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DOI: 10.1055/s-0028-1119740
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Interview - Die Zukunft der Konservativen Orthopädie in der Weiterbildung
Publication History
Publication Date:
17 December 2008 (online)
Herr Prof. Dr. Hans-Raimund Casser ärztlicher Direktor des DRK Schmerz-Zentrums in Mainz im Interview mit Frau Dr. Engelhardt.
Geht den konservativen Kliniken der Nachwuchs aus?
Schon jetzt ist festzustellen, dass sich insbesondere in den Rehabilitationskliniken immer weniger orthopädische Weiterbildungsassistenten für eine Stelle bewerben. Das Fach ist durch eine Zusammenführung mit der Unfallchirurgie eindeutig ein chirurgisches Fach geworden und wird dementsprechend von den Studenten wahrgenommen. Konservativ interessierte Kollegen gehen den Weg in die "Physikalische Medizin und Rehabilitation", bzw. rekrutieren sich aus dem internistischen Facharzt mit dem Schwerpunkt Rheumatolgie. Schon jetzt bilden die Rehabilitationskliniken überwiegend Ärzte für Physikalische Medizin und Rehabilitation aus. In den wenigen konservativen Akutkliniken sieht die Situation noch besser aus.
Das früher vom Berufsverband angedachte Rotationssystem zwischen konservativen und operativen Kliniken ist aufgrund der Probleme des Arbeitsplatzwechsels (neuer Arbeitgeber, ggf. Gehaltseinbußen, Nachteile in der Klinikhierarchie etc.) wenig realistisch, zumal derzeit auch die operativ ausgerichteten Orthopädischen Kliniken um den Nachwuchs kämpfen.
Wird die Kluft zwischen konservativen und operativen ausgebildeten Fachärzten wird immer größer?
Da die Inhalte der Konservativen Medizin in den überwiegend operativ ausgebildeten Kliniken, z. T. spezialisiert auf Endoprothetik, Hüfte und Knie, nicht mehr zum Tragen kommen und dort nicht mehr vermittelt werden, ist sowohl den leitenden Mitarbeitern als auch ihren Weiterbildungsassistenten der Umgang mit diesen Gebieten nicht mehr geläufig. In der Regel werden sie abdelegiert an den niedergelassenen Kollegen oder konservative Kliniken mit dem Hinweis: Keine Operationsindikation, weiterhin "konservativ" (?!). Eine wirklich Auseinandersetzung mit diesen konservativen Weiterbildungsinhalten findet nicht mehr statt, so dass Fehleinschätzungen dieses Bereichs gang und gäbe sind.
Insbesondere die Neuentwicklung im Bereich der Physiotherapie, Manualmedizin, Schmerztherapie, hier insbesondere die medikamentöse Therapie, aber auch im Bereich der psychosomatischen Medizin entfallen hier vollkommen.
Bei dem großen Anteil von chronisch degenerativen Erkrankungen sowie myofasziellen Beschwerden ist dies für das Fach verhängnisvoll. Das Management dieser Patienten bedarf des Wissens und auch der Erfahrung im konservativen Bereich. Insbesondere für die OP-Indikation spielt das Abschätzen der konservativen Vorbehandlung bzw. der konservativen alternativen Möglichkeiten eine große Rolle. Wie soll das aber geschehen durch einen Orthopäden, der selbst diese konservative Möglichkeiten gar nicht kennt. Hiermit entfällt ein großer Vorteil des bisherigen Orthopäden, der im Gegensatz zum Chirurgen oder auch zum rein konservativ tätigen Arzt Physikalische Medizin und Rehabilitation oder dem internistischen Rheumatologen von sich behaupten konnte, aufgrund seiner Kenntnisse im konservativen- wie auch im operativen Bereich eine ausgewogene OP-Indikation stellen zu können.
Hinzu kommt, dass die zukünftige Generation der Chefärzte entsprechend ihrer Ausbildung in den meisten Fällen, insbesondere wenn sie aus früheren rein unfallchirurgischen Kliniken kommen, die konservativen Inhalte kaum kennen und auch nicht über entsprechende Zusatzbezeichnungen verfügen. Folglich werden sie auch nicht über entsprechende Weiterbildungsbefugnisse verfügen, wie z. B. Physikalische Therapie.
Warum sind Orthopäden "Weltmeister in Zusatzbezeichnungen"?
