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DOI: 10.1055/s-0028-1119442
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Sentinel Lymphonodektomie, komplette regionale Lymphadenektomie oder keine Lymphknotenchirurgie?
Wie sind die Ergebnisse des Multicenter Selective Lymphadenectomy Trial-1 zu interpretieren?Sentinel-Lymphonodectomy, Total Regional Lymphadenectomy or no Lymph Node Surgery?How to Interpret the Multicenter Selective Lymphadenectomy Trial-1?
Prof. Dr. med. Lutz Kretschmer
Abteilung für Dermatologie und
Venerologie
Georg-August Universität
von-Siebold-Straße 3
37075 Göttingen
Email: lkre@med.uni-goettingen.de
Publication History
Publication Date:
05 March 2009 (online)
- Zusammenfassung
- Abstract
- Einleitung
- Ergebnisse der prospektiven multizentrischen Studie zum Vergleich des Sentinel-Verfahrens versus Beobachtung (MSLT-1, Morton)
- Kritische Interpretation der MSLT-1-Daten
- Welchen Anteil hat die komplette regionale Lymphadenektomie am Sentinel-Verfahren?
- Bedeutung des Sentinel-Verfahrens für die Vermeidung von LK-Rezidiven und von morbiditätsbelasteten kompletten Lymphadenektomien
- Schlussfolgerungen
- Literatur
Zusammenfassung
Das Multicenter Selective Lymphadenectomy Trial 1, in welchem eine frühzeitige Exzision von Lymphknotenmetastasen maligner Melanome nach Sentinel-Lymphonodektomie (SLNE) mit Beobachtung verglichen wird, hat ein widersprüchliches Ergebnis erbracht. Die Gesamtpopulation der Patienten mit primären Melanomen (Breslow-Index 1,2 – 3,5 mm) konnte hinsichtlich des Overall-Survivals nicht vom Sentinel-Verfahren profitieren. Dagegen fand sich ein signifikanter Vorteil für Patienten mit Frühexzision von Lymphknotenmetastasen durch SLNE und komplette regionale Lymphadenektomie, verglichen mit Patienten, bei denen im weiteren Verlauf der Erkrankung eine Lymphadenektomie klinisch vergrößerter Lymphknotenmetastasen durchgeführt wurde. Die vorliegende Arbeit versucht, die Ergebnisse zu interpretieren und Schlussfolgerungen für den klinischen Alltag zu finden.
#Abstract
The Multicenter Selective Lymphadenectomy Trial 1, comparing the sentinel procedure with observation, was recently published. Unfortunately, there was no OS benefit in the whole population of patients with intermediate thick primary melanomas (Breslow-Index 1.2 – 3.5 mm). However, lymph node positive patients seemed to benefit from early performed lymph node excision. The survival rate was significantly improved for the subgroup with positive SNB and subsequent immediate CLND, when compared with observation and delayed CLND for clinical nodal recurrence only. In the present paper, we try to interpret these conflicting results.
#Einleitung
Der Sentinel-Lymph Node (SLN) ist als ein Lymphknoten (LK) definiert, der als erster über afferente Lymphgefäße Tumorlymphe aufnimmt und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch als erster LK eines regionären Abstromgebietes Metastasen entwickelt. Die Sentinel-Lymphonodektomie (SLNE) bei Melanomen mit dem Risiko einer LK-Metastasierung wird heute als klinischer Standard angesehen. Der pathologische Status des SLNs gilt derzeit als wichtigster unabhängiger Prognosefaktor [1]. Die neue Qualität dieses Prognosefaktors besteht darin, dass die Frage einer LK-Metastasierung für den individuellen Patienten beantwortet werden kann, während die klassischen Prognosefaktoren des Primärmelanoms, wie die Tumordicke nach Breslow oder die Ulzeration, nur über eine statistische Metastasierungswahrscheinlichkeit Aufschluss geben können. Studien zur adjuvanten Therapie erfordern fortan zwangsläufig die Kenntnis des pathologischen Status der regionären LK. Außerhalb von Studien verlangt die SLNE als invasives Staging-Verfahren jedoch nach einer therapeutischen Konsequenz.
