Der Klinikarzt 2008; 37(11): 510
DOI: 10.1055/s-0028-1103086
MEDICA e.V.

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Serie "Interdisziplinarität in der Medizin" Erfahrungen mit einer interdisziplinären Konferenz

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Publication Date:
30 November 2008 (online)

 
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Die Interdisziplinarität in ihrer definitionsgerechten Anwendung ist ein erstrebenswertes Ziel, auch in Zeiten, in denen Sparzwänge bereits viele Bereiche des Gesundheitssystems erreicht haben. Große Fachdisziplinen haben sich immer weiter spezialisiert und sind kaum noch überschaubar. Anhand einer interdisziplinären Konferenz zum multiplen Myelom sollen in diesem Artikel unsere Erfahrungen zu diesem Thema dargestellt werden.

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Das multiple Myelom als Modellerkrankung

Da das multiple Myelom aufgrund seiner Symptomatik mit Laborwert-, Knochen- und Knochenmarkveränderungen und teilweise auch Weichteiltumoren sowohl in der Diagnostik als auch in der Therapie zwingend eine Zusammenarbeit mehrerer Fachdisziplinen erfordert, kann es als Beispielerkrankung dienen. So laufen beim behandelnden Hämatoonkologen diagnostische Informationen von Radiologen (Röntgen des knöchernen Skeletts, Magnetresonanztomografie, Computertomografie), Pathologen (Histologie), Humangenetikern (zytogenetische Untersuchungen der malignen Plasmazellen des Knochenmarks) und Labormedizinern zusammen. Die Entscheidung zur systemischen (Chemo-)Therapie kann dann durch den Hämatoonkologen bei einem gewissen Anteil der Patienten alleine getroffen werden. Insbesondere bei ossären Destruktionen oder symptomatischen Raumforderungen sollte allerdings die Expertise von Strahlentherapeuten, Orthopäden, Unfallchirurgen oder (Neuro-)Chirurgen mit einbezogen werden.

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Ein funktionierendes Konzept

Zunächst werden Patienten, bei denen der Verdacht auf ein multiples Myelom besteht oder bei denen diese Erkrankung bereits diagnostiziert wurde, in der Ambulanz der Sektion "Multiples Myelom" der medizinischen Universitätsklinik Heidelberg oder des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg vorgestellt. Daraufhin prüft der Kollege auswärtige Befunde, erhebt die Anamnese und einen körperlichen Untersuchungsbefund, führt bei Bedarf eine Knochenmarkpunktion für histologische, zytologische, zytogenetische und genexpressionsanalytische Untersuchungen durch und veranlasst schließlich die laborchemischen und apparativen Untersuchungen. Unterstützt wird er dabei durch eine Casemanagerin, die bereits auswärtig erhobene Befunde inklusive radiologischer Bilder einholt, wenn möglich schon vor dem tatsächlichen Vorstellungstermin des Patienten. Eventuell noch fehlende, aufwendigere Untersuchungen können so schon für den Vorstellungstag terminiert werden.

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Das Tumorboard

Wurden die Untersuchungen durchgeführt und stehen deren Ergebnisse zur Verfügung, erfolgt die Vorstellung in einem wöchentlich stattfindenden Tumorboard des NCTs. An diesem nehmen neben Ärzten der Spezialambulanz auch Radiologen der Universitätsklinik sowie des Deutschen Krebsforschungszentrums, ein Strahlentherapeut, ein Unfallchirurg sowie ein Osteologe teil. Anamnese und klinische Befunde werden standardisiert vorgestellt, ebenso wie die Bilder der radiologischen Untersuchungen. Im Konsens wird eine Entscheidung zu Therapiemodalitäten sowie deren Reihenfolge (z. B. lokale Schmerztherapie mittels Kyphoplastie oder Bestrahlung vor oder nach Einleitung der systemischen Therapie) getroffen.

Diese Beschlüsse werden während der Besprechung durch eine medizinische Dokumentarin in einer zentralen Datenbank online dokumentiert und nach einer Kontrolle durch den zuständigen Konferenzleiter und den Ambulanzoberarzt signiert abgespeichert. Sind weitere Untersuchungen zur Entscheidungsfindung erforderlich oder muss eine Vorstellung in einer weiteren Ambulanz zur Mitbeurteilung erfolgen, so vereinbart die ebenfalls anwesende Casemanagerin eigenständig die Termine und teilt sie den Patienten und dem zuständigen Arzt mit.

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Schlussfolgerung

Durch die Einführung des Tumorboards für Patienten mit multiplem Myelom konnte die Diagnostik auf der einen Seite optimal vervollständigt und auf der anderen Seite unnötige Untersuchungen vermieden werden. Der behandelnde Assistenzarzt bekommt die Möglichkeit, Befunde mit erfahrenen Fachärzten anderer Disziplinen zu bewerten und sich mit seiner Therapieentscheidung der Diskussion anderer Kollegen zu stellen - Basis für die Diskussionen sind die SOPs des NCT für die verschiedenen Tumorentitäten. Dies fördert die Ausbildung und erhöht die Patientensicherheit, da unklare Befunde unter mehreren Kollegen noch einmal diskutiert und gegebenenfalls Therapieentscheidungen hinterfragt und korrigiert werden können. Darüber hinaus beschleunigt die Tumorkonferenz Therapieentscheidungen, da der Kontakt mit den Kollegen anderer Fachdisziplinen nicht über Telefonate geschehen muss. Notfallmäßige Entscheidungen bleiben natürlich von der Vorstellung in der Konferenz unberührt. Der regelmäßige persönliche Kontakt von Kollegen verschiedener Fachrichtungen erleichtert aber auch die Kommunikation in diesen Situationen.

Dr. Jens Hillengaß, Dr. Kai Neben, Prof. Dr. Hartmut Goldschmidt

Nationales Centrum für Tumorerkrankungen Heidelberg

Sektion Multiples Myelom

Medizinische Klinik V

Universitätsklinikum Heidelberg

 
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