Einleitung
Einleitung
Der Sentinel-Lymph Node (SLN) ist als ein Lymphknoten (LK)
definiert, der als erster über afferente Lymphgefäße
Tumorlymphe aufnimmt und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch als erster LK eines
regionären Abstromgebietes Metastasen entwickelt. Die
Sentinel-Lymphonodektomie (SLNE) bei Melanomen mit dem Risiko einer
LK-Metastasierung wird heute als klinischer Standard angesehen. Der
pathologische Status des SLNs gilt derzeit als wichtigster unabhängiger
Prognosefaktor [1 ]. Die neue Qualität dieses
Prognosefaktors besteht darin, dass die Frage einer LK-Metastasierung für
den individuellen Patienten beantwortet werden kann, während die
klassischen Prognosefaktoren des Primärmelanoms, wie die Tumordicke nach
Breslow oder die Ulzeration, nur über eine statistische
Metastasierungswahrscheinlichkeit Aufschluss geben können. Studien zur
adjuvanten Therapie erfordern fortan zwangsläufig die Kenntnis des
pathologischen Status der regionären LK. Außerhalb von Studien
verlangt die SLNE als invasives Staging-Verfahren jedoch nach einer
therapeutischen Konsequenz.
Leider existiert derzeit für Melanompatienten mit positiven
SLNs keine allgemein anerkannte Therapie, die das Gesamtüberleben klinisch
relevant verbessern könnte. Die adjuvante Therapie mit Interferonen
erbrachte in den meisten Studien zur LK-Metastasierung entweder keinen
signifikanten Überlebensvorteil oder lediglich ein marginal verbessertes
rezidivfreies Überleben [2 ]. Die Ergebnisse des 2006
publizierten Multicenter Selective Lymphadenectomy Trial 1 (MSLT-1)
[1 ] implizieren, dass der Einsatz des Sentinel-Verfahrens
(Durchführung einer SLNE und komplette regionale LK-Dissektion (CLND) im
Falle von Mikrometastasen in einem SLN) das Überleben in einer Population
von Patienten mit primären Melanomen ebenfalls nicht signifikant
verbessern kann. In dieser kontrollierten Studie wurde die Frühtherapie
von regionären Lymphknotenmetastasen durch das Sentinel-Verfahren mit der
Exzision des Primärmelanoms ohne sofortige LK-Chirurgie verglichen. Die im
Beobachtungsarm auftretenden, klinisch diagnostizierten LK-Rezidive wurden
ebenfalls mit einer CLND behandelt. Die Auswirkungen von MSLT-1 auf das
klinische Management von Patienten mit malignen Melanomen werden in diesem
Artikel kritisch diskutiert.
Ergebnisse der prospektiven multizentrischen Studie zum Vergleich
des Sentinel-Verfahrens versus Beobachtung (MSLT-1, Morton)
Ergebnisse der prospektiven multizentrischen Studie zum Vergleich
des Sentinel-Verfahrens versus Beobachtung (MSLT-1, Morton)
In die Studie wurden insgesamt 2001 Patienten randomisiert.
60 % der eingeschlossenen Patienten erhielten das
Sentinel-Verfahren (SLNE und CLND im Falle von positiven SLNs),
40 % fielen in die Beobachtungsgruppe (keine LK-Chirurgie zum
Zeitpunkt des Primärmelanoms und CLND nur im Falle der späteren
Entwicklung von Makrometastasen). In der 3. Interimsanalyse wurden die Daten
der 1269 Patienten mit mitteldicken Melanomen der Tumordicke zwischen 1,2 und
3,5 mm veröffentlicht, Patienten mit dickeren bzw. dünneren
Melanomen wurden nicht berücksichtigt.
Ein signifikanter Überlebensvorteil für die
Frühtherapie der regionären LK wurde für die Gesamtpopulation
mit primären Melanomen nicht beobachtet (87 % vs.
