Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2008; 15(3): 111-112
DOI: 10.1055/s-0028-1091284
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Hintergrund - Der Dalai Lama und Tibet

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Publication Date:
10 October 2008 (online)

 
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Ende August sind die Olympischen Spiele 2008 in Peking zu Ende gegangen. Bereits im Vorfeld geriet das seit Jahrzehnten schwelende Tibet-Problem in den Blick der internationalen Öffentlichkeit. In der autonomen Region Tibet und den angrenzenden Gebieten kam es zu Gewaltausbrüchen zwischen Tibetern und Chinesen. Der olympische Fackellauf war von Demonstrationen begleitet. Außerdem besuchte der Dalai Lama, geistlicher und weltlicher Führer der Tibeter im Exil im Mai wie schon im letzten Jahr die Bundesrepublik. Der Bericht über diesen Besuch beleuchtet die politischen, religiösen und kulturellen Hintergründe der Vorgänge auf dem Dach der Welt.

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Bild: Dr. Jörg Siedenburg

Der Dalai Lama ist Projektionsfläche für vielerlei Erwartungen und die Sinnsuche einer zunehmend ernüchterten postindustriellen Gesellschaft. Auf der anderen Seite ist der buddhistische Lehrer aber nicht nur spirituelles, sondern auch politisches Oberhaupt seines Volkes. Er möchte allen Menschen jeweils das sein, was sie auf ihn projizieren und von ihm erwarten. Vor einigen Wochen waren er und sein Volk im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit: Im Vorfeld der Olympischen Sommerspiele in Peking 2008 war es in der autonomen Region Tibet und angrenzenden Gebieten zu zahlreichen Protesten und auch gewaltsamen Aufständen von Tibetern gekommen, die von chinesischen Sicherheitsbehörden niedergeschlagen wurden.

Unüberbrückbar scheinen die Gegensätze zwischen den Tibetern und ihren Unterstützern auf der einen und der chinesischen Regierung, ihren Vertretern und Befürwortern auf der anderen Seite. Während die öffentliche Sympathie der letzten Wochen aufseiten der ersteren ist, klafft im Bereich der Politik ein Riss: Es finden sich sowohl Unterstützer der tibetischen Position als auch Pragmatiker der Macht- und Wirtschaftspolitik, aber auch aus der Wirtschaft, die eher für die chinesische Seite argumentieren.

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Besuch in Deutschland

Der Dalai Lama besuchte bereits zum 33. Mal Deutschland. Die Veranstaltung in Mönchengladbach stand unter dem Motto "Frieden und Menschenrechte - die Grundlage der modernen Gesellschaft". Während beim letztjährigen Besuch in Deutschland vor allem spirituelle Fragen im Vordergrund gestanden hatten, galt der diesjährige Besuch des Friedensnobelpreisträgers vor allem der politischen Situation in seinem Heimatland.

Viele würden bei ihm geheimnisvolle, verborgene Kräfte vermuten, so der Dalai Lama zu seinen etwa 3 000 Besuchern. Man solle nicht zu viel von ihm erwarten - in dieser Hinsicht habe er nichts anzubieten. Er sei selbst skeptisch gegenüber wundersamen Heilkräften. Ein positives Denken würde hingegen der seelischen und körperlichen Gesundheit gut tun. Wenn man sich auf das Wesentliche konzentriere, dann könnten viele Differenzen und Barrieren zwischen den Menschen abgebaut werden. Alle seien Angehörige derselben großen Familie. So sei auch die Harmonie zwischen den Religionen wichtig: Es gebe nicht nur die eine Wahrheit.

Alle Religionen würden lehren, bescheiden zu leben, Konflikte friedlich zu lösen und Werte wie Mitgefühl, Selbstvertrauen und Toleranz vermitteln. So sei eine bestimmte Religion für das Individuum seine persönliche Wahrheit - für ihn etwa der tibetische Buddhismus -, für die Gesamtheit der Menschheit gebe es jedoch viele Wahrheiten, die respektiert werden müssten. Er verteidige auch den Islam: Nach den Anschlägen am 11. September 2001 habe man alle Muslime verdächtigt, obwohl es nur eine kleine Anzahl mit terroristischem Hintergrund gebe. Der großen Mehrheit gelte deshalb seine Liebe und sein Mitgefühl: Toleranz und Harmonie seien zu bestärken.

