Dtsch Med Wochenschr 2009; 134(7): 319-320
DOI: 10.1055/s-0028-1124001
Korrespondenz | Correspondence
Leserbriefe
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Verfahrensweisen und Methoden zur Nutzenbewertung von Arzneimitteln in Deutschland – ein Auftragsgutachten – Zuschrift Nr. 2

H. J. Schünemann, R. Kunz, Y. Falck-Ytter
Further Information

Prof. Dr. med. Holger J. SchünemannM.Sc., Ph. D. 

Chair, Department of Clinical Epidemiology & Biostatistics Michael Gent Chair in Healthcare Research, Professor of Clinical Epidemiology/Biostatistics/Medicine, McMaster University, Hamilton, Kanada

Prof. Dr. Regina Kunz, M.Sc.

Institut für Klinische Epidemiologie, Universitätsspital Basel

Hebelstrasse 10

4031 Basel

Schweiz

Asst. Prof. Dr. med. Yngve Falck-Ytter

Case Western Reserve University Cleveland, VA Medical Center Cleveland

10701 East Blvd.

Cleveland, OH, 44106, USA

Publication History

Publication Date:
05 February 2009 (online)

Table of Contents #

Zum Supplement Nr. 7 in der DMW 49 am 5.12.2008 – Zuschrift Nr. 2

Mit Interesse haben wir den Artikel der Kollegen Bekkering und Kleijnen „Verfahrensweisen und Methoden zur Nutzenbewertung von Arzneimitteln in Deutschland” gelesen [2]. Die Autoren schreiben „in den nachfolgenden Abschnitten argumentieren wir, dass im Prinzip jedes zu betrachtende Outcome zu eine separaten Forschungsfrage führt und dass eine separate Ermittlung und Betrachtung der angemessenen Studientypen für jede Fragestellung nötig ist, um die jeweils beste Evidenz zu finden”. Weiter heißt es, „muss die Bewertung für jedes outcome ebenfalls auf dem Prinzip der „bestverfügbaren Evidenz” durchgeführt werden.”

Der geübte Leser sieht, dass es sich hier und in anderen Stellen des Textes, insbesondere im Abschnitt 4, um eine Widerspiegelung der konzeptionellen Ansätze des „Grading of Recommendations Assessment, Development and Evaluation” (GRADE)-Systems handelt [1] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9] , dessen Nennung und Beschreibung den Lesern und der Diskussion wirklich helfen würden. Leider wird in dem Artikel das seit dem Jahre 2000 entwickelte und mit der Entwicklung in der methodologischen Forschung einhergehende GRADE-System weder erwähnt noch zitiert. Die Nennung des Ansatzes der „U.S. Preventive Services Taskforce” beruht auf einem vorläufigen Schriftstück, das gegenwärtig unter Mitwirkung von Mitgliedern der GRADE-Arbeitsgruppe revidiert wird. Auch das NICE-System ist in dieser Form nicht mehr aktuell. GRADE ist eine systematische Weiterentwicklung der zitierten Literaturstelle von 1995 (Guyatt et al.), deren konzeptioneller Ansatz inzwischen teilweise überholt ist. Wie in anderen Gebieten der medizinischen Forschung, sind 13 Jahre ein langer Zeitraum, in dem Erkenntnisse verarbeitet werden und sollten. Viel schwerwiegender ist die Tatsache, dass die Autoren aber nicht konsequent eine (GRADE) Linie verfolgt haben und auf der Basis einer älteren Literaturstelle schreiben „Aus der Sicht der EBM ist das systematische Review von RCTs die beste und nützlichste verfügbare Evidenz. Daher sollte dieses Studiendesign das höchste Evidenzlevel darstellen.” Leider ist der zweite Teil der Aussage in der modernen EBM isoliert so nicht mehr haltbar. Systematische Reviews stellen keine Form oder „level” der Evidenz an sich dar; sie bilden vielmehr die Basis für eine Identifizierung und Bewertung der Evidenz. Die Evidenz in einem systematischen Review kann auf schlechten RCTs (randomiserte kontrollierte Studien) beruhen, eine anfängliche und gründliche Einzelbewertung der RCTs ist daher unbedingt nötig mit der Folge, dass der systematische Review RCTs niedriger Qualität zu Grunde haben kann und als systematischer Review deshalb nicht in die Evidenzhierarchie (als höchste Stufe) eingeordnet werden kann. Systematische Reviews (mit oder ohne Metaanalyse) müssen natürlich auch für beobachtende Studien durchgeführt werden, wenn sie relevant und informativ für die Fragestellung sind. Aus der Sicht der modernen EbM bleibt zu sagen, dass ein Sachverständigengutachten (oder expert opinion) auch keine Evidenz per se, sondern eine Interpretation der Evidenz für alle Studiendesigns unabhängig vom „level” darstellt. Das Gutachten beruht somit auf Evidenz, die transparent dargestellt werden sollte, ob als RCTs oder aufgrund der einzelnen Beobachtungen der Sachverständigen.