86 %). Allerdings zeigte sich ein Vorteil im rezidivfreien
Überleben von (78 % vs. 73 %,
P = 0,009) zugunsten des
SLN-Verfahrens.
Im Therapiearm von MSLT-1 hatten 122 Patienten (16 %)
mindestens einen positiven SLN, 26 (3 %) entwickelten regionale
LK-Metastasen, nachdem die SLNs aus dem gleichen LK-Bassin negativ beurteilt
worden war. Das entspricht einer Falsch-negativ-Rate von 17,5 %
bei einer medianen Nachbeobachtungszeit von 48 Monaten. Somit hatten insgesamt
19 % der Patienten im Therapiearm regionale LK-Metastasen. Im
Beobachtungsarm entwickelten 78 Patienten (16 %) nach einer
medianen Nachbeobachtungszeit von 60 Monaten klinisch vergrößerte
LK-Metastasen.
Eine Subgruppenanalyse der LK-positiven Patienten zeigte ein
verbessertes Overall-Survival für die 122 Patienten mit histologisch
positivem SLN und komplettierender regionaler LK-Dissektion, im Vergleich zu
jenen 78 Patienten aus dem Kontrollarm, bei denen klinisch
vergrößerte Lymphknotenmetastasen erst im weiteren Verlauf durch
eine komplette regionale LK-Dissektion therapiert wurden (72 %
versus 52 %, P = 0,004). Der
Überlebensvorteil zugunsten des Sentinel-Verfahrens blieb auch dann
bestehen, wenn die 22 falsch negativen Patienten mit LK-Rezidiven nach
histologisch negativer SLNE in der Therapiegruppe berücksichtigt
wurden.
Kritische Interpretation der MSLT-1-Daten
Kritische Interpretation der MSLT-1-Daten
Die veröffentlichten Daten beziehen sich auf eine
Subgruppenanalysen-Population mit Primärmelanomen von mittlerer Tumordicke
(1,2 mm – 3,5 mm). Die Studie hat ihr
primäres Ziel verfehlt, einen Vorteil im Gesamtüberleben in der
Population der Patienten mit mitteldicken Melanomen nachzuweisen. In der
Gesamtpopulation aus LK-negativen und LK-positiven Patienten zeigte sich
für die Therapiegruppe lediglich ein Vorteil im rezidivfreien
Überleben von 5 %. Dies ist nicht verwunderlich, da die
potenziellen LK-Rezidive durch das Sentinel-Verfahren an den Anfang der
Erkrankung verschoben werden. Es scheint zweifelhaft, ob die Vermeidung eines
(LK-)Rezidivs bei 5 % der Patienten allein die generelle
Durchführung des Sentinel-Verfahrens rechtfertigen würde. Patienten,
bei denen ein Rezidiv durch das Sentinel-Verfahren vermieden wird, müssen
dies unter Umständen mit der Morbidität einer CLND bezahlen, die
Monate bis Jahre früher durchgeführt wird als die CLND im Falle von
sonografisch erkennbaren LK-Metastasen. Sie müssen also unter
Umständen deutlich länger unter einer möglichen Komplikation
leiden, z. B. unter einem Lymphödem. Da mikroskopische und
makroskopische LK-Metastasen jeweils die gleiche Therapie erfordern (CLND) und
der Patient durch die Nachricht einer LK-Metastasierung sowohl am Beginn der
Erkrankung als auch im weiteren Verlauf stark beunruhigt wird, kann die
Rezidivvermeidung allein nicht als Rechtfertigung des Sentinel-Verfahrens
dienen.
Nur etwa 18 % der in MSLT-1 eingeschlossenen Patienten
hatten Metastasen in den regionären LK. Das heißt, dass
82 % der Probanden nicht von einer LK-Chirurgie profitieren
konnten, denn natürlich kann nicht erwartet werden, dass die Exzision von
tumorfreien LK zu einem Überlebensvorteil führt. Da im
Beobachtungsarm mit verzögerter Lymphadenektomie klinisch evidenter
LK-Metastasen insgesamt weniger als 100 Patienten eingeschlossen waren, ist
MSLT-1, bezogen auf die Zielgruppe der LK-positiven Patienten, eine kleine
Studie mit deutlich zu geringer statistischer Power [3 ].