Die Grundlage für den äußeren Frieden sei der innere Frieden der Menschen. Die Menschenrechte seien Grundlage von Frieden und Fortschritt, da erst sie dem Menschen erlaubten, kreativ zu sein und die Gesellschaft zu entwickeln. In diesem Zusammenhang appellierte er auch an die Verantwortung von Politik und Wirtschaft. Diese würden manchmal nicht langfristig und an die nötige Entwicklung der Gesellschaft denken. Das chinesische Konzept einer harmonischen Gesellschaft an sich sei wundervoll. Allerdings gebe es dort eine Kluft zwischen Arm und Reich bzw. Stadt und Land. Echte Harmonie könne den Menschen nicht durch Kontrolle von außen aufgezwungen werden, sondern müsse von innen kommen. Solidarität und Spiritualität seien entscheidend für die Wahrnehmung von Verantwortung.

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Tibet

Tibet ist das größte Hochland der Erde: Umgeben von den höchsten Bergketten leben auf dem Hochplateau zwischen 3 600 und 5 200 m Höhe und seinen Ausläufern auf einer Fläche von circa 2,5 Millionen Quadratkilometern etwa 6 Millionen Menschen. Die karge und trockene Natur erlaubt etwas Ackerbau und Viehzucht, ein nicht unwesentlicher Teil der Bevölkerung lebt noch nomadisch. Infrastrukturprojekte wie Straßenbau und eine Eisenbahnverbindung bis nach Peking haben das Land erst in den letzten Jahrzehnten wirtschaftlich erschlossen.

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Ziel sei eine innere Autonomie, keine Loslösung

Die jüngsten Unruhen in Tibet hätten ihn überrascht und schockiert. Die junge Generation sei frustriert und habe deshalb, ebenso wie 1959 und 1987/1988, mit Gewalt reagiert. Er selbst habe angesichts dessen ein Gefühl der Hilflosigkeit und der Angst. Er persönlich versuche durch Hoffnung auf der intellektuellen Ebene die innere Ruhe auf der Gefühlsebene zu bewahren. Dies gelinge ihm durch die Erfahrung aus einem jahrelangen Geistestraining.

Es sei der falsche Weg, wenn Tibeter antichinesisch eingestellt seien: Beide Länder seien buddhistisch - der Buddhismus sei ja sogar zum Teil aus China nach Tibet gekommen. Er folge dem Prinzip der Gewaltlosigkeit.

China sei auf dem Weg zur Supermacht: Es habe eine große Bevölkerung und sei eine starke Militär- und Wirtschaftsmacht. Der Respekt des Restes der Welt sei nur durch moralische Autorität zu gewinnen. Diese könne man sich aber nur durch Harmonie verschaffen. Deshalb liege es im Interesse Chinas, die gegenwärtige Krise zu beenden. Dies könne nur durch gegenseitiges Vertrauen geschehen, und dieses sei wiederum nur durch die gleichen Rechte zu erreichen. In diesem Sinne sei er bereit, auf die Privilegien seines Amtes zu verzichten und sogar das Amt des Dalai Lama zur Disposition zu stellen.

Die Frage sei nun, wie der jetzige Konflikt zwischen Tibet und China zu lösen und zukünftige Konflikte zu vermeiden seien. Eine Loslösung von China läge nicht in seiner Absicht - die Mehrheit der Tibeter strebe eine innere Autonomie als eine für alle Seiten akzeptable Lösung an. Entsprechende Minderheitenrechte seien bereits in der chinesischen Verfassung garantiert. Was die Zukunft bringen werde, sei unsicher, aber die Unterstützung und Freundschaft von Organisationen, Menschen, Regierungen und Wirtschaft sei hilfreich, wichtig und nötig, um zu einer für alle Seiten akzeptablen Lösung zu kommen. China sei ein Freund für viele von diesen, und unter Freunden müsse es möglich sein, auch Fehler zu benennen.

Dr. Jörg Siedenburg, Frankfurt

 
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Bild: Dr. Jörg Siedenburg