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DOI: 10.1055/s-0028-1090200
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Psychotherapeuten im Dialog
Eine Gesprächsrunde ehemaliger PiD-HerausgeberPublication History
Publication Date:
13 March 2009 (online)
Vom Sinn und Unsinn des Schulendenkens
Arist von Schlippe: Steffen, Du hattest die Idee zu diesem Treffen und bist der Motor dafür, dass wir heute hier zusammensitzen. Ich weiß, dass wir keine Tagesordnung haben, keinen Interviewleitfaden, aber vielleicht magst du eine erste Frage in den Raum stellen, über die wir diskutieren?
Steffen Fliegel: Ja, gern. Ich bin ja viel in der psychotherapeutischen Aus- und Weiterbildung engagiert. Und ich frage mich in letzter Zeit immer mehr, ob es überhaupt sinnvoll ist, die zukünftigen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, egal ob es Ärzte, Psychologinnen oder Sozialarbeiter sind, in einer spezifischen Therapierichtung bzw. in einem Therapieverfahren auszubilden.
Ulrich Streeck: Das fragst du dich? Hast du auch eine Antwort?
Steffen Fliegel: Ja, ich glaube schon. Die systemische Therapie befindet sich ja gerade im erfolgversprechenden Anerkennungsverfahren im Wissenschaftlichen Beirat. Ich finde die Verfahren der systemischen Therapie als Kombination mit der Verhaltenstherapie sehr brauchbar, ergänzt übrigens (lächelnd mit Blick auf Ulrich Streeck) durch tiefenpsychologische Methoden …
Ulrich Streeck: … aufgestockt durch ein wenig Gesprächspsychotherapie und dann noch einen kleinen humanistischen Nachschlag …
Steffen Fliegel: Im Ernst, ich finde es gut, dass im Moment in der Psychotherapieausbildung viel in Bewegung ist, auch durch das Gutachten des Bundesministeriums.
Arist von Schlippe: An dem du ja auch beteiligt bist.
Steffen Fliegel: Jetzt werden endlich ganz offiziell Fragen aufgeworfen, ob diese Ausbildung in Verfahren oder Therapieschulen für eine zukünftige Psychotherapie weiterhin sinnvoll ist.
Arist von Schlippe: Oha, das ist ein riesiges Feld. Wenn wir das beackern wollen, brauchen wir viel Zeit. Ich halte das Denken in Schulen für gefährlich. Es greifen automatisch bestimmte sozialpsychologische Gesetzmäßigkeiten, ein Denken in „Wir” und „Die”, mit der Tendenz, die eigene Gruppe auf Kosten der anderen besser zu stellen. In der Diskussion um die Anerkennung der verschiedenen Verfahren lassen sich doch diese Mechanismen wiederfinden – und offenbar sind auch sehr intelligente Menschen ihnen unterworfen. Das Schulen-Denken hat aus meiner Sicht in sich eine Struktur, die gefährlich ist. Das stört den Diskurs, macht ihn unmöglich, lädt zu Machtspielen ein.
Steffen Fliegel: Dieses Festhalten wird in der Ausbildung dadurch ad absurdum geführt, dass immer, wenn ein Verfahren vom Wissenschaftlichen Beirat als „wissenschaftlich anerkannt” deklariert wird, die psychotherapeutischen Ausbildungsinstitute quasi gezwungen sind, dieses Verfahren mit in die Ausbildung aufzunehmen. Es gibt aber kein Konzept, in welcher Art und Weise diese Aufnahme passieren und wie sie mit den anderen Verfahren sinnvoll in einem Curriculum verzahnt werden soll. Eklektisch soll es ja auch nicht sein.
Ulrich Streeck: Für mich ist es eine weitgehend abstrakte Frage, ob eine solche Verzahnung geschehen sollte oder nicht. Tatsache ist doch, dass sich – mir erscheint der Ausdruck Schule übrigens einigermaßen unpassend – die ganze Entwicklung in einem Maße aufgefächert hat, dass es müßig ist zu fragen, ob man das nun zurückschrauben kann oder nicht. Im Übrigen habe ich den Eindruck, dass die Entwicklung in den letzten Jahren zwischen den drei Richtungen, die wir hier vertreten[1], sehr ungleich verlaufen ist. Nach meinem Eindruck zahlt sich das, was gerne Integrationsbemühung genannt wird, für die psychodynamische Psychotherapie nicht aus.