Erfahrungsgemäß werden die in der Weiterbildungsordnung und insbesondere in den Inhalten der Weiterbildungsordnung festgelegten konservativen Bereiche wie Physikalische Therapie, Manualmedizin, Schmerztherapie, Sportmedizin, Orthopädietechnik, Sozialmedizin und Rehabilitation in Kursen außerhalb der Klinik erworben, wobei in der Regel auch eine Zusatzbezeichnung erlangt wird. Schon in der früheren Weiterbildungsordnung war es den operativen Kliniken nicht möglich, diese Weiterbildungsinhalte zu vermitteln oder gar zu praktizieren. Beim Neuen Facharzt wird durch die hinzugekommenen Inhalte der Unfallchirurgie die Situation noch verschärft.
Gemessen an anderen Fachgebieten verfügt der Orthopäde in der Regel über 2 - 3 Zusatzbezeichnungen, in der Regel Manuelle Medizin, Physikalische Therapie und Sportmedizin, ggf. auch Sozialmedizin, Rehabilitationswesen, Spez. Schmerztherapie, Akupunktur ...
Ein Ausweg? Die Etablierung einer Weiterbildung "spezielle konservative Orthopädie"
Dies ist der einzige Weg, aus der Misere der derzeitigen konservativen Orthopädie herauszukommen. Wer wie früher die Ausbildung zum orthopädischen Facharzt anstrebt, - mit dem Hintergedanken der Tätigkeit in einer Praxis oder in einer konservativen Klinik - hat bisher keine Perspektive. Neben der unzureichenden konservativen Ausbildung in meist orthopädisch-unfallchirurgischen Kliniken hat er keine Möglichkeit der Spezialisierung.
Im Gegensatz zum chirurgisch ausgerichteten neuen Facharzt, der sich für eine Weiterbildung in orthopädischer Chirurgie oder spezieller Unfallchirurgie entscheiden kann, gibt es unverständlicherweise keinen entsprechenden Weiterbildungsgang im konservativen Bereich. Die Möglichkeit, diesen Schwerpunkt zu etablieren, war vor 5 Jahren sicherlich einfacher. Ich habe mich damals sehr dafür eingesetzt. Der Berufsverband hat dies damals abgelehnt, weil er befürchtete, dass sich damit der Ausbildungsweg für den Gang in die Praxis noch weiter verlängert.
Nun haben wir mehr oder weniger konservativ schlecht ausgebildete Orthopäden auf dem Markt mit dem Neuen Facharzt, die erstmalig in der Praxis mit einer Patientenklientel bzw. Behandlungen konfrontiert werden, die sie aus der Klinik her gar nicht kennen. Sie sind damit Ärzten für Physikalische Medizin bzw. internistischen Rheumatologen in vielen Bereichen unterlegen. Mittlerweile ist überall erkannt worden, dass es zur Erfüllung der umfangreichen konservativen Weiterbildungsinhalte wie aber auch zur Dokumentation eines konservativen Weiterbildungsarms in der Orthopädie nach außen dringend erforderlich ist, diese Zusatzweiterbildung zu etablieren, insbesondere da nicht zu erwarten ist, dass operativ ausgebildete Orthopädisch-Unfallchirurgische Kliniken plötzlich konservative Inhalte in entsprechenden Maße vorhalten könnten.
Entsteht eine Konkurrenz zu den akademischen Physiotherapeuten und Osteopathen?
Politisch gewollt und von den entsprechenden Berufsverbänden forciert wird die Akademisierung, insbesondere des Physiotherapeuten, dazu führen, dass der Physiotherapeut auch ohne ärztliche Verordnung arbeiten kann. Hierdurch erwächst insbesondere dem Arzt für Physikalische Medizin aber auch dem konservativen Orthopäden eine Konkurrenz bzw. Partnerschaft, die man nur durch entsprechende Kompetenz ausfüllen kann.
Wäre ein Facharzt "Muskuloskelettale Medizin" wünschenswert?
Die unterschätzte Vielfalt des konservativen Orthopäden und auch die gewünschten interdisziplinäre Verfechtungen, die wir bei den muskuloskelettalen Beschwerden (Anteil 90 %!) zu vergegenwärtigen haben, macht einen Facharzt für "Muskuloskelettale Medizin" durchaus erforderlich und wünschenswert. Hier bestünde die Chance, dass der konservative Orthopäde mit entsprechender Ausbildung ein Großteil dieser Kompetenzen beherrschen würde, die ihn zum Casemanager eines derartigen Kompetenznetzes werden ließen und damit seine zentrale Bedeutung in dieser modernen Struktur unterstreichen würden.
Das Interview führte: Dr. Rita Engelhardt