Der Klinikarzt 2008; 37(12): 608-609
DOI: 10.1055/s-0028-1114290
Forum der Industrie

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Problem Opioidtherapie - Schmerz gebessert, aber um den Preis der Obstipation - das muss nicht sein!

Further Information

Publication History

Publication Date:
08 April 2009 (online)

 
Table of Contents

Patienten mit starken Schmerzen, welche durch Nicht-Opioidanalgetika nicht ausreichend zu lindern sind, benötigen laut WHO-Stufenschema eine dauerhafte Therapie mit Opioiden. Allerdings leiden bis zu 90 % der Patienten dabei unter der unerwünschten Wirkung einer Obstipation. "Hier ist - im Gegensatz zu anderen Opioidnebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen oder Schwindel - auch keine Toleranzentwicklung festzustellen", bedauerte Prof. Michael Strumpf, Göttingen, "die Verstopfung bleibt meist unverändert bestehen."

Prof. Peter Conzen, München, ergänzte: "Die Betroffenen befinden sich somit in dem Dilemma, zwischen quälenden chronischen Schmerzen und quälender chronischer Obstipation wählen zu müssen. Oft kann die Schmerztherapie wegen der unerwünschten Wirkungen nicht adäquat durchgeführt werden." Sicherlich treffe das für einige Opioide mehr, für andere weniger zu, räumten die Experten ein. "Generelle Empfehlungen für oder gegen ein bestimmtes Opioid lassen sich daraus aber nicht ableiten; auch hier gibt es interindividuelle Unterschiede zwischen den Patienten" so Strumpf.

#

Symptomatisch orientierte Therapie nicht immer hilfreich

Fast immer benötigen Patienten mit opioidinduzierter Obstipation eine adjuvante medikamentöse Therapie gegen ihre Verstopfung. "Als Erstes sollte bei jeder Obstipation natürlich auch an verdauungsfördernde Basismaßnahmen gedacht werden", erinnerte Strumpf. Diese reichen von körperlicher Aktivität über ballaststoffreiche Ernährung unter Vermeidung "stopfender" Lebensmittel und Flüssigkeitsaufnahme von 1,5-2 Litern täglich bis hin zum regelmäßigen Toilettentraining. "Gerade bei den schwer kranken, bettlägerigen Patienten reicht das aber meist nicht aus bzw. ist es so nicht möglich", gab der Experte zu bedenken.

In diesen Fällen sei fast immer eine medikamentöse Unterstützung erforderlich. Bisher erfolge sie durch symptomatisch wirksame Laxanzien - wie beispielsweise Quellstoffe, Gleitmittel oder antiresorptiv bzw. sekretagog wirkende Substanzen. "All diese Medikamente können zwar die Obstipation als Nebenwirkung der Opioidtherapie meist beseitigen", meinte Strumpf, "dabei verursachen sie aber selbst oft wieder für den Patienten sehr unangenehme Begleitsymptome."

Einen weiteren Nachteil herkömmlicher Laxanzien nannte Conzen: "Ihre Wirkung setzt oft erst nach vielen Stunden ein, und dieser Zeitpunkt ist zudem nur schwer vorherzusagen." Die Nebenwirkungen einiger Laxanzien sowie die opioidinduzierte Obstipation beeinträchtigen die Lebensqualität der Patienten stark. Deshalb waren sich beide Experten darin einig, dass eine nicht nur symptomorientierte, sondern ursächliche Therapie der Obstipation wünschenswert sei.

#

Besser: Das Problem "an der Wurzel packen"

Dazu ist es prinzipiell notwendig, den Kontakt des Opioids zu den peripheren µ-Rezeptoren selektiv zu unterbinden, sodass dieses spezifisch an die zentralen µ-Rezeptoren "andocken" kann. Denn nur die peripheren µ-Rezeptoren vermitteln die unerwünschten Beeinträchtigung der Magen-Darm-Funktion durch die Opioidtherapie (Abb. [1]).

