Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2008; 15(3): 148-150
DOI: 10.1055/s-0028-1091299
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Finnland - Northern European Conference on Travel Medicine 2008

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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
10. Oktober 2008 (online)

 
Inhaltsübersicht

Vom 21.-24. Mai 2008 fand in Helsinki die 2. "Northern European Conference on Travel Medicine" statt. Fast 800 Teilnehmer aus Skandinavien, dem übrigen Europa, USA, Asien und Afrika waren in das "Marine Congress Center" gekommen, um sich über globale Aspekte alter und neuer Krankheiten, Malariaprophylaxe und ihre Behandlung, evidenzbasierte Medizin in der reisemedizinischen Beratung sowie Impfungen und Fortbildung in der Reisemedizin zu informieren. Bedingt durch die Nachbarschaft zu Russland und den baltischen Staaten wurden auch lokale Aspekte und Probleme im kleinen Grenzverkehr von Erregern und Reisenden vorgetragen.

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Neue und wiederkehrende Infektionskrankheiten

Markku Löytönen (Finnland) referierte über die kontinuierliche und wechselnde Folge von Krankheiten, die Menschen in vergangenen Jahrhunderten und heutiger Zeit heimgesucht haben, über die ungleiche Verteilung von Krankheiten zwischen Industrienationen und armen Ländern. Die 2 wichtigsten Faktoren für die zukünftige Entwicklung sieht er im Klimawandel und in der Landflucht: die Erderwärmung fördert die Ausbreitung von Vektoren außerhalb ihrer derzeitigen Lebensräume in die gemäßigten Zonen und das Wachstum und die Konzentration der Weltbevölkerung in Städten schafft ideale Bedingungen für die Übertragung und Verbreitung von neuen und wiederkehrenden Infektionskrankheiten.

Dermot Kennedy (Großbritannien) betonte die enorme Anpassungsfähigkeit und den Opportunismus von Mikroben, neue ökologische Nischen in einer sich stetig verändernden Umwelt zu besetzen, geografische und Speziesgrenzen zu überwinden, Faktoren wie Virulenz und Resistenz auf andere Pathogene zu übertragen. Überbevölkerung, intensive Landwirtschaft, Globalisierung des Handels (Tiere, Pflanzen, infizierte Nahrungsmittel, Transport von Vektoren), Migration und Tourismus unterstützen die schnelle und weltweite Ausbreitung der Erreger (Beispiel SARS).

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Malaria

Das Thema von Hans Dieter Nothdurft war die Debatte über die Malariaprophylaxe. Er erläuterte das Konzept der Niedrig- und Hochrisikogebiete entsprechend den Empfehlungen der deutschsprachigen tropenmedizinischen Gesellschaften und dem Stand-by-Konzept in Ländern mit niedriger und intermediärer Transmission von Malaria tropica. Angesichts des Klimawandels, durch den sich Regenzeiten und Niederschlagsmengen ändern, ist das Malariarisiko in der individuellen reisemedizinischen Beratung künftig sicher schwieriger einzuschätzen als bisher.

Noch immer gibt es große Defizite eine Malaria rechtzeitig zu erkennen und sofort zu behandeln, berichtete Peter Chiodini (Großbritannien). Zahlreiche Malariaschnelltests von sehr unterschiedlicher Qualität sind erhältlich. Die mangelnde Thermostabilität der Kits bereitet bei Anwendung in den Tropen erhebliche Probleme. Die Entwicklung von Malariaimpfstoffen für die Bevölkerung in Hochrisikogebieten macht laut Anders Björkmann (Schweden) Fortschritte, Impfstoffe für Touristen sind in naher Zukunft jedoch nicht in Sicht.

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Begegnung der Kulturen

Wenn sich Kulturen begegnen - wer ist verantwortlich für was? Ökotourismus ist das Zauberwort im aktuellen Touristikgeschäft und auch ein lukrativer Tummelplatz für "schwarze Schafe". Sheila Hall (Großbritannien) erinnerte daran, dass Reisen noch immer ein Privileg der Wohlhabenden ist: 95 % der Weltbevölkerung sind noch nie geflogen. Besonders gefährdet sind junge Reisende, die durch unseriöse Organisationen weltweit in Entwicklungsländer vermittelt werden. Für ihren Idealismus zahlen sie oft viel Geld und werden mit den Problemen vor Ort völlig allein gelassen. Neu sind Expeditionsreisen für Kinder! Der Psychologe Antti Pakaslahti (Finnland) zeigte eindrucksvolle Bilder zum Thema: "The travelling mind" - was suchen Reisende?

