung Atemphysiotherapie ist eine wichtige Zusatzqualifikation, um durch die Aneignung vertieften theoretischen und praktischen Wissens die Qualität der Therapie zu sichern. Eine Liste mit Therapeutinnen und Therapeuten, die über die Zusatzqualifikation Atemphysiotherapie verfügen, hilft bei der Therapeutinnen- bzw. Therapeutensuche und ist auf den Internetseiten der Deutschen Atemwegsliga und des Mukoviszidose e.V. einsehbar (Box).
Adresslisten von Physiotherapeutinnen und -therapeuten mit Spezialisierung in der Atemphysiotherapie (Auswahl)
Eine in Deutschland flächendeckende Versorgung mit spezialisierten Atemphysiotherapeutinnen bzw. -therapeuten ist nicht gegeben. Patientinnen und Patienten müssen häufig weite Wege auf sich nehmen, um spezialisierte Praxen aufzusuchen. Eine Zertifizierung der Fortbildungen zur Atemphysiotherapie existiert in Deutschland bisher nicht. Somit ist sie keine Voraussetzung für die Abrechnung einer atemphysiotherapeutischen Behandlung und die Behandlungsqualität damit nicht gesichert. Um die Qualität der Behandlungsinhalte dennoch zu erkennen, ist es für Patientinnen und Patienten und die verordnenden Ärztinnen und Ärzte wichtig, die Inhalte der Basistherapie zu kennen und den individuellen Therapieverlauf gemeinsam mit den Therapeutinnen bzw. Therapeuten zu kommunizieren.
Physiotherapie während der Rehabilitation
Physiotherapie während der Rehabilitation
Die Durchführung einer stationären Rehabilitation ist bei Patientinnen und Patienten mit
PCD sinnvoll. Das Team sollte interdisziplinär sein und das Ziel der sozialen Teilhabe der
Patientinnen und Patienten verfolgen. Fachärztinnen/-ärzte wie z.B.
Pneumologinnen/Pneumologen, HNO-Ärztinnen/-Ärzte, spezifisch ausgebildete Pflegekräfte,
Physiotherapeutinnen/-therapeuten, Sporttherapeutinnen/-therapeuten, Ernährungs- und
Sozialberatende, Psychologinnen/Psychologen und Pädagoginnen/Pädagogen lassen ihre
Fachexpertise mit individuellen Therapieangeboten einfließen und sollten im interdisziplinären
Austausch sein. Physiotherapeutische Ziele sind u.a. der Ausbau der kardiorespiratorischen
Ausdauerfähigkeit und die Vertiefung des eigenen Therapieregimes hinsichtlich der
Inhalationstherapie. Weiterhin findet eine Stärkung der Therapieakzeptanz, des
Selbstmanagements und der Alltagsbewältigung statt [11].
Hygienemaßnahme
In Anlehnung an die Anforderungen an die Hygiene bei der medizinischen Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Mukoviszidose ist erfahrungsgemäß auch bei der physiotherapeutischen Behandlung von Menschen mit PCD die Einhaltung und Umsetzung bestimmter Hygienevorgaben zu beachten. Besonders im Hinblick auf mögliche Problemkeime sollten sowohl in der Klinik, Praxis und Rehabilitationseinrichtung notwendige hygienische Infrastrukturen vorhanden sein. Diese sollten ggf. eine räumliche und zeitliche Trennung der Patientinnen und Patienten aufweisen, um eine Übertragung von z.B. Pseudomonas aeruginosa zu verhindern. Ein möglichst aktueller bakteriologischer Befund ist für die Planung der Behandlung notwendig, damit eine Trennung nach dem vorliegenden Keimspektrum stattfinden kann [28]
[29].
Fazit
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass es wenig evidenzbasierte Empfehlungen zur physiotherapeutischen Behandlung der PCD gibt. Die Erfahrungen von Physiotherapeutinnen und -therapeuten sind wichtig bei der physiotherapeutischen Versorgung von Menschen mit PCD. Sowohl in der bisherigen Literatur als auch aus eigenen Erfahrungen lassen sich die Inhalation sowie Sekretmobilisation in den unteren und oberen Atemwegen, körperliche Aktivität und die Verwendung von Hilfsmitteln als Grundbausteine festhalten. Physiotherapie sollte regelmäßig und individuell gestaltet durchgeführt werden. Damit eine gute atemphysiotherapeutische Versorgung für Patientinnen und Patienten mit PCD gewährleistet werden kann, ist es wichtig, dass sie sich an spezialisierte Physiotherapeutinnen und -therapeuten wenden. Um die Evidenz der physiotherapeutischen Maßnahmen und der unterstützenden sekretfördernden Inhalationstherapie zu verbessern, sind prospektive Interventionsstudien notwendig [30]. Diese könnten z.B. über nationale und internationale erkrankungsspezifische Register erfolgen, wie das Internationale PCD-Register des Europäischen Referenznetzwerks ERN-LUNG [31] oder über das europäische klinische Studiennetzwerk für PCD (PCD-CTN) [32].