Rofo
DOI: 10.1055/a-2510-9243
Review

Über Wilhelm Conrad Röntgens Straßburger Periode (1872–1879): Wilhelm Conrad Röntgen – zwei Jahrzehnte vor der Entdeckung der Röntgenstrahlen (mit GPX Track „Röntgen in Straßburg“)

Article in several languages: English | deutsch
Jan Rabe
1   Institute for Diagnostic and Interventional Radiology, Städtisches Klinikum Karlsruhe, Karlsruhe, Germany
,
Uwe Busch
2   Managment, German Röntgen-Museum Remscheid, Remscheid, Germany
,
Marcel Michels
3   Archive, German Röntgen-Museum Remscheid, Remscheid, Germany
,
Heinz-Peter Schlemmer
4   Radiology, German Cancer Research Center, Heidelberg, Germany (Ringgold ID: RIN28333)
› Author Affiliations

Zusammenfassung

Hintergrund

Zwei Jahrzehnte vor seiner bahnbrechenden Entdeckung der Röntgenstrahlung im Jahr 1895 arbeitete Wilhelm Conrad Röntgen in der Zeit von 1872–1879 als Assistent, Privatdozent und schließlich außerordentlicher Professor an der damals zum Deutschen Reich gehörenden Universität Straßburg. Diese Periode wurde 1875/76 kurz durch Röntgens erste Professur an der Landwirtschaftlichen Akademie in Hohenheim unterbrochen.

Methode

Auf der Grundlage der Publikationen über W. C. Röntgen und der Recherche in insgesamt sieben Archiven (Straßburg, Hohenheim, Remscheid-Lennep, Würzburg) beschreibt diese Arbeit den beruflichen Werdegang und sein Privatleben in dieser Zeit.

Ergebnisse

Insgesamt konnten für diese Periode neben seinen Arbeitsplätzen sieben Wohnorte ermittelt werden, von denen vier erstmals beschrieben werden. Ein GPX-Track, der an den Straßburger Adressen vorbeiführt, wird zum Download angeboten. Es wurden Archivalien zusammengestellt, die seinen Werdegang in dieser Zeit dokumentieren. Zudem werden sämtliche Publikationen Röntgens aus dieser Periode gelistet. Ein ausführlicher Briefwechsel zwischen Bertha Röntgen und einer Freundin erlaubt Einblicke in das Privatleben des Ehepaars Röntgen.

Schlussfolgerung

Diese frühe Periode in W. C. Röntgens Karriere bildet die Grundlage für seine erfolgreiche Karriere mit drei folgenden Ordinariaten, inclusive seiner Entdeckung der X-Strahlen im Jahr 1895.

Kernaussagen

  • Nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 wurde die Universität Straßburg neu gegründet.

  • Die Straßburger Universität wurde aus macht- und kulturpolitischen Gründen massiv gefördert.

  • Röntgen arbeitete von 1872–1879 unter der Leitung des Lehrstuhlinhabers für Physik Prof. August Kundt.

  • Röntgen erhielt 1875 seine erste Professur an der Landwirtschaftlichen Akademie Hohenheim.

  • In Straßburg arbeitete Röntgen als Assistent, Privatdozent und schließlich außerordentlicher Professor.

Zitierweise

  • Rabe J, Busch U, Michels M et al. Wilhelm Conrad Röntgen’s Strasbourg Years (1872–1879): W.C. Röntgen – Two Decades before the Discovery of X-rays (with GPX Track “Röntgen in Strasbourg”). Rofo 2025; DOI 10.1055/a-2510-9243


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Einleitung

„Die Physik ist eine hochentwickelte nahezu voll ausgereifte Wissenschaft, die nunmehr, nachdem ihr durch die Entdeckung des Prinzips der Erhaltung der Energie gewissermaßen die Krone aufgesetzt sei, wohl bald ihre endgültige stabile Form angenommen haben würde. Wohl gibt es vielleicht in einem oder dem anderen Winkel noch ein Stäubchen oder ein Bläschen zu prüfen und einzuordnen, aber das System als Ganzes steht ziemlich gesichert da, und die theoretische Physik nähert sich merklich demjenigen Grade der Vollendung, wie ihn etwa die Geometrie schon seit Jahrhunderten besitze.“

Philipp von Jolly, 1874

Als Philipp von Jolly, Professor für Physik in München, 1874 seinem angehenden Studenten Max Planck mit diesen Worten das baldige Ende der Entwicklung auf dem Gebiet der Physik prophezeite, war Wilhelm Conrad Röntgen ([Abb. 1]) [2] im Alter von 29 Jahren Privatdozent an der Universität im damals zum Deutschen Reich gehörigen Straßburg. Röntgen, gerade habilitiert, war genau mit der klassischen Physik beschäftigt, die von Jolly gegenüber Planck umrissen wurde. Niemand ahnte damals, dass in den kommenden Jahrzehnten eine Tür zu einer komplett neuen Physik aufgestoßen werden würde und dass Röntgen daran entscheidenden Anteil haben würde.

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Abb. 1 W.C. Röntgen, 1874–79, Stuttgart/Hohenheim (Deutsches Röntgen-Museum Remscheid [2]).

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden mehrere physikalische Entdeckungen gemacht, die das physikalische Weltbild nach und nach komplett veränderten.

1868/69 entdeckte Johann Wilhelm Hittorf bei Experimenten mit Gasentladungsröhren die Kathodenstrahlung. Heinrich Hertz wies 1886 die von James Maxwell in den sechziger Jahren vorhergesagten elektromagnetischen Wellen nach und entdeckte 1887 den Photoeffekt.

1895 experimentierte Wilhelm Conrad Röntgen, inspiriert durch William Crookes und Philipp Lenards Arbeiten auf dem Gebiet der Kathodenstrahlung mit eben dieser Strahlung, und entdeckte dabei die „X-Strahlen“ (Hittorf, Crookes und Lenard werden von Röntgen im ersten Satz seiner bahnbrechenden Publikation namentlich erwähnt). Diese „Neue Art von Strahlen“ liegt im Vergleich zu den von Hertz nachgewiesenen niederfrequenten Radiowellen auf der höherfrequenten Seite des elektromagnetischen Spektrums.

1896 beobachtete Henri Becquerel eine intrinsische Strahlungsaktivität von Uransalzen, die in den folgenden Jahren durch Marie Sklodowska-Curie und Pierre Curie weiter erforscht und mit dem Begriff „Radioaktivität“ belegt wurde. Zwei Jahre nach Röntgens bahnbrechender Entdeckung entdeckte Joseph John Thomson 1897 das Elektron und klärte damit die physikalische Natur der Kathodenstrahlung auf. Nach Vorarbeiten von Hendrik Antoon Lorentz, Albert Abraham Michelson, Edward Williams Morley und Henri Poincaré entwickelte Albert Einstein 1905 die spezielle Relativitätstheorie, die man noch der klassischen Physik zuordnet. 1900 führte Max Planck die Quantenhypothese ein, die besagt, dass elektromagnetische Strahlung nur in bestimmten Energieportionen, den Quanten abgegeben oder aufgenommen werden kann. Diese Quantentheorie kennzeichnet den Beginn der modernen Physik. 1903 differenzierte Ernest Rutherford die Radioaktivität in Alpha-, Beta- und Gammastrahlung. 1911 entwickelte er ein Atommodell mit einem positiv geladenen Kern und einer negativ geladenen Hülle aus Elektronen, das 1913 von Niels Bohr weiterentwickelt wurde.