Leider existiert derzeit für Melanompatienten mit positiven SLNs keine allgemein anerkannte Therapie, die das Gesamtüberleben klinisch relevant verbessern könnte. Die adjuvante Therapie mit Interferonen erbrachte in den meisten Studien zur LK-Metastasierung entweder keinen signifikanten Überlebensvorteil oder lediglich ein marginal verbessertes rezidivfreies Überleben [2]. Die Ergebnisse des 2006 publizierten Multicenter Selective Lymphadenectomy Trial 1 (MSLT-1) [1] implizieren, dass der Einsatz des Sentinel-Verfahrens (Durchführung einer SLNE und komplette regionale LK-Dissektion (CLND) im Falle von Mikrometastasen in einem SLN) das Überleben in einer Population von Patienten mit primären Melanomen ebenfalls nicht signifikant verbessern kann. In dieser kontrollierten Studie wurde die Frühtherapie von regionären Lymphknotenmetastasen durch das Sentinel-Verfahren mit der Exzision des Primärmelanoms ohne sofortige LK-Chirurgie verglichen. Die im Beobachtungsarm auftretenden, klinisch diagnostizierten LK-Rezidive wurden ebenfalls mit einer CLND behandelt. Die Auswirkungen von MSLT-1 auf das klinische Management von Patienten mit malignen Melanomen werden in diesem Artikel kritisch diskutiert.
#Ergebnisse der prospektiven multizentrischen Studie zum Vergleich des Sentinel-Verfahrens versus Beobachtung (MSLT-1, Morton)
In die Studie wurden insgesamt 2001 Patienten randomisiert. 60 % der eingeschlossenen Patienten erhielten das Sentinel-Verfahren (SLNE und CLND im Falle von positiven SLNs), 40 % fielen in die Beobachtungsgruppe (keine LK-Chirurgie zum Zeitpunkt des Primärmelanoms und CLND nur im Falle der späteren Entwicklung von Makrometastasen). In der 3. Interimsanalyse wurden die Daten der 1269 Patienten mit mitteldicken Melanomen der Tumordicke zwischen 1,2 und 3,5 mm veröffentlicht, Patienten mit dickeren bzw. dünneren Melanomen wurden nicht berücksichtigt.
Ein signifikanter Überlebensvorteil für die Frühtherapie der regionären LK wurde für die Gesamtpopulation mit primären Melanomen nicht beobachtet (87 % vs. 86 %). Allerdings zeigte sich ein Vorteil im rezidivfreien Überleben von (78 % vs. 73 %, P = 0,009) zugunsten des SLN-Verfahrens.
Im Therapiearm von MSLT-1 hatten 122 Patienten (16 %) mindestens einen positiven SLN, 26 (3 %) entwickelten regionale LK-Metastasen, nachdem die SLNs aus dem gleichen LK-Bassin negativ beurteilt worden war. Das entspricht einer Falsch-negativ-Rate von 17,5 % bei einer medianen Nachbeobachtungszeit von 48 Monaten. Somit hatten insgesamt 19 % der Patienten im Therapiearm regionale LK-Metastasen. Im Beobachtungsarm entwickelten 78 Patienten (16 %) nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 60 Monaten klinisch vergrößerte LK-Metastasen.
Eine Subgruppenanalyse der LK-positiven Patienten zeigte ein verbessertes Overall-Survival für die 122 Patienten mit histologisch positivem SLN und komplettierender regionaler LK-Dissektion, im Vergleich zu jenen 78 Patienten aus dem Kontrollarm, bei denen klinisch vergrößerte Lymphknotenmetastasen erst im weiteren Verlauf durch eine komplette regionale LK-Dissektion therapiert wurden (72 % versus 52 %, P = 0,004). Der Überlebensvorteil zugunsten des Sentinel-Verfahrens blieb auch dann bestehen, wenn die 22 falsch negativen Patienten mit LK-Rezidiven nach histologisch negativer SLNE in der Therapiegruppe berücksichtigt wurden.
