Ziel der vorliegenden Arbeit war es zu prüfen, ob nach gelungenem Extremitätenerhalt
die 5 am meisten verbreiteten Scores Hinweise für die Prognose und das funktionelle
Outcome liefern könnten. Es wurde vermutet, dass mit steigender Scoresumme eine schlechtere
Funktion resultieren würde. Ability of lower-extremity injury severity scores to predict functional outcome after
limb salvage. J. Bone Joint Surg Am 2008; 90: 1738 - 1743
Problem
Problem
Die frühzeitige Entscheidung bei einer schweren Verletzung an der unteren Extremität
darüber zu befinden, ob ein Extremitätenerhalt oder eine primäre Amputation für den
Patienten günstiger ist, stellt den betroffenen Chirurgen vor eine schwierige Entscheidung.
In den letzten beiden Dekaden sind deshalb mehrere gemischte Scoresysteme publiziert
worden, die den Operateur bei dieser Entscheidungsfindung unterstützen sollen. 5 Scores
haben weitere Verbreitung und Akzeptanz gefunden, darunter der
-
Mangled Extremity Severity Score (MESS),
-
der Limb Salvage Index (LSI),
-
der Predictive Salvage Index (PSI),
-
der Nerve Injury, Soft-Tissue Injury, Skeletal Injury, Shock, and Age of Patient Score
(NISSSA) und
-
der Hannover Fracture Scale-98 (HFS-98).
Allerdings hatte die unter dem Akronym LEAP (Lower Extremity Assessment Project) zusammengeschlossene
Gruppe bestehend aus 8 Zentren der Maximalversorgung bereits nachweisen können, dass
die genannten Scores keine guten Prädiktoren hinsichtlich einer Entscheidungsfindung
hin zur Amputation oder zum Extremitätenerhalt darstellen [1].
Studiendesign
Studiendesign
Die Einschlusskriterien waren u. a.:
-
Amputationsverletzungen jenseits des distalen Femurs,
-
ausgewählte offene Frakturen Typ Gustilo IIIA des Unterschenkels und
-
Unterschenkelfrakturen mit offenem Weichteilschaden Typ Gustilo IIIB- und IIIC
Unter Beachtung der genannten Einschlusskriterien wurden aus dem Gesamtkollektiv von
601 Patienten der Jahre 1994-1997 407 Verletzungen (darunter 21 bilaterale Läsionen)
rekrutiert bei denen die betroffene Extremität 6 Monate nach Krankenhausentlassung
erhalten geblieben war.
Das funktionelle Resultat wurde anhand des Sickness Impact Profile (SIP), eines reliablen
und validierten Reports aus 136 Fragen zum Gesundheitszustand des Patienten, 6 und
24 Monate nach Klinikentlassung evaluiert. Der Gesamtscore des SIP beträgt 0-100 Punkte,
0-3 Punkte indizieren keine Behinderung, 4-9 Punkte eine milde, 10-19 Punkte eine
moderate Einschränkung. Schwere Funktionsbeeinträchtigungen finden sich bei 20 und
mehr Punkten.
Ergebnisse
Ergebnisse
Der Median des SIP nach 6 und 24 Monaten lag bei 15,2 bzw. 6 Punkten. Keiner der 5
Scores konnte eine relevante Vorhersage des SIP leisten. Dies betrifft gleichermaßen
die psychosozialen wie die physischen Funktionen. Selbst Patienten für die anhand
der Scoregrenzwerte eine primäre Amputation nahe gelegt worden war, schnitten funktionell
nicht schlechter als jene ab, für die anhand der Scorewerte der Extremitätenerhalt
empfohlen worden war.
Kommentar
Kommentar
Die heute üblichen Scores zur Bewertung der Verletzungsschwere an der unteren Extremität
sind weder geeignet dem Operateur eine wesentliche Hilfestellung in der Frage Amputation
oder Extremitätenerhalt zu leisten noch sind sie ein wertvolles prognostisches Kriterium
für das kurz- oder längerfristige Outcome. In wie weit hier die Anwendung moderner
unfallchirurgischer und plastisch-rekonstruktiver Techniken für das erfreulich gute
funktionelle Resultat verantwortlich ist - schließlich wurden in der Studie der LEAP-Gruppe
ausschließlich Zentren der Maximalversorgung aktiv - ist spekulativ. Allerdings entspricht
dies nicht nur in den USA der klinischen Versorgungsrealität, dass Patienten mit Komplextraumata
der unteren Extremitäten in einer Institution behandelt oder dorthin verlegt werden,
die über die geeignete Infrastruktur und das entsprechende Know-how verfügt. Ansonsten
wird die schwere Entscheidung zur primären Amputation nur streng individualisiert
anhand der verfügbaren Parameter und der profunden Erfahrung des Chirurgen zu treffen
sein.
Univ.-Prof. Dr. Thomas Mittlmeier
Univ.-Prof. Dr. Thomas Mittlmeier
Abt. für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie
Chirurgische Klinik und Poliklinik der Universität Rostock
Email: thomas.mittlmeier@med.uni-rostock.de