Bei der geringen Dichte von LK-Metastasen ergibt sich für die
Gesamtpopulation aller Tumordickengruppen ein theoretischer
Überlebensvorteil von nur 2,3 %. Um diesen
Überlebensvorteil mit einer Power von 90 % und einer
Irrtumswahrscheinlichkeit von < 5 % nachweisen zu
können, würde die Studie selbst bei einer hinsichtlich der Fallzahl
günstigeren 1 zu 1 Randomisierung weit mehr als 10 000 Probanden
mit primären Melanomen benötigen [4 ].
In der eigentlichen Zielgruppe jeglicher LK-Chirurgie, den
LK-positiven Patienten, zeigte sich in MSLT-1 ein signifikanter
Überlebensvorteil für das Sentinel-Verfahren im Vergleich zu
abwartendem Verhalten. Ein verlängertes Gesamtüberleben durch
Frühtherapie von Mikrometasen im Vergleich zu einer Lymphadenektomie
klinisch evidenter Makrometastasen wurde auch in weiteren prospektiven
[5 ] und retrospektiven [6 ]
[7 ] Studien bestätigt. Das
würde bedeuten, dass auch noch Patienten mit LK-Metastasierung von einer
Früherkennung und Frühtherapie profitieren, allerdings nur unter der
Bedingung, dass sich Mikrometastasen regelhaft zu Makrometastasen
weiterentwickeln. Hier erhebt sich die Frage, ob der Vergleich der
Überlebensraten von Patienten mit sofort diagnostizierten Mikrometastasen
mit Patienten mit im weiteren Verlauf aufgetretenen Makrometastasen
überhaupt statthaft ist.
Um Überlebenskurven von Patienten mit Mikro- bzw.
Makrometastasen in den regionären LK zu vergleichen, muss das
Überleben grundsätzlich vom Zeitpunkt des Primärmelanoms an
berechnet werden (Overall-Survival). Das Überleben nach der Exzision von
Makrometastasen nach einem rezidivfreien Intervall ist um eben dieses Intervall
kürzer als das Überleben nach der Exzision von Mikrometastasen im
SLN. Man nennt dieses Phänomen „lead time bias” ([Abb. 1 ], eigene Daten).
Abb. 1 Bei Patienten mit
klinisch diagnostizierten LK-Rezidiven ist das von der Lymphadenektomie
berechnete Überleben signifikant kürzer als das Overall-Survival,
welches vom Zeitpunkt des Primärmelanoms an berechnet wird.
Das rezidivfreie Intervall zwischen der Exzision des
Primärmelanoms und dem Auftreten von klinisch vergrößerten
LK-Metastasen wird durch die Prognosefaktoren Breslow-Index und Ulzeration
negativ beeinflusst [8 ]. Diese Prognosefaktoren sind zum
Zeitpunkt des Primärmelanoms bekannt. Folglich beeinflussen Breslow und
Ulzeration auch das Overall-Survival von Patienten mit regionären
LK-Metastasen [1 ]
[7 ]. Nach der
Entwicklung klinisch diagnostizierbarer LK-Metastasen verlieren diese
Prognosefaktoren an Bedeutung [8 ], dagegen tritt die
nodale Tumorlast (Zahl der befallenen LK, Durchbruch der Metastasen durch die
LK-Kapsel) in den Vordergrund. Die nodale Tumorlast, gemessen an der Zahl der
vom Tumor befallenen LK, ist zum Zeitpunkt des Primärtumors viel niedriger
als zum Zeitpunkt der Dissektion von Makrometastasen [1 ]
[7 ], kann also für die beiden
Studienarme von MSLT-1 nicht verglichen werden. Die mittlere Anzahl der vom
Tumor befallenen LK war im MSLT-1 Krankengut signifikant höher in der
Beobachtungsgruppe (1,6 vs. 3,6 befallene LK). Breslow-Index und der
Prozentsatz ulzerierter Tumoren waren in beiden Studienarmen nahezu identisch.