#Kritische Interpretation der MSLT-1-Daten
Die veröffentlichten Daten beziehen sich auf eine Subgruppenanalysen-Population mit Primärmelanomen von mittlerer Tumordicke (1,2 mm – 3,5 mm). Die Studie hat ihr primäres Ziel verfehlt, einen Vorteil im Gesamtüberleben in der Population der Patienten mit mitteldicken Melanomen nachzuweisen. In der Gesamtpopulation aus LK-negativen und LK-positiven Patienten zeigte sich für die Therapiegruppe lediglich ein Vorteil im rezidivfreien Überleben von 5 %. Dies ist nicht verwunderlich, da die potenziellen LK-Rezidive durch das Sentinel-Verfahren an den Anfang der Erkrankung verschoben werden. Es scheint zweifelhaft, ob die Vermeidung eines (LK-)Rezidivs bei 5 % der Patienten allein die generelle Durchführung des Sentinel-Verfahrens rechtfertigen würde. Patienten, bei denen ein Rezidiv durch das Sentinel-Verfahren vermieden wird, müssen dies unter Umständen mit der Morbidität einer CLND bezahlen, die Monate bis Jahre früher durchgeführt wird als die CLND im Falle von sonografisch erkennbaren LK-Metastasen. Sie müssen also unter Umständen deutlich länger unter einer möglichen Komplikation leiden, z. B. unter einem Lymphödem. Da mikroskopische und makroskopische LK-Metastasen jeweils die gleiche Therapie erfordern (CLND) und der Patient durch die Nachricht einer LK-Metastasierung sowohl am Beginn der Erkrankung als auch im weiteren Verlauf stark beunruhigt wird, kann die Rezidivvermeidung allein nicht als Rechtfertigung des Sentinel-Verfahrens dienen.
Nur etwa 18 % der in MSLT-1 eingeschlossenen Patienten hatten Metastasen in den regionären LK. Das heißt, dass 82 % der Probanden nicht von einer LK-Chirurgie profitieren konnten, denn natürlich kann nicht erwartet werden, dass die Exzision von tumorfreien LK zu einem Überlebensvorteil führt. Da im Beobachtungsarm mit verzögerter Lymphadenektomie klinisch evidenter LK-Metastasen insgesamt weniger als 100 Patienten eingeschlossen waren, ist MSLT-1, bezogen auf die Zielgruppe der LK-positiven Patienten, eine kleine Studie mit deutlich zu geringer statistischer Power [3]. Bei der geringen Dichte von LK-Metastasen ergibt sich für die Gesamtpopulation aller Tumordickengruppen ein theoretischer Überlebensvorteil von nur 2,3 %. Um diesen Überlebensvorteil mit einer Power von 90 % und einer Irrtumswahrscheinlichkeit von < 5 % nachweisen zu können, würde die Studie selbst bei einer hinsichtlich der Fallzahl günstigeren 1 zu 1 Randomisierung weit mehr als 10 000 Probanden mit primären Melanomen benötigen [4].
In der eigentlichen Zielgruppe jeglicher LK-Chirurgie, den LK-positiven Patienten, zeigte sich in MSLT-1 ein signifikanter Überlebensvorteil für das Sentinel-Verfahren im Vergleich zu abwartendem Verhalten. Ein verlängertes Gesamtüberleben durch Frühtherapie von Mikrometasen im Vergleich zu einer Lymphadenektomie klinisch evidenter Makrometastasen wurde auch in weiteren prospektiven [5] und retrospektiven [6] [7] Studien bestätigt. Das würde bedeuten, dass auch noch Patienten mit LK-Metastasierung von einer Früherkennung und Frühtherapie profitieren, allerdings nur unter der Bedingung, dass sich Mikrometastasen regelhaft zu Makrometastasen weiterentwickeln. Hier erhebt sich die Frage, ob der Vergleich der Überlebensraten von Patienten mit sofort diagnostizierten Mikrometastasen mit Patienten mit im weiteren Verlauf aufgetretenen Makrometastasen überhaupt statthaft ist.
