Michael Kinn ist Arzt in Weiterbildung der Abteilung für Anästhesie, Intensivmedizin und Schmerztherapie an der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Ludwigshafen.E–Mail:mkinn@bgu-ludwigshafen.de
Prof. Dr. med. Frank G. B. Pajonk ist Chefarzt der Privat–Nerven–Klinik Dr. Kurt Fontheim in Liebenburg. Zu seinen wissenschaftlichen Schwerpunkten zählen Wirkungen von Psychopharmaka und psychiatrische Notfälle.E–Mail:pajonk@klinik-dr-fontheim.de
Notfälle wegen Drogenkonsums sind oft schwer zu beherrschen. Zum einen fehlen diagnostische Möglichkeiten vor Ort, zum anderen kann der Notarzt nur symptomatisch behandeln. Selten sind Drogenintoxikationen auf den Konsum von nur einer Substanz zurückzuführen – und oft stehen suizidale Absichten hinter der Intoxikation. Das schwierige Umfeld, in dem es zu Drogennotfällen kommt, erschwert das Handeln zusätzlich. Einsätze im Zusammenhang mit einer Entzugssymptomatik eröffnen die Möglichkeit, Betroffene in eine therapiegestützte Abstinenz zu überführen – diese Chance sollte nicht vertan werden.
Lage in Deutschland
Der Drogen– und Suchtbericht der Bundesregierung für das Jahr 2007 zeichnet ein gemischtes Bild zum Drogenkonsum in Deutschland:
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Die Zahl der Erstkonsumenten von Cannabis war erstmals rückläufig.
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Die Zahl der „starken Kiffer” ist mit rund 600 000 annähernd gleich geblieben.
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Unter den erstauffälligen Konsumenten harter Drogen ging die Anzahl der Konsumenten von Heroin, Kokain und Ecstasy zurück.
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Hingegen stieg die Zahl der erstauffälligen Konsumenten von (Meth–)Amphetamin, Crack und sonstigen Drogen (insb. Halluzinogene) [1].
Insgesamt dürfte die tatsächliche Zahl der Drogenkonsumenten aber um den Faktor 7 höher liegen [2].
Akute Intoxikationen mit Opiaten und Opioiden, Suizide, Unfälle unter Drogen und Infektionskrankheiten wie HIV oder Hepatitis B und C fordern jedes Jahr Menschenleben. Erstmals seit dem Jahr 2000 stieg 2007 wieder die Zahl der Drogentoten in Deutschland: auf 1 394 Tote (+ 8 % zum Vorjahr) [1].
Stadt–Land–Gefälle
Drogen und Suchtmittel sind immer wieder Grund für Notarzt–Einsätze. In deutschen Großstädten liegt hier die Rate bei 11 % aller psychisch auffälligen Patienten, in ländlichen Regionen ist die Rate deutlich niedriger (3 %) [3]. Ursächlich für Notfallsituationen im Zusammenhang mit Suchtmitteln können sein: Intoxikationen, Entzüge, Folgeschäden des protrahierten Konsums, allergische Reaktionen durch Begleit– und Streckmittel sowie akzidentiell Situationen, die Folge der Bewusstseinseinschränkung sind (inkl. Trauma, Unfälle, psychischer Erregungszustand).
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Der Konsum von Suchtmitteln ist oft mit Suizidalität vergesellschaftet.
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Alle Notfälle mit Suchtmitteln bergen die Gefahr, wichtige Differenzialdiagnosen zu übersehen.
Wirkung und Konsumgründe
Suchtmittel wirken interindividuell unterschiedlich. Abhängig von Körpermasse, Geschlecht, momentaner Stimmung, Begleitsubstanzen, Vorerkrankungen, Gewöhnung und Umfeld können gleiche Mengen eines Suchtmittels unterschiedliche Rauschzustände hervorrufen. Die akzidentielle Überdosierung ist häufig und mitunter lebensbedrohlich [4]. Der Konsum von Suchtmitteln hat verschiedene Ursachen. Süchtiges Verhalten rührt oftmals daher, dass mit Hilfe eines Suchtmittels
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persönliche Stimmungen verbessert,
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Sorgen und Probleme verdrängt und
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vermeintliche Auswege aus unangenehmen Situationen geschaffen werden.
Auch eine subjektive Leistungssteigerung kann Grund für den Konsum sein.