Die für unsere moderne Gesellschaft grundlegend wichtige Umbruchsphase ist spannend. Auf Grundlage der damaligen revolutionären Entdeckungen wurden Technologien des alltäglichen Gebrauchs, wie Laser, GPS, Telekommunikation bis hin zu den sozialen Medien und Künstlicher Intelligenz entwickelt, die heutzutage als selbstverständlich wahrgenommen werden. Was Wilhelm Conrad Röntgen betrifft, hat die von ihm entdeckte Strahlung neben der bahnbrechenden medizinischen Anwendung auch den Blick in den Mikro- und Nanokosmos (beispielsweise Aufklärung der Molekülstruktur von DNA, Röntgenlaser) und die Analyse des Makrokosmos (Supernovae, Pulsare, schwarze Löcher und dunkle Materie) ermöglicht. Insofern spielt Röntgens Entdeckung eine herausragende Rolle für die naturwissenschaftliche Forschung, die bis heute anhält. Seine Straßburger Zeit war für die Weiterentwicklung seiner experimentellen Fähigkeiten wichtig und wegbereitend für seine Entdeckung der „X-Strahlen“ 20 Jahre später.


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Rückblick und Ausgangssituation in Würzburg

Röntgen studierte von 1865–68 Maschinenbau am Polytechnikum in Zürich. Röntgen hatte zuvor die Technische Schule in Utrecht ohne einen zum Studium berechtigenden Abschluss verlassen müssen. Die oft erzählte Anekdote, dass Röntgen aus disziplinarischen Gründen von der Technischen Schule in Utrecht verwiesen wurde (er soll sich geweigert haben, den Namen des für eine Lehrerkarikatur im Klassenzimmer verantwortlichen Mitschülers zu verraten) stammen aus dem Nachruf seines Freundes Ernst Wölfflin [3] und aus Erinnerungen von Röntgens Patentochter [4], jeweils mehr als 50 Jahre nach dem Ereignis. Man kann aufgrund dieser Quellen wohl annehmen, das sich dieser Vorfall so zugetragen hat. Unabhängig von dieser Geschichte konnte diese Schule damals aber auch gar kein Zeugnis einer Hochschulreife ausstellen, da hier kein Latein gelehrt wurde. Wie auch immer, in Zürich bestand für Röntgen die Möglichkeit, auch ohne einen offiziellen Schulabschluss zu studieren. Damit konnte er seiner Neigung zu einem praktisch ausgerichteten Studium nachgehen. Röntgen schloss dieses Studium 1868 als Diplomingenieur ab. Nach dem Diplom blieb Röntgen ein weiteres Jahr Zuhörer von Vorlesungen bei August Kundt, Johannes Scherr und Gustav Zeuner. Fasziniert von der mechanischen Wärmetheorie von Rudolf Clausius und angeregt durch seinen Mentor und Förderer Gustav Zeuner bewarb sich Röntgen nach Abschluss am Polytechnikum um ein Promotionsverfahren an der Universität Zürich. In Absprache mit Zeuner verfasste Röntgen 1869 eine Dissertation zur Analyse von Konstanten in reellen Gasen [5].

Die Bekanntschaft mit dem Experimentalphysiker Kundt brachte die entscheidende Wende in Röntgens Leben. Dieser begeisterte ihn für die Physik, mit der Röntgen sich bis zu diesem Zeitpunkt nicht ausführlich auseinandergesetzt hatte. Und jener war von der experimentellen Begabung und Gewissenhaftigkeit seines Schützlings Dr. Röntgen so überzeugt, dass er ihn 1870 nach seiner Berufung an die Julius-Maximilians-Universität Würzburg als Assistenten mitnahm. Bezüglich Röntgens Karriere stellte sich Würzburg jedoch bald als Sackgasse heraus. Aufgrund des fehlenden offiziellen Schulabschlusses und seiner fehlenden Lateinkenntnisse wurde ihm unter Berufung auf die Universitätsstatuten die angestrebte Habilitation verwehrt.


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1872–75: Als Assistent nach Straßburg

Aber wie bereits nach dem Schulverweis in Utrecht und der anschließenden Möglichkeit eines Studiums in Zürich, tat sich auch diesmal eine Tür für Röntgen auf. August Kundt wurde 1872 auf den prestigeträchtigen Physik-Lehrstuhl in Straßburg berufen. Elsass-Lothringen war nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1871 als Reichsland Elsass-Lothringen in das Deutsche Reich eingegliedert worden. Die neu gegründete, im Jahr 1877 dann nach Kaiser Wilhelm benannte Universität wurde von Berlin aus macht- und kulturpolitischen Gründen mit französischen Reparationszahlungen massiv gefördert. An dieser Universität war man bezüglich der Habilitationsvorschriften deutlich weniger restriktiv als in Würzburg. Damit stand Röntgen, der Kundt erneut folgte, die Habilitation wieder offen. Diese erfolgte als kumulative Habilitation aufbauend auf seinen bisherigen, teilweise hochrangig publizierten Arbeiten. Am 13.3.1874 [6] erhielt Röntgen mit der „venia legendi“ einen Status, „mit dem er auch von den traditionsbewusstesten Universitäten nicht mehr nach Abitur oder Lateinkenntnissen gefragt werden würde“ [7]. Im Vorlesungsverzeichnis vom Wintersemester 1874/75 taucht Röntgens Name erstmals im Abschnitt „Mathematisch-naturwissenschaftliche Abtheilung – Privatdozenten“ mit folgenden Vorlesungen auf: „Einleitung in die praktische Physik“, und „Ausgewählte Kapitel aus der physikalischen Chemie, insbesondere über gasometrische Methoden“. Darüber hinaus betreute er auch noch „Übungen im physikalischen Laboratorium“ [8]. Kundt überließ Röntgen die Leitung dieser physikalischen Arbeiten im Laboratorium, dessen Ausstattung und Finanzierung Kernpunkte in seinen Berufungsverhandlungen gewesen waren, vollständig. Die Studenten sollen sehr an ihm gehangen haben [9].

Die neue Straßburger Universität war aber auch jenseits der Habilitationsordnung moderner und fortschrittlicher als die meisten deutschen Universitäten. Traditionell waren die Naturwissenschaften nachgeordnet in den philosophischen Fakultäten integriert. In Straßburg hingegen gab es zunächst zwei eigenständige „Abtheilungen“, ab 1875 dann sogar zwei getrennte Fakultäten, eine mathematisch-naturwissenschaftliche und eine philosophische Fakultät [8] [10].


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1875/76: Intermezzo in Hohenheim – Röntgens erste Professur

„Dr. Röntgen ist ein bleicher, hochgewachsener Mann, der zu leben und sich leicht zu bewegen weiß. […] Seine Conversationssprache ist nicht immer ohne einen fremdartigen Anklang, der Holländer verläugnet sich nicht völlig. Mir machte er einen angenehmen Eindruck und nach meinen Wahrnehmungen sowohl als Erkundigungen, würde er Hohenheim wohl anstehen.“

Ludwig Rau, Direktor der Landwirtschaftlichen Akademie Hohenheim, 24. März 1875

Durch die Berufung an die im Schloss Hohenheim bei Stuttgart untergebrachte Landwirtschaftliche Akademie ([Abb. 2]) [11] wurde Röntgen als königlich-württembergischer Beamter im Alter von 30 Jahren automatisch Bürger des Königreichs Württemberg und somit auch Bürger des Deutschen Reiches. Zuvor hatte er nach seiner 1848 im Rahmen des Umzugs nach Holland erfolgten Entlassung aus dem „preußischen Unterthanenverband“ keine deutsche, sondern als sog. „Gleichgestellter“ eine eingeschränkte holländische Staatsbürgerschaft. Diese umfasste alle Rechte und Pflichten eines holländischen Bürgers mit Ausnahme des Wahlrechts [12].

