Z Orthop Unfall 2009; 147(4): 417-418
DOI: 10.1055/s-0029-1186052
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ökonomie in Orthopädie und Unfallchirurgie

Von der Qualitätssicherung zur PriorisierungEconomics in Orthopedic and Trauma SurgeryFrom Quality Assurance to Prioritisation
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Prof. Dr. med. Kuno Weise

Orthopädische Klinik
Universitätsklinik der RWTH Aachen

Pauwelsstraße 30

52074 Aachen

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Prof. Dr. med. Kuno Weise

BG-Unfallklinik

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Publication History

Publication Date:
19 August 2009 (online)

Table of Contents

Qualitätssicherung in der Medizin war einmal. Jetzt ist Ökonomie angesagt. In den 90er-Jahren gab es kaum eine medizinische Fachgesellschaft, kaum einen Kongress, kaum ein medizinisches Journal, das sich nicht mit Qualitätsmanagement und Qualitätssicherung beschäftigt hat. Hat es etwas gebracht? In einem Editorial dieser Zeitschrift wurde resümiert, dass die zahlreichen Programme allenfalls der Qualitätsüberprüfung und ‐kontrolle dienten, aber keine eigentliche Qualitätssicherung darstellten [7]. Ein Nutzen für den Patienten war nicht erkennbar. Die Haltung vieler Ärzte blieb skeptisch, die sich durch die immensen Dokumentationsanforderungen nicht nur belastet, sondern auch belästigt fühlten. Warum also Qualitätssicherung? Vielleicht deswegen, weil sie bereits die Vorstufe zur Ökonomisierung der Medizin war? Qualitätssicherung sollte auch die Standards garantieren, die in der Aus- und Weiterbildung infolge der Ärzteschwemme (man erinnere sich: Ärzteschwemme!) verloren gegangen waren.

Zwölf Jahre später ist auf die seinerzeit schon beklagte Dokumentationsflut noch einiges daraufgesetzt worden. 2001 wurde in der Z. Orthop. nicht etwa über eine wissenschaftliche Fragestellung des Faches, sondern erstmals über ein Abrechnungssystem berichtet [8], [9]: Rationalisierung war das Thema. Das DRG-System hatte Krankenhausärzte und Verwaltungsdirektoren verunsichert. Zahlreiche Stimmen hielten das System für unausgegoren und befürchteten Qualitätseinbrüche. Von einer „Industrialisierung der Patientenversorgung“ [3] und „Ökonomisierung der Mitmenschlichkeit“ [2] war die Rede. Der Kranke werde künftig zum abrechnungsfähigen Fall degradiert, es zähle lediglich der Vollzug der Behandlung. Danach werde er nach dem Motto „quicker and sicker“ zwar schneller nach Hause geschickt, am Ende aber kränker sein [1].

Die befürchteten Effekte sind wohl eingetreten. Neben einer möglichen und erforderlichen Rationalisierung kam es auch zur Rationierung von Leistungen in der gesamten Medizin, auch in der Orthopädie und Unfallchirurgie. Die Budgetvorgaben im Bereich der niedergelassenen aber auch Krankenhausärzte sind nichts anderes als eine Leistungsbeschränkung. Die Leitlinienempfehlungen der Fachgesellschaften, die in gutem Glauben an eine Qualitätssicherung erstellt wurden und werden, haben mit deren Realisierung in der täglichen Praxis häufig nur wenig zu tun. Kann man die S3-Leitlinien zur Osteoporose einhalten, wenn es das Medikamentenbudget eines niedergelassenen Orthopäden nicht erlaubt? Erhält ein behinderter Patient noch die notwendige Hilfsmittelversorgung und Physiotherapie, wie sie in den Leitlinien aufgelistet ist? Bekommt der Kranke noch die notwendige Pflege und Fürsorge? – Das Versteckspiel mit der Rationierung treibt so manche Blüten [6]: „Um eine offene Debatte über Leistungsbeschränkungen drückt sich die deutsche Politik. Doch sie schafft Fakten, indem sie brisante Rationierungs-Entscheidungen an Gremien delegiert, die demokratisch äußerst schwach legitimiert sind. Ein unhaltbarer Zustand …“ Die Diskussion über die Inhalte der Medizin, über Qualität und Wirtschaftlichkeit und sogar über das Kosten-Nutzen-Verhältnis von Behandlungsmaßnahmen wird zunehmend von Nichtärzten geführt.