Um Überlebenskurven von Patienten mit Mikro- bzw. Makrometastasen in den regionären LK zu vergleichen, muss das Überleben grundsätzlich vom Zeitpunkt des Primärmelanoms an berechnet werden (Overall-Survival). Das Überleben nach der Exzision von Makrometastasen nach einem rezidivfreien Intervall ist um eben dieses Intervall kürzer als das Überleben nach der Exzision von Mikrometastasen im SLN. Man nennt dieses Phänomen „lead time bias” ([Abb. 1], eigene Daten).
Das rezidivfreie Intervall zwischen der Exzision des Primärmelanoms und dem Auftreten von klinisch vergrößerten LK-Metastasen wird durch die Prognosefaktoren Breslow-Index und Ulzeration negativ beeinflusst [8]. Diese Prognosefaktoren sind zum Zeitpunkt des Primärmelanoms bekannt. Folglich beeinflussen Breslow und Ulzeration auch das Overall-Survival von Patienten mit regionären LK-Metastasen [1] [7]. Nach der Entwicklung klinisch diagnostizierbarer LK-Metastasen verlieren diese Prognosefaktoren an Bedeutung [8], dagegen tritt die nodale Tumorlast (Zahl der befallenen LK, Durchbruch der Metastasen durch die LK-Kapsel) in den Vordergrund. Die nodale Tumorlast, gemessen an der Zahl der vom Tumor befallenen LK, ist zum Zeitpunkt des Primärtumors viel niedriger als zum Zeitpunkt der Dissektion von Makrometastasen [1] [7], kann also für die beiden Studienarme von MSLT-1 nicht verglichen werden. Die mittlere Anzahl der vom Tumor befallenen LK war im MSLT-1 Krankengut signifikant höher in der Beobachtungsgruppe (1,6 vs. 3,6 befallene LK). Breslow-Index und der Prozentsatz ulzerierter Tumoren waren in beiden Studienarmen nahezu identisch. Das bedeutet, dass sowohl die nodale Tumorlast zum Zeitpunkt des Primärmelanoms als auch die Häufigkeiten von LK-Metastasen in beiden Gruppen ähnlich ausfallen müssten.
Thomas [9] hat den Vergleich der LK-positiven Subpopulationen beider Studienarme als unzulässig bezeichnet, weil im Beobachtungsarm nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 60 Monaten weniger LK-Metastasen aufgetreten sind (16 % vs. 19 %). Als Grund vermutet er eine klinisch irrelevante Überdiagnostik von Metastasen im SLN und bezeichnet solche SLN als „falsch-positiv”. Er sieht diese Vermutungen durch Studien gestützt, nach denen eine geringe Tumorlast im SLN (subkapsuläre Metastasen [10], kleine Cluster von Melanomzellen [11] oder Einzelzellen [12]) keinen negativen Einfluss auf die Prognose hat. Obwohl diese Studien allesamt eine relativ kurze Nachbeobachtungszeit hatten, stellte Thomas die Hypothese auf, dass sich derartige Absiedlungen nicht zu Makrometastasen weiter entwickeln würden, sondern inaktiv ruhend bleiben oder durch immunologische Prozesse abgebaut werden würden. Da die zugehörigen SLNs aber exzidiert werden, lässt sich prinzipiell nicht entscheiden, ob solche kleinen Absiedlungen durch eine SLNE an einer Weiterentwicklung gehindert werden.
Wahrscheinlicher ist jedoch, dass hier eine Gesetzmäßigkeit zum Tragen kommt, nämlich dass sich die Melanomerkrankung bei geringer Tumorlast langsamer entwickelt und dementsprechend lange Nachbeobachtungszeiten notwendig sind. So metastasierten in einer Studie 11 % der dünnen Melanome mit einer Tumordicke < 1 mm zu den regionären LK, allerdings trat jede zweite Metastasierung erst nach mehr als 5 Jahren ein [13]. Man kann in Analogie vermuten, dass Patienten mit sehr später LK-Metastasierung nur eine extrem geringe nodale Tumorlast zum Zeitpunkt des Primärtumors tragen. Im eigenen Krankengut erhöht sich die Zahl der LK-Rezidive nach dem 60. Monat noch um 11 %, späte LK-Rezidive können bis 20 Jahre nach der Exzision des Primärtumors auftreten ([Abb. 2], eigene Daten). Das bedeutet, dass die Zahl der Makrometastasen im Beobachtungsarm von MSLT-1 noch zunehmen wird. Da die Hälfte der in MSLT-1 eingeschlossenen Patienten weniger als 60 Monate beobachtet worden sind, auf der anderen Seite längst nicht alle histologisch falsch-negativen SLNs als LK-Rezidive manifest werden [6], wird die Zahl der LK-Rezidive im MSLT-1 am Ende die Zahl der LK-positiven Patienten aus der Therapiegruppe absehbar deutlich übertreffen. Damit wird sich die Hypothese von falsch-positiven SLNs erübrigen.