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Abb. 2 Landwirtschaftliche Hochschule Hohenheim, vor 1897. Das Physikalische Institut der Landwirtschaftlichen Hochschule befand sich im Erdgeschoss, Röntgens Dienstwohnung lag im Obergeschoss des Schlosses (Deutsches Röntgen-Museum Remscheid [11]).

Im Vorfeld der Berufung hatte Kundt seinen Assistenten uneingeschränkt empfohlen. Er rühmte neben Röntgens fachlicher Befähigung seine Redegabe und seinen klaren Ausdruck. Er sei von Charakter nicht nur gutartig und verständig, sondern geradezu gentil. Während seiner fünfjährigen Dienstzeit unter seiner Leitung sei nicht die geringste Unannehmlichkeit vorgefallen [9].

Mit der „Ordentlichen Professur für Physik und Mathematik“ war ein erheblicher Gehaltssprung von 1000 Mark auf 3200 Mark/Jahr [13], sowie eine sehr großzügige freie Unterkunft im Obergeschoss des Schlosses verbunden [14] [15] . Zum Vergleich: Das Jahresgehalt (in Mark) in den 1870-er Jahren für einzelne Berufe betrug: Postbote 675, Lehrerin 1032–1376, Lehrer 1376–2074, Gymnasiallehrer 2752–3612 und Regierungsdirektor 5676–6880 [16]. Eine Mark im Jahr 1871 entspricht etwa 19 Euro im Jahr 2024 [17] [18] [19].

Die Arbeitsbedingungen in Hohenheim waren für Röntgen allerdings überhaupt nicht zufriedenstellend. Physik und Mathematik hatten in der Akademie hinter der Land- und Forstwirtschaft nur eine nachgeordnete Bedeutung. Laut Stundenplänen hatte Röntgen propädeutische Fächer wie „Niedere Algebra“, „Geometrie des Raumes“, „Trigonometrie“, sowie „Experimentalphysik“ und „Meteorologie“ zu lehren [20]. Röntgen war der Ansicht, dass er als Fach-Physiker der falsche Mann für diese Fächer sei und diese besser von einem Real- oder Gymnasiallehrer unterrichtet werden könnten [21]. Die in Hohenheim vorgefundene, schon von seinen Vorgängern und späteren Freunden Franz Bauer und Eugen Lommel beklagte sehr eingeschränkte Laborausstattung und das Fehlen jeglicher Forschungsgelder dürften weitere Gründe für seine Unzufriedenheit gewesen sein. Unter diesen Umständen konnte Röntgen seine in Straßburg begonnenen physikalischen Forschungen nicht fortführen.

Angesichts der beruflichen Unzufriedenheit traf es sich günstig, dass nur ein Jahr nach Röntgens Wegzug aus Straßburg ebendort die Stelle des Extraordinarius an der Seite seines Förderers und dortigen Lehrstuhlinhabers August Kundt frei wurde. Röntgen musste nicht lange überlegen und kehrte 1876 in die lebendige und motivierende Atmosphäre der Straßburger Universität zurück. Aus Röntgens Hohenheimer Personalakte geht hervor, dass der Wechsel zurück nach Straßburg nicht konfliktfrei war. Im Rahmen einer Sitzung des Hohenheimer Kollegiums hatte es einen heftigen Zusammenstoß zwischen Röntgen und dem Direktor der Akademie Ludwig Rau gegeben. Röntgen fühlte sich bei der Nachbesetzung seiner Hohenheimer Professur übergangen. Ein Briefwechsel zwischen ihm und Ludwig Rau legt die Unstimmigkeiten offen. Rau fühlte sich durch Röntgens Äußerungen im Rahmen einer Sitzung in „der amtlichen Würde als der persönlichen Ehre“ getroffen und verlangte, diese Äußerungen vor Zeugen mündlich zu widerrufen [22].

Im Rahmen dieser Auseinandersetzung musste Röntgen einräumen, dass er sich während dieser Sitzung der gesamten Hohenheimer Lehrerschaft „hat hinreissen lassen, das übliche Mass der Äußerungen von parlamentarischen Ausdrücken zu überschreiten und sich bei der Äußerung von sachlich vollständig berechtigten und begründeten Ansichten von Ausdrücken zu bedienen, welche vor einer Versammlung ungern gebraucht werden“. Röntgen bekennt sich hier ausdrücklich zu einem Formfehler, bleibt aber inhaltlich selbstbewusst dem 21 Jahre älteren Universitätsdirektor gegenüber unnachgiebig [23].

Im Nachhinein kann man fragen, warum Röntgen die Professur in Hohenheim überhaupt angenommen hatte. Die Bedingungen hinsichtlich der untergeordneten Bedeutung seines Fachs, der Lehrverpflichtungen unterhalb eines Universitätsniveaus und die schlechte Laborausstattung dürften eigentlich vorher bekannt gewesen sein. Aber die Situation in Straßburg war ungewiss. Kundt konnte Röntgen zu diesem Zeitpunkt keine bessere Stellung anbieten und war auch der Meinung, dass Röntgen zu einer Professur „reif und berechtigt“ sei [9]. Röntgen selbst äußerte dem Direktor der Akademie Hohenheim gegenüber den Wunsch nach „einer selbstständigeren und einträglichen Stellung“ [9]. Zumindest der zweite Wunsch wurde Röntgen erfüllt und er konnte sich das recht hohe Hohenheimer Gehalt sogar im Rahmen der Rückkehrverhandlungen mit der Universität Straßburg zu Nutze machen. In Straßburg gewährte man Röntgen einen Zuschlag von 600 Mark auf sein Jahresgehalt von 2400 Mark, um die Differenz zu seinem Hohenheimer Gehalt zu verringern [24]. Eine freie Unterkunft hatte er dort aber nicht mehr.


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1876–79: Rückkehr nach Straßburg – Röntgens zweite Professur

Erst nach Röntgens Rückkehr aus Hohenheim wurde in Straßburg für ihn eine Personalakte angelegt ([Abb. 3]) [24]. Emil Warburg, Röntgens Vorgänger auf der Position des Extraordinarius für theoretische Physik an der Straßburger Universität, war zum Sommersemester 1876 im Alter von nur 29 Jahren als Ordinarius an die Universität Freiburg berufen worden. Röntgen wird das Karrierepotenzial als zweiter Professor neben Kundt bewusst gewesen sein. Er wusste um die sehr gute Laborausstattung mit den entsprechenden experimentellen Möglichkeiten. Außerdem kannte er seinen unermüdlichen, kreativen und innovativen Chef, der keinen „extraordinarius perpetuus“ wollte, sondern diese Position als Durchgangsstation einer physikalischen Karriere auf dem Weg hin zu einem Ordinariat betrachtete [25].

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Abb. 3 Deckblatt Personalakte W.C. Röntgen, Universität Straßburg. Erst nach seiner Rückkehr aus Hohenheim 1876 wurde diese Akte angelegt (Archive d´Alsace, site de Strasbourg [24]).