Dies wurde kürzlich auch vom Präsidenten der Bundesärztekammer kritisiert. Im Jahr 2009 sind die Möglichkeiten der Rationalisierung wohl ausgeschöpft. Wie Huster [6] fordert er, dass die Kernfrage, was uns der medizinische Fortschritt in der öffentlichen Gesundheitsversorgung wert ist, offen diskutiert werden muss und hat daher die Priorisierung zum gesellschaftlichen Thema gemacht. Unter Priorisierung versteht man die ausdrückliche Feststellung einer Vorrangigkeit bestimmter Indikationen, Patientengruppen oder Verfahren vor anderen. Dabei entsteht eine mehrstufige Rangreihe, in der nicht nur Methoden, sondern auch Krankheitsfälle, Kranken- und Krankheitsgruppen, Versorgungsziele und vor allem Indikationen in einer Rangfolge angeordnet werden [5]. Ein Thema, das auch die Orthopädie und Unfallchirurgie in besonderem Maße betrifft. Wird die Endoprothese für Ältere finanzierbar sein [4]? Wird die Schenkelhalsfraktur des Hochbetagten ausgelegen, wie dies in einigen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union noch häufig der Fall ist? Kann die Gesellschaft die immensen Lasten noch schultern, die durch den demografischen Wandel und die damit verbundene Zunahme muskuloskeletaler Erkrankungen und Verletzungen auf uns zukommt?

Orthopädie und Unfallchirurgie müssen mit diesen Herausforderungen leben (Motto des Kongresses 2009), daher die notwendigen Fragen formulieren und sie der Öffentlichkeit präsentieren. Um die Leser der Zeitschrift mit dem Instrumentarium der Gesundheitsökonomie vertraut zu machen, wird dieses Heft von einem Artikel über die ökonomische Evaluation für Orthopäden und Unfallchirurgen von Vavken und Dorotka eingeleitet [10].

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F. U. Niethard, Aachen

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K. Weise, Tübingen

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Literatur

  • 1 Albrecht H. Kritik der reinen Pauschale. Die Zeit 23..5..2001 Nr. 22
  • 2 Gmelin B. Die Ökonomisierung der Mitmenschlichkeit.  Dtsch Ärzteblatt. 2000;  97 A1659-A1664
  • 3 Jonitz G. zit. N. Albrecht. 
  • 4 Hassenpflug J. Medizin und Ökonomie, Orthopädie und Unfallchirurgie – Trennendes und Gemeinsamkeiten.  Z Orthop Unfall. 2007;  145 681-682
  • 5 Hoppe. J .Verteilungsgerechtigkeit durch Priorisierung – Patientenwohl in Zeiten der Mangelverwaltung. Rede des Präsidenten der Bundesärztekammer zur Eröffnung des 112. Deutschen Ärztetages in Mainz 2009
  • 6 Huster. S .Das Versteckspiel mit der Rationierung. Frankfurter Allgemeine Zeitung 17..7..2009 Nr. 163: 12
  • 7 Niethard F U. „Qualitätssicherung“.  Z Orthop. 1997;  135 93-95
  • 8 Niethard F U. DRGs: Die Orthopädie zwischen Winkelmesser und „Casemix“.  Z Orthop. 2001;  139 277-278
  • 9 Schmid M, Hopf C. Notwendige Schritte zur Einführung des AR-DRG-Systems.  Z Orthop. 2001;  139 279-286
  • 10 Vavken P, Dorotka R. Eine Einführung der ökonomischen Evaluation für Orthopäden und Unfallchirurgen.  Z Orthop Unfall. 2009;  147 419-423

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Literatur

  • 1 Albrecht H. Kritik der reinen Pauschale. Die Zeit 23..5..2001 Nr. 22
  • 2 Gmelin B. Die Ökonomisierung der Mitmenschlichkeit.  Dtsch Ärzteblatt. 2000;  97 A1659-A1664
  • 3 Jonitz G. zit. N. Albrecht. 
  • 4 Hassenpflug J. Medizin und Ökonomie, Orthopädie und Unfallchirurgie – Trennendes und Gemeinsamkeiten.  Z Orthop Unfall. 2007;  145 681-682
  • 5 Hoppe. J .Verteilungsgerechtigkeit durch Priorisierung – Patientenwohl in Zeiten der Mangelverwaltung. Rede des Präsidenten der Bundesärztekammer zur Eröffnung des 112. Deutschen Ärztetages in Mainz 2009
  • 6 Huster. S .Das Versteckspiel mit der Rationierung. Frankfurter Allgemeine Zeitung 17..7..2009 Nr. 163: 12
  • 7 Niethard F U. „Qualitätssicherung“.  Z Orthop. 1997;  135 93-95
  • 8 Niethard F U. DRGs: Die Orthopädie zwischen Winkelmesser und „Casemix“.  Z Orthop. 2001;  139 277-278
  • 9 Schmid M, Hopf C. Notwendige Schritte zur Einführung des AR-DRG-Systems.  Z Orthop. 2001;  139 279-286
  • 10 Vavken P, Dorotka R. Eine Einführung der ökonomischen Evaluation für Orthopäden und Unfallchirurgen.  Z Orthop Unfall. 2009;  147 419-423

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