Der Suchtbegriff
Von einer Sucht spricht man, wenn ...
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keine Kontrolle mehr über Beginn, Beendigung und Menge der Einnahme eines Suchtmittels besteht.
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der Wunsch oder sogar der Zwang besteht, immer wieder eine bestimmte Substanz zu konsumieren.
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persönliche Interessen zugunsten der Suchtmitteleinnahme oder Beschaffung vernachlässigt werden.
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eine Toleranzwirkung einsetzt, körperliche Entzugssymptome auftreten oder der Konsum der Substanz trotz schädlicher Folgen fortgesetzt wird.
Drogenassoziierte Notfälle sind häufig, dem Suchtmittelkonsum liegt süchtiges Verhalten zugrunde. Dabei werden Notärzte häufiger mit Intoxikationen als mit Entzugssyndromen konfrontiert.
Der Entzug von einem Suchtmittel ist selten lebensbedrohlich – mitunter aber sehr unangenehm für die Betroffenen. Daher kann man mit einer Vor–Ort–Motivation zum Entzug und mit dem Angebot adäquater Hilfe eine anhaltende Abstinenz erreichen.
Illegale Drogen
Cannabis
Konsumvarianten
Cannabis kann inhalativ oder oral konsumiert werden. Man unterscheidet verschiedene Zubereitungsformen, z. B.
Haschisch (aus Cannabisharz; [Abb. 1],[Abb. 2]), Marihuana (Cannabiskraut; [Abb. 3]) oder Haschischöl (Cannabisharzextrakt).
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Bei inhalativem Konsum mittels Taschen–rauchgeräten und Joints [Abb. 4] oder Wasserpfeife tritt die Wirkung binnen 30 s ein und kann bis zu 3 h andauern.
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Der orale Konsum in fetthaltigen Getränken (Kakao) oder Backwaren ist durch eine langsamere Resorption (30–60 min) und eine bis (Žweiter auf q S. 749)
zu 6 h andauernde, wellenartig modulierte Wirkdauer gekennzeichnet. Die orale Einnahme lässt sich nur sehr schwer steuern und ist häufig Grund für eine Überdosierung.
Fallbeispiel
Der Fall
Als Einsatzgrund nennt die Leitstelle einen „kardialen Notfall”. In einem Vorstadt–Reihenhaus öffnete ein 22–jähriger Mann dem Notarzt. Er berichtete, dass er vor 4 Tagen Gras geraucht habe, das er von einem anderen Lieferanten als dem üblichen erhalten habe. Ihm sei danach ganz merkwürdig geworden, sein Herz habe begonnen, schneller zu schlagen, er habe plötzlich Angst bekommen. Außerdem habe sich die Welt in ganz merkwürdiger Weise um ihn verzerrt. Alles sei unwirklich geworden. Er habe gedacht, dass dies vielleicht an der Qualität des Marihuanas gelegen habe. Die Beschwerden seien nach 2 Tagen abgeklungen.
Heute habe er nun wieder Gras von seinem bekannten Lieferanten geraucht. Die Symptome seien sofort wieder aufgetreten, diesmal nur noch schlimmer. Er habe das Gefühl, sein Herz habe sich im Brustkorb vergrößert, verdränge die Lunge und schlage sehr heftig und wie dröhnend an seinen Brustkorb. Er bekomme daher keine Luft mehr zum Atmen. Außerdem wirkten ihm gut bekannte Menschen plötzlich bedrohlich, sie sähen ihn auf eine gewisse Art an, als würden sie etwas von ihm erwarten. Er habe eine Riesenangst, dass er da nicht mehr herauskomme.
Anamnese, Diagnostik, Therapie Auf nähere Nachfrage berichtet er, dass er seit 6 Jahren regelmäßig Marihuana konsumiere, seit etwa 1 Jahr ca. 1–2 Gramm pro Tag, vorher weniger, sowohl als „Tüte” als auch als „Bong”.
Solche Symptome seien vorher nie aufgetreten. Andere Drogen nehme er nicht.
Der Blutdruck beträgt 120/70 mmHg, Puls: 72/min, Blutzucker: 86 mg/dl, SO2 99 %. Das EKG zeigte einen Sinusrhythmus, Rhythmus, Erregungsleitung und –rückbildung sind nicht gestört.