Zoom Image

Abb. 1 Methylnaltrexoniumbromid (MNTX): Erster kausaler Therapieansatz.

Genau dieses Prinzip verfolgt der peripher wirkende µ-Rezeptorantagonist Methylnaltrexoniumbromid (MNTX, Relistor®): Dank ihrer hohen Polarität und geringen Fettlöslichkeit ist die Substanz praktisch nicht liquorgängig und blockiert die peripheren µ-Rezeptoren. "Damit steht erstmals eine kausale Therapie für Patienten mit opioidinduzierter Obstipation zur Verfügung", berichtete Conzen. Denn MNTX kann die Blut-Hirn-Schranke praktisch nicht überwinden und erhält damit auch die über die zentralen µ-Opioidrezeptoren vermittelte, erwünschte Schmerzhemmung durch die Opioide.

Seit Sommer dieses Jahres ist Methylnaltrexoniumbromid zugelassen zur Behandlung von Patienten mit opioidinduzierter Obstipation, die eine fortgeschrittene Allgemeinerkrankung haben, palliativ therapiert werden und auf übliche Laxanzien unzureichend ansprechen. Die empfohlene Dosis liegt für Patienten mit einem Körpergewicht zwischen 38-62 kg bei 8 mg bzw. 0,4 ml. Betroffene mit einem Körpergewicht zwischen 62 und 114 kg erhalten 12 mg bzw. 0,6 ml der Substanz. Dabei sollte MNTX jeden 2. Tag verabreicht werden.

#

Stuhlentleerung innerhalb von 4 Stunden bei 50-60 % der Patienten

Die beiden doppelblinden, randomisierten, placebokontrollierten Zulassungsstudien zu Methylnaltrexoniumbromid zeigten, dass der Wirkstoff die Darmblockade aufhebt. Alle Patienten waren bereits mit Laxanzien austherapiert und erhielten diese unverändert auch während der Studien zusätzlich zur Studienmedikation Methylnaltrexoniumbromid bzw. Placebo.

In Studie 301 (n = 154) war MNTX in der Dosis von 0,15 mg/kgKG - das entspricht etwa der inzwischen in der Zulassung empfohlenen Dosis - getestet worden, außerdem in der doppelten Dosierung von 0,30 mg/kgKG. "Mit beiden Dosierungen hatten etwa 60 % der Patienten innerhalb der ersten 4 Stunden Stuhlgang", so Conzen. Mit Placebo seien es nur 13 % gewesen. Erweitere man den Beobachtungszeitraum auf 24 Stunden, so hätten insgesamt 68 bzw. 64 % der Patienten mit Methylnaltrexoniumbromid eine Defäkation erlebt, dagegen nur 33 % der Kontrollpatienten (Abb. [2]).

Zoom Image

Abb. 2 Studie 302 – Therapieansprechen über 2 Wochen. MNTX = Methylnaltrexoniumbromid

In der Studie 302 (n = 134) betrug die "4-Stunden-Erfolgsrate" für die Gabe von 0,15 mg/kgKG MNTX 48 %, für Placebo lag sie mit 15 % signifikant niedriger, sagte Conzen. "Dieser Effekt war auch über 14 Tage konstant: Nach jeder der 7 Medikamentengaben hatten signifikant mehr Patienten mit Relistor® Stuhlgang als mit Placebo", konstatierte der Experte.

In einer offenen 3-monatigen Nachbeobachtungsphase der Studie konnten die Patienten aus der Placebogruppe zur Verumtherapie wechseln. Auch in diesen Fällen zeigte sich der Nutzen des µ-Rezeptorantagonisten: 52 % der ehemaligen Placebopatienten und 57 % der von vornherein mit MNTX Behandelten sprachen innerhalb von 4 Stunden auf die Therapie an. "Dabei lässt sich der jeweilige Zeitraum bis zur Defäkation noch weiter eingrenzen", so Conzen. "Bei allen Patienten, die innerhalb von 4 Stunden auf den Wirkstoff ansprachen, betrug die mediane Zeit bis zum Stuhlgang weniger als 45 Minuten."