So waren die Weichen für Röntgen gestellt. Laut der Vorlesungsverzeichnisse hielt er als zweiter „theoretischer“ Physiker Vorlesungen in „Theorie des Lichts“, „Theorie der Elasticität und Schwingungen elastischer Körper“, „Electrostatik und Theorie der electromotorischen Kräfte“, „Ueber Capillarität“, „Elektrodynamik und Magnetismus“, „Ueber elektrostatische Messungen“, „Theorie der Wärme“ und „Kinetische Gastheorie“ [8]. Aber neben der Theorie blieb noch genügend Zeit für Experimentalphysik, die damals Voraussetzung zur Erlangung eines Ordinariats war. Röntgen publizierte in seiner zweiten Straßburger Phase insgesamt neun Arbeiten, darunter drei zusammen mit Kundt. Durch diese Publikationen gewann Röntgen unter den einflussreichen Physikern seiner Zeit zunehmend Ansehen und Anerkennung. Diese führten 1879 schließlich zu seiner Berufung als Ordinarius an die Universität Gießen.


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Die Physik während Röntgens Straßburger/Hohenheimer Periode

In der Welt der klassischen Physik, mit der sich Röntgen in Straßburg beschäftigte, ahnte niemand den bevorstehenden Umbruch des Fachs. Auch Röntgen war Kind seiner Zeit, er replizierte und präzisierte physikalische Experimente mit einem hohen Maß an Geschick, Gewissenhaftigkeit, wissenschaftlicher Sorgfalt und Beobachtungsvermögen. Sein Ehrgeiz galt nicht dem Umsturz des physikalischen Weltbildes, sondern ganz im Gegenteil dessen experimenteller Präzisierung.

Die Entwicklung von Theorien stand für Röntgen nicht im Vordergrund. Sein primäres Interesse und seine Leidenschaft galten der experimentellen Physik. Es bestand für ihn kein Anlass, die Konzepte der Physik zu hinterfragen. Es ging ihm darum, Naturkonstanten immer genauer zu bestimmen. Im Lauf der Zeit schulte Röntgen seine experimentellen Fähigkeiten fortwährend, sodass er Meister in der Kunst wurde, die das Fundament wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns ist: die Entwicklung exakter Methodik und bei deren Anwendung gewissenhafte Beobachtung. Röntgen war nicht ausgezogen, um nach „Neuen Strahlen“ zu suchen. Er entdeckte im Rahmen eines Experiments zufällig ein bis dahin unbekanntes Phänomen, welches er sofort als „neu“ erkannte und das er anschließend experimentell gründlich untersuchte und schließlich in seiner bahnbrechenden Publikation beschrieb [26]. Dazu passt auch eine Antwort im einzigen Interview, das Röntgen überhaupt gegeben hat. Gefragt, was er sich gedacht habe, als er die X-Strahlen entdeckte, antwortete er: „Ich dachte nicht, ich experimentierte“ [27]. Diese Fähigkeit zum gewissenhaften Experimentieren, gepaart mit der Bereitschaft zur unvoreingenommenen Wahrnehmung, führten rund zwanzig Jahre nach seiner Straßburger Periode zur Entdeckung eines Naturphänomens, das anderen Physikern seiner Zeit entgangen war.

In Straßburg war es Röntgens Aufgabe, zusammen mit August Kundt ein physikalisches Institut an der neu gegründeten Universität aufzubauen. Röntgens ausgezeichnete experimentelle Begabung und sein handwerkliches Geschick waren wesentliche Gründe, warum August Kundt ihn erst als Assistenten nach Straßburg mitnahm und ihn später als außerordentlichen Professor zurückholte. Es ist davon auszugehen, dass Röntgen sein vorangegangenes Maschinenbaustudium bei der Planung und Durchführung seiner Experimente sehr geholfen hat.

Röntgen war in Straßburg auch damit beauftragt, theoretische und experimentelle Physik in ihrer damaligen Breite (Mechanik, Akustik, Optik, Elektrostatik, Gas- und Wärmetheorie) zu lehren [8]. Später dehnte er seine Lehre auf „modernere“, erst ca. 15 Jahre zuvor entwickelte Theorien wie Elektrodynamik und Magnetismus, die Theorie des Lichts sowie die Kinetische Gastheorie aus.

Der Blick auf die von Röntgen während seiner Straßburger (und Hohenheimer) Zeit publizierten Arbeiten ([Tab. 1]) [28] [29] [30] [31] [32] [33] [34] [35] [36] [37] [38] [39] [40] [41] [42] zeigt, auf wieviel unterschiedlichen Gebieten der Physik er arbeitete, wobei einige der Arbeiten eher dem Maschinenbau oder der Elektrotechnik zuzuordnen sind. Der Schwerpunkt lag dabei immer auf dem praktisch experimentellen Arbeiten. Die einzige an der Landwirtschaftlichen Akademie Hohenheim publizierte Arbeit beschäftigte sich tatsächlich mit einem Naturprodukt – Kautschuk.

Tab. 1 Röntgens Publikationen in Straßburg und Hohenheim.

Straßburg I

Jahr

Titel der Publikation

Gebiet

Ref.

1

1873

Bestimmung des Verhältnisses der specifischen Wärme bei constantem Druck zu derjenigen bei constantem Volumen für einige Gase.

Thermodynamik

[28]

2

1873

Ueber das Löthen von platinirten Gläsern.

Verfahrensanweisung (Mechanik)

[29]

3

1874

Über eine Anwendung des Eiscalorimeters zur Bestimmung der Intensität der Sonnenstrahlung.

Thermodynamik

[30]

4

1874

Ueber fortführende Entladungen der Elektricität.

Elektrodynamik

[31]

5

1874

Ueber eine Variation der Senarmont’schen Methode zur Bestimmung der isothermen Flächen in Krystallen.

Wärmeleitung

[32]

Hohenheim

6

1876

Ueber das Verhältniss der Quercontraction zur Längendilatation bei Kautschuk.

Elastostatik

(Mechanik)

[33]

Straßburg II

7

1877

A telephonic alarum.

Elektrotechnik

[34]

8

1878

Ueber eine Methode zur Erzeugung von Isothermen auf Kristallen.

Wärmeleitung

[35]

9

1878

Mittheilung einiger Versuche aus dem Gebiet der Capillarität.

Fluidmechanik

[36]

10

1878

Ueber ein Aneroidbarometer mit Spiegelablesung.

Optik/Mechanik/Thermodynamik

[37]

11

1878

Über Entladungen der Elektricität in Isolatoren.

Elektrodynamik

[38]

12

1879

Nachweis der electromagnetischen Drehung der Polarisationsebene des Lichtes im Schwefelkohlenstoffdampf.

Elektrodynamik

[39]

13

1879

Nachtrag zur Abhandlung über die Drehung der Polarisationsebene im Schwefelkohlenstoffdampf.

Elektrodynamik

[40]

14

1879

Ueber die electromagnetische Drehung der Polarisationsebene des Lichtes in den Gasen.