Der Patient erhält initial 1 mg Lorazepam oral. Bereits auf dem Weg in die Notaufnahme berichtet er über eine deutliche Reduktion seiner ängstlichen Befürchtungen. Die wahnhaft anmutenden körperlichen und psychischen Symptome verschwinden ebenfalls sukzessive.
Weiterer Verlauf Die Ergebnisse der weiteren körperlichen und apparativen Untersuchungsverfahren waren unauffällig. Im toxikologischen Screening wurde lediglich Cannabis nachgewiesen. Es erfolgte ein psychiatrisches Konsil. Der Patient wurde dringend auf die Notwendigkeit einer Abstinenz bei V. a. das Vorliegen einer drogeninduzierten Psychose hingewiesen. Anschließend wurde er auf eigenes Drängen nach Hause entlassen.
Cannabis enthält Delta–9–Tetrahydrocannabinol (THC) [5]
[6] und wirkt über die G–Protein–gekoppelten Membranrezeptoren CB1 und CB2, die sich in hoher Anzahl im Hippokampus, in den Basalganglien, im Kleinhirn und in der Amygdala befinden [7].
Abb. 1, links Haschisch in Platten.
Abb. 2, Mitte Kugelähnlich geformte Stücke von Cannabisharz. Es ist die Vorstufe von Haschisch (darüber im Bild).
Abb. 3, rechts Eine noch ungetrocknete Hanfpflanze.
Abb. 4, links Die kreditkartengroßen Taschenrauchgeräte liegen momentan unter Haschisch–Konsumenten im Trend: Man raucht die Substanz pur ohne Tabak. Anders der herkömmliche Joint, bei dem das Haschisch nach Erhitzen in den Tabak gebröselt wird.
Intoxikation
Körperliche Symptome einer Cannabisintoxikation sind: Tachykardie, Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, gestörtes Temperaturempfinden, gerötete Augen, erweiterte Pupillen, trockener Mund. Psychische Symptome bestehen typischerweise in Erregung, Angst, Aggression und psychotischem Erleben. Es können ein verändertes Raum–Zeit–Empfinden oder eine veränderte Urteils– und Kritikfähigkeit auftreten. Reine Cannabisintoxikationen sind nicht lebensbedrohlich, die Symptome klingen entsprechend der Halbwertszeit nach wenigen Stunden ab. Der protrahierte Konsum kann aber zu bleibenden Psychosen führen. Differenzialdiagnostisch müssen in Betracht gezogen werden:
Versorgung bei Cannabis–Intoxikation
Die Behandlung sollte symptomatisch erfolgen.
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Auf Betroffene sollte beruhigend eingegangen werden, bei starker Erregung kann man Benzodiazepine (z. B. Diazepam 5–10 mg i. v.) geben.
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Stehen psychotische Symptome im Vordergrund, so sollte besser ein Antipsychotikum (z. B. Haloperidol 5–10 mg i. v.) verabreicht werden.
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Bereits bei vermuteter Eigen– oder Fremdgefährdung sollte die Unterbringung nach Unterbringungsgesetz erfolgen.
Entzug
Patienten, die regelmäßig Cannabis konsumieren, leiden häufig unter Depressionen mit einer Antriebsminderung, Lethargie und Anhedonie (sog. amotivationelles Syndrom) sowie Ängsten. Zudem können sogenannte „flash–backs” (veränderte Wahrnehmung ohne erneuten Cannabiskonsum), psychotische Symptome und Persönlichkeitsveränderungen auftreten [8]. Entzugserscheinungen nach Cannabiskonsum können Reizbarkeit, Ruhelosigkeit, Schlafstörungen, vermehrter REM–Schlaf, Appetitlosigkeit, Frösteln und Zittern sein. Es besteht keine vitale Bedrohung.
Cannabis zählt zu den weichen Drogen. Weder Intoxikation noch Entzug stellen eine vitale Bedrohung dar. Wichtig bei psychotischen Symptomen ist die differenzialdiagnostische Abklärung von Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis.
Kokain
Wirkungsweise
Kokain [Abb. 5] bewirkt eine verstärkte Freisetzung von Dopamin und hemmt die Wiederaufnahme von Dopamin, Serotonin und Noradrenalin aus dem synaptischen Spalt im ZNS [8]. Es wird aus den Blättern des Kokastrauches gewonnen und kann je nach Zubereitungsform geraucht, gespritzt, enteral oder über Schleimhäute (z. B. geschnupft; [Abb. 6]) aufgenommen werden. Der schnellste Wirkeintritt wird beim Rauchen der Kokainbase (Freebase) oder des Kokainhydrochlorids (Crack; [Abb. 7]) nach wenigen Sekunden erreicht. Enteral zugeführt dauert die Resorption ca. 60 min. Die Plasmahalbwertszeit beträgt 40–60 min.