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Japanische Enzephalitis

Ein wichtiges Thema des Kongresses war die Japanische Enzephalitis und das Risiko für Reisende in den Endemiegebieten Asiens. Zum Vorkommen, der Epidemiologie und Klinik der Japanischen Enzephalitis gab es mehrere Vorträge, unter anderem von Mads Buhl (Dänemark). Offensichtlich können Reisende unter bestimmten Bedingungen auch beim Badeaufenthalt in Bali oder bei Kurzreisen gefährdet sein, wie Fallbeispiele aus den letzten Jahren zeigen.

Schlafen unter einem Moskitonetz oder in klimatisierten Räumen bietet keinen optimalen Schutz gegen die dämmerungsaktiven Culex-Mücken. In Anbetracht der Zulassung eines neuen, besser verträglichen Verozell-Impfstoffs gegen Japanische Enzephalitis (2-Dosen-Impfschema) noch in diesem Jahr (Aussage der Firma Novartis) wird eine Neubewertung von Nutzen und Risiko der Impfung bei Asienreisen erforderlich.

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Masern

Mick Mulders (Dänemark) von der WHO berichtete über den Stand der Masernelimination in Europa, die aktuellen Ausbrüche (Schweiz, Österreich, Deutschland) und reisebedingte Maserneinschleppungen in Länder mit niedrigen Prävalenzen. Letztere sind weltweit ein Ärgernis. Masern sollten daher auch in die reisemedizinische Beratung einbezogen werden. WHO-Ziel bis 2010 ist die globale Reduktion der Masern um 90 % und die Eliminierung in Europa.

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Bild: Thieme Verlag/KES

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Kleinkinder mit akuter Höhenkrankheit

Bei 4 parallel angebotenen Workshops an den Nachmittagen fiel die Auswahl schwer, da mehr als eine Sitzung thematisch interessant war. Karl Neumann (USA) berichtete von Kleinkindern mit akuter Höhenkrankheit (AMS, "acute mountain sickness") bei Langstreckenflügen von über 12 Stunden Dauer; betroffen sind Frühgeborene, Neugeborene mit perinatalen Herzkreislaufproblemen, aber auch am Boden unauffällige Kinder mit zystischer Fibrose, Sichelzellanämie, Down-Syndrom (bedingt durch die begleitenden Herzfehler) und Kinder mit Krampfleiden.

An Bord ist man nicht auf Notfälle bei Kindern eingerichtet. Die Therapie der AMS erfolgt mit Acetazolamid (Diamox®). Kinder, die an Infektionen der oberen Luftwege, nasalen Allergien und Ohrinfektionen leiden, können ohne Probleme fliegen. Häufigeres Füttern von Säuglingen verhindert keine Ohrenschmerzen, kann aber zu vermehrtem Unbehagen durch eine weitere Zunahme des Volumens (plus Gasexpansion) im Darm führen.

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Ältere Reisende und Reisende mit Vorerkrankungen

Alternde Reisende, sind neben ihren Grunderkrankungen generell anfälliger für Infektionen aller Art. Das Immunsystem von Senioren reagiert Pål Voltersvik (Norwegen) zufolge auf Impfungen mit neuen Antigenen weniger gut. Wünschenswert sind bessere Impfstoffe für diese Altersgruppe. Eventuell muss auch eine Verkürzung der Impfintervalle erwogen werden. Kontrovers diskutiert wurde das Risiko und die Notwendigkeit der Gelbfieberimpfung bei älteren Reisenden nach Kenia.

Eric Walker (Großbritannien) stellte Fallbeispiele aus der Praxis vor und diskutierte Empfehlungen für Reisende mit besonderen Risiken. Wichtig vor jeder Reise ist die Überprüfung der verschriebenen Medikamente bezüglich ihrer Nebenwirkungen unter Reisestress und anderen klimatischen Bedingungen. In der Gruppe der VFRs ("visiting friends and relatives") ist die korrekte Malariaprophylaxe ein großes Problem, ebenso die rechtzeitige Diagnostik bei Kindern. VFRs haben ein höheres Risiko für HIV, Malaria und Hepatitis A, besonders wenn sie als Immigranten der 1. und 2. Generation ihr Heimatland besuchen, so Shingadia Delane (Großbritannien).