Allerdings haben Patienten mit langem rezidivfreien Intervall bis zur LK-Metastasierung eine bessere Prognose. So ist zu erwarten, dass die späten LK-Rezidive im Beobachtungsarm den 20 %igen Überlebensvorteil zugunsten des Sentinel-Verfahrens noch reduzieren werden. In der deutschen multizentrischen Studie zu SLNE [7] wurden auch jene klinisch vergrößerten LK-Metastasen erfasst, deren Primärtumor vor 10 oder mehr Jahren exzidiert wurde. In dieser Studie, die 937 Patienten mit LK-Metastasierung aus allen Tumordickengruppen einschloss, wurde ein Vorteil von nur 12 % zugunsten des Sentinel-Verfahrens ermittelt.
#Welchen Anteil hat die komplette regionale Lymphadenektomie am Sentinel-Verfahren?
Der therapeutische Wert, den die CLND zum Sentinel-Verfahren beisteuert, wird gegenwärtig in kontrollierten Studien untersucht (MSLT-2, Wächterlymphknotenstudie der ADO/VOD/ACO). Da sowohl die internationale MSLT-2 Studie als auch eine deutsche Multizenterstudie ihre Patienten langsamer rekrutieren als erwartet, ist mit Ergebnissen in den nächsten Jahren nicht zu rechnen. In den meisten bisherigen Studien zum Sentinel-Verfahren hatten weniger als 25 % der Patienten eine histologisch positive CLND [14] [15], also Metastasen außerhalb ihrer SLNs. Da folglich mindestens 70 % der LK-Metastasierungen allein schon durch die SLNE beseitigt werden, dürfte der therapeutische Anteil der CLND an dem an sich schon geringen Überlebensvorteil durch das Sentinel-Verfahren sehr gering ausfallen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass CLND-positive Patienten eine höhere Zahl vom Tumor infiltrierter LK und damit eine schlechtere Prognose haben. Der potenzielle therapeutische Effekt einer positiven CLND wird auch dadurch reduziert, dass ein bestimmter Prozentsatz der Patienten mit positiven non-SLNs auch durch eine spätere CLND von LK-Rezidiven gerettet werden könnte. Eine große retrospektive Multizenterstudie zeigt erwartungsgemäß, dass die CLND bei Patienten mit histologisch positiven SLNs zwar das rezidivfreie Überleben verbessert, aber keinen Vorteil im Gesamtüberleben erbringt [16].
#Bedeutung des Sentinel-Verfahrens für die Vermeidung von LK-Rezidiven und von morbiditätsbelasteten kompletten Lymphadenektomien
Die Morbidität durch eine SLNE ist gering [17], sie kann zur Vermeidung von LK-Rezidiven problemlos auch bei sehr alten Patienten durchgeführt werden [18]. Dagegen ist eine CLND ein morbiditätsbelasteter Eingriff. Nach Einschätzung der Patienten behalten etwa 50 % irgendeine Art von Langzeit-Morbidität zurück [18]. Da mehr als 70 % der diagnostizierten regionären LK-Metastasen bereits durch eine SLNE allein ausgeräumt werden, wäre eine CLND theoretisch nur bei weniger als 30 % der SLN-positiven Patienten sinnvoll.