Elektrodynamik

[41]

15

1880

Ueber die electromagnetische Drehung der Polarisationsebene des Lichtes in Gasen. II. Abhandlung

Elektrodynamik

[42]


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August Kundt (1839 -1894) – Lehrer, Mentor, Kollege, Freund

„Erinnerst Du Dich noch, dass ich durch Dich die Bekanntschaft mit Kundt machte, der mich in die Physik einführte und mich über die Unsicherheit über meine Zukunft hinausriss?“

W. C. Röntgen an seinen Studienfreund E. L. Albert, Dezember 1922

August Kundt ([Abb. 4]) [44] war in beruflicher Hinsicht zweifellos die für Röntgen wichtigste Person. Kundt, nur sechs Jahre älter als Röntgen, war von 1868–70 Professor für Physik am Polytechnikum in Zürich. Nach Röntgens Diplom für Maschinenbau erkannte Kundt in einer für Röntgen problematischen Orientierungsphase dessen Begabung, weckte seine Leidenschaft für die experimentelle Physik und förderte seine Entwicklung in der Folge intensiv. In den Folgejahren nahm Kundt Röntgen als frisch promovierten Assistenten 1870 zuerst mit nach Würzburg, dann 1872 nach Straßburg, um ihn 1876 als außerplanmäßigen Professor aus Hohenheim nach Straßburg zurückzuholen. Dabei entwickelte sich das Verhältnis zwischen den beiden Männern vom Schüler zum Kollegen und schließlich zum Freund, mit dem die Röntgens zeitlebens privat verbunden waren. Das besondere Kennzeichen von Kundts Forscherdrang war die ständige Suche nach neuen, unerwarteten Effekten. Hier hat er auch seinem Schüler Röntgen den Weg gewiesen, ständig achtsam für Neues und Unvorhergesehenes zu sein.

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Abb. 4 August Kundt, 1872–1888, Straßburg/Strasbourg (Archiv Deutsches Röntgen-Museum Remscheid [44]).

Die Bedeutung Kundts für die Physik geht jedoch weit über die Förderung Röntgens hinaus. Sein Charisma und Verdienst lassen sich ermessen, wenn man die Karrieren seiner Studenten und Mitarbeiter betrachtet. Mindestens zweiundzwanzig seiner Schüler besetzten von 1879–1906 insgesamt dreißig Lehrstühle und Professuren [45] [46]. Außer Röntgen (1901) wurde auch Kundts ehemaliger Extraordinarius Ferdinand Braun mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet (1909). Das Sichtbarmachen von Schallwellen als Staubfiguren im Kundt’schen Staubrohr zur Bestimmung der Schallgeschwindigkeit ist auch heute noch ein Klassiker im Physikunterricht. 1976 wurde ein Mondkrater ihm zur Ehre benannt.

1888 wurde August Kundt als Nachfolger von Hermann von Helmholtz auf den Lehrstuhl für Experimentalphysik nach Berlin berufen. Die Entdeckung der X-Strahlen durch seinen ehemaligen Studenten, Assistenten und Extraordinarius erlebte er nicht mehr. Der herausragende Experimentator und charismatische Lehrer verstarb anderthalb Jahre vorher 1894 im Alter von nur 54 Jahren an einer Herzerkrankung. Sein Grab liegt auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin.


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Röntgens Leben, seine Wohnorte und sein Arbeitsplatz in Straßburg (und Hohenheim)

„Sechs Jahr verheirathet und 6 Mal seine Haushaltung frisch einräumen! Doch man muß die Sache nur leicht nehmen, dann geht es besser; die Hauptsache bleibt immer daß man gesund ist, und das sind wir Gott sei Dank.“

Bertha Röntgen, 17.10.1877

Röntgens Wohnorte und sein Arbeitsplatz in Straßburg sind in [Tab. 2] tabellarisch und in [Abb. 5] topografisch zusammengestellt.

Tab. 2 Röntgens Wohnorte und Arbeitsplätze in Straßburg und Hohenheim.

Adresse historisch

Adresse heute

Meldedatum

Quelle

Nummer auf GPX Track ([Abb. 5])

Straßburg (1872–1875)

Ballspielgasse 2

2 Rue du Jeu de Paume (Gebäude abgerissen)

29.5.1872

[48]

4

Militärlazarettstraße 16

1b Rue de l’Hôpital Militaire

29.1.1875

[48]

5

Militärlazarettstraße 5

5 Rue de l’Hôpital Militaire

25.3.1875

[48]

6

Hohenheim 1875/76

Dienstwohnung im Schloss Hohenheim

28.04.1875–25.10.1876

[14] [15]

Straßburg (1876–1879)

Waisengasse 15

15 Rue des Orphelins

1.12.1876

[48]

3

Schiffleutstaden 11

11 Quai des Bateliers

[49] [50]

2

Gutenbergplatz 11

11 Place Gutenberg

[51] [52]

1

Adresse mathematisch-naturwissenschaftliche Sektion der Universität Straßburg 1872–82

Akademiestraße 4

4 Rue de l’Académie

[10]

7

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Abb. 5 Ausschnitt Stadtplan Straßburg mit GPX Track „Röntgen in Straßburg“ (Nummerierung wie in [Tab. 2]).
Map by OSM & Locus Map

Physikalisches Institut

Nach Gründung der „Reichsuniversität“ im Jahr 1872 wurde das Physikalische Institut nicht im Hauptgebäude im Schloss an der Ill (heute Palais Rohan), sondern etwas abgelegen provisorisch in der alten Académie (Akademiestraße 4, Rue de l`Académie) untergebracht ([Abb. 6] und [Abb. 7]) [53]. Das Gebäude wird seit 1991 als Gymnasium „Lycée Jean-Frédéric Oberlin“ genutzt. Der von August Kundt verhandelte Neubau für das Physikalische Institut auf dem heutigen Universitätsgelände wurde erst 1882, drei Jahre nach Röntgens Wechsel nach Gießen bezogen [10].

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Abb. 6 Ehemaliges Physikalisches Institut, heute Lycée Oberlin.
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Abb. 7 Physikalisches Labor im provisorischen Physikalischen Institut in der Akademie, wahrscheinlich 1879. Versuchsaufbau von Kundt und Röntgen, um den Faraday-Effekt in Gasen nachzuweisen. Rechts die Vorrichtung zum Pumpen. In der Mitte die Magnetspule mit der Lichtquelle rechts und dem Polarimeter auf der linken Seite. Das Rohr mit der Probe des unter Druck stehenden Gases befindet sich im Inneren des Elektromagneten. Handschriftlicher Vermerk von Röntgen: „Physikalisches Institut d. Universit. Strassburg“ (Universitätsarchiv Würzburg [53]). [rerif]

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Wohnorte

Alle vier der Meldekartei des Stadtarchivs ([Abb. 8]) [48] registrierten Straßburger Adressen (und die des damaligen provisorischen Physikalischen Instituts) liegen nur wenige hundert Meter voneinander entfernt im heutigen Stadtteil Krutenau, südöstlich des Flusses Ill.

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Abb. 8 Meldekarte W.C. und B. Röntgen mit vier Adressen: Ballspielgasse 2, Militärlazarettstraße 16, Militärlazarettstraße 5 und Waisengasse 15 (Archives de la Ville et de l’Eurométropole de Strasbourg [48]).