Abb. 5, rechts Oben (weiß): Kokain vom Stein; darunter Kokain aus Bodypacks, hier in sehr hoher Qualität. Rechts ein Portionierer aus Glas für Kokainpulver.
Abb. 6, links Oben ein Glasgefäß für Kokainpulver mit Schraubverschluss, an dem ein Portionierungslöffelchen hängt. Auf der Spiegelfläche eine „Line”. Darunter, zum Inhalieren: ein Strohhalm und ein Röhrchen mit Holznuss, die das Nasenloch beim Inhalieren abdichtet.
Abb. 7, rechts Crackpfeife mit Crackbrocken. Etwa die Hälfte des untersten Brockens (rechts) genügt für einen erheblichen Rauschzustand.
Intoxikation
Die akute Kokainintoxikation ist mitunter lebensbedrohlich. Überdosierung oder protahierter Konsum können eine Vielzahl an somatischen Symptomen hervorrufen [Tab. 1]. Vital bedrohlich sind:
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Hypertonie bis zur hypertensiven Krise mit Hirnmassenblutung
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Tachykardie
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pektanginöse Beschwerden bis zum Herzinfarkt
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Rhythmusstörungen
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Krampfanfälle bis zum Status epilepticus
Therapeutisch kaum zu beherrschen sind die maligne Hyperthermie und der Atemstillstand über eine Tachypnoe.
Psychische Folgen einer Kokainintoxikation können Panikstörungen, ängstlich–wahnhaftes Erleben, Dermatozoenwahn und andere Halluzinationen sowie Suizidversuche bzw. Suizide sein [8]
[9]
[10].
Tab. 1 nach [9]
Versorgung bei Intoxikation
Neben der Erhebung und Sicherung der Vitalfunktionen beschränkt sich die Therapie der Kokainintoxikation auf die akute Symptomatik.
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Bei einer Hypertonie kann man eine Therapie mit α–Blockern (z. B. Urapidil), α2–Agonisten (z. B. Clonidin 0,15 mg, langsam i. v.) oder in schwereren Fällen mit Natrium–Nitroprussid (2–10 μg/kg KG/min) oder mit Glycerol–Trinitrat (2–8 mg/h) im Perfusor versuchen [10].
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Die Applikation von β–Blockern sollte mit Bedacht und nur in Kombination mit Vasodilatoren oder α–Blockern geschehen.
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Lidocain eignet sich zur Therapie ventrikulärer Tachyarrhythmien, senkt aber die ohnehin erniedrigte Krampfschwelle und sollte deshalb mit Benzodiazepinen kombiniert werden.
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Benzodiazepine sollten ebenfalls bei akuter Erregung zum Einsatz kommen (z. B. Diazepam 5–10 mg i. v.).
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Bei psychotischem Erleben ist die Kombination mit z. B. Haloperidol sinnvoll.
Das toxische Lungenödem sollte mittels Diuretika, PEEP–Beatmung und Kortikosteroiden behandelt werden.
Entzug
Ein Kokainkonsum verursacht schwerste psychische Abhängigkeit. Die sich dem Rausch anschließenden depressiven Phasen sind verursacht durch einen relativen Mangel an Neurotransmittern nach Entleerung präsynaptischer Zellen und herunterregulierter Rezeptordichte.
Versorgung im Entzug
Patienten im Kokainentzug sollten verbal beruhigt werden (Talking down). Die weitere Behandlung erfolgt symptomatisch:
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Dysphorie, Unruhe und Angst: Therapie mit Benzodiazepinen (z.B. 5–20 mg Diazepam i. v.)
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psychotische Symptome: mit Antipsychotika (z. B. Haloperidol 5–10 mg i. v.)
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Hypertonie und Tachykardie können bei gesicherter Drogenabstinenz mittels β–Blockern (z. B. Propanolol 5 mg i. v.) oder besser α2–Agonisten (z. B. Clonidin 0,15 mg i. v.) behandelt werden.