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Impfung gegen Reisediarrhö - Pro und Contra

Pro und Contra Impfung gegen Reisediarrhö mit Choleraimpfstoff - Lars Rombo (Schweden) plädierte für eine Impfung aller Reisenden, da ETEC-Diarrhöen häufig und lästig sind, während David Hill (Großbritannien) Nutzen und Effektivität der Impfung für diese Indikation in Frage stellte. Tatsache ist, dass es noch immer keine überzeugenden Studien zur Wirksamkeit des Impfstoffs gibt. Inzwischen ist der kleine schwedische Impfstoffhersteller von einem großen Pharmakonzern übernommen worden. In Zukunft dürfte Geldmangel kein Argument mehr für die fehlenden Studien sein.

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EBM, Risikokommunikation und Fieber bei Reiserückkehrern

Weitere Workshops beschäftigten sich mit evidenzbasierter Medizin (EBM) in der Reiseberatung. Kritische Fragen zu diesem Thema stellte Ivar Sønbø Kristiansen (Norwegen): Verbessert EBM tatsächlich unsere Gesundheit? Dazu gibt es bisher keine randomisierten kontrollierten Studien. Die Gültigkeit von Erkenntnissen aus EBM gab er mit circa 5 Jahren an.

Über Risikokommunikation in der Reisemedizin, den Unterschied zwischen gefühltem und tatsächlichem Risiko referierte Ron Behrens (Großbritannien). Das Malariarisiko für VFRs nach Indien ist zum Beispiel 10-mal höher als für Non-VFRs. Sollen Senioren bei Reisen nach Kenia eine Gelbfieberimpfung erhalten, obwohl es dort seit 10 Jahren keinen einzigen lokalen Fall gab? Behrens plädierte für eine individuelle Risikoabschätzung für jeden Reisenden.

Fieber bei Reiserückkehrern (Christoph F.R. Hatz, Schweiz) und Eosinophilie (Gerd-Dieter Burchard) wurden thematisiert, Meldesysteme für reisebedingte Krankheiten vorgestellt, Risiken bei Reisen und Abenteuern in nördlichen Regionen und Arktis präsentiert und Standards in der reisemedizinischen Beratung und Fortbildung diskutiert.

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Bild: Dr. Hinrich Sudeck

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Hepatitis

Ein Satellitensymposium zum Thema Hepatitis ergänzte das Programm: In Ländern mit geringem und mittlerem Risiko für Hepatitis A sind Reisen in Hochendemiegebiete der größte Risikofaktor (R. Steffen, Schweiz). In dieser Gruppe sind die Impfraten unzureichend. Nur eine generelle Impfung im Kindesalter würde dem Lebensrisiko an Hepatitis A in der Schweiz zu erkranken entgegensteuern. Nothdurft verwies auf Risiken im östlichen Europa und im Mittelmeerraum - Risikogebiete, die gar nicht fern für uns sind.

Gleichzeitig forderte er bessere, standardisierte Surveillance von Ausbrüchen im europäischen Raum. Schließlich soll Norbert de Clercq (GlaxoSmithKline) mit seinem Statement zur Hepatitis A und B Kombinationsimpfung zitiert werden: "Our data do not support the need to recommend a booster for Hepatitis A and B", vorausgesetzt natürlich der regelrecht Geimpfte (3 Dosen, Standardimpfschema) ist jung und gesund. In der revidierten Fachinformation wird ein Booster nach 10 Jahren nicht mehr empfohlen und die Schutzdauer ist mit mindestens 10 Jahren angegeben.

Der erste Tagungstag endete mit einer Einladung ins Rathaus der Stadt Helsinki und anschließend konnten sich die Kongressteilnehmer in einer traditionellen Sauna von diesem wundertätigen finnischen Heilmittel für fast alle Gebrechen selbst überzeugen. L. Vinikka (Finnland) hatte in einer launigen Präsentation zur Landeskultur auf den Saunagang eingestimmt. Viel Beifall gab es für den Vortrag mit musikalischen Kostproben zum Thema "Traveller's Ailments in Music" und wirklich Interessierte hatten um 8.00 Uhr morgens die Möglichkeit, ein Referat über finnische Architektur zu hören.

Dr. Annette Spies und Prof. Gerd-Dieter Burchard, Hamburg

 
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Bild: Thieme Verlag/KES

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Bild: Dr. Hinrich Sudeck