Das Ehepaar Röntgen wohnte nach der Hochzeit im Januar 1872 bereits in Würzburg für eine kurze Zeit zusammen [54]. Im Mai 1872 zogen sie dann nach Straßburg um. Nach dem Abgleich von historischen Stadtplänen und der aktuellen Situation ist es sicher, dass die am 29.5.1872 bezogene Adresse in der Ballspielgasse 2 nicht mehr existiert. Hier liegt heute ein kleiner Parkplatz mit Bäumen ([Abb. 9]). Die Straße fängt aktuell mit der Nummer „4“ an. Kurz vor dem Wechsel nach Hohenheim sind noch zwei Umzüge belegt. Das von Röntgen bewohnte Haus „Militärlazarettstraße 16bis (Rue de l’Hôpital Militaire)“ ([Abb. 10]) [55], wurde 1980 abgerissen. Heute steht hier ein modernes Gebäude mit der Hausnummer 1b. Nur zwei Monate später zog das junge Paar ein paar Häuser weiter in die Militärlazarettstraße 5. Das Haus steht heute noch, ist allerdings 1969 um eine Etage aufgestockt worden ([Abb. 11]) [56].

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Abb. 9 „Blick in die Ballspielgasse (Rue du Jeu de Paume) (Bildmitte). Das Gebäude mit der Nummer 2 lag früher auf dem kleinen Platz im Bildvordergrund.“
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Abb. 10 Militärlazarettstraße (Rue de l´Hôpital Militaire) 16bis (Pfeil) im Jahr 1972. Die Gebäude wurden im Jahr 1980 komplett abgerissen und durch einen Neubau ersetzt (Archives de la Ville et de l’Eurométropole de Strasbourg [55]). [rerif]
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Abb. 11 Militärlazarettstraße (Rue de l´Hôpital Militaire) 5 im Jahr 1959. Das 1862 errichtete Gebäude ist im Jahr 1969 um eine dritte Etage aufgestockt worden (Archives de la Ville et de l’Eurométropole de Strasbourg [56]). [rerif]

Nach der Rückkehr aus Hohenheim zogen die Röntgens in die Waisengasse 15 (Rue des Orphelins), das Haus ([Abb. 12]), in dem seine Eltern, die seit 1873 auch in Straßburg lebten, vor der gemeinsamen Hohenheimer Periode gemeldet waren [57]. Die Situation dort war aber offensichtlich in mehrfacher Hinsicht schwierig. Zum einen beanspruchte der Vermieter bald wieder das Schlafzimmer für sich [47], zum anderen befand ihr Arzt eben dieses Schlafzimmer aufgrund der schlechten Luft für ungesund. Bertha Röntgen vermutet in einem Brief [50], dass die Feuchtigkeit dort zu Beschwerden in ihrer rechten Schulter führte. Als weiteren Grund für den folgenden Wohnungswechsel gab Bertha Röntgen im gleichen Brief an, „man verkehre mit den Hausleuten auf gespanntem Fuße“. Offenbar gab es also Spannungen zwischen dem Vermieter und dem Ehepaar Röntgen.

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Abb. 12 Waisengasse (Rue des Orphelins) 15.

Weitere Wohnorte sind in der Meldedatei nicht registriert. Jedoch werden in Bertha Röntgens Briefen zwei weitere Wohnungen beschrieben.

Die unbekannte Wohnung

In zwei ihrer Briefe von 1877/78 hat Bertha Röntgen detaillierte Angaben zu einer Wohnung gemacht, die zu keiner der offiziell gemeldeten Adressen passen [49] [50]. Folgende Anhaltspunkte ergeben sich aus diesem Brief:

  • Aussicht auf den Fluss Ill

  • „gegenüber ist das Schloss und der Münster“

  • „Nähe Schlossbrücke“ (eine Schlossbrücke gab es damals nicht, sehr wahrscheinlich ist die Brücke „am Schloss“ gemeint, damals Magdalenenbrücke, heute Pont Sainte Madeleine

  • Haus mit Erker

  • außer den Röntgens wohnt nur „der Hausherr“ im Haus.

Aufgrund dieser Beschreibung handelt es sich bei dieser Adresse mit hoher Wahrscheinlichkeit um die Adresse Schiffleutstaden 11 (Quai des Bateliers). Die Zeichnung aus dem Jahr 1842 von F. Piton ([Abb. 13]) [58] gibt aus der Perspektive des Münsterturms einen guten Überblick über die beschriebene Situation. Es gab damals nur ein Haus mit Erker. Das Adressbuch von 1878 [59] führt lediglich in zwei Gebäuden in dieser Lage jeweils nur einen Bewohner („Hausherr“) auf. Das andere Haus hatte keinen Erker und scheidet damit aus. Vermutlich sind die Röntgens nicht aufgeführt, da sie nur wenige Monate dort gewohnt haben. Das Straßenbild ist heute noch sehr ähnlich ([Abb. 14]).

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Abb. 13 Zeichnung F. Piton von 1842: Blick vom Münsterturm nach Südosten auf Krutenau. Das Haus Schiffleutstaden 11 (heute 11 Quai des Bateliers) an der Ill mit dem Erker und Spitzturm ist gut erkennbar (Pfeil). Im Vordergrund links ist das ehemalige Schloss, heute Palais Rohan zu erkennen. Die „Schlossbrücke“ über die Ill ist vom Schloss verdeckt. „(Archives de la Ville et de l’Eurométropole de Strasbourg [58])“.
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Abb. 14 Blick vom Straßburger Münster Richtung Südosten im Jahr 2024. Das Haus Schiffleutstaden (11 Quai des Bateliers) mit dem Erker und spitzen Turm ist baulich nahezu unverändert (Pfeil).

Die subjektive Einschätzung Bertha Röntgens, dies sei in Straßburg die „hübscheste und freundlichste Lage“ [50], kann man aus heutiger Sicht nur bestätigen. In diesem und einem weiteren Brief [15] schreibt sie, die Wohnung sei recht klein („Miniatürchen“). Angesichts von vier großen, einem kleinen und einem Garderobenzimmer, sowie Küche und einer Kammer des Hausmädchens außerhalb der Wohnung erscheint dieser Platzbedarf für ein Ehepaar aber überraschend. Der Wunsch nach einer größeren Wohnung sollte sich aber mit dem nächsten Umzug bald erfüllen.


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Röntgens letzte Wohnung in Straßburg

Zuletzt wohnte das Ehepaar Röntgen am Gutenbergplatz 11 ([Abb. 15]), nur 150 m von der Wohnung der Eltern am Münsterplatz 9 (Place de la Cathédrale) [57] entfernt. Der genaue Umzugstermin ist unklar, muss aber irgendwann im Sommer 1878 stattgefunden haben. In einem Brief vom 11.11.1878 skizziert Bertha einen detaillierten Grundriss der sehr großzügigen Wohnung (8 Zimmer plus Küche und Hausmädchenzimmer) mit eindeutiger Angabe der Adresse ([Abb. 16]) [51] . Zudem taucht diese Adresse auch im Personalverzeichnis der Universität von 1878 auf [52]. Im Gegensatz zu den anderen Gebäuden können hier aufgrund von Bertha Röntgens Beschreibung („80 Stufen hoch“) und Skizze [51] sogar die Wohnung im 3. Stock und Röntgens Arbeitszimmer „Eckzimmer mit Ausblick auf das Münster“ (Eckzimmer Gutenbergplatz/Schlossergasse – Place Gutenberg/Rue des Serruriers) identifiziert werden.