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Die Einweisung in eine psychiatrische Klinik zur Abstinenzstützung und Differenzialdiagnose bei psychotischen Störungen ist sinnvoll.
Kokain birgt ein immenses psychisches Abhängigkeitspotenzial. Die Intoxikation ist mitunter lebensbedrohlich und kann auch beim jungen Patienten Infarkte und Insulte auslösen.
Opiate und Opioide
Wirkeigenschaften
Opiate sind Alkaloide des Opiums [Abb. 8] und begleiten die Menschheit bereits seit Tausenden von Jahren. Auch ihre teil– oder vollsynthetischen Derivate, die Opioide der Neuzeit, bergen ein großes Missbrauchspotenzial.
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Opiate wirken an μ–, κ–, γ–Opioidrezeptoren, die sich in der grauen Substanz des Gehirns sowie in der des Rückenmarks befinden.
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Der Körper selbst besitzt körpereigene Liganden wie das β–Endorphin, Metenkephalin und andere Substanzen [12].
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Die meisten Opiate und Opioide wirken analgetisch, sedierend, anxiolytisch, aber auch euphorisierend.
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Die somatischen Wirkeigenschaften der Opiate und Opioide sind Atemdepression, Übelkeit und Erbrechen, Bradykardie und Hypotonie, antitussive und gastrointestinale Wirkungen (Obstipationen) sowie Harnverhalt und Koliken (z. B. Urether, Galle).
Abb. 8, links Roh–Opium, wie man es braucht, um daraus Heroin oder Morphine herzustellen.
Heroin
Heroin ist ein Morphinderivat und kommt in unterschiedlichen Herstellungsstufen (Heroin I–IV) in den Verkehr: als braunes oder weißes Pulver bzw. als Granulat mit unterschiedlichen Strecksubstanzen [Abb. 9]. Üblich ist ein Verschnitt mit 5–30 % Heroinanteil.
Heroin kann je nach Herstellungsstufe geraucht bzw. oral, intranasal oder intravenös appliziert werden [Abb. 10]. Der Heroinrausch dauert etwa 5 h. Mit Stimulanzien (Koffein, Kokain, Ephedrin), die dem Heroinverschnitt zugesetzt werden, kann eine Antriebssteigerung erreicht werden.
Abb. 9, rechts Meistens bräunlich, seltener weiß: Heroin wird in Pulverform gehandelt und riecht nach Essig.
Abb. 10, links Fixerbesteck: Unter dem Feuerzeug ein Löffel zum Aufkochen und eine Spritze. Darunter in der Mitte wasserdicht verpacktes Drogenmaterial. Unten rechts: Heroin, verpackt in blauen „Mundcontainern”, die im Mund versteckt und bei Bedarf verschluckt werden können.
Substitutionspräparate
Levomethadon (L–Polamidon®) und d,l–Methadon (Methadon® [Abb. 11]) werden zur Substitutionsbehandlung eingesetzt. Sie verursachen kein Rauscherleben und haben eine wesentlich längere Halbwertszeit.
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Opiathaltige Schmerz– und Hustenmittel (z. B. Pethidin, Kodein) werden ebenfalls häufig missbräuchlich zur Substitution oder in suizidaler Absicht, bei Kindern oder alten Menschen auch akzidentiell eingenommen.
Der langjährige Missbrauch von Opiaten und Opioiden führt zu Folgeerkrankungen.
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Psychisch: Lethargie, Apathie, Antriebsschwäche, dysphorische Stimmungslage sowie Depressionen, Angst– und Panikzustände, psychotische Episoden
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Physisch: Zahnschäden, Spritzenabszesse, Vaskulitiden, Embolien, Endokarditiden, Infektionskrankheiten [12].
Abb. 11, rechts Methadon
Intoxikation
Überdosierungen können bewusster oder akzidentieller Natur sein.
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Bei 40 % der Intoxikationen handelt es sich um versehentliche Überdosierungen,
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60 % der Intoxikationen geschehen in suizidaler Absicht [4].