Das bedeutet, dass sowohl die nodale Tumorlast zum Zeitpunkt des
Primärmelanoms als auch die Häufigkeiten von LK-Metastasen in beiden
Gruppen ähnlich ausfallen müssten.
Thomas [9 ] hat den Vergleich der LK-positiven
Subpopulationen beider Studienarme als unzulässig bezeichnet, weil im
Beobachtungsarm nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 60 Monaten weniger
LK-Metastasen aufgetreten sind (16 % vs. 19 %). Als
Grund vermutet er eine klinisch irrelevante Überdiagnostik von Metastasen
im SLN und bezeichnet solche SLN als „falsch-positiv”. Er sieht
diese Vermutungen durch Studien gestützt, nach denen eine geringe
Tumorlast im SLN (subkapsuläre Metastasen [10 ],
kleine Cluster von Melanomzellen [11 ] oder Einzelzellen
[12 ]) keinen negativen Einfluss auf die Prognose hat.
Obwohl diese Studien allesamt eine relativ kurze Nachbeobachtungszeit hatten,
stellte Thomas die Hypothese auf, dass sich derartige Absiedlungen nicht zu
Makrometastasen weiter entwickeln würden, sondern inaktiv ruhend bleiben
oder durch immunologische Prozesse abgebaut werden würden. Da die
zugehörigen SLNs aber exzidiert werden, lässt sich prinzipiell nicht
entscheiden, ob solche kleinen Absiedlungen durch eine SLNE an einer
Weiterentwicklung gehindert werden.
Wahrscheinlicher ist jedoch, dass hier eine
Gesetzmäßigkeit zum Tragen kommt, nämlich dass sich die
Melanomerkrankung bei geringer Tumorlast langsamer entwickelt und
dementsprechend lange Nachbeobachtungszeiten notwendig sind. So metastasierten
in einer Studie 11 % der dünnen Melanome mit einer
Tumordicke < 1 mm zu den regionären LK, allerdings trat
jede zweite Metastasierung erst nach mehr als 5 Jahren ein [13 ]. Man kann in Analogie vermuten, dass Patienten mit sehr
später LK-Metastasierung nur eine extrem geringe nodale Tumorlast zum
Zeitpunkt des Primärtumors tragen. Im eigenen Krankengut erhöht sich
die Zahl der LK-Rezidive nach dem 60. Monat noch um 11 %,
späte LK-Rezidive können bis 20 Jahre nach der Exzision des
Primärtumors auftreten ([Abb. 2 ], eigene
Daten). Das bedeutet, dass die Zahl der Makrometastasen im Beobachtungsarm von
MSLT-1 noch zunehmen wird. Da die Hälfte der in MSLT-1 eingeschlossenen
Patienten weniger als 60 Monate beobachtet worden sind, auf der anderen Seite
längst nicht alle histologisch falsch-negativen SLNs als LK-Rezidive
manifest werden [6 ], wird die Zahl der LK-Rezidive im
MSLT-1 am Ende die Zahl der LK-positiven Patienten aus der Therapiegruppe
absehbar deutlich übertreffen. Damit wird sich die Hypothese von
falsch-positiven SLNs erübrigen.
Abb. 2 Rezidivfreies Intervall
zwischen der Exzision eines primären Melanoms und dem Auftreten von
klinisch evidenten regionären LK-Metastasen. Nach 60 Monaten sind
89 % der Rezidive eingetreten.