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Abb. 15 Blick vom Straßburger Münster Richtung Südwesten: Gutenbergplatz 11 (Place Gutenberg). Röntgens Arbeitszimmer lag im 3 Stock an der Ecke zur Schlossergasse/Rue des Serruriers (Pfeil). Bertha Röntgen schreibt in einem Brief: Von seinem Schreibtisch aus genießt er eine herrliche Aussicht auf den Münster [51].
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Abb. 16 Brief B. Röntgen: Skizze mit Beschriftung der Zimmer von der Wohnung am Gutenbergplatz. Unten rechts an der Ecke des Gebäudes ist das Arbeitszimmer („Studierzimmer“) eingezeichnet. Im Uhrzeigersinn weitere Zimmer: Eßzimmer, Fremdenzimmer, Vorathzimmer, Marieszimmer (Hausmädchen), Küche, Schlafzimmer, Schrankzimmer, Mein Zimmer, Besuchszimmer. Oben links: Hofraum. Straßenbezeichnungen: Guttenbergplatz (rechts), Schlossergaße (unten). (Archiv Deutsches Röntgen-Museum Remscheid [51]).

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Die Röntgens – privat

Über das private Leben der Röntgens in Straßburg und Hohenheim ist nur sehr wenig bekannt. Aus der ersten Zeit in Straßburg gibt es so gut wie keine Informationen. Einige wenige Informationen über die Zeit nach der Rückkehr aus Hohenheim verdanken wir einem erhaltenen Briefwechsel Bertha Röntgens mit ihrer Freundin Ernestine Baur, der Ehefrau des Hohenheimer Professors für Forstwirtschaft Franz Baur. In diesen Briefen spricht Bertha von ihrem Mann fast durchgängig als „Willy“. Die Informationen bleiben aber fragmentarisch und, da aus Bertha Röntgens Perspektive geschrieben, auch subjektiv. Schließlich sind aus dieser Zeit noch einige Anmerkungen von Röntgens Mutter Charlotte Constance Röntgen-Frowein überliefert [60].

Seit dem Jahr 1873 wohnten auch Röntgens Eltern in Straßburg [57]. Sie folgten ihm nach Hohenheim (wohnhaft in Stuttgart) und später wieder zurück nach Straßburg. In einem der Briefe aus dem Jahr 1878 schreibt Bertha etwas wehmütig, dass Sie aus Rücksicht auf ihre Schwiegereltern bezüglich ihrer Reisemöglichkeiten etwas eingeschränkt seien [61]. Und einige Monate später: „Doch Ihr begreift es wohl, und fühlt mit uns, daß uns die Pflicht heißt bei unsern alten Leutchen zu bleiben“ [62]. Aber die Röntgens freuen sich auch über die Nähe und die gemeinsame Zeit mit den Eltern, so zum Beispiel im Rahmen des gemeinsamen Weihnachtsfests 1878 [63]. In den Briefen wird ein gemeinsamer Urlaub im nahen Schwarzwald (Durbach) erwähnt [15].

Röntgens Mutter beschreibt Ihre Schwiegertochter folgendermaßen: „Bertha ist für Willem eine sehr passende Ehefrau und für uns eine warmherzige und fürsorgliche Tochter. Ich habe noch nie jemanden getroffen, der ... einen so guten Eindruck auf jeden macht, der ihr begegnet und die, obwohl sie nicht viel Schulbildung oder Wissen besitzt, dennoch alle Angelegenheiten, Gegenstände und Umstände des Lebens mit Wissen beurteilt und dadurch eine angenehme Hausfrau und Gefährtin ist“ [60]. Sie schreibt aber auch: „Ihr Temperament ist ein bisschen heftig, was bedauerlich ist, aber unser Willem hat das Taktgefühl, es zu kontrollieren.“ Über Ihren Sohn schreibt sie 1879 nach seiner Berufung auf den Lehrstuhl nach Gießen kurz vor dem Umzug stolz: „Unser WILLEM ist nun 34 Jahre alt; wir können nur dankbar sein, dass er eine so gute Karriere gemacht hat. Er hat dies unter dem Segen des Allerhöchsten seinem eigenen Fleiß und seiner Arbeit zu verdanken“ [60].

Kurz nach dem Umzug 1879 nach Gießen schreibt sie: „Willem ist sehr zufrieden mit seiner Position, er wird gesehen und geliebt, glaube ich. Er hat ein gutes Einkommen und ein großes Publikum. Man erkennt den großen, dünnen, blassen jungen Mann nicht wieder; er ist ein breitschultriger, kräftiger Mann geworden. Er ist ein guter Sohn.“ Sie fährt fort: „Wir würden uns wünschen, dass er im Alltag ein wenig gesprächiger wäre, zumindest für meinen Mann wäre das angenehmer, aber das ist einfach nicht seine Art, und er meint es ja auch sehr gut. Er ist gut, ja, sehr gut, und sie sind sehr glücklich, aber er setzt sich durch, und sein Auge schätzt seine Umgebung scharf ein; er liebt Ordnung und Sauberkeit, sowohl im Labor, im Arbeitszimmer und im Haushalt“ [60].

Das kinderlose Ehepaar Röntgen hatte viel Freude an der Gesellschaft junger Menschen. In einem Brief an ihre Freundin Ernestine Baur schreibt Bertha über deren Tochter: „Wie gern wir Johanna bei uns haben, will ich Ihnen hier nicht erklären, genug wenn ich sage, dass wir, seit wir das liebe und muntere Wesen bei uns haben, ganz andere Menschen geworden sind, wir sind so vergnügt und fühlen uns auch sonst viel wohler“ [64].

Aus den Briefen geht hervor, dass Röntgen enorm viel gearbeitet hat und wenig Zeit für seine Frau blieb. Bertha Röntgen beklagt diesen Umstand nicht explizit, erwähnt ihn aber mehrfach [50] [61] [65], stets jedoch verbunden mit Verständnis für ihren Mann. („…, denn laute Selbstgespräche halte ich keine, und ein gewißer Anderer hat weder Lust noch Zeit mein Geplauder mit anzuhören“ [65]. „Willy kann und darf ich nicht quälen um sich mehr mit mir zu beschäftigen, da er so sehr viel zu arbeiten hat, er steckt oft (mit Recht gesagt) bis über die Ohren zwischen den Büchern“ [50]. Auch spricht sie mehrfach von „Stille, Einsamkeit und Langeweile“ [50] [61] [64] [66] und erinnert sich an glückliche Zeiten in Hohenheim zurück [15]. „Mir fehlt der gemüthliche Umgang, wie ich es in Hohenheim hatte!“ [50]. Aus den Briefen Bertha Röntgens aus dieser Zeit geht hervor, dass sie sich in Hohenheim wohler fühlten, als in Straßburg. Nach der Rückkehr nach Straßburg schreibt sie: „Mit einem Wort meine Liebe, wir haben beinah noch keinen nähern Umgang mit den hiesigen Familien. Ich habe es Ihnen ja immer gesagt, daß der Umgang, den man hier pflegt, mir immer etwas frostig vorkam, um so viel mehr nachdem wir in Hohenheim so liebe Freunde hatten, die uns so freundlich entgegenkommen. Ich gebe den Menschen hier keine Schuld, denn sie sind noch dieselben von früher, aber wir sind verändert, wir sind verwöhnt“ [67].

Im klaren Widerspruch zu diesen Aussagen Bertha Röntgens steht die Erinnerung von Margret Boveri, der Patentochter der Röntgens aus dem Jahr 1931, also mehr als 50 Jahre später: „Die Zeit in Hohenheim war bei den Röntgens immer in schlechtester Erinnerung, und sie sprachen nicht gern davon. Sie vermißten dort die anregende Gesellschaft junger Freunde, die an der neu gegründeten Straßburger Universität in großer Zahl vorhanden waren und zu vergnügten Ausflügen und Zusammenkünften Anlaß gaben“ [4].