Zu den akzidentiellen Überdosierungen kommt es zumeist durch den i. v.–Konsum von Heroinverschnitt mit hohem Reinheitsgrad, aber auch durch den Konsum nach längerer Abstinenzphase (bei wieder erhöhter Opiatempfindlichkeit) und das versehentliche Öffnen verschluckter, heroingefüllter Beutel bei Kurieren (Bodypacker–Syndrom; sogenannte Mundcontainer zeigt [Abb. 10]). Symptomatisch steht bei einer Opiatintoxikation die Ateminsuffizienz im Vordergrund [Tab. 3]. In der Folge können toxisches Lungenödem, Hirnödem, Rhabdomyolyse mit Nierenversagen und epileptische Krampfanfälle bzw. Status epilepticus und schwerste allergische Reaktionen durch Streck– und Bindemittel auftreten. Bei Mischintoxikationen oder präfinal ist die Miosis nicht obligat.
Tab. 3 nach [9]
Versorgung
Im Vordergrund steht auch hier die symptomatische Versorgung des Patienten.
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Bei schwerer Ateminsuffizienz sollte zum Aspirationsschutz frühzeitig intubiert und beatmet werden – wegen der Gefahr eines toxischen Lungenödems.
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Das toxische Lungenödem wird mittels PEEP–Beatmung, Diuretika (z. B. Furosemid 40 mg i. v.) und Kortikosteroiden (z. B. Methylprednisolon 250 mg i. v.) therapiert. Nur in schwersten Fällen sollte das Antidot Naloxon (z. B. Narcanti® 0,4 mg in 0,9 % NaCl 1 : 10 verdünnt, fraktioniert bis max. 2 mg) verabreicht werden.
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Das akut durch Naloxon ausgelöste Entzugssyndrom kann Erbrechen, Krampfanfällen, Asystolie, Lungenödem und Erregungszustände mit Aggressivität auslösen.
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Zudem ist die Halbwertszeit von Naloxon deutlich geringer als etwa die von Heroin, und es besteht die Gefahr, dass ein antagonisierter Patient erneut eintrübt.
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Buprenorphin (z. B. Subutex®) ist durch Naloxon sehr schwer antagonisierbar.
Je nach Zustand des Patienten kann auf Intensivstationen Naloxon über Perfusor gegeben werden. In anderen Situationen müssen nach ausführlicher Abwägung ggf. auch größere Mengen direkt i. v. gegeben werden.
Entzug
Der Opiatentzug ist für Süchtige höchst unangenehm.
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Vegetative Symptome wie Fieber, Schmerzen, Unruhe und gastrointestinale Krämpfe kennzeichnen die akute Entzugsphase.
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Je nach konsumierter Substanz und Halbwertszeit treten Symptome nach unterschiedlicher Abstinenzdauer auf [Tab. 4].
Bei Morphin und Heroin beginnen 4–6 h nach der letzten Injektion milde Entzugserscheinungen, die sich ohne Opiatzufuhr in den folgenden Stunden steigern und ihren Höhepunkt nach 24–48 h erreichen.
Tab. 4 nach [13]
Versorgung
Empathisches Vorgehen ist für den Notarzt oberstes Gebot. Die Therapie sollte symptomatisch erfolgen – Ziel sollte sein, den Patienten in eine stationäre, gestützte Entzugstherapie zu überführen. Drogenerfahrene Patienten versuchen nicht selten, den Notarzt zu manipulieren, z. B. um Opiate zu erhalten oder um eine stationäre Therapie abzuwenden. Zur Sedierung von agitierten Patienten sollten Benzodiazepine (z. B. Diazepam 5–10 mg i. v.) eingesetzt werden.
Opiatintoxikationen enden mitunter letal. Absichtliche und akzidentielle Überdosierungen kommen nahezu gleich häufig vor. Infektionskrankheiten treten bei Opiatabhängigen gehäuft auf. Der Entzug ist eindrucksvoll, aber nicht vital bedrohlich. Antidota bleiben dem absoluten Notfall vorbehalten.
Fazit Drogenkonsum ist häufig in Deutschland, und die Zahl der Notfälle im Zusammenhang mit Drogen ist relevant. Drogenassoziierte Notfälle bergen durch ihre oftmals eindrücklichen Verläufe, das Umfeld, in dem sie vorkommen, oder die geringe Wertschätzung dem Süchtigen gegenüber das Risiko, dass wichtige Differenzialdiagnosen übersehen werden. Die oftmals unbekannte Zusammensetzung von Rauschmitteln im illegalen Verkauf sollte den Notarzt stets davon abhalten, sich in Sicherheit zu wiegen oder Notfälle im Zusammenhang mit Drogen zu bagatellisieren.