Würde man den ursprünglichen Standard der generellen Durchführung einer elektiven LK-Dissektion zugrunde legen, würde das Sentinel-Verfahren 70 % – 80 % der Patienten mit Hochrisikomelanomen eine CLND ersparen. Würde man den ursprünglichen europäischen Standard einer CLND nur bei tastbaren Metastasen (wait-and-see policy) zugrunde legen, würde die Durchführung einer SLNE allein (ohne CLND im Falle von positiven SLNs) implizieren, dass nur noch 4 – 10 % aller Patienten mit primären Hochrisikomelanomen eine morbiditätsbelastete CLND benötigen würden. Diese theoretische Überlegung rechtfertigt die Durchführung der SLNE allemal, auch wenn ein Überlebensvorteil durch Früherkennung von LK-Metastasen fehlen würde.
Seit der fundamentalen Arbeit von Starz et al. zeichnet sich immer mehr ab, dass die Wahrscheinlichkeit einer positiven CLND mit steigender Tumorlast im SLN zunimmt [10] [11] [12]. Andererseits spielt auch die Tumordicke nach Breslow weiterhin ihre Rolle: Während eine CLND bei SLN-positiven Patienten mit sehr dünnen Primärtumoren sehr selten weitere LK-Metastasen eliminiert [19] [20], ist sie bei Patienten mit dicken Primärtumoren eher indiziert, da hier etwa 32 % der Patienten eine positive CLND haben [21].
#Schlussfolgerungen
Nach kritischer Sichtung der vorliegenden Daten erscheint es als wahrscheinlich, dass die Früherkennung von regionalen LK-Metastasen durch das Sentinel-Verfahren zu einem Überlebensvorteil führt. Dieser Überlebensvorteil dürfte in der Gesamtpopulation der Patienten mit Primärmelanomen jedoch marginal ausfallen und damit schwer nachweisbar sein. Die vorliegenden Daten suggerieren einen Vorteil ausschließlich für die Subpopulation mit LK-Metastasen, der sich in einem um mindestens 10 % gesteigerten 5-Jahresüberleben widerspiegelt. Da mehr als 70 % der diagnostizierten regionären LK-Metastasen bereits durch eine SLNE allein ausgeräumt werden, ist der therapeutische Zugewinn durch eine morbiditätsbelastete CLND als gering einzuschätzen.
Daraus resultiert folgende Empfehlung: Die SLNE sollte grundsätzlich allen Patienten mit primären Melanomen angeboten werden, wenn diese ein relevantes Risiko von LK-Metastasierungen haben (> 1 mm Tumordicke bzw. > 0,76 mm, wenn zusätzliche Risikofaktoren (Clark 4, Ulzeration, hohe Mitoserate, niedriges Lebensalter [22]) für eine LK-Metastasierung vorliegen). Zur Vermeidung von LK-Rezidiven ist das Sentinel-Verfahren auch bei Patienten mit dicken Primärtumoren sinnvoll [21]. Vor der SLNE sollte eine qualifizierte sonografische Untersuchung erfolgen, um Patienten mit okkulten Makrometastasen zu identifizieren [23].
Die CLND nach positivem SLN, deren therapeutischer Wert umstritten ist, sollte innerhalb von randomisierten Studien durchgeführt werden. Außerhalb von klinischen Studien ist eine ausführliche Diskussion mit dem Patienten auf Augenhöhe noch wichtiger, wobei Chancen und Risiken der CLND im individuellen Fall abgewogen werden müssen. Dabei müssen die Tumorlast im SLN, die Zahl der positiven SLNs, das Vorhandensein von Satelliten- oder In-transit-Metastasen, Breslow, Ulzeration, Mitoserate, Alter, Begleitmorbidität, die familiäre Situation und individuelle Haltungen des Patienten in die Diskussion einfließen. Studien zur adjuvanten Therapie SLN-positiver Patienten erfordern die CLND zum Staging der regionären LK. In der täglichen Praxis wird es in den meisten Fällen letztendlich Aufgabe des Arztes bleiben, dem Patienten bei der schwierigen Entscheidung hinsichtlich einer CLND mit seinem differenzierten Ratschlag mitfühlend zur Seite zu stehen.
#Literatur
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Email: lkre@med.uni-goettingen.de