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DOI: 10.1055/s-0028-1103379
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Hauptsache gesund? – Gedanken rund um das Thema 'Gesundheit'
Publication History
Publication Date:
10 November 2008 (online)
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Immerhin: Neben „Alles Gute” ist „Gesundheit” der Wunsch, den wir unseren Mitmenschen am häufigsten mit auf den Weg geben. Das scheint nicht von ungefähr zu kommen, wusste doch die „Bild am Sonntag”: Für 85 % der Deutschen ist für die Gesundheit nichts zu teuer, und für 94 % ist sie wichtiger als alles andere. Auch das statistische Bundesamt schreibt in einer Erhebung von 2007: „Niemals zuvor hatte Gesundheit einen so hohen Stellenwert wie heute”. Und viele, die es eigentlich wissen müssen, sagen, dass der Gesundheitsbereich volkswirtschaftlich derzeit die einzige Wachstumsbranche sei.
Was uns bezüglich der Gesundheit in unserem Land aber zu denken geben sollte: Priviligierte Schichten leben in Deutschland statistisch gesünder und haben eine längere Lebenserwartung als Menschen, die über geringere Bildung, Einkommen und Berufsstatus verfügen. Die Gründe dieser Ungleichheit liegen (nach Mielck) in den verschieden gearteten gesundheitlichen Belastungen (z. B. Belastungen am Arbeitsplatz) sowie in unterschiedlichen Bewältigungsressourcen (z. B. soziale Unterstützung, politische Verhältnisse). Wahrscheinlich wissen auch viele der weniger Privilegierten einfach nicht genug über den Zusammenhang ihrer Lebensweise und ihrer Gesundheit – und selbst wenn sie ihn kennen: Viele Hartz–IV–Empfänger können sich eine gesunde, abwechslungsreiche, vitamin– und ballaststoffreiche Ernährung kaum leisten.
Einen anderen Gesichtspunkt der Gesundheit brachte Kollege Gross schon vor Jahren mit in die Diskussion ein: Je mehr Krankheiten bei einem Menschen akkumulieren, umso mehr Untersuchungen erfolgen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, gesund ist ein Mensch, der nicht ausreichend untersucht wurde. Die Weltgesundheitsorganisation WHO definiert Gesundheit als „völliges körperliches, geistiges und soziales Wohlbefinden”. Natürlich eine utopische Definition. Und überhaupt: Auch Kranke, sogar Schwerkranke können sich unter Umständen wohl fühlen.
Und wenn dann noch das „Recht auf Gesundheit” (auf welcher Basis eigentlich?) postuliert wird, muss man sich nicht wundern, wenn die Krankenversorgung auch durch überzogene Ansprüche zu kollabieren droht. Schließlich sind wir eine Gesellschaft chronisch Kranker geworden. Früher wurde man nach einer schweren Krankheit gesund oder man starb. Heute bleibt man aufgrund der von uns errungenen medizinischen Fortschritte nach einer erfolgreichen Akuttherapie ganz oft chronisch krank. Was sollen aber Menschen tun, die krank sind und keine Aussicht haben, den idealen Zustand zu erreichen? Was ist mit Schwerbehinderten, was mit Demenzkranken, was mit behinderten Kindern im Mutterleib, was mit den Alten? Brauchen wir nach der Baby– bald eine Altenklappe?
In einem Fitnessstudio steht in einer Ecke der Satz: „Nimm Dir Zeit für Dich!” Das ist eine gute Idee. Aber wenn das ganze Ziel des Lebens ist, nur etwas für die eigene Gesundheit zu tun, dann wird es „eiskalt in unserer Gesellschaft” (Lütz) und der Gesundheitswahn wird zum gesellschaftlichen Problem. Dann verbringen wir zu viel von unserer Lebenszeit in Fitnessstudios, Wellnesseinrichtungen oder auf der Sonnenbank liegend – und dann liegen wir nachher einsam auf dem Kranken–, vielleicht sogar Sterbebett, wenn wir Glück haben noch mit Verstand, aber ohne Sinn.
„Das Leben ist der Güter höchstes nicht”, sagte schon Schiller. Jeden von uns kann und wird es schon durch Unfall oder Krankheit treffen. Natürlich wollen und sollen wir keine Schmerzen haben oder seelisch leiden. Aber: Höchstes Gut ist eben nicht das kurzfristige Glück, sondern schließlich einen Sinn im und am Leben mit einer Perspektive auf danach zu finden.
In diesem Sinne wäre es wohl in Ordnung mit der Sache – Hauptsache gesund!