Auch konnte Röntgen in Hohenheim jagen, in Straßburg aber nicht. Dazu Bertha Röntgen: „Was wird er [ein Hase] uns gut schmecken, kommt er doch von Hohenheim, wo natürlich alle Hasen besser sind, als irgendwo! – Ich kann wohl sagen, daß ihn mein Männchen mit wehmüthigem Blick betrachtete, sehnt sich doch der Arme so sehr darnach, um wieder einmal mit der Flinte durch Feld und Wald zu streifen. Für diesen Winter fürchte ich wird es hier [in Straßburg] keine Jagd mehr geben, denn er hat tüchtig zu arbeiten, und dann hat er auch noch mit Niemand Bekanntschaft gemacht, der ihn zu einer Jagdparthie mitnehmen könnte“ [68].

Das Ehepaar Röntgen beschäftigte – zumindest in der zweiten Straßburger Periode – ein Hausmädchen. Immer wieder taucht der Name „Marie“ in den Briefen auf. Marie bewohnte eine eigene Kammer tlw. unter dem Dach, tlw. innerhalb der Wohnung ([Abb. 16]) [51]. Zu ihren Aufgaben gehörten Hausarbeiten, aber auch das Schleppen von Wasser, Holz und Kohlen [51].

Sowohl in Straßburg als auch in Hohenheim gab es Probleme mit Ungeziefer, wie W. C. Röntgen 1922 in seinen Erinnerungen schrieb: „Wir hatten in Hohenheim Ratten und waren schon auf einen verhältnismaßig freundlichen Fuß mit ihnen gekommen: sie bekamen ihr tägliches Futter in dem Rinnsteinablauf von der Küche und ließen uns dafür im Übrigen in Ruhe! Wanzen und Schaben hatten wir in Straßburg in unserer Wohnung, aber meine Frau wurde ihrer bald Herr. Wir waren jung und konnten deswegen manchen Mißstand mit einigem Humor überwinden“ [69].

In ihrer Freizeit ging das Ehepaar Röntgen ins Theater oder Konzert [61]. In einem Brief beklagt Bertha Röntgen, dass im Winter 1877/78 aufgrund von Trauerfällen (darunter auch das jüngste Kind der Kundts) keine Gesellschaften zustande gekommen seien. Einem Studentenball aber blieben sie von sich aus fern, da sie „fürchteten keine Bekannten da zu finden, ebenso eine Soiree beim Oberpräsidenten von Möller.“ [61] Dies lässt auf eine gewisse Schüchternheit der beiden schließen.

In den Briefen werden auch einige Bücher erwähnt, die Bertha gelesen hat, darunter mehrere historische Romane des Ägyptologen und Schriftstellers Georg Ebers („Die Königstochter“, „Uarda“ und „Homo sum“). Bertha fand diese Bücher „wunderschön, ich habe nur bedauert, daß ich mich mit Niemand darüber aussprechen konnte, was man doch so gerne thut, um auch andere zu hören wie sie darüber denken. …, denn mein lieber, guter Willy hat so viel zu arbeiten, daß wir selten zu einer recht gemüthlichen Unterhaltung kommen“ [61]. Aber gelegentlich scheinen auch beide zur selben Lektüre gegriffen zu haben. „Mein Willy und ich lasen eine Reisebeschreibung durch den dunkeln Welttheil (Afrika) von Henri M. Stanley. Ich kann Dir nicht sagen mit welchem Interesse und Spannung wir seiner Erzählung über alle seine Entdeckungen und Abenteuer gefolgt sind“ [51]. Zu Weihnachten 1876 schenkte sich das Ehepaar „nach gegenseitiger Verständigung“ die Werke von Goethe, Lessing und Shakespeare [67].

In Hohenheim stand dem Ehepaar Röntgen offenbar ein kleiner Schrebergarten zur Verfügung. Bertha Röntgen erwähnt 1877, zurück in Straßburg, mit Bedauern, dass Sie ein solches „Stückli“ nun nicht mehr haben [70].

1878 schreibt Bertha, dass „Willy, ihr kleines Männchen“ mehrere Jagdeinladungen hat ausschlagen müssen, da er keine geeigneten warmen „Anzug“ hatte [68]. Das war offensichtlich ironisch gemeint, denn aus anderen Quellen ist bekannt, dass Röntgen „hochgewachsen“ war [9] [60], laut Röntgens holländischem Ausweis 1,86 m [71] . Die über Hohenheimer Freunde in München bestellte „Joppe“ hat er dann „sehr erfreut“ zu Weihnachten bekommen [63].

Offenbar waren die Röntgens bei der Auswahl ihrer Reiseziele preisbewusst, denn die Preise werden im Rahmen von Urlauben in Durbach (Schwarzwald) und Fly (Schweiz) mehrfach erwähnt („billig“ bzw. „nicht theuer“) [15] [65].


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1879: Abschied aus Straßburg

„Der Verlust von Elsass, speziell von Straßburg, geht mir, der ja dort die Gründung der Universität unter so ungemein großer Begeisterung miterlebte und dort eine der schönsten, arbeitsreichsten Perioden seines Lebens zugebracht hat, ganz besonders nah. Manchmal betrachte ich das Bild von Straßburg, das in meinem Zimmer hängt, und summe das alte Lied ‚O Straßburg, o Straßburg, Du wunderschöne Stadt’ usw. vor mir her.“

W.C. Röntgen, 19.11.1918

Im Frühjahr 1879 wurde W.C. Röntgen auf den Lehrstuhl für Physik nach Gießen berufen. Damit endete seine Zeit in Straßburg. Im Rückblick kann Röntgens Periode in Straßburg (und Hohenheim) als Fundament für seine weitere beeindruckende Karriere mit drei Ordinariaten gelten. In nur sieben Jahren stieg er vom Assistenten erst zum Privatdozenten, dann zum außerordentlichen Professor und schließlich zum ordentlichen Professor auf. Mit seinem Fleiß, seiner akribischen experimentellen Arbeit und insgesamt fünfzehn hochrangig publizierten Arbeiten erwarb er sich in dieser Zeit einen herausragenden Ruf als Physiker und Experimentator, der zu den Berufungen auf die Lehrstühle für Physik in Gießen, Würzburg und zuletzt München führte. Die von Röntgen selbst beschriebene begeisternde Aufbruchstimmung der neu gegründeten Universität hat sicherlich maßgeblich zu seiner Entwicklung in Straßburg beigetragen.


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Conflict of Interest

The authors declare that they have no conflict of interest.

Supplementary Material

  • References

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  • 69 Archiv Deutsches Röntgen-Museum Remscheid, W.C. Röntgen an M. Boveri, 14.7.1922, Indexnummer 254.
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  • 71 Archiv Deutsches Röntgen-Museum Remscheid, 80803.
  • 72 Archiv Deutsches Röntgen-Museum Remscheid, W.C. Röntgen an M. Boveri, 19.11.1918, Indexnummer 254.

Correspondence

Dr. Jan Rabe
Institute for Diagnostic and Interventional Radiology, Städtisches Klinikum Karlsruhe
Karlsruhe
Germany   

Publication History

Received: 17 May 2024

Accepted after revision: 20 December 2024

Article published online:
20 February 2025

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