#

Erste kausale Therapie der opioidinduzierten Obstipation

Mit der Zulassung von Methylnaltrexoniumbromid steht zum ersten Mal ein kausaler Therapieansatz der opioidinduzierten Obstipation - eine häufige und schwerwiegende Nebenwirkung der Opioidtherapie, da sie in vielen Fällen den Erfolg der Schmerzbehandlung gefährdet - zur Verfügung. Viele Patienten empfinden die Obstipation als so belastend, das sie eher ihre Opioiddosis senken würden als weiter unter der stark einschränkenden Obstipation leiden zu müssen. Der peripher wirkende µ-Opioidrezeptorantagonist ist bei Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung indiziert, die eine palliative Pflege erhalten und die unzureichend auf die üblichen Laxanzien ansprechen.

Grundlage für die Zulassung sind 2 Phase-III-Studien, in denen Methylnaltrexoniumbromid eine schnelle und planbare Aufhebung der opioidinduzierten Obstipation bewirkte, ohne den analgetischen Effekt der Opioidbehandlung zu beeinträchtigen. Methylnaltrexoniumbromid wurde in beiden Untersuchungen gut vertragen, wobei flüchtige Bauchkrämpfe und Flatulenz zu den häufigsten Beschwerden gehörten. Die Betroffenen beschrieben ihre Beschwerden jedoch als mild oder moderat. Die übrigen Nebenwirkungen lagen auf Placeboniveau und die der Grade 3 und 4 standen in keinem Zusammenhang mit Methylnaltrexoniumbromid.

#

Nebenwirkungsrate auf Placeboniveau

Dabei lag die Nebenwirkungsrate von Methylnaltrexoniumbromid in den klinischen Studien mit mehreren hundert Patienten auf Placeboniveau, berichtete Conzen. Allenfalls vorübergehende, milde bis moderate Bauchkrämpfe und Flatulenz seien unter der MNTX-Therapie zu verzeichnen. "Das ist bei diesen Patienten mit lang andauernder Verstopfung ja auch verständlich", so Conzen. Nebenwirkungen der Grade 3-4 hätten in keinem Zusammenhang mit der Gabe von MNTX gestanden.

Auch seien keine Dosisanpassungen bei älteren Patienten oder bei Patienten mit leichter bis mittlerer Nieren- oder Leberinsuffizienz notwendig. "Der Schmerzscore wurde durch die Gabe von MNTX ebenfalls nicht beeinträchtigt", fügte Conzen hinzu, "und es waren keinerlei Entzugserscheinungen zu beobachten." Damit habe Methylnaltrexoniumbromid eine schnelle und planbare Lösung der Therapie der opioidinduzierten Obstipation bei guter Verträglichkeit gezeigt, so das Fazit des Münchener Experten.

#

Ausblick

Die selektive Wirkung von Methylnaltrexoniumbromid an den peripheren µ-Opioidrezeptoren macht es für weitere Einsatzgebiete interessant. So liegt es nahe, dass der Wirkstoff auch bei anderen Nebenwirkungen, die durch eine Bindung von Opioiden an periphere µ-Opioidrezeptoren vermittelt werden, wirksam sein könnte.

Simone Reisdorf, Erfurt-Linderbach

Quelle: Satellitensymposium "Neue Therapieoptionen bei opioidinduzierter Obstipation" im Rahmen des Deutschen Schmerzkongresses, veranstaltet von der Wyeth GmbH, Münster

Dieser Text entstand mit freundlicher Unterstützung der Wyeth GmbH, Münster

Frau Reisdorf ist freie Journalistin

 
Zoom Image

Abb. 1 Methylnaltrexoniumbromid (MNTX): Erster kausaler Therapieansatz.

Zoom Image

Abb. 2 Studie 302 – Therapieansprechen über 2 Wochen. MNTX = Methylnaltrexoniumbromid