Da GRADE von internationalen Organisationen wie der WHO, NICE, CADTH, und in dem Bericht beschriebenen Institutionen benutzt wird und mit deren Einwirkung entwickelt wurde, hätte eine aktuelle, quellenbezogene Darstellung mit Referenz zum aktuellen Stand der Evidenzbewertung in „Instituten” deutlich mehr geholfen und die Diskussion auf ein anderes „level” gehoben. Dennoch freuen wir uns, dass die Konzepte von GRADE, zusammengetragen von einer internationalen Arbeitsgruppe mit nunmehr über 120 Mitgliedern, auch außerhalb von GRADE weit vertreten werden und für Deutschland von Interesse sind. Die deutschsprachigen Mitglieder der GRADE-Arbeitsgruppe sind sehr daran interessiert und bemühen sich aktiv, eine informierte Diskussion in Deutschland über Evidenzbewertung und Abwägung von Schaden und Nutzen für Handlungsempfehlungen in der Gesundheitsversorgung zu unterstützen.

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Referenzen

  • 1 Atkins D, Best D, Briss P A. et al . Grading quality of evidence and strength of recommendations.  BMJ. 2004;  328 (7454) 1490-1494
  • 2 Bekkering G E, Kleijnen J. Verfahrensweisen und Methoden zur Nutzenbewertung von Arzneimitteln in Deutschland.  Dsch MedWochenschr. 2008;  133 S221-248
  • 3 Guyatt G H, Oxman A D, Vist G E. et al . GRADE: an emerging consensus on rating quality of evidence and strength of recommendations.  BMJ. 2008;  336 924-6
  • 4 Guyatt G H, Oxman A D, Kunz R, Vist G E, Falck-Ytter Y, Schunemann H J. What is „quality of evidence” and why is it important to clinicians?.  BMJ. 2008;  336 995-998
  • 5 Guyatt G H, Oxman A D, Kunz R. et al . Incorporating considerations of resources use into grading recommendations.  BMJ. 2008;  336 1170-1173
  • 6 Guyatt G H, Oxman A D, Kunz R. et al . Going from evidence to recommendations.  BMJ. 2008;  336 1049-1051
  • 7 Schunemann H J, Oxman A D, Brozek J. et al . Grading quality of evidence and strength of recommendations for diagnostic tests and strategies.  BMJ. 2008;  336 1106-1110
  • 8 Schunemann H J, Jaeschke R, Cook D J. et al . An official ATS statement: grading the quality of evidence and strength of recommendations in ATS guidelines and recommendations.  Am J Respir Crit Care Med. 2006;  174 605-614
  • 9 Schunemann H J, Best D, Vist G, Oxman A D. Letters, numbers, symbols and words: how to communicate grades of evidence and recommendations.  Cmaj. 2003;  169 677-680

Prof. Dr. med. Holger J. SchünemannM.Sc., Ph. D. 

Chair, Department of Clinical Epidemiology & Biostatistics Michael Gent Chair in Healthcare Research, Professor of Clinical Epidemiology/Biostatistics/Medicine, McMaster University, Hamilton, Kanada

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Institut für Klinische Epidemiologie, Universitätsspital Basel

Hebelstrasse 10

4031 Basel

Schweiz

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Case Western Reserve University Cleveland, VA Medical Center Cleveland

10701 East Blvd.

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Referenzen

  • 1 Atkins D, Best D, Briss P A. et al . Grading quality of evidence and strength of recommendations.  BMJ. 2004;  328 (7454) 1490-1494
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  • 4 Guyatt G H, Oxman A D, Kunz R, Vist G E, Falck-Ytter Y, Schunemann H J. What is „quality of evidence” and why is it important to clinicians?.  BMJ. 2008;  336 995-998
  • 5 Guyatt G H, Oxman A D, Kunz R. et al . Incorporating considerations of resources use into grading recommendations.  BMJ. 2008;  336 1170-1173
  • 6 Guyatt G H, Oxman A D, Kunz R. et al . Going from evidence to recommendations.  BMJ. 2008;  336 1049-1051
  • 7 Schunemann H J, Oxman A D, Brozek J. et al . Grading quality of evidence and strength of recommendations for diagnostic tests and strategies.  BMJ. 2008;  336 1106-1110
  • 8 Schunemann H J, Jaeschke R, Cook D J. et al . An official ATS statement: grading the quality of evidence and strength of recommendations in ATS guidelines and recommendations.  Am J Respir Crit Care Med. 2006;  174 605-614
  • 9 Schunemann H J, Best D, Vist G, Oxman A D. Letters, numbers, symbols and words: how to communicate grades of evidence and recommendations.  Cmaj. 2003;  169 677-680

Prof. Dr. med. Holger J. SchünemannM.Sc., Ph. D. 

Chair, Department of Clinical Epidemiology & Biostatistics Michael Gent Chair in Healthcare Research, Professor of Clinical Epidemiology/Biostatistics/Medicine, McMaster University, Hamilton, Kanada

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Institut für Klinische Epidemiologie, Universitätsspital Basel

Hebelstrasse 10

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Schweiz

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Cleveland, OH, 44106, USA