Allerdings haben Patienten mit langem rezidivfreien Intervall bis
zur LK-Metastasierung eine bessere Prognose. So ist zu erwarten, dass die
späten LK-Rezidive im Beobachtungsarm den 20 %igen
Überlebensvorteil zugunsten des Sentinel-Verfahrens noch reduzieren
werden. In der deutschen multizentrischen Studie zu SLNE [7 ] wurden auch jene klinisch vergrößerten
LK-Metastasen erfasst, deren Primärtumor vor 10 oder mehr Jahren exzidiert
wurde. In dieser Studie, die 937 Patienten mit LK-Metastasierung aus allen
Tumordickengruppen einschloss, wurde ein Vorteil von nur 12 %
zugunsten des Sentinel-Verfahrens ermittelt.
Welchen Anteil hat die komplette regionale Lymphadenektomie am
Sentinel-Verfahren?
Welchen Anteil hat die komplette regionale Lymphadenektomie am
Sentinel-Verfahren?
Der therapeutische Wert, den die CLND zum Sentinel-Verfahren
beisteuert, wird gegenwärtig in kontrollierten Studien untersucht (MSLT-2,
Wächterlymphknotenstudie der ADO/VOD/ACO). Da sowohl die internationale
MSLT-2 Studie als auch eine deutsche Multizenterstudie ihre Patienten langsamer
rekrutieren als erwartet, ist mit Ergebnissen in den nächsten Jahren nicht
zu rechnen. In den meisten bisherigen Studien zum Sentinel-Verfahren hatten
weniger als 25 % der Patienten eine histologisch positive CLND
[14 ]
[15 ], also Metastasen
außerhalb ihrer SLNs. Da folglich mindestens 70 % der
LK-Metastasierungen allein schon durch die SLNE beseitigt werden, dürfte
der therapeutische Anteil der CLND an dem an sich schon geringen
Überlebensvorteil durch das Sentinel-Verfahren sehr gering ausfallen.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass CLND-positive Patienten eine
höhere Zahl vom Tumor infiltrierter LK und damit eine schlechtere Prognose
haben. Der potenzielle therapeutische Effekt einer positiven CLND wird auch
dadurch reduziert, dass ein bestimmter Prozentsatz der Patienten mit positiven
non-SLNs auch durch eine spätere CLND von LK-Rezidiven gerettet werden
könnte. Eine große retrospektive Multizenterstudie zeigt
erwartungsgemäß, dass die CLND bei Patienten mit histologisch
positiven SLNs zwar das rezidivfreie Überleben verbessert, aber keinen
Vorteil im Gesamtüberleben erbringt [16 ].
Bedeutung des Sentinel-Verfahrens für die Vermeidung von
LK-Rezidiven und von morbiditätsbelasteten kompletten
Lymphadenektomien
Bedeutung des Sentinel-Verfahrens für die Vermeidung von
LK-Rezidiven und von morbiditätsbelasteten kompletten
Lymphadenektomien
Die Morbidität durch eine SLNE ist gering [17 ], sie kann zur Vermeidung von LK-Rezidiven problemlos
auch bei sehr alten Patienten durchgeführt werden [18 ]. Dagegen ist eine CLND ein morbiditätsbelasteter
Eingriff. Nach Einschätzung der Patienten behalten etwa 50 %
irgendeine Art von Langzeit-Morbidität zurück [18 ]. Da mehr als 70 % der diagnostizierten
regionären LK-Metastasen bereits durch eine SLNE allein ausgeräumt
werden, wäre eine CLND theoretisch nur bei weniger als 30 %
der SLN-positiven Patienten sinnvoll.
Würde man den ursprünglichen Standard der generellen
Durchführung einer elektiven LK-Dissektion zugrunde legen, würde das
Sentinel-Verfahren 70 % – 80 %
der Patienten mit Hochrisikomelanomen eine CLND ersparen. Würde man den
ursprünglichen europäischen Standard einer CLND nur bei tastbaren
Metastasen (wait-and-see policy) zugrunde legen, würde die
Durchführung einer SLNE allein (ohne CLND im Falle von positiven SLNs)
implizieren, dass nur noch 4 – 10 % aller
Patienten mit primären Hochrisikomelanomen eine morbiditätsbelastete
CLND benötigen würden. Diese theoretische Überlegung
rechtfertigt die Durchführung der SLNE allemal, auch wenn ein
Überlebensvorteil durch Früherkennung von LK-Metastasen fehlen
würde.