Steffen Fliegel: Warum?
Ulrich Streeck: Ich habe den Eindruck, die Psychoanalytiker und Vertreter der psychodynamischen Psychotherapie zahlen drauf.
Steffen Fliegel: Nochmal warum?
Ulrich Streeck: Beispielsweise deshalb, weil die Verhaltenstherapie sich mehr oder weniger unverhohlen psychodynamische Konzepte aneignet, ohne deren Herkunft auszugeben. In der Literatur erscheint es dann oftmals so, als hätte die Verhaltenstherapie das Rad neu erfunden. Es entspricht nicht den wissenschaftlichen Gepflogenheiten und erscheint mir nicht redlich, wenn man die Herkunft von Konzepten, die man meint integriert zu haben, nicht ausweist. Zumindest im klinisch-stationären Bereich gibt es nicht wenige psychodynamisch orientierte Psychotherapeuten, die von der Verhaltenstherapie viel übernommen haben, also etwa mit Elementen der DBT arbeiten, auch von der systemischen Therapie viel übernommen haben, das sehr wohl aber auch explizit machen. Ich habe aber den Eindruck, dass das umgekehrt nicht der Fall ist, dass die anderen Richtungen oder – wie du sagen würdest, Schulen – sich nicht in gleicher Weise darum bemühen, psychodynamische Konzepte aufzunehmen. Und wenn sie das tun, das dann nicht ausweisen. Das ist eine sehr ungleiche Entwicklung.
Arist von Schlippe: Ich erlebe es bei der VT ähnlich mit systemischen Inhalten. Was ich erlebe, ist vor allem eine besondere Form der „Geschichtsschreibung”. Mit zunehmendem „Marktwert” des „Systemischen” wird diese so vorgenommen, dass die VT „schon immer” die Systemperspektive beinhaltet hat.
Steffen Fliegel: Also ich kann den Vorwurf, den ich bei Euch über Verhaltenstherapeuten höre, durchaus teilen, wenn auch nur eingeschränkt. Es wird versucht, aus anderen Therapieverfahren wichtige Elemente in die verhaltenstherapeutische Arbeit zu integrieren – und dann auch Verhaltenstherapie zu nennen.
Arist von Schlippe: Aber das ist doch der Knackpunkt!
Steffen Fliegel: Also wir kreierten nach der klassischen lerntheoretischen Analyse, Ihr wisst schon, mit S und R und C und so, die kognitive Analyse, weil die Kognitionen eben wichtig wurden. Wir erweiterten dann um die emotionale Analyse und entliehen uns einiges vom gestalttherapeutischen Ansatz. Die systemische Analyse wurde für die Bedeutung von Beziehungen genutzt. Und dann die motivationale Analyse, in der manche psychodynamischen Elemente stecken, ohne dass wir es drauf schreiben.
Arist von Schlippe: Und immer steht Verhaltenstherapie oben drüber. So ein bisschen nach dem Motto: „Wo VT draufsteht, ist dann auch VT drin!” Auch 'ne Form von „Labeling”.
Steffen Fliegel: Es gibt sicherlich Fachleute, die versuchen, das in die Verhaltenstherapie zu integrieren. Ich finde das überhaupt nicht redlich. Ich finde richtig, dass sichtbar wird, wo die Grenzen des eigenen Verfahrens sind, und wo es notwendig ist, eine entsprechende Erweiterung vorzunehmen. Aber eben nicht im Sinne von „Ich klau dir da mal was”, sondern im Sinne: Da gibt es wirkungsvolle Elemente in anderen Verfahren und die versuche ich da zu integrieren, wo ich die Defizite und Lücken meines eigenen Verfahrens erlebe oder wo ich im therapeutischen Prozess nicht weiterkomme.
1 Psychodynamische Psychotherapie, Systemische Therapie, Verhaltenstherapie
2 Zeitschrift „Psychotherapie im Dialog”
3 PiD-Interview mit Klaus Grawe zum Thema: Grenzen, Herausforderungen und Übergänge in der Psychotherapie. PiD Heft 2, 2005.