Seit der fundamentalen Arbeit von Starz et al. zeichnet sich immer
mehr ab, dass die Wahrscheinlichkeit einer positiven CLND mit steigender
Tumorlast im SLN zunimmt [10 ]
[11 ]
[12 ]. Andererseits spielt auch
die Tumordicke nach Breslow weiterhin ihre Rolle: Während eine CLND bei
SLN-positiven Patienten mit sehr dünnen Primärtumoren sehr selten
weitere LK-Metastasen eliminiert [19 ]
[20 ], ist sie bei Patienten mit dicken Primärtumoren
eher indiziert, da hier etwa 32 % der Patienten eine positive
CLND haben [21 ].
Schlussfolgerungen
Schlussfolgerungen
Nach kritischer Sichtung der vorliegenden Daten erscheint es als
wahrscheinlich, dass die Früherkennung von regionalen LK-Metastasen durch
das Sentinel-Verfahren zu einem Überlebensvorteil führt. Dieser
Überlebensvorteil dürfte in der Gesamtpopulation der Patienten mit
Primärmelanomen jedoch marginal ausfallen und damit schwer nachweisbar
sein. Die vorliegenden Daten suggerieren einen Vorteil ausschließlich
für die Subpopulation mit LK-Metastasen, der sich in einem um mindestens
10 % gesteigerten 5-Jahresüberleben widerspiegelt. Da mehr
als 70 % der diagnostizierten regionären LK-Metastasen
bereits durch eine SLNE allein ausgeräumt werden, ist der therapeutische
Zugewinn durch eine morbiditätsbelastete CLND als gering
einzuschätzen.
Daraus resultiert folgende Empfehlung: Die SLNE sollte
grundsätzlich allen Patienten mit primären Melanomen angeboten
werden, wenn diese ein relevantes Risiko von LK-Metastasierungen haben
(> 1 mm Tumordicke bzw. > 0,76 mm, wenn
zusätzliche Risikofaktoren (Clark 4, Ulzeration, hohe Mitoserate,
niedriges Lebensalter [22 ]) für eine
LK-Metastasierung vorliegen). Zur Vermeidung von LK-Rezidiven ist das
Sentinel-Verfahren auch bei Patienten mit dicken Primärtumoren sinnvoll
[21 ]. Vor der SLNE sollte eine qualifizierte
sonografische Untersuchung erfolgen, um Patienten mit okkulten Makrometastasen
zu identifizieren [23 ].
Die CLND nach positivem SLN, deren therapeutischer Wert umstritten
ist, sollte innerhalb von randomisierten Studien durchgeführt werden.
Außerhalb von klinischen Studien ist eine ausführliche Diskussion
mit dem Patienten auf Augenhöhe noch wichtiger, wobei Chancen und Risiken
der CLND im individuellen Fall abgewogen werden müssen. Dabei müssen
die Tumorlast im SLN, die Zahl der positiven SLNs, das Vorhandensein von
Satelliten- oder In-transit-Metastasen, Breslow, Ulzeration, Mitoserate, Alter,
Begleitmorbidität, die familiäre Situation und individuelle Haltungen
des Patienten in die Diskussion einfließen. Studien zur adjuvanten
Therapie SLN-positiver Patienten erfordern die CLND zum Staging der
regionären LK. In der täglichen Praxis wird es in den meisten
Fällen letztendlich Aufgabe des Arztes bleiben, dem Patienten bei der
schwierigen Entscheidung hinsichtlich einer CLND mit seinem differenzierten
Ratschlag mitfühlend zur Seite zu stehen.